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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Ready or Not

© Bernd Jooß


Die Welt steht still. Alles ist dunkel und mein Herz schlägt nicht mehr. Ein Donner grollt plötzlich so mächtig, dass er nicht von dieser Welt stammen kann. Die Welt beginnt sich wieder zu drehen und mein Herz macht einen Schlag, der mich beinahe zum Explodieren bringt.
  Ready or Not.
Ich öffne die Augen, die Umgebung nimmt allmählich wieder Konturen an.
Lichter in allen möglichen Farben strömen auf mich ein und überall, wo ich hinschaue, sehe ich Menschen. Der Beat bahnt sich seinen Weg in meine Gehörgänge und gelangt dadurch in meinen Blutkreislauf. Dort lässt er mein Herz im Rhythmus der Musik schlagen. Wie von selbst beginnen meine Arme und meine Beine sich zu bewegen, wodurch ich immer weiter in die Halle vordringe. Der Geruch von Schweiß und von diesem Kunstnebel steigt mir beißend in die Nase. Obwohl ich mich jetzt selbst nicht mehr bewege, werde ich von der Masse weitergeschoben, so dass ich beinahe über meine eigenen Füße stolpere. Meine Augenlider zucken wegen der Überreizung durch die Lasershow stark. Tränen laufen mir über die Wangen und in meinem Verstand scheint alles durcheinandergeraten zu sein. Für einen Moment meine ich, wieder Zuhause zu sein. Mein Vater motzt mich an, weil ich zum dritten Mal durch die Führerscheinprüfung geflogen bin. Weiter hinten in meinem Kopf höre ich, wie mich meine angeblichen Freunde deshalb aufziehen. Gleichzeitig bohrt sich mir die piepsige Stimme meiner Mutter in den Kopf, die mich betroffen fragt, wie ich meine Haare nur derart kurz schneiden lassen konnte und dass ich so und mit meinen schlechten Noten nie eine Arbeit fände.
  Ready or Not.
Ich verdänge die Gedanken daran, stürze mich ins Nachtleben und denke: Die können mich doch alle mal! Ich beobachte, wie zwei junge Frauen auf einen riesigen Lautsprecher steigen und sich wild zur Musik von The Course bewegen. Sie streichen sich lasziv über die Brüste und ihre Haare führen einen eigenen Tanz auf. Dabei jubeln ihnen ein paar Jungs zu. Ich erkenne, dass ich in der Mitte der Halle stehe und versuche, die Bar ausfindig zu machen. Aber wegen den vielen Menschen sehe ich sie nicht und als ich erneut nach vorne schaue, verstummt auf einmal die Musik.
  Ready or Not.
Sämtliche Lichter gehen aus und es ist kein Geräusch mehr zu hören, so als hätte Gott persönlich den Ton der Welt abgeschaltet. Dann gehen die Lichter wieder an, aber sie scheinen schwächer geworden zu sein, verschwommener. Ein Mann mit Basecap und einem Kinnbart steht vor mir. Er bewegt den Mund, trotzdem verstehe ich ihn nicht. Er streckt mir eine Hand entgegen, auf der zwei blaue Pillen liegen. Sie scheinen zu leuchten. Ich merke, wie sich mein Kopf mechanisch nach oben und unten bewegt. Nachdem ich etwas aus meiner Tasche gezogen und es dem Mann gegeben habe, verschwindet dieser sofort, gleichsam als hätte es ihn nie gegeben. Noch ehe ich richtig begreife, habe ich die blauen Pillen in den Mund geschoben und geschluckt.
Würde sich jetzt mein Leben verändern?
  Ready or Not.
Es vergehen nur wenige Sekunden, bis die Lichter in der Halle kräftiger als je zuvor erstrahlen. Die Musik höre ich nur noch aus großer Entfernung und ein Duft nach Rosen steigt mir in die Nase. Ich fühle mich auf einmal völlig leicht und die Gedanken an meine Eltern können mir nichts mehr anhaben. Von einer Welle lasse ich mich davon treiben, in eine neue Welt, in der es neue Farben und neue Gefühle gibt. Intensiver und angenehmer. Ich habe es gar nicht bemerkt, aber jetzt stehe ich vor der Bar und trinke ein Glas mit durchsichtiger Flüssigkeit aus. Diese brennt zuerst in meinem Hals, bevor sie sich wie Watte anfühlt. Mit einer kleinen Flasche in der Hand, die wie ein wabernder, bunt geschmückter Blumenstrauß aussieht, lasse ich mich von einer weiteren Wellen des unsichtbaren Wassers hinfort gleiten. Jeder in der Halle lächelt mir freundlich zu. Weiter hinten erkenne ich einen Regenbogen, der sich über das Mischpult des DJs spannt. Die Musik klingt harmonisch und ist die schönste, die ich je gehört habe. Ich spüre, wie ich zu ihr tanze, beinahe wie ein Engel dazu schwebe. Ein wunderschönes Mädchen im knappen Rock kommt zu mir. Wir schmiegen uns aneinander, vollführen einen Art Schlangentanz und küssen uns. Dann rückt die Melodie immer weiter in den Hintergrund, bis sie nur noch als Echo zu hören ist. Die Menschen in der Halle, selbst das Mädchen vor mir, scheinen nun Dutzende von Kilometern entfernt zu sein. Ein unglaubliches Dröhnen, ähnlich einer Armada aus Düsenjets, breitet sich in meinem Kopf aus. Gleichzeitig werden die Lichter greller und greller, bis sie sich in spitze Schwerter verwandeln, die mich erstechen wollen. Ich schreie auf und hebe die Arme schützend über den Kopf.
Im selben Moment höre ich Glas zerbrechen, während die Halle um mich herum langsam in einem Tunnel verschwindet. Ich merke, wie ich nach hinten kippe.
Mein Mund füllt sich mit Schaum.
  Ready or Not.
  Ready or Not.
  Ready or Not.
Stimmen dringen in mein Gehirn. Stimmen, die ich kenne. Ich öffne meine Augen, die so schwer sind wie Blei. Blendendweißes Licht umgibt mich. Ich liege in einem Bett und sehe links von mir verschwommen einen weiß bekittelten Mann mit Brille, der etwas von einer Überdosis erzählt.
Rechts vom Bett stehen meine Eltern, die ich an ihren Stimmen erkenne. Sie reden davon, dass sie mich lieben, dass alles wieder gut werden würde und dass sie es nicht so gemeint haben. Meine Frisur wäre ja gar nicht so schlimm und das mit dem Führerschein und mit der Ausbildung würde ich auch noch hinbekommen. Sie würden immer für mich da sein.
Ein gequältes Lächeln kommt mir über die Lippen, das ehrlich gemeint ist. Ich bin dankbar! Unendlich dankbar, denn ich weiß, dass von nun an alles besser werden wird.
  Ready or Not.
Schlussbemerkung:
"Ready or Not" ist ein Songtitel der Fugees, den The Course 1996 erfolgreich für eine Technoversion gecovert haben.



Eingereicht am 09. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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