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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Scheißjob

© Rena Zednikova


Ich habe einen Scheißjob. Eine andere Bezeichnung gibt es für diesen Job leider nicht, als "Scheißjob". Ich hasse ihn, er ist schlecht bezahlt und macht mich krank. Auf dem Boden bleiben! Es ist besser einen Job zu haben als keinen. Sagt die Gesellschaft. Auch wenn er unglücklich macht, und er macht mich definitiv unglücklich, ist es besser einen Job zu haben, als keinen. Ist Glück das ersehnteste Gefühl auf Erden? Wenn ich gestorben bin und mich dann im Himmel oder anderen Sphären zurückerinnere, wie ich im Supermarkt stand, eben einen Job hatte und unglücklich war, werde ich mich höchst wahrscheinlich fragen: "Warum hast du es gemacht? Hat es sich gelohnt?"
Aus meiner jetzigen Position antworte ich, dass ich es nicht weiß. Wäre das Leben nach dem Tod, ein paradiesisches, so wie man sich es vorstellt, d.h. ausschließlich von den schönsten Dingen umgeben, die man sich ausmalen kann, würde ich so einen Banküberfall zum Beispiel, mit dem Risiko geschnappt, oder gar erschossen zu werden, durchaus empfehlen. Jedenfalls klüger wäre es, als sich mit einem schlechten Job herumzuquälen. Wenn nach dem Tode allerdings ein Nichts, was vielleicht gar nicht so schlecht wäre, oder aber sonst was Unangenehmes oder gar Grausames folgen würde, empfehle ich das Leben doch nicht so schnell zu beenden. Doch weil ich und die Welt niemals erfahren werden, ob es sich lohnt bei einem Banküberfall erschossen zu werden, gehe ich jeden Morgen kleinlaut und missmutig in jenen Supermarkt, ziehe, in der stinkigen Garderobe für Zwerge, das Knacki Ball T-Shirt über meinen dicken Bauch und schleppe den, aus weißem Plastik, billigen Pult in die Nähe des Kühlregals. Die unzähligen Knacki Ball Becher lächeln mich aus der Regalreihe an, nein, sie lachen mich aus, sie verarschen mich. Sie sind zu Millionen, ich bin allein. Voller Hass betrachte ich sie, baue dabei lustlos den Stand auf, was immer schwerer wird, da ich ihn mit jedem Einsatz mehr und mehr beschädige. Aus Rachegefühlen wahrscheinlich. Ich verfluche diesen Tag. Morgen am 6. Dezember ist mein letzter Einsatz für diese ekelhaften Würste. An diesem Tag ramponiere ich den Stand so, dass er nur auf den Müll geworfen werden kann. So viel Plastik um mich herum, solch eine Umweltverschmutzung! Wofür! Fürs Fleisch, das gegessen werden muss! Pfui!
Dafür, dass die Menschheit ein Würstchen "ohne Anfang und ohne Ende" verkosten kann, wie es im Fachjargon heißt?
Fleisch. Fleisch. Dieses Wort löst in mir eine Übelkeitswelle aus.
Einerseits wegen meiner Schwangerschaft sicherlich, aber andererseits auch wegen meiner Überzeugung. Und die Übelkeitswelle aus dem zweiten Grund finde ich weit schlimmer! Denn die geht nie wieder weg!
Ich bin im dritten Monat und mir ist fast durchgehend schlecht. Mal mehr, mal weniger. Bei einem Geruch vom rohem Fleisch, Fisch und Fleischprodukten könnte ich wortwörtlich kotzen. Ich mochte diesen Geruch, diesen merkwürdigen, leicht verdorbenen, blutigen, süßlich muffigen Geruch nie leiden. Doch jetzt ist bei mir alles hoch zehn! Ich sauge unfreiwillig diesen Geruch in mich hinein zehn Stunden pro Tag! Die reinste Qual. Das kann sich kein Mensch vorstellen, das kann sich nur eine Schwangere vorstellen. Die wissen sofort, wovon ich spreche. Das ist noch nicht alles.
Fast sadistisch starre ich den Menschen in die Mundöffnungen hinein, spähe, wie ein Luchs, ob sich beim Verzehren der kalten, nassen Würste eventuelle Spuckefäden zwischen der Zunge und Gaumen bilden. Und meistens habe ich Glück. Meistens ziehen sich dort in den stinkigen Höhlen unendliche Spinnweben, weiß und elastisch und ich kämpfe. Ich kämpfe mit der Entscheidung, ob ich dem Kunden direkt ins Gesicht kotzen oder lieber den Knacki Ball Becher treffen soll. Gut. Beides ist mir noch nie passiert. Denn wenn es so weit ist, laufe ich raus, vor den Supermarkt, auf den überdimensionalen Parkplatz mit unzähligen Autos und gestressten Fanatikern mit Einkaufswägen, atme die frische kalte Luft der Vorstadt ein, wenn mir nicht gerade Einer seinen Auspuffqualm direkt in die Nase bläst und ich bin froh, dass es dieses Ding namens Sauerstoff gibt. Welch großartige Erfindung.
