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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Die Kolumbianerin
© Vesselin Portarsky
Ihre zärtlichen Gesichtszüge beeindruckten mich schon beim ersten Mal, als ich sie sah. Sie hatte einen Rock an, der elegant ihre schöne Beine bis zu den Knien bedeckte und großzügig zur Freude der Augen der Männer die Fläche zwischen den Knien und den Schuhen frei ließ. Rote dicke Winterstrumpfhosen wärmten dieses heiße lateinamerikanische Blut.
"Das ist Carolin", stellte uns Juan einander vor.
Zum ersten Mal passierte es, dass die Freundin eines sehr guten Freundes auch meinen Geschmack traf. Normalerweise waren seine Freundinnen dick oder angenehm gerundet, wie er mir einmal erklärte: "Die Mädels müssen Fleisch haben. Man muss als Mann etwas anfassen können." erklärte mir mein Kumpel, der auch aus Südamerika stammte. "Das ist das Schönheitsideal dieses Kontinents." fügte er hinzu.
"Nicht wie hier in Europa - diese knochigen, mager- und meistens drogensüchtige Modelle. Eine geschminkte Sammlung von 225 Knochen. Wenn Du bis so viel zählen kannst, wirst Du auf diese Zahl kommen."
"Ich mag eher die feine zärtliche Linie." erwiderte ich und vergaß nicht hinzuzufügen: "Aber es ist gut so, dass sich unsere Geschmacksrichtungen voneinander unterscheiden."
Aber dieses Mal stellte diese Frau aus Kolumbien die Schnittstelle unserer Vorlieben dar. Jedoch sind die Freundinnen meiner Freunde für mich tabu. Also verbrachte ich den ganzen Abend damit ihr aus dem Weg zu gehen, um Respekt Juan gegenüber zu zeigen. Die Beziehung zwischen Juan und Carolin dauerte nicht lange. Nach einigen Wochen war er schon mit einigen anderen gut gerundeten Schönheiten beschäftigt, was mich nicht überraschte, da ich seine Latino-Gewohnheiten schon gut kannte. Er hatte in der Regel zwei
bis drei Beziehungen parallel am Laufen.
Es ereignete sich ein "Zufall". Ich setze bewusst das Wort Zufall in Anführungsstrichen, da ich nicht an Zufälle glaube. Eher glaube ich, das war das Ergebnis meiner inneren Suche, wie Hesse es formulieren hätte.
Ich traf die Kolumbianerin in einem Café wieder. 4-5 Monate waren seit unserer ersten Begegnung vergangen.
Sie kam strahlend auf mich zu.
"Hi, hast Du mich nicht wieder erkannt, ich bin Carolin."
Ich dachte mir "Wie könnte ich dich nicht wieder erkennen" sagte aber nur: "Hi, wie geht es Dir?"
Sie sprach mit mir während ich ihre natürlich temperamentvolle Schönheit beobachtete. Wir unterhielten uns nicht lange, da ich es eilig hatte, aber ich lud sie zu meiner Geburtstagsfeier ein.
Viele andere Frauen, die mir zurzeit gefielen und eine Menge Freunde und Bekannte, hungrige und immer angriffsbereite Wölfe, kamen außer ihr auf meine Party. So entwickelte sich eine gute Fete. Juan und Boras - mein afrikanischer Freund, legten auf und sorgten für coole Mucke aus fernen Ländern und erzeugten eine gute Stimmung. Meine Gäste amüsierten sich. Ich trank einen hausgemachten Schnaps, den mir mein Opa zum Geburtstag geschickt hatte. Mein Opa verstand guten Pflaumenschnaps zu machen. Letztendlich war
das seine Lieblingsbeschäftigung. Er machte alles mit Liebe. Er erzählte mir einmal, wie er mit 20 meine Oma mit einem weißen Pferd von ihrem Zuhause in dem Nachbardorf entführt hatte. Jetzt waren die beiden über 80. Ich brachte ihm auch einmal einen 43% deutschen Apfelkorn, aber der war ihm zu schwach. Ich konnte ihn verstehen. Seine Spezialitäten hatten immer über 50% Alkoholgehalt und ließen sich gut trinken. Sie waren süffig. Die Oma tadelte ihn immer, aber der Opa blieb cool. Drei Gläschen je 100 Milliliter
vor jeder Mahlzeit das Frühstück ausgenommen. Beim Frühstück trank er nur Milch. Er sagte immer: "Ich halte mich an meine Norm." Die Oma sagte dann mit strenger Stimme: "Das ist die Norm eines Alkoholikers!" Er ging darauf nicht ein, sondern fügte lässig hinzu: "So eine schöne Braut wie Du würde nicht 60 Jahre lang mit einem Alkoholiker sein. Du weißt, meine liebste Orchidee, bald ist es aus mit unserem Zusammensein auf der Erde, aber würde es Leben im Jenseits geben, dann würde ich
Dich wieder wählen." Die Erinnerung an meinen Opa und Oma und ihre Liebe machte mich fröhlich und den Schnaps noch leckerer. Ich nahm noch einen großen Schluck davon, als die hübsche Kolumbianerin mich an meiner Hand griff und zu mir sanft sagte: "Lass uns tanzen!"
Im Prinzip fühlte ich mich nicht wohl, wenn ich Latino-Rhytmen mit Latinas tanzen musste. Erstens, weil ihnen Salsa im Blut steckte und mir nicht. Zweitens, weil ich mich während des Tanzes konzentrieren musste, um keine Fehler zu machen und mich deswegen nicht entspannen konnte. Mit Carolin traf aber diese Überlegung nicht zu. Ihre Art zu tanzen war einfach, natürlich und schön. Unsere Körper und Köpfe waren eng aneinander gelehnt. Ich fühlte sie, ich höre ihre wunderschöne Stimme, wie sie den Text des Liedes
in mein Ohr sang. Es gab viel Schönheit in diesem Moment. Ich war dankbar, dass ich mit ihr tanzen durfte.
