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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Aus der Zeit der Langsamkeit
© Katharina Emeneth
Mitten in unsere festlich beleuchtete Weihnacht 2004 und Neujahr 2005, in das moderne und laute Ingolstadt, schleichen sich Bilder der Vergangenheit. Fast schwarz-weiß, mit ganz wenig Farben erzeugen sie eine ganz eigene Qualität und Stimmung.
Ein Sack voller Gefühle, der sich im Lauf der Jahre immer mal öffnet und kurze Ausschnitte, Augenblicke von einst neu aufleben lässt.
An den langen Winterabenden trafen sich die Witwen aus der Nachbarschaft der Dobrugeanu-Gherea Gasse, um sechs Uhr abends (nach dem Gebet Glockenläuten) im Haus meiner Kindheit . Sie verständigten sich alle ganz ohne Händy und Telefon.
Über die Straße zur Kathineni hatten wir und auch sie Stroh gestreut damit sie nicht bis an die Knöchel im Dreck versinkt, wenn sie zu uns kommen will. Meine Oma hat den Ofen so eingeheizt, dass die Wärme in der hinteren Küche bis zum Morgen des nächsten Tages anhielt. Zum Kochen hat man Maiskolben verwendet, da diese ein schnelles (gaches) Feuer entfachten und so die aufgestellten Töpfe mit Speisen schnell zum Kochen brachten. Manchmal hat man den mittleren Ring entfernt dann konnte die direkte Flamme den Topf
berühren und ihm ordentlich einheizen. Im rechten hinteren Teil des Ofens stand ein dunkelroter 3-Liter-Topf gefüllt mit warmem Wasser. Dieses wurde zum Auffüllen beim Kochen, zum Händewaschen, oder zum Anrühren des Körnerschrotes für die Schweine verwendet.
An vielen Winterabenden waren wir um sechs Uhr alle so weit fertig, dass dieser Raum meiner Oma und ihrem Besuch überlassen blieb. Mit weißen Bohnen haben diese Frauen dann beim Karten- oder Fickmihlspiel bezahlt. Als kleine Nascherei gab's gekochte Maiskörner, gebratene Kürbis oder Äpfel. Dabei stand auf dem Tisch eine Stehlampe gefüllt mit Petroleum und Docht, den man klein oder groß stellen konnte. Waren die Nachbarinnen gegangen, hat meine Oma denselben runtergedreht. Dann lagen wir gemeinsam in diesem Dämmerlicht
im Bett links an der Wand. Unser Atem und die knisternde Glut wurden nur von dem Schnurren der Katze begleitet. Bis heute weiß ich nicht, ob das Licht nach unserem gemeinsamen Gebet von alleine ausgegangen ist?
Dann gab es Abende, an denen meine Oma ihr schwarzbraunes Umhangtuch anlegte und eine kleine schwarze Sturmlampe in die Hand nahm. Das war das Zeichen dass wir das Haus verlassen. An ihrer Hand, in einen grauen Kindermantel gesteckt, mit rotem Kopftuch stapfte ich neben ihr, in hohen Schnürschuhen, raus in die stockdunkle Nacht. Nur das Knirschen des Schnees unter unseren Füßen, unser Hauchen und entferntes Hundegebell waren zu hören. Der Schnee lag so hoch, dass für mich von der anderen Straßenseite nichts zu
sehen war. Nach einigen Minuten erst gewöhnten sich unsere Augen an die Dunkelheit und wir konnten Wege und Häuser erkennen. Egal ob wir aus dem Haus nach links, oder nach rechts gegangen sind, landeten wir immer bei einer Schwester meiner Oma. Sie hatte sechs davon.
Dort konnte ich Geschichten von Bären hören, die sich in die Höfe der Deutschen schlichen und Federvieh mitgehen ließen. Irgendwann erfuhr ich, dass mit den Bären eine bestimmte Volksschicht gemeint war. Manchmal erzählte irgendeiner von hungrigen Wölfen, die sich dem Dorf näherten um sich Fressen zu beschaffen. Zum Glück hatte unser Haus einen hohen Zaun rundherum und was noch gut war, dass meine Großeltern und Tanten und Onkel alle in der Nachbarschaft wohnten. In dieser Großfamilie fühlte ich mich unsagbar
sicher und geborgen.
In dieser stromlosen Zeit hatten wir eine Kuh Namens Böschi im Stall. Das Gerassel der Ketten hab ich öfter gehört, da der Stall direkt hinter der Wand lag an der wir schliefen. Morgens musste meine Oma sehr früh aufstehen und zum Zug laufen. Es gab jedoch auch Tage, an denen sie mit der frischen Kuhmilch aus dem Stall kam. Wenig später knisterte das Feuer im Ofen und warf lange, tanzende Schatten an die Wände. Der Duft von frischem Zichorie erfüllte den noch dunklen Raum. Ein solcher Milchkaffee mit dicker Rahmhaut
floss aus Omas Hand in unsere nebeneinander stehenden Teller, über das eingebrockte Brot.
Die Katze bekam auch ihre Milch. Aus der verbliebenen Milch hat meine Oma Käse gemacht. Die grünen Tontöpfe standen vorne auf dem quadratischen Schubladenschrank, gleich neben dem Kreuz aus Edelstahl. Am nächsten Tag hat man dann mit dem Löffel eine dicke Schichte Rahm abgeschöpft. Aus der gestockten Milch hat die Oma später mit geschickten Drehbewegungen ihrer Hände Käseballen gemacht. Über eine rote Blechschüssel hat sie einen braunen Kochlöffel gelegt und einen weißen, frisch gewaschenen Käsfetzen über den
Henkel der Schüssel gezogen. Danach wurde alles an die Tischlade gehängt mit einem Blechschüsselchen darunter. Erst floss die Molke in einem dünnen Strahl, dann tröpfelte sie Tropfen für Tropfen in die Schüssel, manchmal die ganze Nacht.
Eingereicht am 08. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.