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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Alleingang
© Wulfhild Tank
Geschäftig packte sie alles in ihre Einkaufstaschen und fragte sich, ob sie auch nichts vergessen hätte. Dann strebte sie heimwärts, diese adrette kleine schlanke und bewegliche Frau. Auffällig war ihr langes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug.
Eben machte sie Pläne, was sie in dieser Woche kochen wollte. Ein paar andere Dinge wären auch noch zu erledigen.
Ihr Gang wurde immer mechanischer, fast marionettenhaft, und allmählich dachte sie an nichts mehr, wie so oft schon: nicht an den Ehemann, nicht an die Kinder, nicht an das Heute, noch nicht einmal an die Mahlzeit, die sie gleich herrichten würde, wenn die Kinder aus der Schule kämen.
Da machte sich all ihr Geist selbstständig. Er floh von ihr und breitete sich in den Dingen aus, die gerade in ihrem Blickfeld gelegen hatten: in der Steintreppe zur Siedlung hoch, in der Laterne oben am Weg, in dem Buschwerk und in der Fichte, die sich leicht im Winde bewegte.
Obwohl er sich so weit verteilt hatte, konnte er noch die Signale ihres Körpers erfassen und stellte fest: Das da ist mein Gehäuse, so viele Jahre schon, dieses kleine einsame Menschlein dort. Es scheint mich gar nicht mehr zu brauchen. Aber ich möchte jetzt noch nicht in aller Materie zerfließen. Ich möchte meine Einheit behalten. Ich bin nicht fertig in meinem Körper. Ich wollte noch so vieles ausrichten in dieser Hülle. Es muss einen Weg geben ...?
Er zog sich zusammen und strömte erneut durch ihren Körper.
Da erschrak sie.
Was war das gerade? Ich war nicht in mir. Ich war da vorne in allem, was ich sehe. Mein Körper stand hier auf dem Gehweg, und es war, als sei ich für einen Augenblick gelähmt gewesen! Ich war nicht in mir, in dieser kleinen leeren Person, die dort stand!?
Völlig aufgewühlt schleppte sie sich nach Hause. Immer und immer wieder spürte sie, wie sie sich selbst aus der Entfernung erkannt hatte. Kaum in der Wohnung angekommen, warf sie sich auf den Teppich, fassungslos schluchzend. Und sie wusste, dass sie es niemandem erzählen konnte, niemandem.
Eingereicht am 06. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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