Es gibt Mädchen, die bereits zwischen 20 und 25 die Merkmale einer reifen Frau haben. Sie gehörte dazu. Die Art wie sie sprach und wie sie sich bewegte, die Art wie sie sich kleidete - das alles hatte Stil und Reife in sich.
Die Party war vorbei und es verging eine Woche, ohne dass ich von ihr etwas hörte. Ich hatte ihre Telefonnummer nicht und rief deswegen meinen guten Freund Juan an.
"Pronto!" hörte ich seine Stimme.
"Juanito, alles klar?!"
Lachen von der anderen Seite. Bei ihm war immer alles klar.
"Que pasa, muchacho?!"
"Ich hoffe, ich störe Dich nicht. Was macht das Leben?"
"La vida pasa! Amigo, Du störst mich nie!" sagte er cool und lachte laut weiter.
"Juan, ich fühle mich ein bisschen unwohl Dir das zu sagen"" fing ich unsicher an. "Deine Ex-Carolin gefällt mir sehr.... Kannst Du mir mal ihre Telefonnummer geben?"
"Mann, ich muss Dir etwas sagen..." fing er an und schwere Gedanken kamen mir in den Kopf. Wenn er jetzt sagen würde:
"Willst du mit ihr reden?! Sie liegt nackt neben mir ..."
Alles war möglich. Verrückt! Zum ersten Mal war ich in einer solchen Situation. In die Ex-Freundin einer meiner besten Freunde verknallt zu sein ... Ich hörte mein Herz pochen und ihn sagen.
"Ha-ha, ich denke, sie passt gut zu Dir, ruf sie an und von mir aus hast Du grünes Licht"
Ein Stein fiel mir vom Herzen.
"Das ist ein Freund", dachte ich mir. Ich würde mich an seiner Stelle bestimmt unwohl fühlen, aber ich war sowieso ein eifersüchtiger Bastard, der sich dachte, dass wenn eine Frau einmal mit ihm war, kein Mann in ihre Nähe bis zu ihrem Lebensende kommen dürfe.
Ich rief ein paar Mal an, aber es schaltete sich immer ein Anrufbeantworter, auf dem sie etwas auf Spanisch sagte. Ich wollte nicht darauf sprechen. So verging die zweite Woche nach meinem Geburtstag. Dann traf ich einen palästinensischen Jungen in einem Restaurant, der sich als Israeli ausgab und sich in ihrem Freundeskreis bewegte. Israelis brauchten kein Visum, um in Deutschland bleiben zu können. Das war so eine Art kleine Kompensation dafür, dass die Deutschen ein paar Millionen von ihnen vor einigen Jahrzehnten
umgebracht hatten und er war einer der vielen Palästinenser in Deutschland, die von dieser geschichtlichen Entwicklung Gebrauch machten.
"Was macht Carolin?" fragte ich ganz lässig.
"Es geht ihr sehr gut." antwortete der kleine Araber.
"Ich wollte sie anrufen, um mich bei ihr für das schöne Geschenk zu bedanken, das sie mir zu meinem Geburtstag gemacht hatte, aber zwischen meinem Wunsch und seiner Verwirklichung steht immer ein Anrufbeantworter."
"Sie ist ständig unterwegs. Die einzige Möglichkeit, ihr eine Nachricht zu hinterlassen, ist, ihr auf dem AB zu sprechen." erwiderte er und sagte deutlich dazu: "Aber mach´ das, sie wird sich freuen!" und schaute mich mit seinen klaren blauen Augen an, als ob er genau wüsste, das es für sie eine Freude wäre. "Oder" dachte ich mir "sah ich das, weil ich es sehen wollte."
Ich rief sie noch am nächsten Tag an und hinterließ eine Message auf ihrer Mailbox. Ich bedankte mich für ihr Geschenk und sagte, dass ich mich sehr freuen würde, sie wieder zu sehen.
Sie rief nach einigen Tagen zurück und wir verabredeten uns für ein Konzert von Montserrat Caballé. Es war der 17. August. Es war warm und Carolin trug ein leichtes Sommerkleid. Als ich sie sah, blieb mir der Atem im Hals stecken. Es schien mir, als ob ihre dunkelbraune Augen mich auf ganz besondere Art anschauten. Ihre Lippen waren dick und saftig. Ich bewunderte den wunderschönen Ring an ihrem Zeh.
"Es gibt etwas Königliches an diesem Mädchen." dachte ich. Der Ring schien mir wie eine Krone zu sein. Sie erzählte mir von ihrem Leben, von ihren Sorgen und Träumen. Es war ein Leben voller Wendungen, Überraschungen und interessanter Momente. Viele Geschwister, viel Dramatik, viel Liebe.
"Ich bin in Kali, eine wunderschöne Stadt in Kolumbien geboren und aufgewachsen." erzählte sie mir. "Dort ging ich zur Schule, dort traf ich meine erste Liebe. Das war ein Junge aus der Nachbarschaft. Ich glaubte, das wäre die große Liebe meines Lebens. Ich war glücklich mit ihm. Wir verlobten uns nach einiger Zeit und wollten heiraten. Ja, es gab sogar einen Heiratstermin, Einladungen wurden an 450 Gäste verschickt. Das ist normal in Kolumbien. Ich hatte sogar schon mein Kleid. Das war das Kleid,
mit dem meine ältere Schwester geheiratet hatte. Ich habe sieben Geschwister. Drei Schwestern und vier Brüder. Wir waren eine glückliche Familie. Ich half tagsüber in einem kleinen Laden, der meiner Mutter gehörte. Wir verkauften da Zigaretten, Getränke, Süßigkeiten. Viele so kleine Sachen. Und dann kam der Tag, als ER in dem Laden erschienen ist und mein Leben auf den Kopf stellte. Es war sehr heiß und ich war allein im Laden."
