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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Frau das Mädchen und die Autobahn

© Beatrice Bucher


"Scherben durchziehn meine Haut", kraftvoll klingt die Frauenstimme aus der gepressten CD an ihr Ohr. Sie drückt das Gaspedal weiter; 120, 125, 130 das reicht, "Splitter durchdringen mich..." sie summt mit, findet sich wieder, erkennt das Bild. "Glas zerbricht zwischen Dir und mir" " ... finde den Spiegel nicht mehr." Ihre Hand am Lenkrad, Blick in den Rückspiegel, alles O.K. Ihre Kehle beginnt sich langsam zusammenzuziehen, sie schluckt; "... in Scherben" der Hals wird enger, ihr Atem nimmt zu, "Glas in meiner Hand", die Straße liegt vor ihr, gleichzeitig gleiten ihre Gedanken in eine andere Zeit. Der Blick kontrolliert die Tachonadel, den Rückspiegel und achtet auf den Lastwagen vor ihr. Tränen in den Augen, Töne drängen nach oben - blicklos geworden -, umdrehen, blinken, den Lastwagen überholen, wieder einordnen. Leblos liegt es da, das Mädchen, weiß wie der Tod, der sie besucht hat, ... musste sterben an einem Tag und danach weiter leben. Kein Atem mehr, hingeworfenes, benutztes Wild, zurückgelassen. Keine Blutspuren, nur ihr Schoß ... der schmerzt. Der Tod hatte sie jedoch nicht mitgenommen, nur zurückgelassen ohne Ton. Etwas abbremsen, der Verkehr wird dichter, die eine Hand am Musikgerät- nochmals "finde den Spiegel nicht mehr", ihr Atem vertieft sich, eine zweite Gestalt taucht auf, eine Frau ähnlich dem Mädchen, die Frau beugt sich über die Leblose, berührt sie und fühlt nichts mehr. Zwei Schatten am Rand, böse Schatten, harren aus, gehen nicht fort. Schatten ohne Gesichter, hatten das Kind zum Schweigen gebracht hatten, an einem Tag den Tempel zerrissen, in Fetzen zerstückelt und nur noch leere Ruinen zurückgelassen. Die Schatten nähern sich.
Großes Verkehrsaufkommen, noch immer auf der Autobahn, das Lied in der Endlosschleife. Die Frau zieht den leblosen Köper zu sich, weg von den Schatten. Das zerbrochen des Mädchens schürt ihren Zorn, da sind Wölfe, Wölfe die sich zwischen sie und die Schatten stellen. Die Schatten halten nun Abstand. Die Frau, das Mädchen im Arm, nähert sich ihr, urplötzlich ein Wehgesang durchzieht ihren Körper, gepresste Töne durch ihren Mund - die Autofenster sind geschlossen, die Hände konzentriert am Lenkrad, wie viele Jahre, hatte sie geschwiegen, hatten die tonlosen Laute versucht den Wind zu finden, der sie mit sich nahm, damit einer sie hört? Und die Frau? Sie weint und schreit und klagt all den Schmerz der Verstummten, der Leblosen, was haben sie dir nur getan? Sie klagt, sie klagt an. Die Liebe trägt ihren Schmerz und sie schreit und weint und zürnt. Und sie hält und wiegt das Mädchen, dessen Haut geopfert und ihr Zorn kommt aus dem inneren Strom, dem tiefen inneren Strom unzähliger Frauen. Sie sieht auf das Mädchen und ihr Herz blutet um die Verstummte. Und sie hält die leblosen Hände und sie klagt deren Leid, sie klagt es an.
Da öffnet das Mädchen die Augen und sieht erstaunt die Frau, sieht all ihre Liebe und all ihre Tränen, die Frau beugt sich über das Mädchen, öffnet ihren Mund und gibt ihren Atem hinein, das Blut beginnt die leblose Haut zu erwärmen, über Jahre erstarrte Muskeln lösen sich. So halten sie sich, die Frau das Mädchen, das Mädchen die Frau, benötigt die Wölfe nicht mehr, die Schatten erheben sich, beugen, verbeugen sich, treten zurück. Die Frau blickt das Mädchen, das Mädchen die Frau. "Wer bist Du?" "Ich bin`s, ich bin`s doch! Ich bin Du! Dein zukünftiges Du!" Eine Bausstelle verlangt höchste Konzentration, diese gelben Leitlinien verändern die Spur, aber keine Ausfahrt, keine Parkbucht in Sicht. Hier kann sie nicht anhalten, die hohe Geschwindigkeit fordert sie. Ihr Atem beruhigt sich. 19 Jahre, 19 Jahre ist es her "der Spiegel war blind". Viele dunkle Tage, viele sonnige Tage und immer wieder diese Schatten, dunkle Begleiter. Endlich die Ausfahrt, geblinkt, abgebogen in die Stadt hinein. Die Parklücke im bewussten Zustand ist gar nicht so leicht, angehalten, Schlüssel abgezogen, tief durchgeatmet. Sie hatte ihr inneres Kind gesehen, ihre eigene Zukunft hatte die Vergangenheit berührt. Sie hatte das Mädchen wachgeküsst und das mitten auf der Autobahn! Sie nimmt ein Stück Papier und schreibt:
Mein Kind - mein Kind - was hat man dir getan? - oh sieh mich an - mein Kind -öffne die Augen - beweg Deine leblosen Glieder - haltet Abstand - ihr Schatten - es reicht - mein Kind - es weint nicht mehr - bewegt - nicht eins seiner Glieder - oh ich schrei -oh ich wein - oh ich klag an - hinweg mit euch - Schatten - es genügt - haltet Abstand - nähert euch nicht - oh Kind - Kind - so öffne deine Augen - sieh mich an - sieh mich an - ich halte dich fest - mit all meiner Kraft - mit all deinem Leid - mit all unsrer Liebe - oh Kind - die Schatten sind fort - so beruhige dich doch - spürst Du es nicht - sie kommen nicht mehr - oh sieh mich an - halt dich an mir - oh Kind sieh mich an - wie lieb ich dich hab - wie wein ich um dich - wie beiß ich ihr Fleisch - wenn sie sich nahn - die Schatten sind fort - sie kommen nicht mehr - oh Kind komm nah - sieh mich an - sieh tun dir nichts mehr - Kind - ich wärm deine Hände - ich streichle dein Haar - sieh mich ruhig an - ich klage dein Leid - komm zu mir - bleib hier - ich bin dir so nah - ach Kind - es wird gut - frägst mich - frag mich - wer ich denn sei - ich bin´s Kind - ich bin Du - ich bin dein zukünftiges Ich - kannst jetzt schlafen - Kind kannst dich beruhigen - ich bin da - bin dir ganz nah - die Schatten sind fort - sie kommen nicht mehr - Kind - s´wird gut - ich hauch dir den Atem - dann können wir gehen - gemeinsam gehen - meine Liebe - klagt dein Leid - meine Liebe - heilt dein Leid - unsre Liebe- lässt uns weiter gehen - ich hab dich gefunden - mein vergangenes Kind - hab dich solang gesucht - hast so leis geweint - konnt dich nicht hören- jetzt bin ich ja da - die Schatten sind fort - sie kommen nicht mehr -
Und tatsächlich die Schatten kommen nicht mehr, nicht mehr zu der Frau am Steuer, zu der Frau die ich bin.



Eingereicht am 06. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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