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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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It's only when I loose myself in someone else, I find myself

© Philipp Lohse


Nachdem ihn seine Freundin verlassen hatte um, wie er gerne seinen Freunden und allen die es hören wollten erzählte, es mit einem Anderen zu machen, war er plötzlich allein, auf sich gestellt. Er war wieder sein eigener Herr. Es war schon ziemlich lange her, dass er dieses Gefühl zum letzten Mal hatte. Er genoss es direkt und ohne Umwege von Trauer oder Ähnlichem, was in seiner Situation sicher angebracht gewesen wäre. Er war auch nicht direkt unglücklich, denn er war frei.
Dennoch gab es Grund zur Wehmut. Es war still um ihn geworden. Daran hatte er zu knabbern. Natürlich waren seine Freunde für ihn da, mehr als er es sich vorher hätte träumen lassen. Allein am Abend, wenn er zur Ruhe kam, überkam ihn das Gefühl der Einsamkeit. Womit er sich allerdings arrangieren konnte: Er hatte seine Arbeit, in die er sich anfänglich stark zurückzog und später aber schleifen ließ, seine große Liebe die Literatur wartete schon lange in seinen Regalen auf ihn und dann gab es ja noch den Fernsehapparat, der mit leichter, dadurch aber nicht unbedingt besser ablenkender, Unterhaltung aufwartete. Kurz, er lebte jetzt allein und kam gut zurecht.
Es dauerte nicht lange, dass er begann sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. Er hatte Angst. Er hatte Angst vor seinen beruflichen Aussichten, seinem persönlichem Lebensweg - denn er war nun im Begriff sich selbst zu finden, zu erfahren, wer er ist und was ihn ausmacht - und vor allem seinen Aussichten in der Liebe. Er war lange Zeit gewohnt, dass jemand an seiner Seite war, der ihm vertraut war und dem er vertraut war. Das fehlte ihm. Das machte seine Einsamkeit letztendlich aus. Er hatte immer gerne gekocht, doch für einen allein zu kochen, in entsprechend kleiner Portion, erfüllte ihn nicht mehr und er stellte seine Ernährung auf Fertigprodukte um. Er ging mit seinen Freunden oft aus und lernte auch einige Frauen kennen - er war auf der Suche -, dies machte ihm auch Spaß, doch irgendwann fiel ihm auf, dass das keinen Erfolg bringen konnte, denn er suchte wohl Frauen aus, die ihm gefielen und mit welchen er sich vorstellen konnte Sex zu haben, aber es war keine Frau dabei, mit der er sich vorstellen konnte alt zu werden. Nach dieser Erkenntnis begann er einige Zeit zu grübeln und kam zu folgendem Schluss: "Nachdem ich furchtbarst verraten wurde, bin ich jetzt wohl nicht mehr in der Lage zu lieben!" Dies war schlicht ein Trugschluss, denn er verkehrte, als er ausging, einfach nicht in den Kreisen, in denen er jemand auf seiner Wellenlänge hätte antreffen können. Doch einmal darüber nachgedacht, war er nun in dieser Gedankenwelt eingeschlossen und er suchte, wenn auch unbewusst, nach dem Schlüssel in die alte Freiheit. Was war da zu tun ...? Er hatte schon längere Zeit eine Idee im Hinterkopf, wahrscheinlich auch schon als er noch mit seiner Freundin zusammen war. Er war sich allerdings nicht so sicher, ob es eine gute Idee war - besonders wegen seiner augenblicklichen Situation.

II
In seiner Jugend kannte er ein ebenso junges Mädchen, wie er dieser Zeit ein junger Junge gewesen war. Sie waren also beide noch jung, aber nicht zu jung um ein besonderes Band zwischen Männchen und Weibchen zu verspüren. Er glaubte nicht daran sie damals geliebt zu haben, aber er war sich offenbar sicher, in sie verliebt gewesen zu sein. Diese Unterscheidung ist gewaltig, auch wenn sie ihm in ihrem vollen Ausmaße wohl nicht bewusst war. Jemanden zu lieben bedarf es nämlich viel, während man sich an einem einzigen Tag - so sagen einige - mehrmals verlieben kann. Kurzum, sie war nach vielen Jahren noch immer präsent und er dachte relativ oft an sie. Er fragte sich manchmal, was sie jetzt wohl macht, bestimmt ist sie verheiratet, vielleicht hat sie sogar schon Kinder. Er dachte auch oft daran, wie hübsch dieses Mädchen war und was für eine schöne Frau wohl aus ihr geworden sein mag.