Sie schwieg kurz, ein Seufzer kam über ihre Lippen.
"Dann kam er, dieser blonde deutsche Engel mit blauen Augen namens Andreas in das Geschäft rein und eroberte mein Herz. Alles drehte sich in meinem Leben in eine andere Richtung, die ich nicht mehr kontrollieren konnte. Ich liebte ihn und konnte mir nicht mehr ein Leben ohne ihn vorstellen. Zuerst trafen wir uns nur heimlich. Irgendwann hatte uns jemand gesehen und verraten. Wir mussten aus Kali fliehen. So schnell wie möglich und so weit wie möglich. Damals hatte ich mir keine Gedanken gemacht, was ich
tat. Ich ließ mich nur von meinem Herzen leiten. Ich war so verliebt. Andreas hatte Geld. Wir mieteten ein Auto und fuhren nach Ecuador. Es war die Woche vor meiner Hochzeit in Kali. Ich wusste, dass der Zorn der ganzen Familie auf mich kommen wird. Ich wusste auch, dass Andreas als weißer Gringo und blonder Teufel angesehen wird. Meine Verwandten könnten auch gefährlich sein. In Kolumbien mögen die Menschen Probleme mit Waffen zu lösen. Aber wir waren schon in Quito. Dort verbrachten wir die schönste Zeit unserer
Liebe. Zwei Ausländer, die sich in einer fremden Stadt liebten!! Dann musste er nach Deutschland, um mein Visum und Einreiseformalitäten zu organisieren. Ich flog nach einigen Wochen zu ihm nach Berlin, heiratete ihn und bekam das Kind. Meine Tochter ist jetzt 5 Jahre alt. Sie schwieg einige Sekunden und ich hörte den Gesang von Montserrat.
Dann hörte ich wieder die weiche Stimme von Carolin.
"Also, das ist schon fünf Jahre her. Ich habe das Gefühl, dass 100 Jahre seitdem vergangen sind. Meine Tochter ist meine größte Freude. Unsere Liebe mit Andreas war leider nach einem Jahr vorbei. Unsere Differenzen waren größer als unsere Gemeinsamkeiten. Ich musste Deutsch lernen. Ich musste lernen, wieder selbständig zu sein. Ich versuchte die Beziehung zu meiner Familie zu normalisieren. Das war nicht einfach. Mein Vater, der ein wichtiger Kommunalpolitiker in Kolumbien war, und sein Bruder, mein Onkel,
der in Kali wie einer lokaler Drogenbaron fungierte, konnten mir nicht verzeihen. Sie sagten, sie hätten vor der ganzen Stadt ihre Ehre verloren und ich wäre daran schuld. Sie wollten über mein Leben bestimmen. Lustig, weil mein damaliger Freund mehr Verständnis als mein Vater zeigte. Er schrieb mir sogar Briefe, aber ich beantwortete sie nicht. Ich wollte, dass er mich vergisst. Er hatte mir so viel gegeben und was hatte er von mir bekommen? Nada! Nichts! Ich bin mit einem anderen Mann abgehauen. Meine Mutter
und meine ältere Schwester kamen vor zwei Jahren nach Deutschland, um mich zu besuchen. Meine Mutter weinte die ganze Zeit und versuchte mich zu überzeugen, mit den beiden nach Kali zurückzukehren. Das war für mich ausgeschlossen. Ich bin hier geblieben und bedauere nichts".
"Eine Geschichte wie aus einem Buch von Marquez. Tja, der war auch Kolumbianer" dachte ich. Nur die Einmischung der toten Vorfahren in das Geschehen fehlte. Schließlich war jedes Buch eine Mischung aus dem, was sein Autor davor erlebt, gehört und sich vorgestellt hatte." "Meine Mutter rief mich dann an und meinte, dass die Tante des Jungen eine Hexe wäre und schlechte Sachen mit mir vorhatte, falls ich nicht zurückkehre. Ich hatte keine Angst. Ich wusste, der Ozean war zwischen uns. Ich wusste,
dass über Wasser keine böse Energie, also keine Schwarzmagie transportiert werden kann. Der Weltozean würde sie auflösen und mein Gott würde mich und meine Tochter beschützen." Sie bekreuzigte sich.
