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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Frei Fechten

© Muschalla Beate


Fechtstunde
Mit zusammengekniffenen Augen peilte Vera konzentriert das Ziel an. Eine kurze Augenbewegung glitt zu ihrer Fechtkollegin, die den Handschuh über dem Stoßkissen hielt, dann streckte Vera den Arm. Der Handschuh fiel. Im kräftigen Ausfallschritt flog die Florettspitze voran und nagelte den Handschuh in der Mitte der Trefffläche fest. Vera schoss in die Fechtstellung zurück und pustete sich eine Locke aus der Stirn. Ihre Kollegin schüttelte verwundert den Kopf. "Fünf Treffer hintereinander mit Ausfall. Wie machst du das eigentlich? Mir gelingt das gerade mal ab und zu aus der Nähe mit einem kleinen Schritt vorwärts." Vera zuckte unbeeindruckt die Schultern. "Aber ich habe immer noch das Gefühl, ich nehme den Arm zu hoch - war er nicht wieder über Schulterhöhe?" selbstkritisch zog sie die Stirn kraus und stieß ungeduldig mit der Florettspitze auf den Boden. Bevor das Mädchen etwas antworten konnte, tönte ein Händeklatschen und dann die Stimme der Trainerin Cornelia aus dem Hintergrund. "So, genug geübt! Auf geht´s! Bahnen aufbauen zum Freien Fechten!"
Kaum hatte Vera sich umgewandt nach einem Partner zum freien Gefecht, als die Fechtmeisterin neben ihr stand. Mit hochgezogenen Brauen sah sie ihrer Schülerin ins Gesicht und tippte ihr mit dem Zeigefinger gegen die Brust.
Vera spürte, wie ihr Herz einen Satz machte. "Und Vera, du bekommst jetzt die Lektion, die du noch offen hast!" Zögerlicher als es sonst Veras Tempo zulassen würde, folgte sie in die hintere Hälfte der Halle.

Lektion
Cornelia stand in der Prim-Position, die Florettspitze zur Linken auf den Boden gestellt, die linke Hand in die Hüfte gestemmt. Kommentarlos wartete sie. Nur ihre Fußspitze klopfte leicht auf den Boden. Vera hatte den Blick gesenkt und versuchte mit fahrigen Händen ihren Handschuh überzustreifen.
Durch das kleine Fenster streifte sie zaghaft der fahle Schimmer der schmalen Mondsichel, der auf den Anfang der letzten Bahn einen winzigen Lichtkringel zeichnete. Endlich hob Vera das Kinn und stellte sich in Position. Zugleich hoben die beiden Fechterinnen ihre Waffen zum obligatorischen Gruß. Ihre Blicke trafen sich. "Du weißt, worum es geht?!"
Cornelias hellen blauen Augen entsprang ein glasklares Funkeln. Veras Antwort ein kurzes Nicken. Die Bindungsangriffe! hämmerte es ihr im Kopf.
"Gut. Beginnen wir." Die Masken wurden übers Gesicht gezogen. Cornelia hob die Waffe in Ausgangsposition. "Fechtstellung!"
Bereits nach fünf Minuten lief Vera das Wasser den Rücken hinab. Mit aller Macht versuchte sie sich zu konzentrieren, ihre Füße, Beine, Arme, die Waffe und das Tempo gleichzeitig zu kontrollieren. "Nein! - Erst Arm-Strecken, dann der Schritt vorwärts! - Noch mal!" Cornelias Kommandos ließen Vera kaum eine Sekunde zum Luftholen. "Jetzt: Bindungsangriffe! Denk dran: Du schiebst die Klinge mit Druck an der des Gegners nach vorn; dann rechtzeitig lösen und gerader Stoß!" Vera biss die Schneidezähne in die Unterlippe. Ihre Wangen glühten. Nur gut, dass unter der Maske kaum der Gesichtsausdruck zu erkennen war. 20 Minuten lang exerzierte Cornelia sämtliche Grundbewegungen mit ihrer Schülerin durch. Unerbittlich ließ sie keine Ungenauigkeit durchgehen. Vera begann ihr rechtes Handgelenk und ihren linken Fußknöchel zu spüren. Immer öfter musste sie den Griff um die Waffe verstärken. Weiter!
Nur nicht nachlassen. Denk an die Technik! Vera wusste, dass sie den Anforderungen standhalten konnte, wenn sie nur die Nerven behielt. Sie biss die Zähne aufeinander.
"Letzter Durchgang." ordnete Cornelia an. Vera straffte die Schultern und ging in Stellung. Tief federte sie in die Knie, als sie einmal lang ausatmete. Cornelia streckte den Arm und wartete. Vera zuckte es in den Füßen. Sie spürte ihren beschleunigten Herzschlag. Blitzschnell kam Cornelia Angriff. Reflexartig sprang Vera zurück, parierte mit hastigem Schlag und setzte im weiten Ausfall den Treffer.
"Okay!" Cornelia senkte das Florett und nahm die Maske ab. Hochrot im Gesicht und noch halb benommen richtete sich Vera auf und ergriff fast unmerklich zögernd die linke Hand der Meisterin. "Danke", hörte sie sich leise murmeln. Ihr fragender Blick traf die klaren blauen Augen der Trainerin. War nicht eben ein winziges Lächeln um deren Mundwinkel gezuckt?
