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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Laura Schlüsselkind

©Regina Schleheck

König Magnus machte seinem Namen keine Ehre. Er war der kleinste König, den man sich denken kann.
Als seine Frau, die Königin Margot, noch bei ihm lebte, hatte sie sich immer darüber geärgert, weil sie neben ihm nie ihre hochhackigen Schuhe anziehen konnte, in denen sie so verführerisch aussah. Sie fand, das machte einen blöden Eindruck, wenn die Königin den König um Haupteslänge überragte. Daher trug sie immer flache Schuhe und machte sich klein. Auf die Dauer kriegte sie darüber Minderwertigkeitskomplexe und Rückenschmerzen und so musste sie irgendwann in Kur und da lernte sie einen anderen König kennen, der groß war und mit dem sie weglief.
König Magnus vermisste sie nicht sonderlich.
Allerdings ließ die Königin im Schloss noch jemanden zurück und das war die kleine Prinzessin Laura. Die vermisste ihre Mutter. Zwar hatte sie sie nicht häufig zu Gesicht bekommen, weil die Königin die meiste Zeit ihren offiziellen Dienstverpflichtungen nachkommen musste, aber eine Mutter ist eine Mutter. Laura kam in die Königliche Krabbelstube, dann in den Königlichen Kindergarten und schließlich in die Königliche Grundschule mit integrierter Königlicher Mittagsbetreuung, so dass die kleine Prinzessin immer versorgt war. Aber man kennt das ja, wenn Vater und Mutter sich nicht sonderlich um die Kinder kümmern, zumal wenn die Mutter ganz weg ist und der Vater nach der Arbeit immer erst noch seinen Aktenkram erledigen muss, ehe er in Ruhe die Königlichen Nachrichten lesen will - die Prinzessin war sich meistens selbst überlassen. Solche Kinder sind immer ein bisschen traurig. Aber das lernen sie mit der Zeit zu verstecken und dann kriegen sie es faustdick hinter den Ohren.
Bei Laura war das so: Hinter dem rechten Ohr saß Luzi, der kleine Teufel, der ihr Blödsinn eintrichterte, und links hockte Lelia, der kleine Engel. Laura stellte ihr linkes Ohr meist auf Durchzug, weil ihr Lelia ziemlich auf den Zwirn ging. Luzis Anstacheleien hingegen fand sie ziemlich cool.
Und so wunderte sich der König über seine Manschettenknöpfe in der Kaffeetasse, über die mit Schnurrbärten und komischen Brillen verzierten Fotos seiner Minister in den Königlichen Nachrichten und über den versalzenen Sonntagsnachmittagstee, obwohl er doch hätte schwören können, dass er einen Löffel Zucker aus der Zuckerdose hineingerührt hatte.
Da König Magnus Wichtigeres zu tun hatte, schenkte er solchen Vorfällen wenig Beachtung. Aber eines Tages platzte ihm der Kragen. Es ging darum, wer den Königlichen Müll in den Keller des Schlosses bringen sollte.
"Laura", sagte König Magnus würdevoll, "die letzten beiden Male war ich dran. Geh du jetzt!"
"Der spinnt doch wohl!", rief Luzius Laura ins Ohr. "Wie redet der denn mit dir!"
"Er hat Recht", wisperte Lelia. "Er ist sogar schon dreimal dran gewesen. Mach ihm die Freude!"
"Du hast ja wohl einen Vogel", sagte Laura. "Ich geh doch nicht in den Keller!"
Des Königs Miene verfinsterte sich.
"Mein liebes Kind", sagte er. "So sprichst du nicht mit deinem Vater!"
Lelia hatte es für einen Moment die Sprache verschlagen.
"Sag ihm, du hättest Angst allein im Keller!", raunte Luzi auf der anderen Seite.
"Ich trau mich nicht", jammerte Laura. "Da ist es dunkel!"
"Dafür gibt es Lichtschalter", entgegnete der König.
