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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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D@d

© Carola Tschirf


Ich lächelte und schlug meinen Kalender auf, um den Tag einzutragen, an dem ich meinen Vater nach drei Jahren endlich wieder sehen sollte.
Als meine Eltern sich trennten, war ich gerade einmal drei Jahre alt. Ich bekam von der Scheidung nichts mit, sodass ich mich an nur wenige Momente erinnern konnte.
Nach drei Jahren lernte meine Mutter einen anderen Mann kennen, der uns aus Österreich - meinem Heimatland - mit zu sich nach Nürnberg nahm. Meinen Vater konnte ich also nur in den Ferien sehen, denn die Entfernung war einfach zu groß. Eine richtige Vater-Tochter-Beziehung konnten wir nie aufbauen.
Manchmal schien es, als ob meine Mutter nicht wollte, dass wir Kontakt zu meinem Vater hatten. Immer wieder suggerierte mir meine Mutter ein, dass mein Vater mich nicht gern hatte, nicht Stolz auf mich wäre und dass er sich doch nur für meinen Bruder interessiere, weil er immer größere Geschenke bekam. Immer wieder machte sie ihm Schuldzuweisungen.
Natürlich hinterließen die Sticheleien meiner Mutter kleine Wunden, sodass ich keinen Kontakt mehr zu meinem Vater wollte.
Als ich dann meinen Freund kennen lernte, hatte sich meine Meinung und auch meine Einstellung geändert. Ich kannte meinen Vater ja nicht einmal! Wie konnte ich oder ein anderer Mensch darüber entscheiden, ob er mich gern hatte oder nicht?
Ich beschloss Kontakt zu ihm aufzunehmen. Und das war das Beste, was ich machen konnte. Ich schrieb ihm eine E-Mail, in der ich ihm beschrieb, wie ich mich fühlte. Prompt bekam ich Antwort. Er wollte sich mit mir treffen, sobald er wieder in Nürnberg war. Er hatte erst vor kurzem das Gebiet Nürnberg übernommen und war somit geschäftlich hin und wieder in der Lebkuchenmetropole. Endlich bekam ich die Chance meinen Vater von einer anderen Seite kennen zu lernen.
Meine Freude war groß und ich musste es meiner Freundin erzählen. Auch sie hatte keinen sehr guten Kontakt zu ihrem Vater und machte mir deshalb nicht gerade viel Mut. "Meinst du, er wird dir die Wahrheit sagen? Bitte gib dich nicht der Illusion hin, dass er ehrlich zu dir sein wird. Ich denke, er wird dir nur das sagen, was du hören willst." sagte sie. "Woher willst du wissen, dass mein Vater das tut? Er hat doch keinen Grund dazu." "Du wirst schon sehen." Entmutigt machte ich mich auf die Suche nach einem passenden Geschenk. Er hatte erst vor kurzem Geburtstag und ich wollte ihm unbedingt eine Freunde machen. Ich rannte durch die Stadt. Zuerst in eine Buchhandlung, dann in ein Bekleidungsgeschäft für Männer - doch ich fand nichts.
Als ich an diesem Tag zu Bett ging, erinnerte ich mich an ein Geschenk, das mir eine Freundin einmal machte. Aufgeregt und zufrieden schlief ich ein.
Am nächsten Tag war es soweit! Ich fuhr gedankenversunken in die Arbeit.
Obwohl ich in Arbeit erstickte, schien es, als ob die Zeit stehen blieb. Ich kämpfte mich um jede Minute, dachte immerzu an meinen Vater und daran, wann er denn in Österreich losfahren würde. Immer wieder guckte ich verstohlen auf mein Handy und wartete auf eine SMS oder einen Anruf.
Als es schon 18 Uhr wurde und ich das Büro verließ hatte ich noch nichts von meinem Vater gehört. "Na ja, vielleicht ruht er sich noch im Hotel aus", dachte ich und machte mich auf den Weg in die Innenstadt um ein wenig shoppen zu gehen. Wenn ich schon mal Zeit hatte, wollte ich diese auch nutzen. Um 19 Uhr wollten wir uns treffen.
Ich schlurfte durch die Gassen, an den Geschäften vorbei, probierte ein paar Sachen an und kaufte hier und da ein bisschen was. Mittlerweilen war es bereits halb acht und ich hatte noch nichts von meinem Vater gehört. Langsam bekam ich das Gefühl, dass er sich doch nicht mit mir treffen wollte.
Wahrscheinlich war er extra später losgefahren, sodass er vor lauter Erschöpfung keinen Sinn mehr dazu hatte, sich mit seiner einzigen Tochter zu treffen. Die Worte meiner Freundin schwirrten in meinem Kopf umher und ich ging traurig und schwermütig durch die Gassen und wurde schon wütend, dass ich mich dazu hingerissen hatte, ihm ein Geschenk zu kaufen.