"Bei der letzten Aktion hättest du auch schnell und sicher einen Bindungsstoß setzen können." lautete das knappe Urteil. "Da haben wir noch einiges zu tun. Bevor du die Technik nicht sauber beherrscht, werde ich mich mit dir kein echtes freies Gefecht liefern." Eine Sekunde lang trafen sich ihre Blicke. Um Cornelias Brauen huschte ein winziges Zucken. Vera spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg, wie eine Ertappte senkte sie verlegen den Blick. Cornelia nickte abschließend und entließ ihre Schülerin, sich wieder der Gruppe anzuschließen. "Frei fechten, Vera."

Bindung
Vera stand in Fechtstellung auf der Bahn, ihre Trainerin ihr gegenüber. Du bekommst heute deine letzte Lektion! Wir üben die Bindungsangriffe, und zwar solange bis du sie endlich beherrschst. Der bestimmende Ton Cornelias ließ keine Widerrede zu. Vera spürte ihre Knie zittern. En garde! Sie hob das Florett. Kaum vermochte sie es gerade zu halten, die Waffe in ihrer Hand schien plötzlich mehrere Kilo zu wiegen. Mit äußerster Vorsicht in Zeitlupentempo legte Vera ihre Klinge gegen die der Meisterin und führte sie mit Druck nach vorn. Rechtzeitig lösen und gerader Stoß! Vera hatte zu lange gewartet. Die Meisterin ließ die Waffe ein Stück seitwärts fallen. Auf den gebrochenen Widerstand nicht gefasst, taumelte Veras Klinge nach außen und verpasste die Stoßrichtung.
Noch mal! Die Szene wiederholte sich. Zweimal, dreimal, zehnmal.
Hintereinander, ohne Pause. Vera beging jedes Mal den gleichen Fehler.
Endlich gebot die Meisterin ihr Einhalt. Vera spürte ihren Herzschlag. Dein letzter Versuch! Es soll doch nun bald etwas werden mit dem Frei Fechten!
Die ruhig gesprochenen Worte klangen Vera wie Trommelwirbel in den Ohren.
Sie bemühte sich mit zitternder Hand, die kiloschwere Waffe zu bändigen.
Ihre Armkraft war erschöpft. Das Handgelenk kippte zur Seite. Nein! Die Klinge der Meisterin schlug Veras Waffe zu Boden. Das Scheppern klang ohrenbetäubend und wollte selbst sekundenlang nach dem Schlag nicht enden.
Vera riss rebellierend den Arm empor und stieß mit dem Handrücken gegen etwas Hartes. Mit einem dumpfen Schlag war das metallische Klingeln verstummt. Vera riss die Augen auf und fuhr aus der Hocke hoch. Für einen Sekundenbruchteil nur erschrocken blickte sie sich um, dann seufzte sie tief. Mit der Rechten hatte sie den Wecker vom Nachttisch gerissen.
Durch das Fenster auf ihr Bett fiel das milchige Licht des halben Mondes, der schüchtern noch durch die zerrissenen Wolken brach. Vera setzte sich auf und verharrte einen Moment im morgendlichen Dämmerlicht.

Turnier
In der Halle ging es laut und hektisch zu. Auf allen zehn Bahnen liefen die Gefechte gleichzeitig, unzählige weiß gekleidete Fechter liefen geschäftig hin und her, die Trefferanzeigen blinkten und summten pausenlos. Ein buntes Durcheinander von Kabelgewirr, Metallgeklapper und Lichteffekten strapazierte die Nerven der Teilnehmer. Vera hatte ausgeblendet, was um sie herum vor sich ging. Sie stand bewegungslos hinter Bahn sieben mit Blick auf die bunten Lampen der Trefferanzeige über der Bahn. Sie wartete auf ihr letztes Gefecht der Vorrunde. Mit ungewöhnlicher innerer Ruhe hatte sie die vorigen Gefechte durchlebt, kaum noch vermochte sie sich an ihre Gegner zu erinnern. Reflexartig hatte sie sich blitzschnell den verschiedenen Fechtstilen angepasst und ihre Gegner mit ungewöhnlichen Überraschungsaktionen in die Irre geführt. Fünf von sieben Gefechten hatte sie bereits gewonnen. Cornelia war die ganze Zeit über im Gewühl der Fechterscharen nicht zu entdecken gewesen. Das Gefecht auf Bahn sieben war beendet. Vera schloss einen Moment lang die Augen und atmete tief ein. Ohne einen Blick auf ihren nächsten Gegner am anderen Ende der Bahn zu werfen, betrat sie die Planche und befestigte die Elektrokabel an ihrer Weste.
Nach drei Stunden hatte Vera Endrunde erreicht. Kaum noch wahrgenommen hatte sie die letzte halbe Stunde. Wie in Trance war sie nach dem letzten Gefecht von der Bahn getreten und zur Bank gelaufen. Vera spürte am gesamten Körper die Grenzen ihrer Kräfte. Mit mechanischen Bewegungen langte sie in ihre Tasche nach dem Wasser. Plötzlich wurde ihr Blick wieder klar. Wo war ihre dritte und letzte Liter-Flasche? Vera erwachte aus ihrer Starre und begann sich hektisch umzusehen. Weder in, noch neben ihrer Tasche konnte sie die Flasche entdecken, auch unter den Bank war sie nicht zu finden. Plötzlich waren Veras Sinne wieder geschärft, sie spürte, wie sich jede einzelne Sehne ihres Körpers spannte.