"Schwarzer Mann!", gab Luzi Stichwort.
"Aber da ist ein schwarzer Mann versteckt!", klagte Laura.
Der König seufzte. "Komm. Wir gucken jetzt gemeinsam, ob wir einen schwarzen Mann finden. Wenn nicht, gehst du beim nächsten Mal allein, klar?"
Was blieb Laura anderes übrig? Sie holte den Kellerschlüssel vom Schlüsselbrett, ging mit dem Vater in den Keller, schloss ihm die Tür auf, weil er ja die Hände voller Müllbeutel hatte und blieb mit dem Rücken an die Tür gelehnt stehen, während der König die Tüten in die Tonnen warf.
"Los, die Tür!", rief Luzi.
Noch ehe die nichtsahnende Lelia reagieren konnte, hatte Laura die Tür zugeschlagen, den Schlüssel zweimal im Schloss herumgedreht und war die Treppe hinaufgelaufen auf die Straße. Sie hüpfte fröhlich die Bordsteinkante entlang.
Das linke Ohr hielt sie sich zu, während sie in der rechten Hand den Schlüssel schwenkte.
"Gulli!", schrie Luzi.
Da ließ Laura den Schlüssel in den Gulli an der Straßenkreuzung fallen. Durch die Eisenstangen des Gullis konnte man ihn unten liegen sehen.
"Wie willst du den wieder rausfischen?", jammerte Lelia.
Aber Laura war jetzt am Schlosspark angekommen, wo der Königliche Bauspielplatz war. Keiner war in der Nähe. Laura kletterte die Leiter zu einem der Baumhäuser hoch. Das Haus war um den Baumstamm herum gebaut und zu der einen Seite mit einem richtigen Dach versehen. In dem Baumhaus war eine Zigarrenkiste, in der Schätze versteckt waren. Laura öffnete sie vorsichtig. Da waren Kerzenstummel, Streichhölzer, ein Stück Wäscheleine, Malsteine, ein rostiges Küchenmesser und sogar ein kleiner Taschenspiegel. Eben hatten Lauras Finger den Spiegel ertastet, als sie ein Räuspern hinter sich vernahm. Sie fuhr herum.
In der dämmrigen Ecke des Baumhauses hatte ein Bündel gehockt. Es war eine kleine zerlumpte Frau mit einem karierten Kopftuch.
"Wow, eine Hexe!", schrie Luzi begeistert.
Aber Lelia jammerte: "Laura, pass auf!"
Die Frau hatte sich aus ihrer Kauerstellung erhoben und sah Laura verärgert an. "Was hast du da?", fragte sie heiser.
Laura folgte ihrem Blick und merkte jetzt erst, dass sie in der Hand den kleinen Spiegel hielt.
In der Kehle hatte sie einen Knoten und so hielt sie ihn der Alten nur stumm hin.
"Ah", krächzte die alte Hexe, "ein Spiegel für das Prinzesschen!"
Sie streckte ihre runzlige Hand aus: "Gib her!"
Die Hexe hielt sich den Spiegel vor das Gesicht. Sie spuckte auf die Hand und strich sich mit der feuchten Handinnenfläche eine verrutschte Haarsträhne unter das Kopftuch. Dann hielt sie Laura den Spiegel vor und lachte. "Guck rein, mein Vögelchen, guck! Was siehst du?"
Laura sah in den Spiegel und erschrak. Sie sah einen kleinen Spatzen, der sie aufmerksam musterte, sonst nichts.
"Einen Vogel", stammelte sie.
Die Alte kicherte. "Ist das nicht lustig? Ein Vögelchen! - Was meinst du, warum du einen Vogel siehst?"
Lelia wisperte: "Oh je, das kommt davon!"
Laura war es innerlich ganz heiß geworden.
"Ich hab mich mit meinem Vater gezankt", sagte sie leise. "Ich hab ihm gesagt, er hätte einen Vogel."