Mutter Natur spart nicht an Vielfalt. Es gibt noch weitere interessante Empfindungen, die eine Schwangere in einem verhassten Job wahrnimmt:
Manchmal überfällt mich solch eine Müdigkeit, dass ich aufpassen muss, nicht umzufallen. Und erneut ergibt sich die Chance sich zu entscheiden. Falle ich direkt hinter meinen Würstchenstand, oder davor? Was erweckt weniger Aufregung? Es ist eigentlich egal. Beides kommt blöd an. Ich konzentriere mich auf gar nichts mehr, weiß nicht, was ich sage, sage nichts wahrscheinlich, auch wenn ich dauernd quatschen müsste, nein, ich schweige und selbst wenn der Papst vor mir stehen würde, bringe ich kein einziges Wort heraus, stehe da mit grünem Gesicht und starre vor mich hin. Möglichst auf kein Fleisch. Auf meine Turnschuhe, das ist ein sicherer Blick. Kein rohes Fleisch, aus dem das Blut noch trieft, keine stinkenden Würste, kein gelblicher, roher Leberkäse, kein Schinken, Gelbwurstscheiben, oder Gänseleberpasteten, derer Herstellung ich mir niemals vorstellen möchte. Ich schaue keinem Menschen ins Gesicht, animiere niemanden Knacki Balls, "eine Wurst ohne Anfang und Ende" zu verkosten, auch wenn es noch so schnell und einfach geht. Die meisten Konsumsüchtigen sind nämlich hungrig vom Einkaufen. Außerdem sind sie umsonst. Da sagt keiner Nein. Jeder spart, wo er kann. Also gleich viele Würste auf einmal reinstopfen.
Zwischen 14 und 15 Uhr erlaube ich mir die ersehnte Pause. Der einzige Lichtblick des Tages. So begebe ich mich auf die Suche nach Nahrung und einem Ort, wo ich sie verzehren könnte. Ich möchte eine Verkäuferin fragen, ob es eine Kantine, oder wenigstens einen Aufenthaltsraum gibt. Nun finde ich keine. Sie scheinen im Erdloch verschwunden zu sein. Arbeitet hier keiner außer mir? Mein Körper fängt an sich zu erwärmen. An der Kühltheke ist es mir nämlich noch nie gelungen eine angemessene Körpertemperatur zu erhalten. Dort friert man sich auf gut Deutsch den Arsch ab.
Nach einigem Hin und Herirren, erspähe ich eine kleine Verkäuferin. Sie räumt gerade Drogerie Ware ein, eine schmächtige Frau mit roten, kaputten, gekräuselten Haaren. Ich muss mich beeilen, denn ich ahne, dass sie gewillt ist mit dem Wagen voller leerer Kartons in einer Hintertür des Supermarktes zu verschwinden. Ich renne. Schwitze auf einmal sogar. Solche Temperaturschwankungen erinnern mich an das Hotel in Dubai. Wenn die Dubaianer eine Klimaanlage einschalten, kann es sehr schnell passieren, dass Dir weiße Eiszapfen an der Nase wachsen. Kaum wagst Du einen Schritt aus dem Kühlschrankhotel hinaus, schlägt Dir eine 40 Grad Hitze entgegen und Du glaubst, Deine letzte Stunde hat geschlagen.
"Entschuldigung, könnten Sie mir sagen, wo die Kantine für Mitarbeiter des Hauses ist?" Ich bin völlig aus der Puste. Wahrscheinlich gebäre ich gleich.
"Kantine? Na, sowas hama hier net. Na." Antwortet die kleine Person kurz angebunden und setzt den Wagen erneut in Bewegung.
"Einen Aufenthaltsraum wird es aber wohl geben!", werfe ich ihr nach. Ich habe nichts zu verlieren, sie kann mich sowieso nicht leiden. Schade, dass sie meinen Bauch noch nicht erkennen kann, dann wäre sie zu mir freundlicher. Ein Vorteil der Schwangerschaft. Die Menschen sind netter zu Einem. Ein neuer Rentenzahler kommt zur Welt.
"Das scho. Da hinten links nei, die Treppe hoch, durch die Glastür und auf der rechten Seite ist es dann scho." Und weg ist sie, diesmal wirklich.
Ich habe natürlich nichts behalten. Ihre bayerische Info ging in ein Ohr rein und aus dem anderen aus. Ich gehe intuitiv nach "hinten", in die Richtung, in die sie mit ihrem Arm zeigte. Ich finde die Tür, gehe durch die Gänge, das flackernde Neon Licht, dass einem direkt über dem Kopf hängt, schneidet unverschämt in die müden Augen hinein. Gang, Treppe, Glastür, Gang. Tausend Gerüche. Die Tür zum Aufenthaltsraum, hurra! Eine beißende Rauchwolke schlägt mir ins Gesicht, während ich die Tür öffne. Ich schließe die Tür sofort wieder.