Weil sie damals - für Kinder - relativ weit auseinander wohnten, sahen sie sich tatsächlich nur zwei Mal, während dieser Liaison, wie ich es einmal bezeichnen möchte. Ihr Band verband sie dennoch durch Telefonleitungen und Briefkästen hinweg, bis in ihre Zimmer. Ja, es war schon fast so als wären sie tatsächlich ein Paar und hätten sie sich öfter getroffen, wären sie sicher auch ein richtiges geworden, zumindest dachte er dies resümierend.
Nun spielte er mit dem Gedanken, ihr doch einfach noch einmal zu schreiben, er hatte ja nichts zu verlieren. Er wusste natürlich nicht wo sie heute wohnte, auch das Telefonbuch gab diesbezüglich nichts her, vielleicht hatte sie ja schon einen anderen Nachnamen, also beschloss er den Brief kurzerhand an die Adresse ihrer Eltern zu schicken.
So schrieb er. Er schrieb ihr, wer er denn sei, was er sich vorstellte wie sie nun lebte und was ihn bewog ihr zu schreiben, unterschrieb, klebte den Brief in einen Umschlag, adressierte ihn und warf ihn ein, ohne ihn nochmals gelesen zu haben.

III
Täglich erwartete er einen Brief als Antwort von ihr und als er es schon fast vergessen hatte, war eine Nachricht von ihr auf seinem Anrufbeantworter, als er eines Tages nach Hause kam. Sie sagte, dass sie sich sehr über seinen Brief gefreut habe und später noch einmal anrufen werde. Bereits fünfundvierzig Minuten später klingelte sein Telefon auch schon wieder und siehe da, sie war es. Sie führten ein für beide angenehmes Gespräch, welches etwa ebenso lange dauerte wie er auf den Anruf gewartet hatte. Sie beschnupperten sich zunächst ein wenig, fühlten sich schnell aber wieder wie in ihrer Jugend, als würden nicht zehn Jahre dazwischen liegen, sprachen über die alten Zeiten, fragten sich warum sie auseinander drifteten, kamen aber beide zu keinem Ergebnis und tauschten ihre zwischenzeitlichen Lebensgeschichten aus. Lustigerweise stellte sich heraus, dass sie beide seit geraumer Zeit in derselben Stadt lebten, in die sie von Berufs wegen gezogen waren. Sie hatte keine Kinder, war auch nicht verheiratet, lebte aber in einer schon lange andauernden Beziehung.- Das war schön für sie, klar. Aber es gefiel ihm nicht, hatte er sich doch insgeheim Hoffnungen auf die schöne Frau, die seiner Vorstellungskraft entsprungen war, gemacht, denn er war ja auf der Suche. Dessen ungeachtet verabredeten sie ein Treffen.
Des Wiedersehens wegen war er sehr angespannt aber auch in freudiger Erwartung. Sie trafen sich in der Firmungstrasse in einem großen, stadtbekannten Cafe. Sie verabredeten kein Erkennungszeichen; sie meinte er müsse sie noch immer erkennen, sie habe sich nicht sehr verändert. Er hatte sich allerdings stark verändert, so dass er davon ausgehen konnte, dass sie ihn nicht erkennen werde, zumindest nicht auf den ersten oder auch zweiten Blick.