Wieder kicherte die Hexe. "Wie Recht du hattest, Prinzesschen! Er hat ja nur dich! Sein Vögelchen!" Sie gackerte beinahe.
"Oh je", jammerte Lelia.
"Cool", juchzte Luzi, "du kannst jetzt fliegen!"
"Und?", fragte die Alte weiter, "hat dein Vater dir den Hintern versohlt?"
Die Vorstellung schien sie besonders spaßig zu finden.
"Nein ... äh ..." Laura zögerte.
"Na, was ist passiert?", krächzte die Alte und Laura spürte, dass sie es genau wusste.
"Die will dich nur ärgern, die alte Schachtel", ereiferte sich Luzi.
"Wie willst du das nur wieder in Ordnung bringen?", klagte Lelia.
"Na?", die Hexe hielt den Spiegel drohend an Lauras Gesicht.
Laura wich zurück und flatterte. Sie merkte zu ihrem Erstaunen, dass sie tatsächlich fliegen konnte.
Die Hexe lachte gellend und Laura flog verschreckt aus dem Baumhaus. Das Lachen verfolgte sie bis zur Straße.
Nachdem sie mit ein paar flatternden Flügelschlägen ihren Schwindel überwunden hatte, ließ sie sich mit größeren Bewegungen durch die Luft gleiten. Sie flog bis an die Straßenecke und setzte sich auf den Bordstein. Der Gulli lag vor ihr. Wenn sie das Köpfchen schief legte, konnte sie den Schlüssel unten blinken sehen.
"Los, flieg!", juchzte Luzi. "Du kannst jetzt überall hin!"
"Halt's Maul!", sagte Laura böse.
Laura zwängte sich durch die Gullistäbe. Sie hatte Mühe, den Schlüssel mit ihrem kleinen Schnabel zu packen zu kriegen. Ein paar Mal rutschte er ihr weg, als sie gerade hoch flattern wollte, doch dann schaffte sie es endlich, ihn durch die Stäbe zu schubsen und sich selbst hinterher zu zwängen.
Atemlos hockte sie sich auf die Bordsteinkante und begann sich das zerzauste Gefieder zu putzen. Ihr Blick fiel auf eine kleine Pfütze, die sich vor dem Gulli angesammelt hatte. Zu ihrem Erstaunen sah sie in dem Spiegelbild sich selbst, Prinzessin Laura, die sich ihren Mund am Ärmel abzuwischen schien. Laura erstarrte. Sie tastete mit den Händen ihren Körper ab.
"Du bist wieder ein Mensch!", jubelte Lelia.
Luzi sagte nichts. Aber Laura spürte, wie er ihr verärgert ins Ohr kniff. Laura schnappte sich den Schlüssel und lief zum Königlichen Schloss. Im Keller steckte sie ihn ins Schloss und drehte ihn herum.
Der kleine König Magnus lehnte mit verschränkten Armen nachdenklich an der Wand. Er blickte überrascht auf.
"Papa, entschuldige bitte!", rief Laura und fiel ihm um den Hals. "Es tut mir Leid, dass ich so gemein war!"
Der König fasste sie an den Schultern und hielt sie so vor sich, dass er ihr in die Augen schauen konnte.
"Laura, mein Prinzesschen", sagte er rau, "ich glaube, ich bin auch nicht immer ganz nett zu dir. Vielleicht brauchen Menschen in deinem Alter doch ein bisschen mehr Papa."
Lelia und Luzi hatte es ausnahmsweise mal gleichzeitig die Sprache verschlagen. Laura schmiegte sich an ihren Vater. Er war so groß, dass sie ihr Gesicht unter seiner Achsel verstecken konnte.
Der König schnupperte.
"Sag mal, du riechst ja, als hätten sie dich aus dem Gulli gezogen!", sagte er. "Höchste Zeit, dass ich dir mal wieder den Kopf wasche!"
Und das war ja wohl auch höchste Zeit.


Eingereicht am 23. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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