Nun gut, ich stehe wegen der verflixten Zigarettenindustrie am Anfang meiner Odyssee und mir ist zum Weinen. Solche Zwischenfälle kann ich nicht gebrauchen, da schon eine Viertelstunde meiner kostbaren Pause weg ist. Mein Kartenhäuschen droht einzustürzen. Ich finde am Eingang des Supermarktes einen Stehbäcker. Müller. Ich hasse Müller. Ich wage zu behaupten, dass Müller die miserabelste Ware von allen Bäckereien der Stadt hat. Müller ist das Letzte. Ich bin dazu gezwungen, meinen desorientierten Magen mit Müller Ware zu stopfen. Denn Vinzens Murr Laden neben dran würdige ich keines Blickes.
"Eine Käsesemmel bitte", sage ich gestresst, während die einzelnen Münzen in meiner Geldbörse auf die Abholung warten.
"90 Cent", antwortet der kahlköpfige Verkäufer. Auf dem einzigen Haarkranz, den er besitzt, strahlt eine bescheuerte Papier-Müller Mütze. Wahrscheinlich gehört die Mütze zur Müllerschen Vorschrift. So, wie es in der Lebensmittelbranche üblich ist. Ihm kommt es zu Gute, er möchte seine Glatze verdecken. Während ich darüber nachdenke, ob ich ihm den guten Rat spende, die Mütze zu verbrennen, schaue wieder hoch und stelle fest, dass auf dem Tellerchen etwas ganz anderes liegt, als ich bestellt hatte.
"Oh, Entschuldigung, ich wollte eine Käsesemmel."
"Das ist eine Käsesemmel", antwortet er schnippisch.
"Wo ist aber der Käse? Nein, nein, nein, ich wollte die da unten."
"Der Käse ist dran gebacken."
"Das war ein Missverständnis, ich wollte eine klassische Käsesemmel."
"Ja, dann kaufen Sie sich eine.
"Wieso das denn?", fragte ich verwundert.
"Ich kann die hier nicht mehr zurücknehmen."
"Wieso nicht?!" In diesem Moment grub sich meine Stirnfalte noch tiefer in die Stirn als sonst.
"Geht nicht."
"Das ist nicht Ihr Ernst, Sie drehen mir falsche Ware an und sind nicht einmal bereit sie umzutauschen? Ist es Ihnen nicht peinlich?" In meinem ganzen Gesicht breitet sich ein gewaltiger Zorn aus, wie eine schwarze Wolke vor dem Gewitter.
"Nein, ich kann sie nicht umtauschen. Sie haben diese bestellt", und er dreht sich zum nächsten Kunden. "Bitte...Sie wünschen?", sagt er dann zu ihm.
Ich stehe da, platze vor Wut, begreife nichts und möchte ihn auf der Stelle erschießen. Hätte ich ein Harakiri Messer dabei, so müsste er den blutigen Vorgang nicht selber durchführen, nein, ich hätte die Arbeit für ihn gerne getan! Ich schäume, plustere mich auf, knalle die Geldbörse auf den Tresen, führe wüste Selbstgespräche. Nichts. Weder der Verkäufer noch die Kunden bemerken etwas von der Ungerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass sie mich nicht hören, sehen, spüren! Sie hören mich sehr wohl, aber keine der Arschgeigen ist bereit sich für mich einzusetzen, mir beiseite zu stehen, für einen anderen, fremden Menschen das geringste zu riskieren.
Nächstenliebe für die Katz! Eine Ohrfeige hätte er mir geben können? Das Pack würde genauso wegsehen. Ach, nicht der Rede wert.
Der Glatzkopf bedient heiter weiter, für ihn hat sich der Tag gelohnt, er fühlt sich wie ein König und er ist in diesem Moment auch einer. Die Masse hat ihn dazu gemacht.
Was mache ich aber nun? Ich nehme demonstrativ die falsche Semmel in die Hand und schmeiße sie im weiten Bogen, in den nahe stehenden Mülleimer.
Keiner bemerkt es. Das ist doch zum verrückt werden! Wie komme ich aus diesem Dilemma heraus? Nicht nur, dass ich immer noch nichts zu essen habe und graue Haare vor Wut kriege, sondern die Hälfte der Pause ist schon vergangen!
Ich resigniere, stelle mich hinten an der Schlange an, warte geduldig, bestelle bei dem Arschloch die richtige Semmel und gehe. Wohin aber? Raus.
Parkplatz. In mein Auto. Eine sichere Stelle.
Es ist 20 Uhr. Die wichtigen Formulare sind ausgefüllt, unterschrieben. Der Stand muss nicht abgebaut werden, Morgen ist Samstag, ich muss nochmal hin.
Bei dem Gedanken möchte ich weinen.
