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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
06. April
© Carola Tschirf
Endlich! Es war bereits acht Uhr abends, als ich die Agentur verließ.
Freudestrahlend verabschiedete ich mich von meinem Chef und meiner Kollegin, stieg in mein geliebtes Auto und fuhr nach Hause. Nichts konnte mich jetzt noch in schlechte Laune bringen, schließlich hatte ich endlich eine Woche Urlaub bekommen, den ich in meiner Heimat in Österreich verbringen wollte.
Ich träumte bereits von den noch schneebedeckten Bergen, dem Duft des Frühlings in der reinen Luft, freute mich auf lange und ausgedehnte Spaziergänge, einen Besuch bei meinen Lieben und natürlich darauf, eine Woche mit meiner Mutter verweilen zu können. Alles war perfekt und vorbereitet.
Ich hatte mir vorgenommen, mein Auto noch zu waschen. Ich unterzog meinen kleinen Liebling einen Wellnesstag a la card. Außenreinigung mit einem nach Orange duftenden Schaum und einer Massage, der Innenraum hingegen mit einem Citrusduft Deo entstaubt und sämtliche Scheiben streifenfrei poliert. Jetzt war nur noch der Motorraum zu inspizieren, denn ich wollte nichts dem Zufall überlassen. Alles wurde überprüft. Der Ölstand, die Kühlerflüssigkeit, die Scheibenflüssigkeit - doch hoppla! Verdutzt guckte ich mir den
Stand der Bremsflüssigkeit an. Wie konnte der Stand unter der Mindestmarke sein? Na gut, dachte ich mir, dann fahren wir eben am noch kurz zum Mechaniker und lassen sie nachfüllen.
"Urlaub! Und ich muss trotzdem früh aufstehen!", murrte ich aus dem Schlafzimmer, als mein Schatz mich weckte. "Komm, du musst aufstehen, oder willst du deinen Urlaub verschlafen? Außerdem musst du noch zum Nachfüllen deiner Bremsflüssigkeit." Mit zusammengekniffenen Augen setzte ich mich in Bewegung und schlürfte zum Frühstückstisch, wo bereits duftend frische Brötchen und Nutella auf mich wartete. Mein Tee wurde auch schon serviert.
‚Ach ich das toll!' dachte ich mir und begann zu lächeln. "Jetzt hast du mich dann für ein paar Tage los, freust du dich?" Ein Lächeln huschte über das Gesicht meines Freundes "Na klar, ich mach heute ne Party. Wann geht´s los?" "Sobald mein Auto fertig ist. Dann hole ich meine Mum und dann geht´s ab in den Süden." "Na dann fahr vorsichtig und ruf mich an, wenn ihr angekommen seit, ok? Ich muss los, mein Schatz." Noch ein Kuss und weg war er. Das war mein Zeichen dafür,
dass ich mich ebenfalls beeilen musste.
Schnell sprang ich unter die Dusche, machte mich zurecht und schleppte dann meine Tasche in Richtung Kofferraum. Ich atmete noch tief durch, winkte unseren Hunden zu und legte den Rückwärtsgang ein. Es hatte die ganze Nacht geregnet und es nieselte noch als ich losfuhr.
Autofahren bereitete mir schon seit meiner ersten Fahrstunde richtigen Spaß.
Ich selbst bezeichnete mich als der Supereinparker schlechthin und ich war eine sichere Autofahrerin. Ich hatte keinerlei Ängste, auch nachdem bereits zweimal schon jemand mein Auto von hinten geküsst hatte. Es beruhigte mich, in meinem Auto zu sitzen, das ich sehr liebte. Manchmal machte ich einfach so eine Fahrt ins Grüne, ließ Musik laufen und betrachtete mir den Sonnenuntergang am See. Es bedeutete Unabhängigkeit. Ich nutzte jede Gelegenheit um fahren zu können.
Endlich in Schwabach angekommen, überlegte ich, wie ich am besten weiterfahren sollte. Normalerweise würde ich an der nächsten Ampel einfach geradeaus fahren und dann über die Landstraße, 4 weiteren Dörfern und unendlichen Ampeln endlich mein Ziel erreichen. Doch ich hatte es ja schließlich sehr eilig und wollte keine gemütliche Kaffeefahrt mit offenen Fenstern und lauter Musik. Ich entschloss mich, entgegen meiner Gewohnheit an der nächsten Ampel nach links abzubiegen und die Schnellstraße zu nehmen.
Ich ordnete mich der doppelspurigen Fahrbahn nach links ein beobachtete die Ampel und hoffte, noch wie die anderen vor mir, den Grünen Pfeil zu erwischen, doch das hoffte ich nur. Ich musste stehen bleiben. Ich beobachtete den Gegenverkehr und wartete auf ein Anzeichen, dass jemand stehen blieb, weil er rot hatte.
