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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Geschichte aus Morges

© Urs Kalberer


Die vier Medizinstudenten betreten pünktlich um 7:45 die lokale Heilanstalt von Morges, welche, an den Hängen oberhalb des Genfersees gelegen, eine erstklassige Aussicht auf die verschneite Umgebung bietet. In besagtem Etablissement ist es den Studenten nicht vergönnt ihre weissen Kittel in den dafür vorgesehenen Umkleideräumen anzuziehen. Vielmehr werden sie angehalten, die Metamorphose in der Eingangshalle durchzuführen, unter den Augen der gerade anwesenden Vertreter der Öffentlichkeit. Somit verwandeln sich die vier unerfahrenen und etwas naiven Gestalten in Träger der weißen Schürze, welche sie mit einer Aura von Integrität, Ernsthaftigkeit und Respekt umgibt. Ein trügerischer Schein sicherlich, sind die vier Absolventen der medizinischen Fakultät doch eher - obwohl theoretisch bestens geschult - Neulinge im praktischen Alltag der Medizin. Es wird ihnen gesagt, sie sollen warten bis man sie abhole und so lassen sie sich vorerst auf die vorhandenen Sitzgelegenheiten nieder.
Nach einigen Momenten ereignislosen Wartens, erscheint plötzlich eine in Weiß gekleidete Gestalt, welche die Studenten zum Mitkommen auffordert. Es handelt sich um einen leitenden Arzt, welcher auf dem Gebiete der inneren Medizin seinen Tätigkeiten nachgeht. Der sehr dynamische wirkende Mann, dem man die Liebe zum Beruf sichtlich ansieht, will gerade zu sprechen beginnen, als sein Telefon klingelt. Zwei-, dreimal gibt er darauf dem Anrufer zu verstehen er habe verstanden, worauf er ihm mitteilt, dass er gleich vor Ort zu erscheinen im Sinne habe. Sich an die Medizinstudenten wendend verkündet jener, es gäbe einen interessanten Fall, zu welchem man sich zu begeben hätte. Somit folgen die vier etwas verdutzten, aber auch aufgeregten Neulinge dem Herrn Doktor, welcher sich mit schnellem Schritt Richtung Notfallaufnahme steuert. Unterwegs teilt er seinen Schützlingen mit, was es mit besagtem Notfall auf sich habe. Es handle sich um ein weibliches Geschöpf fortgeschrittenen Alters, welches bewusstlos im Badezimmer aufgefunden wurde, und sich seitdem im Koma befinde. Darauf beginnt er, diesen Schwebezustand zwischen Leben und Tod zu erläutern, indem er einige verursachende Faktoren aufzählt, welche oben genanntem Zustand zu Grunde liegen können. So erläutert er also jene schweren Hirnläsionen, zerebralen Asphyxien und diabetischen Hypoglykämien, welche als Ursache für ein Koma in Frage kämen. Zuletzt, schon fast in der Notfallaufnahme angekommen, lenkt er die Aufmerksamkeit der Studenten auf jene Substanzen, die sich Manager, gewisse Ärzte, aber auch ganz gewöhnliche Fixer mehr oder weniger häufig zu Gemüte führen. Es sind dies verschiedenste Opiate oder andere Pflanzenextrakte, welche sowohl natürlich als auch künstlich hergestellt werden können. Beim Gedanken jedoch, die betagte Dame, welche schon fast abgedankt hätte, würde solcherlei Gifte konsumieren, konnten sich der Arzt wie auch die angehenden Mediziner ein Lachen nicht verkneifen.
Als das Gefolge den für solche Notfälle bereitstehenden Raum betritt, bietet sich ihnen ein zum Äußersten befremdendes Bild. Es liegt da ein zerbrechlicher, blau angelaufener Körper auf einer Art von Bahre, welcher durch einige Schläuche und Kabel mit verschiedensten Maschinen verbunden ist. Es sind dies künstliche Lungen und andere Apparate, welche man sozusagen als Gewichte in einer Waageschale betrachten kann, in völlig metaphorischem Sinne natürlich. Der komatöse Schwebezustand lässt sich nämlich recht gut mit einer Waage vergleichen, die das Gleichgewicht hält. Die als Gewichte umschriebenen Maschinen drücken die Waage auf die Seite des Lebens, während auf der anderen Seite, obskurere Mächte am Werke sind, welche die Waage auf die Seite des Unbekannten zu drücken versuchen. Ein Team bestehend aus etwa 7 Leuten ist zugegen, welches sich eifrig bemüht die Patientin dem Tod zu entreißen. So wird eine chemische Substanz bereitgestellt, von welcher man sich eine Verbesserung des Zustands der Bewusstlosen erhofft. Die besagte Substanz ist ein so genannter Antagonist, ein Gegengift also. Diese Maßnahme wird eingeleitet weil die behandelnden Ärzte am Rücken des leblosen Leibes zuvor zwei Pflaster entdeckt haben, welche kontinuierlich Opiate in deren Adern abgab. Als die Pflaster dann unter den ungläubigen Augen der Studenten entfernt werden und das Gegengift injiziert wird, zeigt der tot geglaubte Körper erste Reaktionen. Ein Arzt wendet sich an die vier Zuschauer, indem er ihnen zu verstehen gibt, dass die Patientin gleich aufstehen und zu tanzen anfangen werde. Anders als die zu lachen beginnenden Berufskollegen, zeigt diese Art von Humor keine große Wirkung bei den Studenten. Sie fragen sich, ob die Patientin jene Opiatpflaster - ähnlich den Nikotinpflastern die zur Rauchabgewöhnung dienen - zur Therapie oder doch eher zur Erweiterung des Bewusstseins benutzt hatte. Eine Frage, die unbeantwortet bleiben sollte, hat doch der leitende Arzt, in dessen Obhut sie sich befinden, zum Weitergehen gerufen. So verlassen sie also die Notaufnahme. Man sieht sie noch in den Gängen vorbeiziehen und hört wie der Arzt, halb zu sich selbst halb zu den Studenten, dreimal das Wort "interessant" ausspricht.



Eingereicht am 29. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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