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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Meine schönste Liebeserklärung
© Sandra Döring
Es war mitten im Hochsommer. Im Hoch des Jahrhundertsommers, wie es hieß. Brütende Hitze. Überall. So heiß, dass es eine Erlösung war, zumindest vorübergehend klimatisierte Räumlichkeiten aufzusuchen.
Gleichsam so heiß, dass frau in ihrem Kleidungsstil mehr dem Weniger denn dem Mehr folgte. Viel Haut, wenig Stoff. Diese freiwillige Verzichtserklärung machte auch von der Schuhwahl keine Ausnahme. Ich hatte mich also für die überaus niedlichen Blümchen-Riemchen-Schuhe (oder besser: Schühchen) an diesem Tag entschieden, die zwar meine frisch lackierten wie hübschen Füße nahezu nahtlos zeigten, aber deren Bequemlichkeit sich eher mit einem Fragezeichen versehen ließ. Alle Frauen dieser Welt, die sich beim Kauf
eines Schuhs von seiner Besonderheit oder schlicht Schönheit, gefangen in Blendung, Eitelkeit oder soll ich gar sagen Dummheit, schon einmal haben verführen lassen, werden mich verstehen. Im Nachhinein mit Engelszungen den Komfortteufel mit den Worten beschwichtigt, dass es sich eben um den Schuh "für den ganz besonderen Anlass" handele ... Aschenputtel lässt grüßen. Na ja, immerhin stimmte die Schuhgröße.
Erschwerend kam jedoch der Umstand hinzu, dass es für meine entzückenden Schuhe an diesem Tag ihr erster Ausflug in die Welt sein sollte (sie passten farblich aber auch einfach zu gut zu meinem Kleid).
Da das Wetter buchstäblich dazu einlud, hatten der Mann meiner Träume und ich beschlossen, zu einer Gartenparty einzuladen. Und da ich nicht nur bei meinem eigenen Erscheinungsbild ein aufeinander abgestimmtes (Kunst-)Werk wichtig finde, sondern eben solches auch bei Wahl und Verwirklichung meiner Tischdekoration, kam es zu diesem unsere Liebesbeziehung verdichtenden Besuch in einem der größten schwedischen Einrichtungshäuser. Dort gab es nicht nur große kühle Räume, sondern auch eine Riesenauswahl an farblich
harmonierenden Gartenfackeln, Papptellern, Pappbechern, Servietten, Tischsets und Strohhalmen.
Ob es eher an der angenehmen Raumtemperatur oder vielmehr an der Weitläufigkeit und schier unerschöpflich scheinenden Angebotsfülle lag - ich weiß es nicht. Genauso wenig weiß ich, wie viele Kilometer (ich schwöre, dass wir das Metermaß längst über-schritten hatten) der Mann meiner Träume und ich bereits zurückgelegt hatten. Einem aufmerksamen Beobachter wäre mein Gang, der eigentlich schon nach den ersten einhundert Metern an ein leichtes Hinken erinnern ließ, sicherlich aufgefallen. Ich selbst wurde erst aufmerksam,
als mir plötzlich Sätze aus meiner Kindheit wie "eine Squaw kennt keinen Schmerz" und "wer schön sein will, muss leiden" in den Sinn kamen. Meine Blicke schwärmten zwar weiterhin aus, aber wirklich wahrgenommen habe ich nichts mehr. Keine Kücheneinrichtungen, keine Schlafzimmer, keine schwedische Mandeltorte.
Da war nur noch Schmerz. Auch hilflose Blicke auf die hübsche Zierde an meinen Füßen halfen nichts (mehr). Der quälende Satz "ich hätte es wissen müssen" brachte schließlich den innerlichen Kollaps.
Wir befanden uns gerade in der Abteilung mit Hunderten von Bilderrahmen, als ich Hilfe suchend nach dem Arm meines Begleiters griff und nur noch mit einem morbiden Gesichtsausdruck auf meine Füße weisen konnte. Meinem Gefühl nach stand ich in Flammen. Der Realität nach hatte sich an beiden Füßen ein Meer von Blasen als Gegenwehr auf die scheuernden Riemen gebildet. Irgendwie konnte ich meine Füße ja verstehen. Ich versicherte ihnen auch sogleich liebevolle Zuwendung bis ans Ende unserer Tage, aber das brachte
in diesem Moment dummerweise so gar keine Linderung.
Der Mann meiner Träume schaute mich mitfühlend an (wobei ich bis heute nicht sicher bin, nicht doch ein kleines Schmunzeln bei ihm entdeckt zu haben). Ich befreite meine geschundenen, geröteten Füße aus ihrem Korsett. Da stand ich nun: barfuß in einer schwedischen Bilderrahmenabteilung, keinen Funken einer Lösung im Kopf, kilometerweit (na ja fast) vom rettenden Auto entfernt, nicht bereit, auch nur einen einzigen Schritt weiter zu gehen. Und da geschah es.
Nicht etwa, dass der Mann meiner Träume mich schwungvoll über seine Schulter geworfen und gewissermaßen auf Händen zum Ausgang getragen hätte (der eigentlich tiefe Wunsch der hoffnungslosen Romantikerin in mir) - nein! Er beugte sich plötzlich zu seinen eigenen Füßen herab, die trotz der Hitze in geschlossenen Schuhen steckten, zog beide Schuhe aus, was den Blick auf zwei wohl vorsorglich festgeklebte Heftpflaster an seinen beiden Fersen freigab, löste beide Pflaster vorsichtig ab und befestigte jeweils eines
an je einem meiner Füße an der wie ihm schien schlimmsten Stelle! Mein Held war geboren!!! Gerührt und nahezu überwältigt von dieser liebevollen Geste konnte ich mich an keinerlei Schmerz mehr erinnern. Jetzt war es mein Herz, das lichterloh in Flammen stand. Meine Rührung beantwortete er nur mit einem nun deutlich sichtbaren breiten Lächeln. Ich schlüpfte halbwegs in meine Schühchen und langsam, ganz langsam näherten wir uns Hand in Hand dem Ausgang. Es war die wortloseste aber berührendste Liebeserklärung,
die man(n) mir bislang schenkte.
Auf der Gartenparty jedenfalls bin ich dann den ganzen Abend barfuß durchs Gras gelaufen. Herrlich! Und in der folgenden Weihnachtszeit habe ich an 24 Tagen je ein Heftpflaster aus meinem Adventskalender befreien können. Von der Janoschversion bis zur Gelausführung - ich besitze sie nun alle. Obendrein gelobe ich: zukünftig werde ich meinem Fußgefühl folgen und nicht meine Füße meiner Eitelkeit folgen lassen, wenngleich mir dieser Wahnwitz etwas ganz Wertvolles beschert hatte, nämlich meine schönste Liebeserklärung.
Eingereicht am 31. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.