Ich hörte ihr aufmerksam zu und beobachtete sie. Ich mochte sie. Ich mochte die Art wie sie dachte und wie sie sprach. Ihre Gedanken, ihre weiche Stimme, die Melodie ihres spanischen Akzents, ihre dunkle Schokoladenhaut, ihr ovales Gesicht mit diesem breiten warmen Lächeln. Ja, ich war hingerissen. Das Konzert fand unter freiem Himmel am Gendarmenmarkt statt. Man konnte den herzzerreißenden Gesang der dicken Spanierin Montserrat im Hintergrund genießen, ohne dafür etwas bezahlen zu müssen. Es gab so eine Art
Zaun zwischen den Menschen, die bezahlt hatten und uns. Diese Trennung war ein Teil der Gesellschaft, in der wir lebten. Die Welt war in diese Kategorien geteilt. Mit und ohne Geld. Schwarz und weiß. Ich packte Carolin, wie es von einem großen Kavalier zu erwarten war, an ihren schönen Knien und hob sie hoch, Manchmal gelang es mir, wenn ich von oben schaute, die existierende Trennung zu übersehen. 90% der Weltbevölkerung hungerten und 10% lebten auf Diät. Ich und Carolin gehörten zu der zweiten Gruppe. Am schlimmsten
waren die satten und zufriedenen Sklaven. Carolin konnte jetzt das ganze Geschehen auf der Bühne über den Zaun der Trennung beobachten. So leicht war sie auch nicht. Ich stellte mir vor, ich musste die singende Spanierin hochheben. Ich würde sterben müssen- sie hatte bestimmt über 200 Kilo. Ich zweifelte, dass sie Diät machte. Bestimmt hungerte sie auch nicht so oft. "Sieht aus, als ob sie die Tochter eines Metzgers wäre." würde meine Oma über sie sagen. Auch für Südamerika zu viel Fleisch. Ich lud
Carolin zu einem Eis ein.
"Lange, hat mich hier kein Mann zu so etwas eingeladen." sagte sie.
"Wenn Du mit deutschen Männern herumhängst, kannst Du auch nichts anderes erwarten."
Ich leckte mein Eis und ließ sie reden. Ich erinnerte mich an eine Story, die mir meine deutsche Nachbarin am Tag zuvor erzählt hatte. Sie stieg aus der U-Bahn am Kottbusser Tor aus. Am Kotti, wie dieser Ort von den Berlinern liebevoll genannt wird. Die Berliner liebten die Abkürzungen: Kempi für Kempinski, Düssi für Düsseldorfer Strasse und Kotti für Kottbusser Tor. Drei in Deutschland aufgewachsene Türken sprachen am Kotti meine deutsche Nachbarin freundlich an:
"Hey Süße, hast Du Bock auf einen geilen Arschfick?!"
"Nee" antwortete meine Nachbarin.
Dann meinten die drei einstimmig: "Du, Rassistin!" Das war Berlin - die Metropole der multikulturellen Verständigung. Die Story blieb in meinem Kopf hängen.
Ich wollte die Kolumbianerin nicht vom Anfang an mit dreckigen Worten abschrecken. Vielleicht stand sie gar nicht auf analen Verkehr. Für die Türken war diese Form von Sex alles oder behaupteten dies wenigstens.
"Alle Löcher müssen ´ran, weißt Du." erklärte mir einmal einer.
"Aber es gibt doch noch Nase, Mund, Ohren - überall gibt es Löcher." versuchte ich einzuwenden.
"Da kommt nur Soße rein." erwiderte er.
"Die Türken und ihre Dönermetapher!" dachte ich.
"Das Niveau einer Zivilisation erkennt man am Umgang mit den Frauen." hatte Maxim Gorki gesagt.
Das Konzert ging inzwischen zu Ende und wir machten uns ohne bestimmtes Ziel auf den Weg. Der Sommer in Berlin ist ein Geschenk Gottes. Draußen ist überall etwas los. Als ob die Menschen ihre ganzen Kräfte mobilisiert hätten, um die wenigen Sonnentage im Jahr optimal zu nutzen. Am Berliner Fluss namens Spree, wenn man diesen Wasserkanal überhaupt als Fluss bezeichnen konnte, präsentierten eine Menge Asiaten eine Art Künstler Performance: sie bauten live eine Brücke aus Bambus Stöcken über den Fluss. Die Dunkelheit
fing langsam an, das Licht zu übertönen. Die Dämmerung bot eine wunderschöne Kulisse für die asiatische Vorstellung. Viele Menschen schauten sich das an. Ein alter Mann, der neben uns stand, fing an, uns zu erzählen, dass er ein Seemann gewesen war und viel erlebt hatte. Er brauchte Leute, die ihm zuhörten und hatte uns ausgesucht. Ich war ein bisschen müde, und die Kolumbianerin griff mich mit ihrer Zunge an. Das erste, was ich merkte war, dass sie eine große Zunge hatte. Es fiel mir schwer, zu atmen während
wir uns küssten. Trotzdem küssten wir uns lange und verloren das Zeitgefühl. Mittlerweile war die Dunkelheit angebrochen, die Performance zu Ende und kein Mensch um uns herum.
"Willst du mir zeigen, wie Du wohnst?" fragte ich sie mutig.
"Lass mich Dir meine Wohnung ein anderes Mal zeigen. Wir gehen doch heute zum ersten Mal aus." ihre Augen leuchteten.
"Was hat das für eine Bedeutung, dass wir heute zum ersten Mal ausgehen. LA VIDA SON 4 DIAS! Wir leben nach dem gleichen Gesetz oder?! Das Gesetz des Augenblicks... und nach diesem Gesetz ist heute und jetzt alles, was wir haben. Gestern ist schon längst vorbei und morgen gehört zu der unsicheren Zukunft, die weit von uns entfernt ist." antwortete ich. Ich war selbst überrascht, was für philosophische Gedanken aus mir kamen. Ich konnte sie damit offensichtlich überzeugen. Sie schwieg und schaute mich
an. In ihren Augen sah ich Dunkelheit und Wärme. Genauer gesagt war das eine Dunkelheit, die Wärme ausstrahlte. Dann küssten wir uns weiter.