Plötzlich vibrierte meine Tasche. Oh Gott, oh Gott! Wie komm ich jetzt an mein Handy ran? Es bewies sich mal wieder, dass kleine Handys für große Taschen nicht sehr sinnvoll waren. Ehe man es fand, war der Anrufer auch schon wieder weg. Meiner war aber recht hartnäckig.
"Es tut mir Leid, wir waren in einem Stau und sind jetzt kurz vor Greding. Ich melde mich wenn wir da sind, ok?", erklärte mir die Stimme am anderen Apparat. ‚Na toll!' dachte ich mir ‚was mach ich nun?' Ich hatte also noch sehr lange Zeit, doch die Geschäfte würden trotzdem um acht Uhr schließen.
Ich beschloss - auch aufgrund des sehr kalten Windes - in das kleine Kino zu gehen, wo wir und immer mit Freunden trafen. Es war ein gemütliches Kino mit einem Kaffee und einer Bar in der Nähe des Eingangs. Im oberen Geschoss war ein Restaurant, wo ich mit meinem Vater essen wollte. Ich reservierte uns also noch einen Tisch direkt am Fenster und setzte mich dann an die Bar, wo ich mir eine heiße Schokolade gönnte, um mich aufzuwärmen.
Eine halbe Stunde erschien mir wie eine Ewigkeit und meine Hoffnung auf ein Treffen wurde immer schwächer. Als mein Handy zum zweiten Mal klingelte machte ich mich schon auf eine seiner zahlreichen Ausreden bereit. Umso mehr überraschte es mich, als er mich bat, ihm von seinem Hotel abzuholen, das ca. 5 Minuten zu Fuß entfernt war. Mein Herz machte einen kleinen Sprung und obwohl meine Füße von den neuen Schuhen schmerzten und ich mir nichts Schöneres vorstellen konnte, als sitzen zu bleiben, machte ich mich auf den Weg der endlos schien. Schritt um Schritt kam ich meinem Vater näher. Der Moment als wir uns umarmten war einzigartig und wunderschön, sodass ich ihn in meine Gedanken einschloss, um mich immer wieder daran erinnern zu können.
Wir schlenderten gemeinsam wieder zurück zum Kino, wo wir uns etwas zu essen bestellten. Ich hatte einen Riesenhunger, konnte jedoch vor Aufregung und Nervosität keinen Bissen hinter bekommen. Mein Vater aß seine Gnocchi in Tomatensauce und war scheinbar ebenso aufgeregt wie ich.
Wir unterhielten uns über meine Mutter. Mich überraschte, dass er kein schlechtes Wort über sie verlor - ganz anders als sie über ihn. Ich erzählte ihm, wie es mir ergangen war und hörte aufmerksam seinen Worten zu, als er mir erzählte, dass es ihm das Herz zerriss, als meine Mutter uns nach Deutschland gebracht hatte. Wie schwer die Trennung für ihn war und dass er den Tag nie vergessen würde, als meine Mutter uns aus seinen Händen riss.
Tränen standen in seinen Augen, als er mir von seiner Wunde erzählte.
Der Abend war wunderschön und obwohl ich ihn nie enden lassen wollte, beschlossen wir irgendwann zu gehen. Ich bat ihn, mich zu meinem Auto zu begleiten, was er sehr gerne tat. Ich fuhr ihn zurück in sein Hotel, verabschiedete mich von ihm und übergab ihm mein Geschenk.
Als er in seinem Zimmer angekommen war, öffnete er das Geschenk. Es war ein Kästchen aus Holz. Er hob den Deckel und fand ein paar Bilder und einen Brief. Er entfaltete vorsichtig den Brief und begann zu lesen.
Hallo Papa, ich habe verzweifelt nach dem idealen Geschenk für dich gesucht.
Ich habe an ein Buch gedacht, an einen Pullover, doch nichts war perfekt genug, bis ich dieses Geschenk gefunden habe: Ich schenke dir mich! Mich mit unseren Erinnerungen. Ich schenke dir meine Erinnerungen an dich, wie wir am Achensee zusammen auf dem Segelboot herumfuhren, die Riesenkrake, die ich von dir zum Geburtstag bekam. Immer wenn du etwas über mich herausfindest, seien es meine Macken oder Ähnliches kannst du es aufschreiben und in das Kästchen legen. Ich hab dich sehr lieb. Deine Caro.
Als ich zu Hause war, summte mein Handy und eine SMS wartete darauf gelesen zu werden: "Hallo Caro, das war wirklich das ideale Geschenk! Vielen Dank für die Fotos und das Erinnerungskästchen. Ich habe den Abend sehr genossen und wollte dich eigentlich gar nicht mehr wegfahren lassen. Alles Liebe!
D@d."
Seit diesem Tag ist mir die Verbindung und der Kontakt zu meinem Vater sehr wichtig geworden. Blut ist eben doch dicker als Wasser.



Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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