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028. Knupfer

©Thomas Schaffer

Knupfer. Ein ölkannentragender Leptosom. Schusterbrüstig. Wertvoll, weil kaum noch zu finden. Einfach übriggeblieben. Finden wir später im Wie-es-früher-war-Museum. Muss mehrmals täglich zum Chef. Tabulke. Pyknischer Brennstoffhändler ohne Vornamen. Nach Heizöl riechendes Büro. Eintritt frei.
Glühender Kanonenofen an seiner Leistungsgrenze. Hölzerner Karteikasten. In Wirklichkeit Kasteikasten. Das schwarze Telefon mit Wählscheibe und dem unvergessenen Geräusch bei deren Benutzung. Fördert die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Elektrostatisch geohrfeigt, da plastikbesohlt, bedankt sich Knupfer untertänigst für jede Vorladung. Nach vorne gebeugt innehaltend, auf dem als Teppichstreifen getarnten Diskretionsbalken. Tabulke mag das! So schmeckt der angekaute, permanent eingeführte Preiswertstumpen. Ja und Knupfer erfährt Dankbarkeit. Er muss nicht zum Alten. Nein, er darf und braucht es. Nach 38 Jahren steinerner Treue zum Kohlehandel erlischt die Hoffnung auf mögliche - wenn auch nur vorübergehende - Stellvertretung noch immer nicht. Zeitgleich plagt ihn die Angst vor Fehlentscheidungen. Es ist schon gut so! Wie es ist! Schließlich verkörpert Tabulke die Maskulinglucke schlechthin. Ungewollt? Immer ein Glas Wasser und ein, zwei Scheiben Kommissbrot für das Personal. Fünfminütiges Aufwärmen am Kanonenofen optional. Knupfer ist sich dessen nicht bewusst. Er spürt stets ein tiefes Gefühl der inneren Zufriedenheit, gilt es doch, die Kohlen im kalten, zugigen, aber immerhin überdachten Lager, nach unzähligen Entstaubungsexzessen immer wieder zu wenden und zu zählen.
Knupfer meinte es gut mit Tabulke und säuberte in einer nicht kontrollierbaren, devoten Anwandlung dessen schwarzen Opel Admiral mit einer Drahtbürste. Das Gefühl es richtig gut und gründlich zu machen überlagerte den Gedanken eventuell etwas Falsches zu tun. Tabulke kam, sah und sackte ein. 30 (!) Minuten war der Wolfsegger Verantwortliche für Stubengemütlichkeit zu Winterzeiten zigarrenfrei und zu 100% arretiert. Für die Öffentlichkeit sichtbar. In dieser halben Stunde machte er seinen mentalen Fahrtenschwimmer und Knupfer in die Hose. Tat es doch so gut. Echte Trauerarbeit. Ohnmächtig und chefbehütet. Tabulke blieb chancenlos, diesen Vorgang - wie auch immer - zu ignorieren. Die Gedanken an seinen, bis zur Neige ruinierten Rüsselsheimer verdrängte Tabulkes dringlichsten Wunsch nach einem eigenen Klo. Nie mehr an der Türklinke beginnender Ekel, welcher dort aber nie enden, sondern das zweite Frühstück ausfallen ließe und im Laufe des Tagesgeschäfts versanden würde.
Tabulke dachte weiter. Die Drahtbürste fand Platz in gläsernem Schaukasten in seinem spartanic-bohnerwaxed-Office. Er würde sich von nun an Knupfer's Zwangsneurotik für seinen Betrieb gnadenlos zu Nutze machen und ihn bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag moralisch in die Pflicht nehmen. Wer sonst - außer Knupfer - lebt im Dachzimmer eines Fachwerkhauses zusammen mit seinem Tauchsieder, stellt Ölkannen in Reih' und Glied, fegt das Lager, redet mit dem betriebseigenem Besen, entstaubt die Kohlen, poliert Telefonhörer und die Glasscheiben von Feuermeldern? Wer sonst faltet leere Kohlesäcke in DIN-Maß, hört der 400-Euro-Bürohilfe (eine alabasterhäutige, sich allzu oft überdurchschnittlich lange im Brikettlager aufhaltende Rubenskraft in den 40-ern, die üppigen, denkbar geeigneten Rundungen rußgeschwärzt von Fahrerhand) beim Schindludern zu, um ohne zeitlichen Verzug detailgetreu zu berichten? Wer sonst entführt schwere, schwarze Locher, um den gestanzten Papierchen nach rührenden Zukunftswünschen die Freiheit zu schenken?
Irgendwie erinnerte Knupfer Tabulke an Kanupke. Kanupke, der Prä-Knupfer.
Dem Mauerwerk und Türmen der Wolfsegger Altstadt moralisch verpflichtet.
Keinesfalls im Dienste der Wissenschaft. Nein, er war ein Hannes des Bürgermeisters. Nicht zuletzt zuständig für den Unterhalt der öffentlichen Bedürfnisanstalt, der Pisseria. Er erduldete, die für ihn als unerträglich empfundene Benutzung der Anlagen durch Dritte, stellte nach jedem Aufenthalt Harngeplagter unverzüglich die Vollzähligkeit der doch so bunt glitzernden, den Urinstein verhindernden, Hygienebonbons fest, nahm diese jedoch niemals nach getaner Arbeit mit nach Hause. Nicht einmal an seinem 50.! Er war einfach so ehrlich, dass er sich selbst misstraute. Eines Tages verschwand Kanupke aus dem Stadtbild. Er sprengte die gesellschaftlich allgemein gültige Toleranzgrenze. An einem trockenen Dienstag um 03.20 erhielt Kanupke zunächst ungewollte technische Unterstützung. Die zusätzliche Ausleuchtung des Tatortes durch einen Streifenwagen. Kanupke wurde aufgegriffen, als er versuchte, auf allen Vieren - grubenbelampt - einzelne Zebrastreifen mit einem stadteigenen Dienstspachtel abzutragen, um diese bei sich zu Hause aufzunehmen und für sie zu sorgen, nachdem Kanupkes Adoptionsgesuch durch die Stadtverwaltung nicht stattgegeben, er jedoch unverzüglich freigestellt wurde. Mildernde Umstände waren nicht durchzusetzen, da der Öffentlichkeit Kanupkes Straßenmarkierungshörigkeit nicht verborgen blieb.
Dermaßen angestelltengeschwächt, verübelte es Tabulke sicherlich niemand, ungestraft in den einen oder anderen Fördertopf zu greifen. In absehbarer Zeit würde er der Verlockung nachgeben, beim Bürgermeister um einen knupferschen Zuschuss nachzufragen. Mal eben den Admiral polieren. Dazu eine Kiste "Deutsche Jagd" mit anschließender Doppelkinnpflege im Klosterkeller.
Schlachtplatte oder so. Hier ließe man grobschlächtigen Essmanieren freien Lauf. Den Platz zur Rittertafel im Endstadium verkommen lassen. Kleckern.
Fettflecke. Rotweinspritzer. Brandlöcher. Nichts würde geordnet, aber auch gar nichts gestapelt oder etwa poliert sein! Unordnung! Chaos! Weit ab vom Leidensdruck auf dem Arbeitgeberhochsitz! Knupferfrei! Das hat doch was!


Eingereicht am 21. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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