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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Herbst in südlichen Gefilden

© Gerd Klintschar


Es war ein kühler Oktober-Freitag und die Boing vom Flughafen Wien Schwechat hob wie selbstverständlich ab. Als die Sonne durch den Nebel kam, war von den Bullaugen des Flugzeugs aus von der Stadt natürlich nichts zu sehen, sie lag ja darunter verborgen.
Die Fluggäste saßen diszipliniert auf ihre Sitze geschnallt und während der Flieger an Höhe gewann, ergriff gelegentlich einer von ihnen die eigene Nase, um einen Druckausgleich im Mittelohr herzustellen.
In der ersten Klasse saß eine Gruppe in dunklen Anzügen gekleideter Männer und einer von ihnen redete mit gedämpfter Stimme, die durchblicken ließ, dass der Mann von großer Wichtigkeit war und dass er den anderen Herren eine ebensogroße Wichtigkeit beimaß. Seine Gäste waren allesamt hohe Ministerialbeamte, und er selber der Herr verflochtener Geschäfte, der ausgefuchste Meister der Kräfte, die in verborgenen Winkeln des österreichischen Machtsystems wirkten - so sah er die ihm zugeteilte Rolle. Sein fuchsrotes Haar war schon leicht angegraut, seine pigmentierte Gesichthaut spannte sich übers runde Gesicht. Die Augen waren klein und grau, wachsam wie die der Katze vor dem Erdloch mit der Maus.
*
Die Stewardessen kamen eifrig mit dem Essen, den Getränken und freundlichen Bemerkungen, welches den 1.-Klasse Fluggästen zustand.
*
Der Tagungsort erschien unter ihnen, eine Großstadt am Meer, geschmückt mit den Türmen der Sagrada Familia: Barcelona. Hier war es warm und sonnig, hier war der Herbst ein freundlicher alter Mann, während er sich zu Hause in Wien als grantiger Grießgram präsentierte. Hier, im Süden, konnten Kräfte unbekümmert spielen. Hier, wusste der Fuchsrote, würde er die Zügel in die Hand nehmen. Ja, eigentlich hielt er sie schon in den Händen. Er hob beide Fäuste zum Vordersitz und sah zwischen den Fingern die unsichtbaren Fasern, aus denen er die Zügel gefertigt hatte.
*
Das Hotel: Ein kleiner Wolkenkratzer, sehr stilvoll, modern, hoffentlich nicht zu modern für seine ein wenig verstaubten Gäste, so die Gedanken des Fuchsroten. Beim Vorgang des Eincheckens stand er am Rand der Rezeption und seine Katzenaugen schossen hin und her, um die Gesichtsausdrücke seiner Ministerialbeamten zu erfassen: Neutral. In zwei Stunden würden sich alle wieder hier treffen, um zwei Taxis zum Abendessen zu besteigen.
*
Zimmernummer 2306: Der Fuchsrote schob die Schlüsselkarte, die er an der Rezeption erhalten hatte, in den vorgesehenen Spalt. Kleines grünes Licht, die Tür ging auf. Das Zimmer war schön, großes Fenster, Blick auf die Stadt, die Sagrada Familia. Extravagantes Waschzimmer. Sehr schön, aber für einen Ministerialbeamten vielleicht doch eine Spur zu modern.
Er würde nun versuchen ein wenig zu schlafen, um für den Abend und für formvollendete Konversation ausgeruht zu sein.
Nichts zu machen. Er warf sich hin und her, und mit jeder Stellung die sein nackter Körper im Bett einnahm, tauchte das Gesicht eines anderen wichtigen Ministerialbeamten vor ihm auf. Wenn er dann zwischendurch ärgerlich die Augen öffnete, sah er hinunter auf die Stadt. Dann ging auch schon der Wecker los, der Fuchsrote richtete sich knurrend auf, schleppte sich unter die Dusche und begann dann, sich für das Abendessen anzukleiden: Unterhose, Hemd, Socken ... da klopfte es an der Tür. Der Fuchsrote knurrte noch einmal wie schon beim Aufstehen und ging in Unterhose, Socken, Hemd zur Türe, öffnete sie zur Hälfte.
Ein dürrer Mann, etwa gleich alt wie er selber, stand vor ihm. Er trug ein ausgewaschenes, goldfarbenes Hemd und am Kopf hatte er so etwas wie einen Lorbeerkranz. Ein paar Sekunden schauten sich die Männer in die Augen, dann fragte der Fuchsrote mit ausgeprägtem Wiener Akzent: "Yes?"
Der andere aber erwiderte nichts, sondern eilte einfach den Gang hinunter in Richtung Lift.
Der Fuchsrote rief ihm nach: "Halt!", und sprang durch die Tür um ihm zu folgen. Er war nur wenige Meter weit gekommen, als er merkte, dass hinter ihm die Tür ins Schloss fiel. "Scheiße!", der Fuchsrote machte kehrt und rüttelte, aber sie war von außen ohne die Schlüsselkarte nicht zu öffnen. Als er sich wieder umschaute, verschwand sein seltsamer Besucher in der Liftkabine. "Halt!" rief der Fuchsrote noch einmal, aber zu spät.
Was jetzt? Er stand mit nackten Beinen ohne Schuhe im Gang und das Schloss trennte ihn von Hose, Krawatte, Schuhen, Sakko, Kreditkarte, Handy. In 17 Minuten traf er sich mit seinen Gästen an der Rezeption. Hektisch klopfte er gegen die die Türen einiger Nachbarzimmer, keine Reaktion. Also, es half nichts. Er musste jetzt rasch hinunter und bei der Rezeption eine Ersatz-Schlüsselkarte holen.
Damit eilte er zum Lift und drückte auf den Knopf mit dem Pfeil nach unten. Teufel, das dauerte aber. Die Lifttüre ging auf. Zum Glück war niemand drinnen, peinlich wäre das gewesen, er in Socken, Unterhose und Hemd.
Auf Level 0 öffnete sich die Türe, und der Fuchsrote schoss hinaus Richtung Rezeption, wo eine dunkelhaarige Katalanin im blauem Hosenanzug ihm gerne weiterhelfen würde. Er hielt an und er sah neben sich eine Gruppe von Männern stehen. Es waren die Ministerialbeamten, seine Gäste, jeder einzelne war schon hier. Sie unterbrachen ihr Gespräch und starrten den Fuchsroten an, wie er vor ihnen stand, in Socken, Unterhose und Hemd. Der Fuchsrote hob ihnen seine Hände entgegen, und er sah zwischen den Fingern die unsichtbaren Fasern, aus denen er die Zügel gefertigt hatte, mit der lauen Mittelmeerluft verschwimmen.



Eingereicht am 10. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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