Sie wohnte in einer relativ kleinen Wohnung in einem fünfstöckigen Haus. Sie wohnte da aber nicht allein, sondern mit ihrer fünfjährigen Tochter, die Gott sei Dank zurzeit nicht da war. Sie hatte sich schon vor einigen Jahren von ihrem Mann getrennt, erholte sich aber nur langsam von dem Ganzen. Aber ich wusste, dass es ihr erheblich besser ging. Allein die Tatsache, dass sie einige Wochen mit meinem guten Freund Juan zusammen war, sprach dafür. Er liebte es, Frauen, die in großen Schwierigkeiten steckten, zu
helfen. Dabei wendete er eine Mischung aus psychologischer und physiologischer Therapie an. Ich meine Liebe und Zuneigung mit kräftiger Portion Geschlechtsverkehr. Und in der Regel blieben die Frauen seine Freunde bis auf Lebenszeit. So war es auch mit Carolin. Sie liebte und schätzte ihn als guten Freund. Für mich aber war das eine vollkommen neue Situation. Ich mochte die Ex-Freunde meiner Freundinnen grundsätzlich nicht.
Ich denke, dass wenn zwei Personen miteinander ins Bett gehen, dann bekommt ihre Beziehung eine neue Nuance, eine neue Ebene. Die Ebene der Intimität. Von diesem Zeitpunkt an kann diese Intimitätskenntnis nicht von ihrer Beziehung lebenslang eliminiert werden. Und da ich, wie schon erwähnt, ein eifersüchtiger Bastard war, machte es mir keinen Spaß, Ex-Freunde rund um meine Freundin zu beobachten, die sie genau auf der Ebene kannten, auf der wir uns befanden. Der feine Unterschied bestand darin, dass dieses Mal
der Ex einer meiner besten Freunde war. Ich entschied mich über meinen Schatten zu springen und ihn zum Essen bei mir noch am nächsten Abend einzuladen. Ich bemühte mich sehr beim Kochen. Ich bereitete eine Bohnensuppe nach einem alten Balkanrezept zu. Juan hatte keine Ahnung, was zwischen mir und Carolin vorgefallen war. Er erschien spät und die Suppe schmeckte ihm. Wir redeten über viel unwichtige Sachen und lachten viel.
"Juan, wenn zwei gute Kumpels in Bulgarien mit derselben Frau schlafen, dann sind sie nicht mehr nur Freunde, sondern nach einem bulgarischen Brauch werden sie badshanazi genannt, was eine Art enge Verwandtschaft darstellt." sagte ich zu ihm mit vertrauensvoller Stimme und hob das Glas mit dem guten bulgarischen Rotwein.
" Auf die Verwandtschaft!"
Meine Beziehung mit der Kolumbianerin dauerte ganze neun Monate. Das war eine der längsten Beziehung in meinem Mit einem Mädchen aus Belgien war ich vor einigen Jahren genau so lang zusammen. Ich erwischte mich immer wieder, dass ich die beiden miteinander verglich. Die Kolumbianerin kümmerte sich mehr um mich. Kleinigkeiten, bevor wir schlafen gingen, wenn sie mir Zahnpasta auf meine und auf ihre Zahnbürste auftrug, beeindruckten mich sehr. Das Mädchen aus Belgien hätte nie einen Gedanken daran verschwendet.
Die Kolumbianerin teilte auch die Münze nicht in zwei Teile, wie es die Belgierin tat, aber meine Liebe zu Carolin war anders. Es war mehr wie die Liebe zu meiner Schwester.
"Du schläfst doch nicht mit deiner Schwester oder?" fragte sie, als ich ihr das einmal offen sagte. Sie hatte Recht. Ich schlief nicht mit meiner Schwester. Aber der Sex zwischen mir und Carolin war irgendwie seltsam. Sie war wie aus Feuer und Leidenschaft, aber ich hatte irgendwie ein komisches Gefühl dabei. Etwas, was mich von der Entspannung fernhielt, die der Sex normalerweise mit sich brachte. Ich konnte es nicht richtig genießen, mit ihr zu schlafen. Es störte mich etwas auf der Energieebene,
etwas, was ich nicht beschreiben konnte. Sie mochte es, während wir Liebe machten, mir ins Ohr auf Spanisch zu flüstern, wie sehr sie mich liebte und wie stark sie es genoss. Es war eben wie Sex mit meiner Schwester. Ich genoss andere Sachen mehr, schrieb mich in einen Spanischsprachkurs ein und versuchte mit ihrer Tochter auf Spanisch zu sprechen. Es gelang mir meistens nicht viel, aber es machte mir viel Spaß. Die Art wie die Latinos Spanisch redeten fand ich viel schöner, melodischer und milder im Vergleich
zu den Spaniern. Vielleicht war die Sprache ein Produkt der Kultur oder war die Kultur ein Produkt der Sprache.
Ich wurde ein Bestandteil der Latinoszene, lernte besser Salsa zu tanzen, den einmaligen Geschmack des kolumbianischen Kaffees zu schätzen. Ich fand heraus, dass die balkanische und lateinamerikanische Mentalität durchaus kompatibel war - offen, temperamentvoll und lebenslustig. Außer dass die Latinos mehr das Theater, das Drama mochten, als ob es für sie das war, was den Geschmack des Lebens appetitlich machte. Oft erinnerte mich meine Lovestory mit Carolin an eine klassische mexikanische Seifenoper mit 3676
Folgen, die sich meine Eltern zweimal täglich mit höchster Aufmerksamkeit reinzogen. Es gab zu viele Menschen in unserer Umgebung, die etwas von ihr wollten und hinter unserem Rücken sprachen. Ich gewöhnte mich daran, dass sie ein Kind hatte. Es war ein goldiges Teufelchen. Ich fühlte mich aber doch sehr konfus, wenn die kleine morgens ins Bett kam, in dem ich und ihre Mutter schliefen und konnte mich bei dem Umgang mit ihr nicht entspannen. Genauso wie beim Sex mit ihrer Mutter. Ich versuchte, der kleinen Süßigkeiten
mitzubringen.