"Zum Finale bitte die Teilnehmerinnen auf die Bahn!" Die Stimme des Hallenansagers drang Vera wie Bassgehämmer durch Mark und Bein. Hektisch fuhr sie herum. Plötzlich wurde ihr von der Seite aus hilfreicher Hand eine Flasche gereicht, die schon halbleer war. "Trink aus!" "Danke." Vera hatte keine Zeit mehr zur Seite zu schauen und trank durstig in wenigen kräftigen Zügen die Flüssigkeit aus. Sofort packte sie ihre Maske und die Waffe und sprintete zu ihrem letzten Gefecht. Cornelia schraubte die leere Flasche zu und sah ihrer Schülerin nachdenklich hinterher.
Erst als sie die Elektrokabel befestigt hatte, sah Vera auf. Am anderen Ende der Bahn stand bereits in Grußposition ihre Lieblingsfeindin ihres Vereins.
Unmerklich nur reckte Vera das Kinn und stieß die Florettspitze auf den Boden. Die würde ihr nicht das Wasser reichen! Die entschlossenen Blicke zweier Erzrivalinnen trafen sich beim kurzen Test-Stoß gegen die Weste der Gegnerin. Dich feg ich von der Bahn! Mit gemessenen Schritten traten die beiden rückwärts auseinander an ihre Startlinien. Als sie die Maske über das Gesicht zog und dabei einen kurzen Moment den Blick nach unten schwenkte, schoss es Vera wie ein Blitz durch den Körper. "En garde!" Wie elektrisiert riss Vera ihren Waffenarm empor. "Allez!" Vera spürte weder ihre Beine noch ihr Handgelenk. Ohne jeden Gedanken stürzte sie vorwärts, in den direkten Angriff. Am anderen Ende, auf der gegnerischen Seite hinter der Bahn hatte Vera ihre vermisste dritte Wasserflasche erkannt.

Abend in Veras Zimmer
Vera stand in der Mitte ihres Zimmers und drehte sich in Zeitlupentempo um die Achse. An der Wand über ihrem Bett hing erschöpft in bewegungsloser Ruhe die siegeshungrige Stichwaffe. Veras Blick schweifte langsam durch den Raum.
An dem weißen Blatt Papier auf dem Schreibtisch blieben ihre Augen hängen.
Es war die Urkunde, die sie am heutigen Tag erhalten hatte. Zweiter Platz im Regionalen Vereinsturnier. Verloren im Finale gegen ihre eigene Unbeherrschtheit. Vera seufzte kaum merklich und setzte sich auf den Schreibtischstuhl. Ihr Blick glitt aus dem Fenster in die Dunkelheit. Hinter dem Haus lag das freie Feld in unberührter nächtlicher Stille. Über die Baumwipfel des nahen Wäldchens ragte nur der Turm des alten Schlosses. Knapp über den Bäumen hing die fast vollständige Scheibe des Mondes, zaghaft doch stetig umtanzten sie die letzten Wolkenreste des Tages. Sekundenlang blieb Veras Blick im Schauspiel der ziehenden Fetzten gefesselt. Eine Böe trieb die letzte Faser davon. Befreit aus der Deckung leuchtete die Scheibe einen Augenblick lang in ihrem eigenen goldgelben Licht.
Vera zuckte zusammen. Reflexartig wandte sich ihr Blick. Ihre unruhig tastende Hand hatte den Knauf der obersten Schreibtischschublade erreicht.
Mit den Augen genau verfolgt, zog sie mit Daumen und Zeigefinger behutsam das leere Fach auf. Mit eiliger Handbewegung legte Vera die Urkunde hinein.
Auf den kurzen kräftigen Stoß schnellte die Schublade zurück. Vera atmete auf. Der Mondschein erhellte die Mitte ihres Zimmers. Auf dem Teppich zeichnete sich das flirrende Spiel der Wolken ab. Vera spürte ihren Herzschlag. Eine Sekunde lang zögerte sie, bevor sie sich langsam erhob. Von der Seite, aus dem Schatten trat sie ans Fenster und ließ die Jalousie halb herunter.

Gespräch im Büro
Im hohen Flur des alten Gemäuers war es schummrig. Nur wenige Birnen in den Wandlampen erhellten den langen schmalen Gang im ersten Stock des Schlosses.
Je mehr sie sich dem Arbeitszimmer der Fechtmeisterin näherte, desto kürzer wurden Veras Schritte. Der Griff ihrer rechten Hand um ihr Florett verstärkte sich. Sie stand vor der Tür. Bewegungslos hielt Vera inne und lauschte. Neben ihrem eigenen Atem drang kein Geräusch durch die dunkle Stille. Vera hob die linke Hand zur Faust und klopfte an.