Ein blauer Van hielt an. Ich guckte mir noch den Querverkehr an, legte den Gang ein und wollte losfahren als ich ein anderes Auto auf der Gegenfahrbahn auf mich zurasen sah. Ich riss meine Augen auf, mein Herz begann blieb stehen. Dann der Knall. Ich krallte mich mit aller Kraft an mein Lenkrad, die Musik im Radio verschwand. Wieder ein Knall. Meine Augen schlossen und öffneten sich automatisch wie bei einer Puppe. Ich hatte Angst. Meine Gedanken fingen an zu kreisen.
Der ganze Innenraum meines Autos war voller Rauch. Die Airbags schossen mir entgegen. Die Wucht des Aufpralls presste mich in meinen Sitz. Ich verlor für eine kurze Zeit mein Gedächtnis… Mein Auto hatte sich um 310 Grad gedreht und stand quer in der Fahrbahn.
Als ich wieder zu mir kam, hatte ich Angst. Ich wollte nur noch aus meinem Auto raus. Ich versuchte die Türe zu öffnen. Doch es gelang mir nicht. Panik stieg in mir hoch. Ich stieß meine Füße gegen die Tür und endlich konnte ich ins Freie. Ich lief orientierungslos zur nächsten Ampel, hielt mich dort fest und sank in mich zusammen. Der Schock erwischte mich eiskalt und ich begann zu weinen. Ich bemerkte nicht, dass ich mich auf die nasse Straße setzte. Alles erschien mir wie eine Ewigkeit. Endlich kam ein Mann
auf mich zu und nahm mich in die Arme. Er versuchte mich zu beruhigen und redete mir gut zu. Meine Beine begannen zu brennen. Das brennende Gefühl setzte in den Beinen ein und durchdrang meinen ganzen Körper. Die Brust, der Hintern, die Beine. Mein Nacken wagte ich gar nicht zu drehen. Die Schmerzen waren jedoch nichts im Vergleich meiner seelischen Verletzung.
Kurze Zeit später kam ein Krankenwagen. Die Sanitäter benachrichtigten die Polizei, die ebenfalls kurze Zeit später am Unfallort war. Von all dem bekam ich nichts mit. Immer sagte ich die gleichen Worte vor mich hin: "Aber ich hatte doch Grün." Draußen befragten die Polizisten die Passanten und Zeugen.
Ich weinte immer noch, als der Krankenwagen losfuhr und mich samt meiner Habe ins Krankenhaus fuhr. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass ich doch Grün hatte. Ich war verzweifelt. Ich, der Superautofahrer überhaupt, konnte doch niemanden übersehen haben. Sie setzten mich in eine Ecke auf einen Stuhl vor der Röntgenabteilung. Die Bilder verfolgten mich. Immer wieder hörte ich den Aufprall, immer wieder sah ich den braunen Opel Vectra wie er mit ca. 60 kmh in mein Auto raste. Immer wieder spürte ich die Angst,
die ich empfand, als der Airbag in mein Gesicht schoss. Immer wieder dankte ich, dass mir nicht mehr passiert war. Und immer wieder musste ich mich fragen, ob ich wirklich nicht Schuld an dem Unfall war. Die Ungewissheit fraß mich von inner her auf und ich wusste nicht mehr weiter.
Ein Pfleger entdeckte mich in der dunklen Ecke und kam auf mich zu. "Na? Unfall?" Wimmernd nickte ich mit dem Kopf. "Bist du Schuld?" Ich brach wieder in Tränen aus. "Ich weiß es nicht. Ich hatte doch Grün!" Ich wusste nicht, ob er verstand was ich sagte. Er brachte mich zum Röntgen und dann wieder in den Untersuchungsraum, wo ich endlich meine Mutter anrufen konnte.
Ich zitterte immer noch und auch auf Ersuchen der Pfleger, mich doch bitte hinzusetzen, konnte ich nur dastehen und wie benommen im Raum umherblicken.
Ich bekam eigentlich gar nichts mit und ließ alles über mich ergehen.
Die Polizisten schauten um die Ecke in das Behandlungszimmer. "Frau Lang?" Wieder konnte ich nur meinen Kopf bewegen. "Hier haben wir Ihren Führerschein uns Ihren Pass. Wir haben Zeugen, die ausgesagt haben, dass der Unfallgegner Rot hatte." Als ich diese Worte hörte, fiel eine tonnenschwere Last von mir ab und mit ihr brach in mich zusammen, so als würde das Gewicht von meinem Rücken fallen und meine Muskeln unter der dauernden Belastung erschlafft sein.
Mein Freund rannte ebenfalls unter Schock stehend auf mich zu und schloss mich in die Arme. "Ich hatte solche Angst um dich!" Ich hatte großes Glück. Es war ein Erlebnis, das mein Leben verändert hat.
Jeder Tag, jede Minute, jede Sekunde ist kostbar - man weiß nie, wann es zu Ende geht.
Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.