"Warum kaufst Du immer diese Schokoladen?" "Du kannst auch versuchen, ihr ein bisschen Liebe anstatt dieser Schokoladen zu geben." sagte ihre Mutter eines Tages zu mir und traf mich damit tief ins Herz.
Sie hatte Recht. Ich fühlte mich nicht in der Lage, die Vaterrolle zu übernehmen. Das war zu viel für mich. Wenn Du mit einer Frau zusammen bist, die ein kleines Kind hat, bist Du automatisch mit beiden zusammen, und das ist meistens nicht einfach. Ich versuchte deswegen, die in westlichen Ländern breit verbreitete Erziehungsmethode anzuwenden, die materielle Überbrückung fehlender Wärme und Zuneigung darstellte und Machen von kleinen oder großen Geschenken enthielt.
Die Mutti war eine sehr hübsche Frau. Mir gefiel es nicht, dass fast alle ihrer männlichen Freunde in sie verliebt waren. Juan kannte meine Einstellung und zeigte Respekt, wie man von einem Verwandten erwarten würde. Ich fühlte den Neid ihrer Freunde, aber das war mir ziemlich egal. Die Männer starrten sie auf der Straße mit Bewunderung an und drehten sich nach ihr um. Ich wusste noch nicht, ob ich froh oder eifersüchtig sein sollte, mit so einer schönen Frau zusammen zu sein. Eigentlich kam bei mir immer die
Eifersucht, und das hatte einen sehr einfachen Grund. Ich war nicht treu. Ich ging unterbewusst immer davon aus, dass die Frau, mit der ich zusammen war auch untreu war. Sie liebte mich sehr, und ich fühlte immer stärker, wie ich mich von ihr entfernte.
"Halte sie! So ein schönes Mädchen wirst Du nicht wieder finden können" empfahl mir eine gute Freundin.
Mein Gefühl sagte aber etwas anderes:
"Lauf weg!" waren seine Worte.
"Ich bin nicht für eine Frau geschaffen." dachte ich nach. "Wenn ich mich lange in einer Beziehung befinde, bekomme ich immer das Gefühl, dass ich viel verpasse. Das Gefühl, dass das Leben an mir vorbeiläuft. Jede Beziehung, die länger als drei Monate dauert, ist für mich lang. Andererseits denke ich mir, dass die langen Beziehungen die Persönlichkeitsentwicklung begünstigen. Sie bringen eine Art Kontinuität und Intensität in die Feedbacks und damit in Deine Selbstreflexion ein, die sonst kaum
möglich wären. Dein Partner wird wie ein Spiegel, in dem Du Dich ständig beobachten kannst."
Eines Tages entschied ich, dass ich dem ganzen Zirkus, unter dem Motto "Ich will, aber eigentlich will ich nicht."" ein Ende zu setzen. Man konnte es wenden und drehen wie man wollte, aber sie war nicht für mich und ich war nicht für sie. Meine Liebe zu ihr ähnelte wirklich der Liebe zu meiner Schwester.
Ich dachte, ihr zuerst einen langen Abschiedsbrief zu schreiben. Es war einfacher, einer Beziehung aus Distanz ein Ende zu setzen. Ich schrieb den Brief.
Liebe Carolin,
Ich liebe Dich nicht!
Wie soll ich es Dir sagen, ohne Dich zu verletzen. Das Gefühl ist weg, verschwunden. Ich weiß nicht, wohin es sich verschlagen hat, aber ich fühle, dass es nicht wieder kommt.
Was ist passiert?
Ich traf jemand. Ein Mädchen, so wie Du aber doch anders. Wie soll ich es beschreiben? Ich brachte sie zu den Plätzen, an denen ich mit Dir gewesen bin. Ich küsste sie im Treppenhaus, wo ich Dich geküsst hatte. Ich weiß, dass es Dir weh tut.
Warum hast Du das gemacht? würdest Du mich fragen.
Ich weiß es nicht, vielleicht um festzustellen, ob Du die Wahre für mich bist.
Und?
Ich denke, es gibt nicht die Wahre!
Ich glaube, dass es verwandte Seelen gibt.
Ich denke, es sind viel mehr als zwei.
Ich verstehe nicht, wie zwei Menschen für einen längeren Zeitraum zusammen bleiben können.
Aber, was heißt es eigentlich, nicht mehr verliebt zu sein?
Genau das Gegenteil von verliebt sein!
Ist das Vorzeichen vor den Klammern das, was den Unterschied zwischen "Verliebt sein" und "Nicht verliebt sein" ausmacht?
+ (Verliebt sein) = - (Nicht verliebt sein) Du + Ich # Ewige unzertrennliche Liebe
Ich+ Ich= Ewige unzertrennliche Liebe
Vielleicht denkst Du, ich bin verrückt geworden. Dabei möchte ich zu Dir nur ehrlich sein. Ich möchte wieder alleine sein. Ich möchte wieder die Liebe zu mir entdecken.
In Liebe!
Ich dachte, das wäre feige, diesen Brief abzuschicken und damit die Sache zu beenden. Ich zerriß ihn und entschied mich, den bitteren Kelch der Verantwortung zu leeren, sie zu treffen und in die schönen Augen zu schauen, während ich ihr das alles erklären würde.
Wir gingen aus und ich sagte zu ihr, dass ich sie nicht mehr liebte. Ich wiederholte, dass ich sie eher wie meine Schwester liebte und deswegen nicht länger mit ihr zusammen sein konnte. Ich gestand ihr auch, dass ich einen one night stand mit einer anderen Frau hatte. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. Ich wusste, dass es sie verletzen würde. Bei solchen Vorfällen schwieg ich darüber, aber bei ihr wollte ich 100 % ehrlich sein. Ich setzte damit unserer Beziehung ein Ende.