"Herein!" Die Meisterin sah auf und erhob sich. Sie hatte ihre Schülerin erwartet. "Setz dich bitte." Cornelia wies ihr den alten Lehnsessel auf der anderen Seite am Schreibtisch. Vera legte ihre Sporttasche und das Florett neben dem Tisch ab und nahm Platz. Einen Moment lang trafen sich die Blicke der beiden, Vera spürte ihre Augenbraue zucken. Ihre Hände hatten sich ineinander verschränkt, die Finger hielten sich gegenseitig fest. Cornelia hatte bereits die Lippen geöffnet, einen Moment später begann sie zu sprechen. "Vera, du hast im Turnier gut abgeschnitten..." "Hmm...", Vera zuckte verlegen die Schultern. Cornelias Augen hatten sich ein Stück weit verengt. Vera verstand ihren forschenden Blick. "Ich möchte mich nicht auf einem kleinen Turniererfolg ausruhen, wenn ich dennoch weiß, wo meine Schwächen liegen..." Veras Gesichtszüge strafften sich. Entschlossenheit sprach aus ihren Augen. Ihre Lippen pressten sich aufeinander. Kaum bemerkte sie, wie Cornelia langsam ihre Unterarme von der Tischplatte gleiten ließ, als sich die feinen Härchen aufgerichtet hatten. "Du bist sehr hart zu dir selbst", stellte Cornelia unumwunden fest. "Sich selbst kontrollieren zu können sollte nicht ausschließen, sich auch einmal uneingeschränkt freuen zu dürfen!" Unwillkürlich zog Vera die Schultern ein Stück empor. Auf ihrer Stirn begannen sich winzige Falten zu legen. Bevor Vera Einwand erheben konnte, redete Cornelia weiter. "Ich habe eine Aufgabe für dich. Du kennst unser Museum, die Sammlung alter Waffen unten im Schloss." "Selbstverständlich!" bestätigte Vera ernst. Wie viele ihrer Fechtkollegen war sie oft genug in freien Minuten durch die große Halle mit den unzähligen gold- und silberbeschlagenen Dolchen, Schwertern und Degen geschlendert und hatte mit träumerischen Blicken ihre Gedanken in ferne Zeiten wilder Gefechte unter freiem Himmel schweifen lassen. In Erinnerung an ihren ersten Besuch des Museums als kleines Mädchen flog ein Lächeln über Veras Gesicht.
Damals hatte sie beschlossen, fechten lernen zu wollen. Erst 10 Jahre später war ihr Wunsch nun in Erfüllung gegangen. "Dann weißt du auch, dass es eine Besonderheit gibt." Cornelia hielt inne und sah Vera auffordernd an. "Es gibt eine Vitrine, die immer leer war." ohne Zögern gab Vera die Antwort.
"Darin liegt nur ein altes vergilbtes Dokument, vor Jahrhunderten geschrieben, ein Ausschnitt einer langen Liste, auf der viele Namen verzeichnet sind. `Liste derer, die das magische Florett geführt´" Veras Stirnfalten hatten sich vertieft. Ihre Schneidezähne gruben sich in die Unterlippe. Cornelia nickte bedächtig, das rechte Auge halb zugekniffen, um ihre Mundwinkel zuckte ein winziges Lächeln. "Ich hatte erwartet, dass du Bescheid weißt. Aber es gibt etwas, das du noch erfahren sollst: Dieses magische Florett war ein traditionelles Erbstück in einer alten Rittersfamilie. Es hat eine besondere Geschichte. Man nannte es auch die `Waffe, die in keines Mannes Hand je verliert`. Tatsächlich erlebte niemals jemand mit dieser Waffe in einem Gefecht eine Niederlage. Allerdings ist dieses Florett kein Kriegsgerät, sondern eine Waffe der Ehre. Über Jahrhunderte hinweg fand alle zwanzig Jahre eine besondere Prüfung statt. Es handelt sich um ein Duell eines ausgewählten jungen Fechters mit dem so genannten `Schwarzen Meister`, einem Fechtmeister, gegen den der Debütant noch nie zuvor im freien Gefecht gekämpft haben durfte. In diesem Duell sollte er unter Beweis stellen, ob er die ganze Kunst des Fechtens beherrscht. Anlässlich dieses einmaligen Ereignisses bekommt er das magische Florett ausgehändigt, am Abend vor dem Kampf. Das Duell selbst findet statt in der darauffolgenden Nacht auf freiem Feld, unter dem Schein des vollen Mondes, einzig Mann gegen Mann. Besteht der junge Fechter die Prüfung, so geht das magische Florett über in seinen Besitz. Besteht er die Prüfung nicht, wird die Waffe wieder für die nächsten 20 Jahre verschlossen bis zum Versuch des nächsten Kandidaten. Die Namen der Kandidaten, die es versucht haben, werden mit schwarzer Tinte eingetragen in die Liste derer, die es führten, und somit ist ihre Begegnung für Ewigkeiten dokumentiert."
Vera hatte sich vorgebeugt und mit offenen Augen gelauscht. "In der Liste in der Vitrine habe ich gesehen, dass zwei Namen mit roter Tinte geschrieben waren!" Cornelia nickte. "Es gab über die Jahrhunderte hinweg zwei Kandidaten, die die Prüfung erfolgreich bestanden. Die rot geschriebenen Namen auf der Liste sind die ihren. Jeweils nach ihrem Tod wurde die Waffe wieder im Schloss in Gewahrsam genommen und so begann der Zyklus von neuem."
