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Die Freilichtbühne

© Ilse Radenberg


Meine Heimatstadt hat eine Freilichtbühne, stark besucht und wunderbar gelegen, mitten im Park. Sie besitzt zwei Eingänge, einen für die Zuschauer und einen, sich in Serpentinen windend und damals malerisch mit großen Bärenklaugewächsen behaftet, für die Schauspieler - und uns. Uns, das waren mein Vater, meine Mutter, zwei Jagddackel und ich. Dann wohnten da noch unsere Hühner und jede Menge Wildkaninchen und einige Blindgänger.
Damals waren wir ausgebombt und hatten keine Bleibe, keine Möbel und auch keinen Herd. Wir hatten gar nichts. Nur die beiden Hunde.
Da wies uns die Stadt das Häuschen der Schauspieler zu, wo sie sich umgekleidet hatten, aßen und auch ausruhten. Es war möbliert.
Aber jetzt nach dem Kriege hatten auch die Schauspieler keine Bleibe für ihren Beruf, kein Theater, keine Filmateliers, die Opernsänger keine Opernhäuser, und auch den Tänzern fehlte ihre Bühne.
Da erinnerte man sich an unseren Park und wo man vor dem Kriege aufgetreten war.
Es begann mit den Freiburger Passionsspielern. Sie suchten Engelchen und weitere Statisten, aber sie suchten keine Hühner, doch die spielten trotzdem mit.
Die Aufführung wurde ein voller Erfolg. Aber die Jungfrau Maria hatte ihre Seidenstrümpfe mit dicken Nähten hinten zum Trocknen aufgehängt, und so etwas Schönes hatten die Engelchen noch nie gesehen, leider kamen die Strümpfe abhanden. Die Schreibmaschine des Pilatus kam auch durch Statisten weg. Unsere Hühner (wir hielten sie, da es nichts zu essen gab) sollten nicht als Statisten fungieren. Doch ein Witzbold öffnete den Hühnerstall, und plötzlich gackerte und scharrte es auf dem Kavalerienberg. "kschtt, kschtt", versuchte man sie dort zu vertreiben.
Laut gackernd flüchteten sie in den Park. Leider gackerten später nicht mehr alle in unserem Stall - sie waren in Suppentöpfen von Spaziergängern gelandet.
Später wurde der "Vetter aus Dingsda" gespielt. Vor seinem Auftritt stolperte er hinter den Kulissen vor unserem Häuschen. Ich stellte begeistert fest, wie wunderbar er fluchen konnte, das zur gegebenen Zeit sofort in Gesang überging.
Es folgte Vorstellung auf Vorstellung. Zauberhaft der "Sommernachtstraum", gut in der Freilichtbühne "Jedermann", der "Zigeunerbaron", die Märchenspiele. Begeistert saßen die Zuschauer selbst unter dem Regenschirmen, weniger begeistert die Schauspieler ohne Regenschirm, aber sie spielten bis ihnen die Schminke das Gesicht herunter lief.
Und es wurde geboxt und gerungen. Da alle Sitzplätze vergeben waren, saßen bei diesen Gelegenheiten die Leute sogar noch in den Bäumen. Ein Schüler aus meiner Parallelklasse ließ sich bei einem freiwilligen Kampf im Sheltergewicht - wie ich entsetzt feststellte - unglaublich verprügeln, und Dr. Schauerte aus Wattenscheid erzählte mit Galgenhumor, vor seinem nächsten Sinfoniekonzert würde er eine Box- oder Ringveranstaltung stattfinden lassen und vorher die Türen der Freilichtbühne verriegeln.
Wenn sich auch nicht die ganzen Bäume besetzt zeigten, so waren es doch die Sitzplätze, als Margot Hielscher sang "Wenn die Baumwollfelder blühen" und Grete Weiser mit den anderen Filmschauspielern erschien. Von Grete Weiser bekam ich die erste Tafel Schokolade, die ich mit Bewusstsein aß, Will Ouadflieg wollte mir Schach beibringen, und allen, allen Künstlern hielt ich mein Poesiealbum unter die Nase. Ich wohnte den Ballettproben bei, und der Ballettmeister schlug mit einem Stöckchen gegen die schönen Beine seiner Tänzerinnen. Meine Mutter tröstete sie, wenn sie zu ihr kamen und nähte auch Knöpfe an, denn sie war eine sehr warmherzige Frau.
Nur mein Vater, der nicht als Theaterdirektor fungierte, machte sehr deutlich einem Zauberkünstler klar, dass "er mit alledem absolut nichts zu tun habe", denn er saß an einem ruhigen Tag Zeitung lesend in der Sonne, während der Zauberer riesige bunte Tücher aus seinen Ärmeln zog und engagiert werden wollte.
So vergingen die ersten Jahre nach dem Krieg. Dann konnten wir wieder in ein richtiges Haus ziehen. Und es gab wieder Theatergebäude, Opernhäusern, Filmateliers, Konzertsäle.
Wattenscheid - was hätte man damals nur ohne deine Freilichtbühne gemacht? Der Krieg hat ganze Städte vernichtet, doch die Freilichtbühne brachte viele Menschen auf andere Gedanken, sie war in der schlimmen Zeit der Schlüssel zu einem Anfang von Freude - vielleicht sogar Glück - nach allem Entsetzlichem, das geschehen war.



Eingereicht am 01. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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