Ich möchte weinen, weil ich einen Scheißjob mache, zu wenig Geld verdiene, mich ärgere, eine Autobahnfahrt von 160 km vor mir habe und erneut meinen Schwur brach. Meinen Schwur an die Tiere. Als hätte ich meine Seele verkauft, als hätte ich die Lebewesen mit Pelz verraten. Die Körper der Tiere verkaufe ich. Elf Stunden lang gaukele ich den Unersättlichen vor, wie toll diese, kleine, runde Wurst aus Schweinefleisch sei. Ich erzähle ihnen elf Stunden lang, dass der Becher in dem sie verpackt sind, mikrowellentauglich ist und es würde reichen die durchsichtige Folie abzuziehen und Schwuppuddi Wupps, Deckel zuzudrücken und in die Mikrowelle zu stellen. Ein richtiger Teller? Ach, braucht doch kein Mensch. Direkt aus dem Kunststoffbecher kann man die kurze Bockwurst fressen! Und schön fernsehen z.B., oder dabei auf der Toilette sitzen. Ein Snack für Zwischendurch. Für die junge Generation, die eh schon versaut ist. Die merkt es nicht. Das Ganze ist natürlich ohne Konservierungsstoffe, was denken Sie denn und heute auch besonders günstig.
Wenig stimmt davon, was ich sage. Jeder Mensch, der lesen kann, muss zwangsläufig feststellen, dass in dieser beschissenen Bockwurst unzählige Konservierungsstoffe nesteln, die sich freuen den Menschenmägen und andere Organen das Leben schwer zu machen, sie endgültig zu zerstören, aber egal, die Leute glauben es einem. Sie wollen es glauben. Und wenn sie Einwände haben? Es genügt, wenn ich nur behaupte, diese "Es" sind Kochsalze. Ganz einfach Kochsalze. Völlig unbedenklich, gnädige Frau. Fertig. Ah, Kochsalze, hm, sagt die Gnädige, und schon schiebt sie sich das nächste Stück in den Mund. Da ist Jeder bedient.
Teuer ist der ganze Spaß auch noch! In der Zeit der wirtschaftlichen Krise ist es mir unbegreiflich, wie sich die Bevölkerung einen kleinen, halbvollen Becher mit Bockwurstkugeln, die noch dazu miserabel schmecken, für 1,99 Euro leisten können? Von wegen "heute günstig für Sie"! Stimmt nicht. Heute ist es genauso teuer wie Morgen, oder Übermorgen, oder die nächsten Jahre!
Alles Humbug. Alles gelogen! Und zwar offiziell! Ich habe mir es nicht der Prämie wegen ausgedacht, nein, dafür wurde ich geschult! Und übrigens: Es gibt keine Prämien.
Ich bin seit 10 Jahren Vegetarierin, aus ethischen Gründen. Ich esse keine Tiere, weil ich Mitleid mit ihnen empfinde. Ich könnte niemals ein Tier töten, so esse ich es auch nicht. Das ist für mich konsequent. Halbwegs.
Denn dann dürfte ich es nicht nur beim Vegetarismus bleiben lassen, sondern müsste zum Veganismus übergehen. Selbst wenn ich einen Käse esse, unterstütze ich die abartige Fleischindustrie. Woraus wird der Käse gemacht?
Aus Milch. Die Milch, die einem Kalb gehört. Und Lab? Schon gehört? Dieser Stoff ist in den meisten Käsesorten. Lab wird aus den Kälbermägen gewonnen.
Die Auflistung der Tierausbeutung ist unendlich und ich habe keine Lust hier einen Tierschutzappell runterzubeten. Dazu gibt es gute Bücher von Fachleuten.
Was mich interessiert ist der Absturz. Wie weit bin ich gekommen, dass ich eine Werbung für Würste betreibe?
Als ich alleine für mich sorgte, konnte ich mit Schulden ruhig schlafen.
Nach dem Motto, ach, irgendwie wird es weitergehen, es ist bis jetzt immer weitergegangen. Es stimmte. Es ging immer weiter. Jetzt trage ich ein Kind im Bauch. Ein langersehntes Kind! Mit 38. Ich bin überglücklich, mein Leben bekommt doch noch den ursprünglichen Sinn, den wichtigsten und einzigen Sinn! Und den Schönsten! Wie großartig sich das anfühlt, in welche Verzückung ich verfalle, wenn ich sehe, wie das Kleine auf dem Bildschirm des Ultraschalls herumzappelt. Am liebsten möchte ich es sofort küssen und liebkosen. Selbst die Tatsache, dass mein Freund, der Vater des Kindes, sich vor einem Monat von mir trennte, ließ mich niemals mit dem Gedanken spielen, das Kind abzutreiben!
Die Angelegenheit mit dem Mann ist mir nicht egal, auf gar keinen Fall, ich liebe und laufe diesem Mann eifrig nach. Doch das Baby lässt mein Herz höher schlagen, wie es 1000 Männer zusammen nicht schaffen würden.
Mein Motto, ach, es wird schon irgendwie gehen, es ist bis jetzt immer gegangen, gilt für mich nicht mehr. Ich sehne mich nach Sicherheit, nach einem warmen ruhigen Nest. Das Wort "irgendwie" gibt es nicht mehr. Es wurde von der Natur so eingerichtet, ich kann nichts dagegen tun, füge mich den biologischen Gesetzen, wie es alle Frauen vor mir taten. Den Gesetzen der Liebe fügt sich die Menschheit ebenfalls, ohne Verstand und Vernunft.