Als er das Cafe betrat kam er sich etwas blöd vor. Er musste jede einsam sitzende Frau mustern, dies gestallte sich nicht einfach, schließlich hatte er sie auch zehn Jahre nicht mehr gesehen, würde er sie nicht finden, müsste er sich allein an einen Tisch setzen und daraufhin jede Frau mustern die allein das Cafe betrat. Er hatte Glück. Sie saß, ihm zugewandt, an einem kleinen Tisch in der Nähe des Einganges, so dass er nicht weit in das Lokal eintreten musste. Er erkannte sie tatsächlich, nach zweimaligem Hinsehen, sie hatte sich doch verändert, wenn auch nicht so stark wie er. Er erkannte sie trotzdem: An ihrem blonden Haar, den erfrischenden blauen Augen und ihren Lachfalten, die er damals schon geliebt hatte. Nachdem er lange überlegt hatte, was er am besten anziehen solle, war er sehr erleichtert, dass sie auch ein legeres Outfit trug. Er konnte ihre unter dem Tisch versteckte Hose zwar nicht sehen beachtete aber ihren roten wollenen Pullover mit weitem Rollkragen. Aus dem schönen Mädchen war wirklich eine wunderschöne junge Frau geworden. Er ging auf sie zu und sagte Hi!, sie schaute ihn etwas verdutzt an und gab ihm seinen Vornamen als Frage zurück. Er sagte Ja und sie sagte Hi. Setz dich doch. Sie schauten einander eine kurze Weile an, bis sie endlich sagte: Du hast dich tatsächlich sehr verändert, ich hätte dich nicht wiedererkannt.
Sie tranken Kaffee, er schwarz, sie mit Milch, und unterhielten sich sehr angeregt über die alten Zeiten, ihre Jobs und ihre Interessen. Zu seinem Erstaunen taten sich einige Gemeinsamkeiten auf, die er damals noch nicht erkannt haben konnte: So stellte sich heraus, dass sie beide die gleichen Arbeitsweisen an den Tag legten, denn sie beide lebten kurioserweise vom Schreiben und dies waren Eigenarten die damals noch nicht aktuell waren, bei keinem von beiden. Außerdem eröffnete sich, dass sie - noch immer - die gleiche Art von Musik mochten (er liebte die Musik außerdem), die sie auch damals schon gemeinsam hörten und beide hatten sich von früher heißgeliebten Bands, die sie heute nicht mehr hörten, zu anderen Bands entwickelt, die sie heute tatsächlich beide hörten. Diese Offenbarungen waren für ihn eindeutige Anzeichen einer Seelenverwandtschaft, die die Jahre überdauert haben musste. Die Tatsache die ihn am Meisten darin bestärkte, war die dass sie ihn fragte ob er auf einem bestimmten Konzert einer bestimmten Gruppe gewesen sei, welche eigentlich nur er wirklich liebte, woraufhin sich herausstellte, dass sie eben beide auf diesem Konzert waren und auch nicht weit von einander entfernt gestanden und gelauscht haben konnten.
Zu dem Kaffee gesellte sich noch Kuchen und das Gespräch nahm seinen Fortgang. Geschlagene zwei Stunden unterhielten sie sich sehr angeregt. Auch ihr schien das Wiedersehen sichtlich Freude zu bereiten. Auch wenn sein Seelenleben tatsächlich aufgewühlter und sogar rasend war und sich in seiner Raserei im Laufe des Gespräches noch steigerte: Zwei Situationen bestärkten seine Hoffnungen seiner Suche mit dieser Person eine glückliches Ende setzen zu können. Sie sprachen eigentlich die ganze Zeit, die sie beisammen saßen, nur einmal schwiegen sie ein paar Sekunden, vielleicht eine halbe Minute - höchstens. Er fühlte sich irgendwie glücklich, wie er sich seit der Trennung nicht mehr gefühlt hatte und blickte etwas verträumt aus dem Fenster, ohne seine Gesprächspartnerin aber vergessen zu haben. Sie dagegen schaute ihn direkt an. Beide hatten ein leichtes grinsen in den Gesichtern, auch ihre Lachfalten waren angespannt. Plötzlich wurde er gewahr, dass sie ihn anstarrte und er schaute sie an und grinste noch mehr. Daraufhin fragte sie ihn, was er denn denke und er antwortete, dass er die Situation irgendwie komisch fände. Sie ihrerseits bestätigte dies.
