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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Hoffnung

© Thorsten Jansen


Kurz nach Ende des 2. Weltkrieges lief ich, als zehnjähriger Junge durch die zerbombte Stadt. Es gab nicht mehr viel, was noch heil war, fast nur noch Ruinen. Sogar die große Kirche unten am Marktplatz, in der ich mal hätte getauft werden sollen, war zerstört. Es war schrecklich! Damals waren noch sehr viele Alliierte in der Stadt, aber einige packten schon und freuten sich auf ihre Heimat, wo sie dann ihre Familien wieder sehen durften. Viele, die den Krieg überlebt hatten, sahen dies als große zweite Chance in ihrem Leben an. Ich freute mich für die Männer, die nach Hause durften, obwohl ich eigentlich keinen Grund zur Freude hatte. Ich hatte im Krieg meine Eltern und meine zwei älteren Brüder, Klaus und Helmut, verloren, aber irgendwie freute ich mich für die heimkehrenden Soldaten. Vielleicht lag es daran, dass mir drei US-Soldaten das Leben gerettet hatten, als ich nach einem Luftangriff verschüttet worden war, oder aber auch daran, dass die drei Amis die Einzigen waren, die sich, nachdem ich meine Familie verloren hatte, um mich kümmerten; ich weiß es heute nicht mehr so genau. Jedenfalls freute ich mich, als ich durch die Stadt lief und die glücklichen Gesichter der Soldaten sah. Ich lief in Richtung Bahnhof, wo die ersten, die nach Hause durften, auf ihre Züge warteten, dort wollte ich dann noch mal meinen drei Rettern danken und sie verabschieden. Als ich den Bahnsteig erreichte, sah ich sie schon von weitem, sie standen am Ende des Bahnsteiges. Der Soldat James Miller sah mich als erstes und begann zu winken. Als ich dann näher kam, erkannten mich auch Bob und Andrew. Ja, nun stand ich vor meinen drei Helden und wusste gar nicht mehr so recht, was ich sagen wollte, ich stand einfach da und freute mich für die drei, dass sie nach Hause durften. Aber ich war auch traurig, weil sie mich verließen. James sagte: "Hey, kleiner Mann, kommst du, um dich zu Verabschieden?" "Ja", antwortete ich, "ich wollte euch noch mal sehen und mich für alles bedanken!" "Du brauchst dich doch nicht zu bedanken, aber wir freuen uns, dass du gekommen bist", meinte Andrew. Bob fragte: "Nun, kleiner Hans Müller, was hast du vor, wenn wir fort sind?" "Ich weiß es noch nicht, werde mich wohl im Waisenhaus melden müssen, da ja meine Familie tot ist und ich niemanden kenne, außer euch Drei!" "Ja, als Waise aufzuwachsen ist nicht leicht, gerade jetzt nach dem Krieg. Hm, mir kommt da eine Idee! Sag mal James, wollte deine Frau nicht schon immer einen Sohn haben?", fragte Bob, der selbst im Waisenhaus aufgewachsen war. "Ja, aber wie du ja weißt, bin ich leider zeugungsunfähig!" "Genau das meine ich ja, wir wäre es, wenn ihr beide den kleinen Hans hier adoptiert? Er hätte dann wieder eine nette Familie und ihr beide euern schon lang ersehnten Sohn!" James überlegte kurz, nahm mich dann auf den Arm und meinte: "Okay, ja das finde ich prima. Pass auf Hans, sobald ich zu Hause bin werde ich mit meiner Jane reden. Wenn sie einverstanden ist, wovon ich ausgehe, dann werde ich mich um die Papiere für die Adoption bei der Botschaft kümmern und komme dann im nächsten Sommer wieder um dich abzuholen. Was hältst du davon?" In diesem Moment, als James Miller mir diese Worte sagte, war ich der glücklichste Junge auf der Welt und willigte ein. Da kam der Zug in den Bahnhof gerollt und es hieß Abschied nehmen. James stellte mich wieder auf den Boden und hockte sich vor mir hin. "Nun muss ich los, mein Sohn, aber warte auf mich, ich werde bald kommen und dich nach Hause holen. Warte, ich hab hier noch ein kleines Geschenk für dich." Er nahm seinen Rucksack und gab mir daraus einen schönen, großen Apfel. "Hier, mein Junge und pass schön auf dich auf!" Ich bedankte mich bei ihm und verabschiedete mich auch von Bob und Andrew. Die drei sind in den Zug gestiegen, der dann langsam davon rollte. Ich stand noch lange auf dem Bahnsteig, winkte ihnen nach, bis ich den Zug nicht mehr sehen konnte und aß dabei meinen großen Apfel. Es war herrlich, so gut hatte mir noch nie ein Apfel geschmeckt. Natürlich war es Einbildung, denn der gute Geschmack beruhte darauf, dass die Millers mich adoptieren wollten. Nachdem ich diesen wunderbaren Apfel gegessen hatte, meldete ich mich im Waisenhaus, eines der wenigen Häuser, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten, wo ich sehr nett vom Heimleiter empfangen wurde und ein eigenes Bett zugewiesen bekam. Und dann wartete ich auf den nächsten Sommer. Seit dem sind viele Sommer vergangen und ich habe meine drei Soldaten nie wieder gesehen. Anfangs war ich etwas sauer auf die drei, aber mit der Zeit verstand ich sie. Sie hatten nie beabsichtigt mich jemals abzuholen, ja mittlerweile glaube ich sogar, dass James nie zeugungsunfähig war. Aber ich verstand die drei, sie wollten von Anfang an nichts anderes, als mir Mut und Hoffnung geben, Mut für das, was mir im Waisenhaus und im späteren Leben bevorstand und Hoffnung dafür, dass ich nie aufgab auf eine neue Familie zu warten, die ich ja dann auch einige Jahre später fand. Erst eine liebe Frau und dann ein paar süße Kinder, ja und mittlerweile sogar Enkelkinder, denen ich gerne diese Geschichte erzähle. Es dauerte lange, bis ich richtig verstand, aber heute weiß ich, dass Mut und Hoffnung das Wichtigste im Leben ist. Das habe ich von meinen drei Helden gelernt. Ich habe sie nie vergessen, meine Soldaten. Auch heute im hohen Alter denke ich noch sehr oft an die drei, am meisten, wenn ich in den Supermarkt gehe und mir einen Apfel kaufe. Wenn ich dann genussvoll hinein beiße, ja, dann denke ich an den kleinen glücklichen Jungen, der damals so voller Hoffnung auf dem Bahnsteig stand und seinen Helden nachwinkte.



Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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