Eigentlich bin ich der Meinung, dass es gar keine Rolle spielt, wer von uns Schluss macht. Wenn dieser Moment kommt, weiß ich, dass es eine Entwicklung davor gab und ich glaube, dass jeder innerlich darauf vorbereitet ist und das vorausahnt. Nur das Ego im Spiel der Partnerschaft ist verletzt.
Und mit Carolin war mein Ego die ganze Zeit geschmeichelt. Ich war mit einer der hübschesten Frauen zusammen. Ich kann mich gut an ein Gespräch mit einem alten Wolf erinnern. Ein gebürtiger Mexikaner, der in N.Y., Paris und Berlin studiert und an vielen anderen Orten der Erde gelebt hatte. An einem Abend sagte er folgendes zu mir:
"Ich habe viel von der Welt gesehen. Ich hatte viele Frauen in meinem Leben, aber es gibt eine Stadt. Sie liegt in Kolumbien. Dort leben die schönsten Frauen dieses Planeten. Die Stadt trägt den Namen Kali." "Meine Freundin kommt aus Kali." fügte ich lässig aber nicht ohne Stolz hinzu.
All diese Momente waren schön und einmalig. Ich lernte viel von der kolumbianischen Kultur. Sehr lebensfrohe, aber im Grunde ihrer Seele traurige Menschen. Das war auch kein Wunder, wenn man an den Krieg denkt, der Jahre lang das ganze Land erschütterte und nur Tod und Hoffnungslosigkeit brachte. Kolumbien war das Land, in dem die Streitkultur der Menschen ein solches Niveau erreicht hatte, dass die meisten Probleme mit der Pistole und Tod des Kontrahenten gelöst wurden. Carolin erzählte mir, wie das Leben ihres
Opas genommen wurde. Zwei Jungen auf einem Mofa haben ihn in seinem Garten vor seinem Haus erschossen, und wie sie wegfuhren, hörte ein Nachbar, wie der eine zu dem anderen sagte:
"Das war nicht derjenige, den wir umlegen sollten..." Es war dumm gelaufen. Oder die Geschichte über ihren Onkel, einem großen Drogenbaron, der sonntags bei seinem Fußballspiel von Scharfschützen von einem Helikopter aus bewacht wurde und später im Knast durch vergiftete Nahrung ins Gras biss.
Mit Carolin gab es eine gewisse Reunion. Ich vermisste sie. Ich konnte es nicht allein schaffen, mir die Liebe und Wärme zu geben, die ich von ihr bekam. Gleichzeitig spürte ich, dass sie mir meinen Seitensprung nie verzeihen würde. Ich lud sie zu mir zum Essen ein und schrieb meine Gedanken, während ich auf sie wartete. Es waren vier Wochen vergangen, seitdem wir uns nicht mehr gesehen hatten. Vier Wochen, die mir wie vier Jahre erschienen.
"Ich warte.
Ich warte, dass sie kommt. Ich weiß, dass heute vielleicht unser letztes Treffen ist. Ich liebe sie auf eine besondere Art.
Ich liebe ihr Lachen, ihre langen, lockigen, schwarzen Haare. Ich liebe die Art, wie sie sich bewegt, ihre Grazie, ihre dunklen Augen, ihren weichen spanischen Akzent.
Sie geht weg und ich gehe weg. Unsere Wege werden sich bald trennen. Sie waren eigentlich noch nie ein Weg. Sie haben sich nur ein paar Mal gekreuzt.
Ich fühle mich aufgeregt. An ihrer Stimme spüre ich, dass sie auch aufgeregt ist. Als sie hereinkommt, will ich sie auf den Mund küssen. Eigentlich will ich heute gar nicht sprechen.
Ich will, dass wir Liebe machen, dass unsere Körper ein letztes Mal eins werden, bevor sie sich in unterschiedliche Richtungen begeben.
Ich weiß, dass sie das letzte Wort hat.
Die Frau hat immer das letzte Wort."
Wir schliefen noch einmal miteinander. Sie weckte mich in dieser Nacht auf und fragte:
"Warum können wir nicht auf immer und ewig zusammen sein?" "Auf immer und ewig. Auf immer und ewig." dachte ich. Konnte etwas in dieser vergänglichen Welt auf immer und ewig sein?" Ich erinnerte mich an einen alten Zigeuner, der im Zentrum eines kleinen Dorfes an der Schwarzmeerküste Turnschuhe verkaufte.
"Sie halten auf immer und ewig! Sie halten auf immer und ewig!" schrie er mit seiner rauer Stimme so laut, dass sogar die weißen Möwen ihm aufmerksam zuhörten.
"Bruder," sprach ich ihn darauf an "Gibt es in diesem Leben etwas, was auf immer und ewig halten kann?" Er schaute mich aufmerksam an. Seine Stirn war voll mit Falten, aber seine Augen verrieten ihn, dass er über alles Bescheid wusste.
"Ja, mein Sohn," sagte er zu mir "das sind die Sorgen." Die Zigeuner wussten Bescheid. Sie konnten den Gesang des Windes verstehen. Wir konnten mit Carolin nicht auf immer und ewig zusammen bleiben. Das Vertrauen zwischen uns war weg. Sie hatte viel Angst, dass ich sie erneut verletzen würde. Sie sagte mir, dass nachdem ich es mit der anderen Frau getrieben hatte, ihr Vertrauen auf immer und ewig verlor. Ich wusste, dass es so war. Ach, die Treue- dieses ewige Thema... Früher glaubte ich nicht
daran. Die Monogamie war für mich unvorstellbar. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich etwas verpasste, wenn ich länger in einer Beziehung steckte. Im Laufe der Jahre änderte sich meine Einstellung. Ich fragte mich.