Die zweite Situation war noch prekärer. Sie begab sich derart, dass er sie fragte, was denn ihr Freund dazu gesagt habe, dass ihr quasi aus heiterem Himmel eine alte Liebschaft geschrieben habe und sie sich nun mit dieser Treffen wolle. Daraufhin antwortete sie, dass sie in letzter Zeit wenig mit ihrem Freund spreche könne, weil dieser von Berufswegen früh morgens das Haus verließe und es erst spät abends, manchmal auch erst nachts wieder betrete.- Sie wollte damit also andeuten, dass sie es ihm gar nicht gesagt habe.
Hauptsächlich durch diese beiden Begebenheiten, aber auch durch die vorgenannten Geschehnisse sah er sich darin bestärkt seine sonstigen Suchkandidaten zu den Akten legen zu können. Er hatte sich verliebt. Er hatte an diesem Tag in diesem Cafe genau den Menschen vorgefunden in den er vor zehn Jahren schon einmal verleibt war und der die Zeit in seinen Erinnerungen überdauert hatte. Sie war jetzt natürlich eine Frau geworden und kein Mädchen mehr, aber er war ja auch kein Junge mehr und hatte was seine Ansprüche für eine Beziehung anging auch eine Frau im Sinn. Ein solche, starke Frau, die ihm just in diesem Moment gegenüber saß.

IV
Sie dachte nicht so. Sie liebte ihren Freund, auch wenn sie ihn derzeit nie sah, so sagte sie sich dennoch, dass diese Zeit auch einmal vorüber gehen werde, zudem hatte sie selbst viel zu tun und kaum Zeit für ihre Hobbys. Sie fand es nett ihn mal wieder gesehen zu haben und konnte sich tatsächlich - soweit ihre Zeit es zuließ - eine Freundschaft vorstellen, hatte aber sonst keinerlei Interesse mehr an ihm.
Dies sah er nun zunächst nicht ein und machte sich einige Wochen Hoffnungen derart, er könne sie von ihrem Freund trennen und selbst in dessen Fußstapfen treten. Ja, kurioserweise dachte er tatsächlich so; obwohl genau dies zuvor jemand mit ihm gemacht hatte, und dieser jemand nun in seinen Fußstapfen bei seiner ehemaligen Freundin wandelte. Darüber wurde ihm endlich klar, was passiert war. In den ersten Wochen nach der Trennung war er sehr sauer gewesen, hätte sich am liebsten mit diesem Kerl geprügelt um dem zu zeigen, dass man so was nicht macht. Aber jetzt wurde ihm bewusst, dass der Fehler nicht bei diesem Kerl lag, sondern dass er bei ihm selbst gelegen haben musste. Denn aus seiner neuen Situation heraus erfuhr er dies jetzt auch und er dachte sich, dass jedermann das Recht hat um die Gunst, um die Leibe eines anderen zu werben, dieser ist ja immerhin sich nur selbst verpflichtet - auch selbst wenn er in einer Beziehung lebt - und ist diese Beziehung in sich selbst gefestigt, lieben sie die beiden gleichberechtigten Partner und sind völlig aufrichtig zueinander, kann kein Werbender einen Hammer zwischen sie schlagen. Ist dies dagegen aber nicht gegeben, kann die Werbung, gegründet auf den freien Willen der Werbungspartner nur legitim sein.
Auch wenn seine alte Brieffreundin, seine Seelenverwandte ihn nicht wollte, so konnte er durch diese Begegnung mit der vergangenen Beziehung vollständig abschließen. Er wurde sich über die Fehler die er gemacht hatte bewußt und konnte so auch keinerlei Hass oder Boshaftigkeiten mehr gegen seine Verflossene und deren Neuen empfinden. Auch wenn einem am Wohl des geliebten Menschen am Meisten auf der Welt gelegen ist, ist dies trotzdem Eigennutz, denn das Glück des Anderen wird somit unweigerlich zum eigenen Glück. Er hatte erkannt, dass er noch immer lieben kann. Sicher wird er eine Neue finden - irgendwann, wenn die Zeit reif ist. Bis dahin hat er eine andere neue Liebe zu pflegen. Er hat sich nämlich selbst gefunden.



Eingereicht am 30. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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