"Wer ist jetzt im Besitz dieses Floretts?" Cornelia schloss einen Moment lang die Lider und atmete lang aus. Unter dem Tisch hatten sich ihre Finger ineinander verwoben. Sie öffnete die Augen und ihr Blick wurde hart.
"Niemand. Der letzte Kandidat scheiterte in der Prüfung genau wie unzählige Vorgänger. Die Waffe ruht seitdem wieder seit 20 Jahren unter Verschluss."
Vera spürte Cornelias forschenden Blick. Ihr Herz machte einen Sprung.
Fragend hoben sich ihre Brauen. Cornelia stand auf und drehte sich zum Wandschrank. Mit festem Griff drehte sie den Schlüssel im Schloss und hob einen langen schmalen Lederkoffer heraus. Sie legte ihn direkt vor Veras Augen quer auf den Tisch. Veras ineinander geklammerte Hände begannen sich zu lockern. "Was ist das?" Cornelia blieb neben dem Schreibtisch stehen und stemmte die Arme in die Hüften. Vera zuckte es in den Fingern, langsam lösten sie sich aus ihrer Spannung und hoben sich über die Tischkante. Einem plötzlichen Drang folgend streckte sich Veras Rechte über den Koffer. Kurz bevor ihre Finger das schwarze Leder berührten, zuckte die voreilige Hand unter einem scharfen Klaps von der Meisterin zurück. "Nein!" Cornelias strenge Mine verwies Vera in ihre Schranken. "Noch nicht!" ergänzte sie behutsam und setzte sich wieder. Ernst schaute sie ihre Schülerin an. "Du ahnst etwas." sie lächelte. Vera spürte ihr Herz schneller schlagen. "In der morgigen Nacht, unter vollem Mond auf freiem Feld unterhalb des Schlosses findet das nächste Prüfungsgefecht statt." Cornelia senkte kurz den Blick auf den Kasten vor ihren Händen auf dem Tisch. Vera atmete tief ein. Ihr Oberkörper hatte sich kerzengerade aufgerichtet. Ein helles Funkeln zuckte über Cornelias Augen. Sie hob das Kinn und lächelte ganz leicht. "Ich wünsche mir, dass du es bestreiten wirst."

Die letzte Nacht
Der helle Schein des Mondes touchierte eine Hälfte von Veras Bett. Langsam doch stetig von Minute zu Minute wanderte er weiter über die weiche Decke.
Ruhelos wälzte sich Vera im Traum von einer Seite auf die andere. Ihre Beine zuckten rhythmisch in die Hocke und streckten sich, die Füße kickten die Decke in die Höhe, mit dem rechten Arm hatte sie das Kopfkissen aus dem Bett gestoßen. Vera stand wieder im Gefecht. Auf dem hohen Plateau stand sie dem Schwarzen Meister gegenüber, einer riesigen Gestalt von nie erlebter Wendigkeit, die alle Tricks beherrschte. Von allen Seiten gleichzeitig eilte er im Angriff auf sie zu, lautlos, mit katzenhafter Schnelligkeit. Kaum zu merken seine Treffer auf ihre Weste, die er zielgenauer nicht setzten konnte. Seine Tarnung war perfekt, seine Fintangriffe hatten Veras Nerven blankgelegt. Wieder kam er frontal auf sie zu und ging in die Bindung. Vera biss die Zähne zusammen, als sie mit aller Kraft dagegenhielt. Neben ihrem rechten Arm tauchte Cornelias Gesicht auf. Bindung lösen! Rechtzeitig! In einem Sekundenbruchteil ließ Vera die Waffe fallen und den Arm nach vorn schießen. Als sie im Flècheangriff mit Wucht gegen die schwarze Gestalt prallte, knallte ihr etwas gegen den Kopf.
Vera riss die Augen auf und fuhr empor. Benommen tastete sie nach ihrer Stirn, mit der sie gegen die Wand geschlagen war. Aber der Treffer hatte doch gesessen?! Vera schloss krampfhaft überlegend die Augen. Ihr leichtes Nachthemd klebte an ihrem Rücken. Vera schüttelte den Kopf, um zur Besinnung zu gelangen. Sie fand sich wieder im gleißenden Licht des Mondscheins. Vera blinzelte gegen die Helligkeit zum Fenster. Sie hatte die Jalousie nicht geschlossen. Ihr Kopf dröhnte, sie wandte sich ab aus dem Scheinwerfer und suchte Zuflucht auf der nur noch schmalen schattigen Seite ihres Bettes. Eng zusammengerollt verkroch sie sich unter der Decke. Ihre Gedanken ließen sich nicht bezähmen. Ihr Herzschlag wollte sich kaum beruhigen. Ihr rechter Arm streckte sich ohne ihr zutun zur Bettkante. Vera gab nach. Seufzend setzte sie sich auf und griff unter das Bett. Mit einem Ruck zog sie den schmalen dunklen Lederkoffer hervor und legte ihn vor sich auf die Bettdecke. Zaghaft spielten ihre Finger am metallenen Schnappverschluss. Er sprang aus der Verankerung. Vera hob mit zitternden Händen den Deckel und drehte den Kasten ins Licht. In der dunkelblauen Samtauslage des Koffers lag schnörkellos schlicht gearbeitet mattsilbern glänzend das magische Florett.