Verpassen wir nicht etwas, indem wir fremdgehen?
Sind wir dann nicht nur unseren Partnern untreu, sondern vor allem uns selbst.
Der Wunsch, den Weg der Monogamie zu verlassen, zeigt uns, dass die Liebesbeziehung, die wir führen, uns nicht erfüllt. Denn ist es nicht so, wenn man sich zu zweit wohl fühlte, brauchte man das Fremdgehen nicht. Oder war das nur der momentane Stand meiner Entwicklung?! Das Leben war wie ein Fluss. TAPANTARI. Nichts bleibt so wie es war. Zwischen mir und Carolin gab es kein Zurück. Bei ihr gab es aber ein Zurück. Sie kehrte zu ihrem Ex-Boyfriend zurück. Nein, das war nicht Juan. Das hätte ich wohl schwer überlebt,
sondern zu ihrem deutschen Ehemann. Ja, unglaublich aber wahr. Die Wege der Liebe sind oft unergründlich. Ich werde nie unsere letzte Begegnung vergessen. Ich hatte sie einige Monate nicht mehr gesehen. Ich war mit einer Bulgarin auf einem lateinamerikanischen Tanzabend. Im Saal herrschte festliche Stimmung. Die Menschen sprachen lebendig miteinander und lachten laut. Die Männer waren offiziell angezogen. Viele Frauen trugen bunte Trachten. Solche Farben konnten nur aus Ländern kommen, wo die Sonne ihre Schönheit
in ihrer ganzen Pracht zeigen konnte. Dort traf ich sie "zufällig". Sie hatte auch ein außergewöhnliches Kleid an, das mit vielen Blumen geschmückt war. Rot, Weiß, Grün, Gelb, Blau, so viele Nuancen, dass mein Auge schwer sie alle wahrnehmen konnte. Ich nahm an, dass es um ein traditionelles kolumbianisches Kleid handelte. Es war wie für sie gemacht.
"Ist heute der kolumbianische Nationalfeiertag?" "No, no, corazon!" lächelte sie mich an. Unsere Körper drückten sich aneinander. Ihre Hand ging an meinen Hinterkopf. Es gab etwas so Schönes, so Behutsames und Liebevolles in ihrer Geste, dass ich Gänsehaut bekam.
"Es gab nur eine kleine Performance traditioneller kolumbianischer Tänze. Hast du mich nicht auf der Bühne tanzen sehen?"
"Schade- habe ich verpasst. Bin gerade gekommen, aber ich freue mich, wirklich dich wieder zu sehen. Du erinnerst mich daran, dass es auf der Welt mehr Farben gibt, als weiß und schwarz und ihre graue Mischung, die diese Stadt so lange beherrscht.".
Ich setzte mich neben sie für eine Weile und fühlte wie lieb ich sie immer noch hatte. Als ob wir niemals getrennt waren. Ich genoss sehr ihre Warmherzigkeit, das Gefühl akzeptiert und geliebt zu sein, das sie mir ohne Worte vermitteln konnte.
Im gleichen Moment kam ein hübscher schlanker blonder Mann. Carolin stand auf. Der Mann setzte sich auf ihren Stuhl und sie setzte sich auf seinen Schoß. Ich war fassungslos.
"Heiliger Jesus, was geht hier vor?"
Sie sagte nichts, stellte mich gar nicht vor. Später erklärte sie mir, dass Andreas es nicht wollte.
Andreas!! Ja, das war der blonde Engel mit blauen Augen namens Andreas. Das war er, der weiße Gringo, der sie aus der Stadt mit den schönsten Frauen dieser Erde mitgenommen hatte, sie heiratete und ein Kind von ihr hatte.
Ich konnte ihn gut verstehen. Die ewige Problematik mit den Ex-Freunden und den Intimitätsebenen. Alles war klar für mich. Ich und sie- wir waren nicht länger zusammen. Das Leben floss und die Menschenwege trennten sich oder vereinten sich wieder.
Später am Abend beobachtete ich sie, wie sie mit ihrem neuen, alten Ehemann tanzte. Ein Gefühl der Freude erfüllte mich. Ich freute mich, dass sie glücklich war. Ich wünschte ihr das vom ganzen Herzen. Ich war auch sehr froh, dass ich glücklich war. Ich freute mich, dass ich mich allein glücklich fühlen konnte.
Ich fühlte eine starke Liebe zu mir selbst. Freunde von mir pflegten zu sagen:
"Jetzt gehe mit dem hübschesten Menschen ins Bett. Ich schlafe heute allein."
Meine Erfahrung mit Carolin zeigte, dass wenn eine Beziehung vorbei ist, es sehr schwierig ist, das Vertrauen zwischen diesen zwei Menschen wieder herzustellen, ohne die alten Fehler zu wiederholen. Ich glaubte nicht, an die gesunde Fortsetzung einer Beziehung, wenn sie einmal vorbei war. Das waren aber Gedanken meines Verstandes. Was wusste ich schon von der Liebe, von ihrer Ganzheit und Vollkommenheit?
Ich erinnerte mich an ein Gedicht, das die schöne Carolin in ihrer Toilette zu Hause aufgehängt hatte. Irgendwo zwischen den Postern von Che Guevara und Markus Schenkenberg ...
Ein Gedicht über die Liebe von Erich Fried:
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe.
Eingereicht am 31. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.