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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Sunrise

© Sabine Korf


An einem Dienstagnachmittag im November änderte sie ihr Leben.
Wieder war es nicht richtig hell geworden. Der neblige Morgen wich einem fahlen Mittagslicht, nun war der Tag dabei, in einen trüben Abend zu versinken. Sie konnte ihre Sehnsucht nach Sonne und dem Leben, das sie damit verband, körperlich spüren. In den vergangenen Tagen hatte sie vergeblich versucht, sich mit dem Schein von Kerzen zu trösten. Weil zu wenig Licht bekanntlich depressiv macht, ging sie jetzt fast täglich in das Solarium "Sunrise" am Ende der Straße. Das schadete ihrer Haut und ihrer Seele nützte es wenig.
Nach gerauchter Zigarette ging sie in ihr Arbeitszimmer, schaltete Neonlicht und Computer ein. Sie setzte sich auf den Drehstuhl und wippte auf und ab. Zwei Zigarettenlängen später war ihr klar, dass an Buchhaltung heute nicht zu denken war. Ein kleiner "opodo", das war es, was sie jetzt dringend benötigte. Schnäppchenreisen für Kurzentschlossene. Schnell klickte sie sich durch die Offerten. T wie Teneriffa. Eine Woche für 399 Euro. ‚Da kann man nicht meckern', dachte sie, ‚und außerdem soll man nicht so am Geld hängen'.
Teneriffa.
Sie trat an das Fenster und schaute in den diesigen Himmel, ohne ihn recht zu sehen. In ihrem ausgiebigen Tagtraum war er einem wolkenlosen, azurblauen Firmament gewichen. Die Sonne schien ungehindert auf feinkörnigen Sand, dessen Wärme sie unter sich zu spüren meinte. Sie lag am Strand, die rechte Hand in die feinen, hellen Körner vergraben, in der Linken hielt sie einen Longdrink, der, fast ebenso intensiv blau wie der Himmel, mit einem rosa Sonnenschirmchen verziert war. Sie duldete das Schirmchen nur auf dem Drink, selbst hatte sie auf jeden Schutz durch Hut, Kappe oder Schirm verzichtet, um keinen einzigen der wärmenden Strahlen zu versäumen. Einziger Kompromiss war eine Sonnenbrille, durch die sie das flirrend gebrochene Licht auf den Wellen betrachtete. Es erfasste sie das Gefühl, so kostbar wie selten, einen perfekten Augenblick zu erleben.
Es klingelte und sie fand sich wieder im November.
Auf dem Weg durch den Flur hoffte sie auf Marion. Sie würde ihr von Teneriffa erzählen und Marion würde zuhören und verstehen. Sie öffnete die Tür. "Ah, Jochen." Es gelang ihr, das Gesicht wie unbeabsichtigt leicht zur Seite zu wenden, so dass sein Kuss ihre Wange, nicht ihre Lippen traf. Beiläufig registrierte sie, dass Jochen in ihrem Traum von Teneriffa nicht vorkam. Aber irgendjemand hatte neben ihr im Sand gelegen. "Warum klingelst du?" "Schlüssel im Büro vergessen. Hör' mal, was gibt es zu Essen, mein Magen hängt mir schon bis zu den Knien?" Er stellte seinen Aktenkoffer ab, rieb sich die Hände, zog dann mit einer erschreckend dominanten Geste seine Anzughose am Gürtel hoch und sah sie erwartungsfroh an. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Diese entsetzliche Manie, immer ans Essen zu denken. An Arbeit, Sex und Essen, wenn man es genau nahm. "Ich habe noch nicht gekocht", sagte sie und dachte an Teneriffa. "Aber ich habe eine Super-Idee", beeilte sie sich hinzuzufügen, um eine Diskussion zu vermeiden. Zu spät! Sie ließ sein Lamento über sich ergehen. "Hart arbeitender Ehemann ..." Ein einzelnes rosa Sonnenschirmchen schob sich in ihr Bewusstsein. "Wohl nicht zuviel verlangt ..." Sie kniff die Augen zusammen, der Schein der Sonne war gleißend hell. "Sie dagegen ... so viel Zeit ..." Marion, das war Marions Lachen neben ihr. " Solarium ... Surfen im Internet ... so gut möchte ich es auch mal haben ..." Sie schaute auf ihre Fingernägel und dachte an das Leben, das vor ihr lag. Eigentlich brauchte sie ihn dafür nicht so sehr. Er beendete die Klage. "Und was ist das nun wieder für eine Super-Idee?"
Da hob sie den Blick und betrachtete ihn, wie zuvor ihre Nägel. Dort stand er, sich unerschütterlich im Recht wähnend, ein alternder Mann, der mit Hundeaugen auf sein Essen wartete. 'Ein verbeamteter Hund', dachte sie und schämte sich sofort. Was, um Himmels willen, sollte sie dem Unglücklichen erzählen. Sie ließ ihre Fingergelenke knacken, atmete tief in den Bauch und begriff die Dringlichkeit ihrer Träume.
Eigentlich brauchte sie ihn dafür nicht so sehr.
"Meine Super-Idee", sagte sie. "Ich werde dich verlassen." Sie lachte.



Eingereicht am 03. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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