Frei Fechten - Vorspiel
Im Halbschlaf drehte sich Vera langsam auf die linke Seite, zum Fenster, ins Licht. Mit automatischem Griff auf den Nachttisch schaltete sie den Wecker aus, bevor er zu klingeln begann. Es war halb zwölf in einer ungewöhnlich stillen Nacht des vollen Mondes. Vera blinzelte. Durch das angekippte Fenster war nicht das leiseste Windgeräusch zu vernehmen. Eine Sekunde lang blieb sie noch mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegen, dann setzte sie sich auf und wandte langsam den Blick zum Fenster. Der Mondschein hatte sich ganz über ihr Bett gelegt. Kein Wolkenspiel unterbrach die gleichmäßige Färbung seines Strahlenkegels. Im goldgelben Licht saß Vera im Schneidersitz, die Hände locker auf die Knie gelegt, den Rücken gestreckt.
Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, durch den ganzen Körper verspürte sie ein wohligwarmes Fließen. Die Nacht des Meisterduells war angebrochen. Um Mitternacht auf dem Plateau vor dem Schloss.
Vera atmete tief ein und streckte die Arme seitlich aus. Dann beugte sie sich über die Bettkante und zog mit gezieltem Griff den schmalen schwarzen Koffer hervor. Behutsam öffnete sie den Deckel und strich mit zwei Fingern langsam über die schmale Klinge des silberglänzenden Vierkants. Das magische Florett. Vera kniff die Augen zusammen und hob den Koffer mit beiden Händen auf Augenhöhe. Mit scharfem Blick fixierte sie die Waffe. Die Glocke trug kaum einen Kratzer, die Klinge dagegen einige winzige Spuren vergangener Gefechte. Vera setzte den Koffer ab und nahm die Waffe behutsam in die Rechte. Kaum hatte ihre Hand den Griff fest umschlossen, zuckte es in ihren Beinen und einen Sekundenbruchteil später stand sie ohne eigenes Zutun in Fechtstellung neben dem Bett. Vera spürte ihre Sinne plötzlich glasklar, ihre Gedanken begannen sich zu verselbständigen, reflexartig Fechtszenen vorzustellen. Wie von selbst schleuderten sich die Grundbewegungen der Waffe aus dem Handgelenk. Plötzlich stieß die Spitze des Floretts mit dumpfem Klang gegen die Zimmertür. Vera fand sich wieder im langen Ausfallschritt, den Waffenarm weit vorausgestreckt, in bewegungsloser Spannung hielten ihre Sehnen still. Ihr Blick fiel auf die Klinge. Das silberglänzende Metall hatte kaum merklich begonnen, die Farbe zu wechseln. An der Spitze war nach dem Aufprall ein winziger rot glimmender Punkt erkennbar. Vera schüttelte den Kopf und sprang aus eigener Kraft zurück in den Stand. Sie spürte die Dehnung ihres linken Oberschenkels und atmete auf. Vera senkte die Spitze auf den Boden und sah auf. Ihr Blick streifte ihr Florett an der Wand, bevor er wie in einem Bann angezogen wieder an der magischen Klinge hängen blieb.
Der glühende Punkt war erloschen.
Das magische Florett, das in keines Mannes Hand je verloren hat, flüsterte Vera in Gedanken zu sich selbst. Damit würde sie die Bindungsangriffe mühelos beherrschen. Tief atmete sie ein und schloss die Lider. Im bestätigenden Nicken flog ihr ein winziges Lächeln über das Gesicht. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Es war zehn vor zwölf. Acht Minuten brauchte sie im Laufschritt bis zur Anhöhe vor dem Schloss. Eilig befreite sich Vera aus ihrem Nachthemd und schlüpfte in ihre Fechtmontur.

Frei Fechten - Endspiel
Im gleichmäßigen ruhigen Lauftempo arbeitete sich Vera die Anhöhe hinauf. Im weißen Fechtanzug, das Florett an der Klinge gefasst, lief sie entlang des Weges, den der goldgelbe Mondschein vor ihren Füßen erhellte. Von Ferne aus der Talsenke hörte sie verhalten das lang gezogene Schlagen der Kirchturmuhr.
Vera verkürzte ihre Schritte. Es war Schlag Mitternacht, als sie das Plateau betrat.
In der Mitte des freien Feldes vor dem Schloss blieb sie stehen. Langsam schweifte ihr Blick rundum durch die Stille der Vollmondnacht. Ihr vom Laufen beschleunigter Puls hatte sich schnell gesenkt. Ruhig und tief atmete sie ein und aus. In angenehmer Spannung fühlte Vera ihren Körper. Alle erdenklichen strategischen Gedanken hatten sich in ihrem Gedächtnis verinnerlicht. Die Maske unter dem linken Arm, das Florett in der Prim, stand sie und wartete einfach auf den Beginn des bedeutsamen Gefechts.
Veras Kopf wandte sich genau in dem Moment, als sich hinter dem Schloss langsam ein Schatten hervorschob, auf den hell erleuchteten Weg zum Plateau.
