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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Der Schmerz
© Anna Heisler
Sie kam nach Hause, ihr Gesicht ganz feucht und rot. Man konnte Angst in ihren Augen sehen. Angst und Hass. Sie zitterte am ganzen Körper, während sie das Badewasser einlaufen ließ und sich schluchzend im Spiegel betrachtete. Sie beruhigte sich langsam, doch als sie die Kleider von ihrem Körper abnahm, kam alles wieder in ihr hoch und sie kam sich schmutzig und furchtbar vor. Und wieder füllten sich ihre Augen mit Wasser, obwohl sie wusste, dass sie doch nichts dafür konnte.
Ja, sie war eine halbe Stunde zu spät dran gewesen, denn sie hätte schon um sieben da sein sollen, da sie aber bei ihrer Freundin war, und die Zeit ganz vergessen hatte, fuhr sie schnell mit dem Fahrrad nach Hause.
"Hätte ich bloß nicht Papas Freund gesehen, gegrüßt und wäre ich nicht mitgekommen als er sagte er wolle mir etwas zeigen.".
Mittlerweile war es schon elf und sie wollte sich nur waschen, sauber machen und vergessen.
Komplimente hatte er ihr gemacht: "Dein Mund ist so rot wie Rosen, Deine Haare sind so weich wie Samt..." und viele andere.
"Wieso habe ich nicht geschrien? Wieso habe ich nicht getreten und gebissen? Wieso habe ich nicht einfach nur versucht mich zu wehren? Aber er war stark, hart und brutal.
Wie sage ich es bloß meinen Eltern? Schließlich war es Papas Freund, der mir das antat.
Soll ich es ihnen sagen?
Ich glaube, ich werde mich nie wieder verlieben können."
Sie ging aus dem Bad, es war zwölf. Sie ging ins Bett und konnte lange nicht einschlafen. Das furchtbare Geschehen ging ihr nicht aus dem Kopf.
Die ständigen Gewissensbisse, die Schuldfrage, die Angst vor Nähe, die Angst nie wieder so zu sein, wie sie vor einigen Stunden noch war, all das machte die Nacht zur schlimmsten Qual.
Nie wieder würde sie nur so aus Flirtlaune heraus unbeschwert mit einem Jungen reden, lachen und tanzen können. Immer würde sie Angst haben, dass Komplimente nicht ernst gemeint sind, sondern nur Mittel zum Zweck. Es würde immer wieder alles vor ihren Augen auftauchen. Die Angst vor Berührungen schnürte ihr schon jetzt die Kehle zu und dabei war sie noch allein. Doch was ist am nächsten Tag, nächste Woche, in einem Jahr? Wem kann sie vertrauen, bzw. wird sie je wieder das naive bedingungslose Vertrauen eines
jungen Mädchens aufbringen können?
Solche Fragen peinigten sie die ganze Nacht.
Ein einziger Abend hat sie um Jahre altern lassen, hat ihr ihre Kindheit, ihre Naivität, ihre Unbeschwertheit genommen und nichts als Furcht zurückgelassen.
Am nächsten Morgen, wollte ihre Mutter mit ihr einkaufen gehen. Sie wollte sie damit überraschen und ihr damit eine kleine Freude machen.
Sie gingen durch die Straßen, doch sie hatte Angst vor Berührungen. Niemand durfte sie anfassen. Im Geschäft angekommen, suchte die Mutter für sie Kleider aus, doch die kurzen Sachen, die eng anliegenden und die mit einem Ausschnitt, gefielen ihr nicht mehr.
Sie wollte weite Sachen, in denen sie ihren schönen Körper verstecken konnte.
Eingereicht am 06. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
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