Im Internet fand ich eine Anzeige für diesen Scheißjob! Ahnte nicht, dass dieser Job ein Scheißjob ist! Es klang wunderbar! Pasta-Verkostung. Las aber nicht das Kleingedruckte.
Als es sich bei der unbezahlten Schulung, irgendwo im Norden, herausstellte, dass es für Pasta keine Partnerin für mich gäbe, versetzte man mich.
Dreckswürste. Ohne zu überlegen, ohne sich zu wehren, willigte ich Dumme ein und nahm die läppischen Begrüßungsgeschenke der Fleischfabrik entgegen. In meinen Pupillen glänzten Euroscheine und nur noch Euroscheine. Endlich ins Kino gehen, endlich sich einen Restaurantbesuch leisten können, wegfahren, Kleider kaufen.
Es ist 21 Uhr. In einer halben Stunde bin ich zu Hause, wenn ich Glück habe.
Nur kein Stau, das würde mich nach diesem heutigen Arbeitstag ruinieren.
Um 22 Uhr plansche ich in der Badewanne. Was ist los, dass alles so klappt?
Mir ist warm, das Baby schwitzt auch, meine Rosenkohlsuppe hatte ich eben geschlürft und die wohltuende Entspannung setzt ein. Nur noch zwei Dinge kreisen in meiner Birne: Mark und der Scheißjob. Er rief wieder nicht an.
Die Gleichgültigkeit mir gegenüber ist nicht zu übersehen. Ich melde mich auf gar keinen Fall bei ihm! Ich muss es schaffen!
Bitte, lieber Gott, lass mich den Scheißkerl vergessen und den beschissenen Samstag überstehen! Muss auch dieser verdammte Laden bis 20 Uhr geöffnet haben? Kann er nicht, wie jedes, anständige Geschäft um vier schließen?
Wessen Idee war denn das bloß? Solch idiotische Öffnungszeiten! Meine Augen gehen langsam zu. Wenn es wenigstens nicht so weit wäre. Pfui, wie es dort stinkt. Weg bin ich, ohne eine einzige Zeile meines null spannenden Buches gelesen zu haben.
Der Wecker klingelt. 8 Uhr. Ich bin nass! Nassgeschwitzt. Ekelhaft. Ich könnte, müsste, sollte duschen! Geht nicht, keine Zeit. Ich schlüpfe mit halbgeschlossenen Augen in die schwarze Hose und das Würstchen T-Shirt hinein. Selten hasste ich ein Kleidungsstück so sehr, wie dieses. Für meine Freundin Frida allerdings ist dieses T-Shirt mit zwei dicken runden Würsten, genau auf der Stelle, wo sich die Brust befindet, das Größte! Und Frida trägt nur Markenkleidung! Mit Vergnügen versprach ich ihr den Fetzen nach dem Martyrium zu schenken.
Mit ungeschminktem, müden, nackten Gesicht steige ich in meinen Mazda. Ich bin starr vor Wut und Apathie gleichzeitig. Bitte lieber Gott, lass mich nur diesen Tag überleben! Ich will nicht! Ich will nicht.
An der Shell Tankstelle leiste ich mir einen leckeren Kakao. Ich liebe diesen Kakao. Bin ja ganz platt, wie viele Vorteile sich bei diesem Würstchenmist noch herauskristallisieren.
Die Autobahn ist leer. Kein Bock auf Radio. Kenne die Mucke schon auswendig.
Die wiederholen immer das Gleiche. Und einen Klassiksender ertrage ich bei soviel schlechter Laune auch nicht. Es könnte passieren, dass ich mir den Sender, den ich ansonsten ganz gern habe, für immer versaue. Also ist es still im Auto. Die Sonne scheint mir fröhlich ins Gesicht, als sollten Ferien beginnen, oder als würde ich gerade ganz weit weg in Urlaub fahren.
Ach wie großartig sich das anfüllt. Urlaub in einem warmen Land. Spanien, Portugal, Griechenland. Die Spucke läuft mir vor Sehnsucht im Mund zusammen.
Ich denke an Marc, der nicht anrief. Wie gerne ich mit ihm nach Spanien fahren würde. Die Fröhlichkeit ist weg und "es" will in mir weinen. Bin aber noch zu müde, um zu weinen. Schade. Das weinen muss warten. Ich denke an den Sommer. Ich denke daran, wieder schlank zu sein und enge Röcke tragen zu können. Ich denke an einen anderen Mann, den ich vielleicht noch kennenlernen werde und auch daran, wie ich gebäre. Der Mann in meinen Gedanken sieht aus wie Marc. Wovon lebe ich, wenn das Baby da ist?...