Vera blieb bewegungslos. Mit konzentriertem Blick fixierte sie die Ecke, neben der sie das Erscheinen des Schwarzen Meisters zu erwarten hatte. Der Schatten bewegte sich, Vera glaubte im Umriss zu erkennen, wie sich die unbekannte Gestalt eine Fechtmaske übers Gesicht zog. Plötzlich stand er mit einem Sprung auf dem Weg. Nur einen Sekundenbruchteil zuckte es in Veras Füßen, kaum einen Millimeter hatte sich die Florettspitze vom Boden in die Höhe bewegt. Wartend verharrte sie in unbewegter Position, während sich die schwarz gekleidete Gestalt mit schnellen festen Schritten auf sie zu bewegte.
Der Schwarze Meister stand auf dem freien Feld Vera gegenüber. Aufmerksam betrachtete Vera das Wesen in dunkler Montur, das sich für eine Sekunde lang bewusst ihrem Blick auszusetzen schien. Kaum einen halben Kopf größer als sie selbst, erschien es von eher zierlicher als robuster, dennoch aber drahtiger Gestalt. Unter dem eng anliegenden Beinzeug zeichneten sich kaum sichtbar die Muskeln ab, der Oberkörper dagegen schien in der weiten schwarzen Weste ein wenig verloren. Einen winzigen Moment lang zuckten Vera tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Doch bevor sie beginnen konnte, die Ideen zu ordnen, hatte ihr Gegenüber die Waffe in die Senkrechte gehoben. Vera zog mit der Linken die Maske über ihr Gesicht und erwiderte den Gruß. Unmerklich nur neigte sie den Kopf, gleichzeitig fühlte sie, wie sich ihr Oberkörper aus der Hüfte heraus streckte. Das Gefecht begann.
Der schwarze Meister blieb lauernd zurück. Veras Waffe strebte voran. Der Griff ihrer Hand verstärkte sich. Der schwarze Meister stand ungedeckt und lockte. Veras Füße zuckten zum Sprung. Im mutigen Angriff verrannte sie sich. Mühelos wurde ihre Klinge beseitigt und die Riposte traf sie auf die Brust. Der Meister hatte seinen ersten Treffer gesetzt. Der zweite Angriff kam von ihm. Mit unerwartetem Satz sprang er auf sie zu. Kaum hatte Vera sich in der Blendung des Mondscheins orientieren können, doch ihre Reflex-Parade mit fester Hand warf seine Klinge aus der Bahn. Im weiten Ausfall erreichte ihre Spitze die schwarze Weste. Der Ausgleichstreffer.
Kommentarlos ging der Schwarze Meister in die Ausgangsstellung zurück. Vera atmete tief ein. Ruhig bleiben. Mit beiden Augen fixierte sie die sich belauernden Klingen. Ihr Gegenüber bewegte sich kaum vom Fleck. Einzige Bewegung das stetige sanfte Federn in den Gelenken. Einen Lidschlag lang verspürte Vera das Gefühl von déjà-vu . Plötzlich wagte sie sich vorwärts.
Die Klinge des Meisters begann winzige Wirbel zu drehen. Er spielte mit ihr.
Vera streckte den Arm. Die erwartete Parade ließ auf sich warten. Sie blieb stehen. Vera spürte ihren Herzschlag. Nun komm doch, komm! Einladend breitete sich vor ihr die Trefffläche ihres Gegners aus. Plötzlich sprang er nach vorn. Vera packte ihre Waffe fester. Wildes Klingengewirr war entbrannt, rasantes Tempo kam in das Gefecht. Die Bewegungen verschwammen ineinander, ohne klare Richtung begann sich das Gefecht im Kreis zu drehen.
Vera stand geblendet im vollen Schein des Mondes. Sie gab ihre strategischen Pläne auf und ließ sich ein in das Gefecht. Konzentriert auf den Augenblick, vertraute sie ihren Reflexen.
Das Gefecht zog sich hin. Nach zehn Minuten merkte Vera, wie ihr das Wasser über den Rücken lief. Der schwarze Meister schüttelte sein Handgelenk aus und bog seine Klinge. Soeben hatte er den vierten Treffer zum erneuten Gleichstand gesetzt. Der fünfte und letzte Treffer musste entscheiden. Vera rührte sich nicht, als sich ihr Gegner plötzlich übermäßig Zeit zu lassen schien. Sie spürte keine Ermüdung. Sie fühlte nur die Wärme durch ihren Körper fließen. Wie von selbst begannen ihre Knie zu federn, als ihr die angespannte Haltung zu lange währte. Ihr Gegner begab sich langsam in Position. Geschwächt? Getäuscht? Vera verschwendete keinen Gedanken daran.
Ihre Augen peilten die Weste ihres Gegners an und mit gestrecktem Arm fand sie sich wieder im Angriff.
Minutenlang musste sich ihr Gegner meisterhaft Veras unermüdlicher Bewegungen erwehren. Drei seiner Riposten waren passé gegangen, zu flink wandte sich die junge Fechterin aus seinen Gegenangriffen. Veras Atem hatte sich beschleunigt. Als sie wieder in Ausgangsstellung in die Hocke sank, schien Vera direkt das goldgelbe Licht ins Gesicht. Die schwarze Figur ihres Gegners erschien winzig vor der riesigen Vollmondscheibe. In deren hellem Schein bildete er eine kontrastreiche Zielscheibe für die Klinge, der Vera vertraute, dass sie dieses Gefecht nicht verlieren würde.
