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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Albträume
©Anke Meng
Heute Nacht habe ich wieder mal von ihm geträumt …
Es war die übliche Szene … eine lange Straße, einsame Stille und das leise Klappern meiner Absätze auf dem Asphalt. Alles ist dunkel, grau, Nebel zieht auf … Ich fühle mich ängstlich, weil ich niemanden sehe, trotzdem ich ein ungleichmäßiges Echo meiner Schritte höre. Da muss doch jemand sein?! Immer wieder schaue ich mich nervös um, sehe natürlich niemanden, und laufe automatisch schneller. Als es mir bewusst wird, zwinge ich mich langsamer auszuschreiten. Ich lasse mir doch keine Angst einjagen! Wieder höre
ich diese Schritte, doch jetzt sind sie schneller als meine eigenen und ehe ich richtig reagieren kann ist er dicht hinter mir und für mich ist alles zu spät.
Schreiend erwache ich … wieder mal … und versuche diese Erinnerungen abzuschütteln. Ich probiere, ob ich mich in dem Bett etwas bequemer hinlegen kann. Es ist ein ungemütliches Bett. Eben nicht mein eigenes! Manchmal denke ich, ich sollte meine Vergangenheit verarbeiten. Aber wozu? Eigentlich will ich es ja vergessen. Lieber stehe ich jetzt noch einmal auf, gehe ans Waschbecken und nehme mir einen Becher Wasser. Ein Glas habe ich nicht bekommen, ich könnte mir ja damit etwas antun. Schade eigentlich … Während
ich in kleinen Schlucken das kostbare Nass trinke, streift mein Blick den alten Spiegel, der in der Wand befestigt ist.
Was ich dabei sehe erschreckt mich. Ein blasses Gesicht, strähnige Haare, die mir verschwitzt in die Stirn fallen, glanzlose Augen starren mich an. Aber am schlimmsten ist der Blick … Es ist, als würde mich ein Zombie anschauen, reglos, starr und wie ausgestorben. Ohne jede Hoffnung und uralt. Es heißt ja, in den Augen könnte man die Seele eines Menschen sehen. Dann habe ich also keine …
Kurz weicht dieser dumpfe Ausdruck aus meinem Blick und ich denke, nur für einen kleinen Moment, darüber nach, wer ich wirklich bin und was aus mir geworden ist. Wie eine 19-Jährige sehe ich wirklich nicht mehr aus. Ich war doch vor diesem Geschehen immer eine "süße Maus", wie mich alle immer genannt haben? Und dann … Nichts war mehr wie vorher … ich war nicht mehr wie vorher. Ich habe in meinem Leben keinen Sinn mehr gesehen, ich fühlte mich wie eine Puppe: zum Spielen war ich gut genug, aber dann
wurde ich - kaputt - im Dreck liegen gelassen. Es waren plötzlich viele Sachen in meinem Leben nicht mehr wichtig, Klamotten, Styling und Freunde (sie sind sowieso nicht da, wenn man sie braucht), ich vernachlässigte alles und am meisten mich selber.
Eigentlich müsste ich mich nun schämen, aber es ist ja nicht meine Schuld. Er hat mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Bin ich deshalb seine Schöpfung? Sicher nicht! Am liebsten würde ich jetzt irgendwohin gehen, mich ablenken. Doch ich bin ja eingesperrt.
Wer weiß, wie lange ich noch hier bleiben muss, wann man mich endlich frei lässt. Ich denke an meinen Traum und weiß, ich will nicht immer Angst haben. Aber manche Sachen kann man nicht ändern. Ich fange an vor mich hinzukichern. Irgendwie ist es doch auch zum Lachen. Natürlich kann man manche Sachen nicht ändern, aber viele Sachen kann man beeinflussen …
Dass er mich damals vergewaltigt hat, das konnte ich nicht ändern! Dass ich nicht wusste, wer er war, das konnte ich ändern! Auch den Gerichtstermin morgen früh, konnte ich nicht beeinflussen, aber ich habe die Zukunft vieler Frauen und Mädchen verändert, indem ich diesen Mann, nachdem er zu 2 Jahren auf Bewährung verurteilt worden war, erschossen habe.
Es ist 22.00 Uhr und in meinem Gefängnistrakt werden die Lichter gelöscht. Leise kommt von allen möglichen Richtungen: "Viel Glück morgen früh", "Schlaf gut", "Träume schön und denk nicht dran!" Das hier drin soll der Abschaum sein? Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen. Morgen wird ein anstrengender Tag, der über meine Zukunft entscheiden wird. Und während ich langsam in das Land der Träume hinüber gleite, ignoriere ich mit aller Gewalt einen Gedanken, der mir in letzter
Zeit immer öfter durch den Kopf schießt. Doch kurz bevor ich einschlafe ist der Gedanke wieder da:
Was wäre wohl passiert, wenn ich das Geld für das Taxi nicht schon in der Disco ausgegeben und deshalb nicht hätte laufen müssen?
Eingereicht am 23. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
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