Auf einmal mache ich meine Augen auf! Ich hatte sie zu?! Wie!!!! Was tat ich denn bloß! Ich schloss meine Augen?! Auf der Autobahn?! In Sekundenschnelle werfe ich noch einen Blick auf den Tacho. 140 zeigt er an. Irgendwas ist nicht in Ordnung! Ich rase mit 140 auf die linke Leitplanke zu! Wie verhalte ich mich? Wie rette ich mich? Ich kann mich gar nicht retten. Ich kann gar nichts! Ich kann nur beten. Ein unglaublicher Schlag. Mein ganzer Körper wird zur Seite gerissen, als wäre ich in einem Karussell. Alles in mir zieht sich vor Furcht zusammen. Lebe ich? Ich weiß es nicht. Es schmeißt mich mit dem gesamten Auto wieder nach rechts. Der Wagen ist keineswegs langsamer! Im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, ich fliege. Wieder ein Knall! Diesmal wo anders. Wo? Ich weiß es nicht. Ich bin desorientiert. Schleudere und pralle gegen irgendwelche Hindernisse und sehe es nicht. Ich sehe gar nichts, obwohl meine Augen auf sind. Bin hellwach. Schreie nicht. Ich denke an das Baby. Wenigstens soll das Baby überleben. Ich denke gar nicht so weit, dass das Baby ohne mich noch gar nicht lebensfähig wäre. Trotzdem denke ich nur an die Gesundheit des Babys. Nur nicht irgendwo anstoßen, oder aus dem Auto rausfliegen! Ich halte mich fest, so fest ich kann. Meine Arme sind angespannt, meine Hände krallen sich, wie Affenhände ans Lenkrad. Ich weiß, dass ich diesen Unfall niemals überleben kann. Bin zu schnell gefahren. Ich erwarte starr, während der Wagen tut, was er will, einen spitzen Gegenstand, oder eine Eisenstange, die sich durch meinen Körper bohrt, oder sonst irgendein Metallstück, das meinen Kopf vom Rumpf abtrennt.
Höchstwahrscheinlich werden meine Beine gleich zerquetscht und ich werde es mit heftigen Schmerzen zu tun haben. Hab schreckliche Angst. Es ist so laut.
Das Auto steht. Ein Alarm Piepston geht an, als hätte ich das Licht angelassen, oder sowas Uninteressantes. Ich fasse mich am Kopf. Ist er dran?
Ich taste ihn von allen Seiten ab, schaue auf meine Hände, ob sie rot sind, wage nach unten zu gucken, möchte die verletzten Stellen sehen. Ist der Bauch, Beine, Füße - sind alle wichtigen Körperteile dran? Ohne Blut?
Nichts. Ich sitze brav angeschnallt, die Beine immer noch auf den bescheuerten Pedalen. Der Bauch scheint unversehrt zu sein. Plötzlich sehe ich vor mir panisch laufende Menschen. Oh, das Auto steht mitten auf der Autobahn. Eine Menge stehender Fahrzeuge umgibt mich.
"Können Sie aussteigen?", meinen die Menschen im milden Ton zu mir. Ich antworte nicht, sondern möchte mich von dem Gurt befreien, dabei lasse ich meinen Körper nicht aus dem Blick. Kein Blut ist zu sehen. Die Hände zittern so sehr.
Wie lieb diese Menschen sind, wie sie sich rührend um mich kümmern. Ich bin im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit.
Während ich auf einer ausgebreiteten Decke liege und wie ein Espenlaub zittere, sehe ich viele Autoteile auf der Fahrbahn. Verstreut in allen Richtungen. Die Leitplanken sind stark beschädigt. Das Auto sieht nicht mehr wie ein Mazda Kombi, sondern wie ein popeliger Smart aus. Ich wiederhole
ständig:
"Ich bin schwanger, ich bin schwanger, hoffentlich ist dem Kind nichts passiert."
Etwas ist anders. Ich atme die frische, kalte Luft ein und sie schmeckt mir so. Ich könnte so eine Ewigkeit liegen. Keine Verpflichtung.
Keine Uhr. Nirgendwo muss ich ankommen. Eins steht fest. Ich werde heute ganz sicher nicht in einem Supermarkt Würste verkosten müssen. Ich bin glücklich. Sollte mein Baby überleben, wäre der Autounfall schlechthin der Triumph über diesen Scheißjob! Niemand kann mir was. Und niemand wäre mir böse! Keine Vertrags Schwierigkeiten. Kein Streit.
Wie merkwürdig. Eine Motte sitzt auf meinem Knie, während ich im Krankenwagen in die Klinik fahre. Ich mag sie, möchte sie retten. In diesem Augenblick verdient selbst eine Motte gerettet zu werden. Ich will ihre Flügel nicht berühren, man würde den feinen Staub zerstören. Hab ich mal im Fernsehen gesehen. Der begleitende Helfer beobachtet mich, wie ich mit der Motte herumhantiere.
"Ist Ihnen vielleicht schlecht?!", fragt er.
"Nein", antworte ich.
"Haben Sie Kopfschmerzen?"
"Nein, wieso?"
"Nur so." Dabei schüttelt er mit dem Kopf und schaut mich intensiv an. Mir ist es schon klar, dass er sich Sorgen macht, bei dem Anblick, wie ich die Motte rette, statt sie platt zu machen. Er ahnt aber nicht, welch symbolische Kraft dieses Tierchen für mich darstellt.
"Frau Stancescu, Sie hatten unglaublich viel Glück, es ist nicht üblich unverletzt nach so einem Autounfall...wissen Sie das?"