Langsam schritt sie voran. Die Klingen berührten sich in der Mitte. Vera hielt inne und festigte den Griff. Der Schwarze Meister hielt dem Druck auf die Klinge entgegen. Bindung lösen! Veras Klinge schnellte nach vorn. Im Schub beseitigte sie seine Waffe und setzte dem Gegner den letzten Treffer auf die Brust.
Vera riss sich die Maske vom Gesicht und ohne ihr Zutun streckten sich ihre Beine im Luftsprung. Doch bevor ihr der Jubelschrei entweichen konnte, hatte die Beherrschung ihren Gefühlsausbruch eingeholt. Vera stand still und wartete auf ihr Gegenüber. Die Gestalt des Schwarzen Meisters kam mit bedächtigen Schritten auf sie zu. Als sie ihre linke Hand zum Abschlussdruck ausstreckte, schloss Vera einen Moment lang die Augen und fühlte, wie ihre Kniegelenke kaum wahrnehmbar zitterten. Als sie die Hand ergriff, wusste sie, wer sich in der Schwarzen Montur verbergen musste.

Frei Fechten - Nachspiel
Cornelia nahm mit langsamer Bewegung ihre Maske ab. Ihr Gesicht war gerötet, die kurzen blonden Haare strubbelig und durchnässt. Gerade blickten sich die beiden in die Augen. Erst als Cornelia blinzeln musste, ließ Vera dem entspannenden Zucken um ihre Mundwinkel freien Lauf. Cornelia nickte kurz mit befriedigtem Lächeln, doch sofort blickten ihre blauen Augen wieder ernst. "Somit hast du das freie Gefecht gegen den Schwarzen Meister gewonnen." Vera nickte bestätigend, doch ihr Gesicht blieb gespannt.
Cornelia zog auffordernd eine Augenbraue in die Höhe. "Ich möchte wissen, ob ich die Prüfung bestanden habe!" hörte sich Vera mit ungewohnt forscher Stimme sagen. Cornelia deutete auf Veras Waffe in deren Rechter. "Was ist das?" "Mein Florett!" kam die Antwort ohne Zögern wie aus der Pistole geschossen. Veras Finger schlossen sich enger um den Griff. Leicht stieß sie die Spitze auf den Boden. Mein altes verbogenes, vom Taschengeld erspartes, gebraucht erworbenes und immer noch unkaputtbares Florett! Vera schoss ein Grinsen über die Lippen. Cornelia baute sich vor ihrer Schülerin auf, stemmte die Hände in die Seiten und hob herausfordernd das Kinn. "Wieso hast du nicht das magische Florett benutzt, dessen Bedeutung ich dir am Abend vor dem Gefecht wohl zu Genüge auseinandergesetzt hatte?" Mit strengem Blick fixierte die Meisterin ihre Schülerin, die offensichtlich mit der Beherrschung ihres Amüsements zu kämpfen hatte. Vera grub die Schneidezähne in die Unterlippe, um ihr Lächeln zu bezähmen. Sie senkte einen Moment lang die Lider, dann antwortete sie ruhig: "Mit einer magischen Klinge zu siegen ist keine Kunst. Ich habe gelernt, mich beim Fechten einzig auf mich allein zu verlassen. Mit keiner noch so teure Wunder-Klinge werde ich Erfolg erleben, wenn ich nicht selbst mit meiner Hand sie führe. Und wenn ich im Gefecht gegen den Schwarzen Meister mit dem magischen Florett zwangsläufig siegreich gewesen wäre, was hätte den Sinn dieser Prüfung ausgemacht?"
In den klaren blauen Augen Cornelias erkannte sie für einen Sekundenbruchteil ein silbernes Glitzern. "Vera," Cornelias strenge Züge um ihre Mundwinkel hatten sich gelöst. Sie holte tief Luft. "Indem du diesen Sinn erkannt hast, weißt du selbst, dass du die Prüfung bestanden hast."
Vera blickte Cornelia ernst ohne merkliche Überraschung ins Gesicht. Dann zuckte ein flinkes Lächeln um ihre Mundwinkel. "Außerdem....Das magische Florett ist die Waffe, die in keines Mannes Hand je verloren hat. Wie soll ich wissen, ob es in der Hand einer Frau je gewinnen wird?" Vera stemmte die linke Hand in die Seite und stieß die Klinge auf den Boden. Forsch hob sie das Kinn: "Aber nun sag mir noch eins: Wie wird überhaupt entschieden, wer als Schwarzer Meister die Prüfung für den nächsten Kandidaten abhalten darf?"
Veras Augenbraue zuckte leicht, als sie glaubte, ein leises Seufzen ihrer Meisterin zu vernehmen. Doch schon erwiderte Cornelia Veras geraden Blick.
"Die Rolle des Schwarzen Meisters", bedächtig und deutlich sprach sie jedes Wort, "trägt immer derjenige Kandidat, der die vorangegangene Prüfung nicht bestanden hatte."



Eingereicht am 08. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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