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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Monolog - ein ganzes Leben

© Amanda König


Wie kann man ahnen, dass seine Welt sich ändern wird? Dass alles Erlebte, alles Vergangene nichts war als eine verschwommene Vorahnung, eine Vorbereitung auf etwas neues, anderes.
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, den "ersten Tag meines neuen Lebens" hätte ich wohl früher gesagt, doch es war nur ein Tag wie jeder andere. Kalt war es, sehr kalt. Kein Schnee, doch die Weihnachtsdekoration in den Fenstern und die hell erleuchteten Weihnachtsbäume haben die Stadt dennoch schon in vorweihnachtliche Stimmung getaucht. Aber was heißt das schon - Hektik wie immer und niemand, kein Einziger, der sich auch nur für eine Sekunde die Mühe gemacht hätte über die Bedeutung dieses Festes nachzudenken. Und am allerwenigsten ich.
Ich habe wohl zu diesen Menschen gehört - außer Beruf und Karriere nichts was erwähnenswert gewesen werde, eine kleine, gut eingerichtete Wohnung, ein zu kleines Auto und wenig Schlaf, aber geklagt hat man nicht. War ja alles da, was man brauchte. Ein warmes Bett, am Morgen ein heißer Kaffee um alle Träume, die sich noch in die Realität retten konnten, hinunterzuspülen.
Ein bisschen einsam war man, aber das fiel kaum noch auf.
Jeden zweiten Sonntag ein Gespräch mit der Mutter. Was das Leben so macht, wie es geht - nun, wie soll es schon gehen? Vorwärts, irgendwie zumindest.
Ein schlechter Sohn war ich nie, ich habe sie nicht vergessen, doch man muss einsehen, dass man sich heutzutage nicht mehr so viel Zeit nehmen kann und im Pflegeheim wird man sich ohnehin besser um sie kümmern können. Ich habe es damals selbst ausgesucht. Familiäre Umgebung mit guter, ruhiger Lage hieß es im Prospekt, nun ja, kurz gesagt - ich war ein Arschloch. Schon seit ich denken kann. Aber gestört hat es mich nicht, man muss seine Prioritäten setzten und das hatte ich.
So dachte ich früher. Wie lang ist es her? Ich weiß es nicht. Doch an den Tag erinnere ich mich noch genau.
Der kalte Wind war schneidend, peitschte durch die Straßenschluchten dieser Stadt -meiner Stadt - die ich so gut wie nie bei Tageslicht gesehen habe.
Morgens im Dunkeln ins Büro, abends im Dunkeln zurück - Tag für Tag, Woche für Woche. An diesem Abend im Dezember waren sie noch voller Menschen, die Gassen und Gässchen, die Plätze und Büdchen mit dampfendem Glühwein.
Von irgendwoher kam Musik, ein Weihnachtslied. Drauf geachtet hab ich nicht, um ehrlich zu sein war das das Letzte nach dem mir der Sinn stand war.
Alles so weihnachtlich, festlich. Die Menschen eilen von Geschäft zu Geschäft, beladen mit Geschenken um das Fest der Liebe zu zelebrieren, doch gelächelt hat keiner. Kein Einziger.
Es war ein harter Tag im Büro und ich weiß nicht, weshalb ich auf einmal stehen geblieben bin um in den Himmel zu schauen - ich schaue nie in den Himmel, manchmal schickt mir Mutter eine dieser kitschigen Sonnenuntergang-Postkarten, auch Himmel, nur etwas kompakter.
Aber schön war er, in dieser Dezembernacht die mein Leben ändern sollte.
Ganz schwarz und kein einziger Stern, kein einziger. "Schneehimmel!" habe ich gedacht, damals, inmitten der ernsten Menschenmassen.
Ich bin damals nicht nach Hause gegangen. Mir war nicht danach und ich hatte dieses unbestimmte Gefühl, dass ich etwas erwarten würde, dass etwas wichtiges, bedeutendes geschehen würde, obgleich ich natürlich nicht wissen konnte was. Ich habe so wenig gewusst - damals, vor tausend Leben.
Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit.
So viele Menschen und niemand hat gelächelt, niemand. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich weine, den Aktenordner in den Armen, alleine unter tausenden.
Ich bin wohl gerannt, denn bald schon fand ich mich weit ab vom Trubel der Innenstadt, doch ich konnte ihr nicht entrinnen, der Stadt. Sie lag da wie ein Raubtier und alle ihrer Schatten schnappten nach mir.
Das Dröhnen in meinem Kopf, das Dröhnen der Stadt! Und niemand da der mir ein lächeln schenkt, mir sagt, dass alles gut wird. - Doch! Einer lächelte.
Er lächelte mich an, tief in seine Schatten gehüllt, in die Schatten seiner Stadt, die nicht die meine war. Ich blieb stehen und starrte ihn an. Lange muss ich dort gestanden haben, die Kälte kroch in meine Glieder und kein Wort kam über meine Lippen.
Selbst seine Augen lächelten als er langsam die Hand ausstreckte und sagte ... ich weiß nicht mehr was er sagte, doch es war das, was ich zu hören gehofft hatte. Es muss so was gewesen sein wie "Fröhliche Weihnachten Mister"
- mir ist's, als klängen die Worte noch in meinen Ohren nach.
Er saß einfach da, eingehüllt in eine alte Decke. Zwei Taschen neben ihm, ich weiß nicht was darin war, vermutlich Kleindung und zu seinen Füßen ein großer, schwarzer Hund.
Es war, als würde ich erwachen, doch ich war noch zu verblendet um zu sehen was zu tun war. ich bin einfach wieder weiter gelaufen. "Nach Hause, einfach nur nach Hause!" dachte ich und als die vertrauten Gassen mich verschluckten und ich in den Taschen nach meinem Schlüssel suchte fing es an zu schneien.
Die weißen Flocken wirbelten und tanzten und ich konnte nicht aufhören in den Himmel zu starren, den noch immer schwarzen Himmel der weiße Flocken weinte. ich glaube, das war der Moment als ich begriff!
Und während ich zurück lief zu der Brücke, den Schatten, dem Mann und seinem Lächeln, den Schlüssel noch in der Hand da summte ich leise das Weihnachtslied, dass von der Kirche her herüber geweht wurde, abgerissene Liedfetzen - es war das schönste, was ich jemals gehört hatte!
Als ich mich neben ihm auf den kalten Boden gleiten ließ lächelte auch ich und schweigend gab ich ihm den Schlüssel, den ich noch immer in der Hand hielt. Den Schlüssel, mein Portemonnaie und meine Aktentasche. Er nahm dies alles schweigend an, stand dann auf und reichte mir seine Decke.
Er lächelte noch immer. Dann ging er. Sein Hund blieb.
Ich bin mir nicht recht sicher, ob ich ihn noch mal gesehen habe - vielleicht lief er irgendwann mit der Aktentasche unterm Arm gehetzt an mir vorbei um seine leere Wohnung auf zu sperren, sein leeres Leben zu leben- Vielleicht war das so, doch es ist gleichgültig.
heute weiß ich, dass mein Leben erst begann, als ich mich unter dieser Brücke zusammenrollte, in die Schatten gehüllt und mit dem ruhigen Atem des Hundes neben mir.
Es ist eine Ewigkeit her, ein ganzes Leben und nie war ich glücklicher als jetzt.
Wer kann ahnen, wenn seine Welt sich ändern soll?



Eingereicht am 31. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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