"Ich bin im dritten Monat", jetzt öffne ich das Fenster und lasse die Motte fliegen. "Endlich ist sie frei."
"Oh, das wusste ich nicht."
"Wie denn auch."
Die Frauenklinik ist 160 km von Zuhause entfernt. Niemand weiß Bescheid. Das Handy muss aus bleiben. Ich darf es nicht einschalten. Das Verbot kommt mir gelegen. Niemand darf mich stören.
Die Ärztin ist still während sie mit dem kleinen Gerät in der Hand auf meinem Bauch die durchsichtige, glitschige Masse verteilt. Ich wage sie nicht zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Ich kann selber etwas erkennen.
Der kleine Körper auf dem Bildschirm ist klar zu sehen, er bewegt sich aber nicht. Sie versucht es von allen Seiten. Das Baby bewegt sich nicht. Mein Solar Plexus vibriert wie verrückt und ich verspüre einen stechenden Schmerz im Magen. Einen Schmerz der Angst.
"Wievielte Schwangerschaft ist es bei Ihnen?", fragt sie mich auf einmal leise.
"Zweite."
"Wann war die erste?"
"Vor zwei Monaten. Ich habe es verloren. Bin gerade umgezogen, hatte Stress mit meinem Freund. Es war zuviel."
"Ist es von allein abgegangen?", sagt sie sensibel.
"Ja."
Minuten vergehen. Ich starre, genauso, wie sie auf den Bildschirm in der Hoffnung ein Lebenszeichen von dem Kleinen zu sehen.
"Ich möchte das Herz sehen..", flüstert sie fast.
"Oh, da! Es bewegt sich!", sage ich im freudigen Piepston.
"Ja, es bewegt sich. Ja, es bewegt sich. Es kann sein, dass es unter Schock steht. Es bewegt sich aber eindeutig", und sie atmet tief aus, als hätte sie die ganze Zeit den Atem angehalten.
Das Zimmer ist ordentlich, hell, warm und sauber. Zwei andere Frauen liegen neben mir. Ich mag ihre Gesichter, sie haben etwas Gütiges, etwas Demütiges, Weises an sich. Ihre Haare sind verklebt, die Haut fahl, trotzdem sind sie schön. Ich könnte sie unaufhörlich anschauen.
"Dürfte ich das Telefon benutzen?", frage ich eine der Frauen. Ohne Angst, ohne schlechtes Gewissen greife ich nach dem Telefonhörer. Wie das?
"Hallo Liebling, ich bin´s. Ich hatte auf der Autobahn einen Unfall. Es ist mir aber nichts passiert, mach Dir keine Sorgen. Dem Baby ist auch nichts passiert. Ich liebe Dich."
Woher dieser Mut? Diese Klarheit?
Die Frauen, denen vor kurzem die Gebärmutter entfernt wurde, erzählen viel aus ihrem Leben. Ich höre Ihnen gespannt zu, tröste sie.
Immer wieder schlafe ich ein und immer wieder werde ich von dem Krankenhaus Personal geweckt. Das Frühstück wird serviert. Zwei Scheiben Graubrot, eine Scheibe Käse, ein Stück Leberwurst, schwarzer Kaffee, Jogurt. Ich stürze mich hungrig auf das Frühstück, als hätte ich eine Woche nichts gegessen.
Seit Jahren aß ich keine Leberwurst, jetzt kann ich nicht genug bekommen.
Ich verschlinge auch die Reste von meinen Nachbarinnen. Wie gut auf einmal diese Leberwurst schmeckt. Als wäre sie aus Gold? Was ist los? Ich habe auf alles Appetit. Mir ist überhaupt nicht schlecht? Die beiden Frauen bedanken sich oft bei mir, weil ich sie ständig bediene. Es macht mir Spaß mich um sie zu kümmern, ihnen zu helfen. Jeden Wunsch lese ich ihnen von den Augen.
Woher die Energie? Ich möchte für alle da sein.
Es ist mittlerweile dunkel. Ein Film läuft im Fernsehen. Ich sehe leider wenig davon, weil mein Bett an einer ungeeigneten Stelle steht. Egal. Ich denke an den letzten Abend mit Marc. Es ist schon lange her. Wir haben gestritten. Das Baby kommt ihm zu früh, wir würden uns noch kaum richtig kennengelernt haben. Es sei zwar meine Sache, ob ich es behalte, oder nicht, er könnte mir aber nicht versprechen, dass es mit uns beiden gut geht. Er glaubte nicht an uns. An uns als Familie. Zeit wollte er gewinnen. Er müsse sich zurückziehen und darüber nachdenken, sagte er immer. Er müsse jetzt allein sein, nur er allein. Ich reagierte exzentrisch, böse und auch ungerecht. Versuchte ihn zu erpressen. Hasste ihn, beschimpfte ihn.
Das Licht im Krankenhauszimmer geht an. Schade, dass sie mich aus meiner Erinnerung an Marc herausbringen. Die Nachbarin, nicht die mit dem Telefonanschluß, die andere, hat plötzlich Herzrasen. Ihre Stimme zittert.
Eine Menge Ärzte stürmen herein. Sie befragen sie nach den Symptomen. Sie scheinen nervös zu sein. Ratlosigkeit. Sie laden sie sofort auf einen Rollstuhl und verschwinden mit ihr. Das Licht ist immer noch an. Ich stehe auf und schalte es, unter der Einwilligung meiner übriggebliebenen Nachbarin, aus. Der Film läuft weiter.
Ich möchte weiter an Marc denken, geht aber schlecht. Die Frau mit dem Herzrasen sah nicht gut aus und macht mir irgendwie Sorgen. Vielleicht sehe ich sie nie wieder, weil sie stirbt. Das darf nicht sein, ich bete für sie und schweife ab.
Damals, als ich bei Marc im Bett lag, entschied ich mich zu gehen. Mich von ihm zu trennen. Es ist mir klar geworden, dass ich von ihm keine psychische und physische Unterstützung bekommen werde. Die brauchte ich aber. Ich muss mich möglichst schnell von ihm verabschieden, bevor es emotional unerträglich sein wird, dachte ich.
Marc saß am Computer. Rauchte eine Zigarette nach der anderen. Ich stand leise auf und zog meine Kleidung an. Ich wohnte noch nicht so lange bei ihm, so besaß ich in seiner Wohnung, außer der Kleidung, die ich momentan anhatte, nur noch meine Zahnbürste, weiter nichts. Ich schlich mich durch den Flur zur Wohnungstür. Mühevoll band ich mir die Schnürsenkel meiner Turnschuhe zusammen und fasste die Türklinke an. In diesem Moment stand Marc hinter mir.
"Was tust Du denn da?", fragte er überrascht.
"Ich gehe."
"Wohin?"
"Nach Hause."
"Warum?"
"Weil ich es nicht mehr ertrage. Ich möchte lieber allein sein, als so..." Er schwieg. Es war ihm sichtlich unangenehm und es tat ihm sicherlich auch Leid. Er war aber nicht imstande mich bei der Hand zu nehmen und zurück zu holen. Er sagte einfach nichts.
"Ich lasse Dich in Ruhe", setzte ich noch hinzu. Dann öffnete ich die Wohnungstür und ging hinaus. In diesem Augenblick wusste ich, dass es aus mit uns beiden war. Er hinderte mich an nichts. Der Scheißkerl.
Die Neonröhre geht wieder an. Eine Krankenschwester schiebt die Patientin von vorhin zu ihrem Bett. Irgendetwas haben sie mit ihr gemacht. Sie ruht müde, sagt nichts, bedankt sich bei der Krankenschwester. Die Tür wird geschlossen.
In der Nacht stürmten noch mehrere Mannschaften zu der "Herzrasenden". Immer wieder führen sie ein EKG durch, immer wieder reißen sie uns aus dem Schlaf.
Es kreisen mir die gleichen Gedanken durch den Kopf. Immer wieder die gleichen Themen: das Baby, die Liebe, der Unfall. In verschiedenen Reihenfolgen. Diesmal sind sie aber angenehm, unbelastet.
Morgens schaltet die Nachbarin mit dem Telefonanschluß erneut den Fernseher an. Es soll dort ein Gottesdienst live übertragen werden. Die sanfte Stimme des Pfarrers wird durch ein Klopfen unterbrochen.
"Herein." sage ich leise. Die zweite Nachbarin schläft, ich möchte sie nicht wecken. Nichts geschieht.
Langsam stehe ich auf, ziehe die medizinischen Strümpfe an den Beinen höher, richte mein zerknittertes Hemdchen, das mich wie ein Kind aussehen lässt und öffne leise die Tür.
Marc steht da. Schön, stark, sanft, mit Blumen in der Hand.
"Ich weiß, dass Du es nicht magst, trotzdem bringe ich Dir Kuchen." Ich lächle ihn an, senke meinen Blick, sonst erkennt er noch, dass ich vor Glück weine.
"Doch, doch, ich mag Kuchen. Ich mag Kuchen sehr." sage ich leise. Sanft hebt er den Blumenstrauß und ich nehme ihn entgegen. So viele Blumen, denke ich, so viele Farben.
"Du hast mir aber Angst eingejagt." Dabei streichelt er zart meine Wange.
"Aber Gott sei Dank ist Euch nichts passiert."
Höre ich richtig? Was hat er gesagt? Was hat er da gesagt? Euch? Meint er mich und das Kind? Mir kullern die Tränen herunter und Marc fängt sie auf.
Nun hat es kein Sinn mehr sie zu verstecken, er entlarvt mich. Ich hebe den Kopf. Er drückt mich ganz fest an sich, samt dem Blumenstrauß. Mein Gesicht klebt an seinem Hals und ich fühle mich, so wie ich da in dem Hemdchen stehe, wieder wie ein Kind. Wie früher, als ich mich geborgen, beschützt und glücklich fühlte. Ich habe dieses Gefühl fast vergessen.



Eingereicht am 28. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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