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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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©Irene Komoßa-Scharenberg

Der Vollmond tauchte unser Liebesspiel in silbrig-glänzendes Licht, ließ die Silhouette unserer Körper geradezu mystisch erscheinen. Sanft strich Martins Atem über meinen Bauch und wanderte tiefer, immer tiefer. Wie ein Klavierspieler fuhren seine Finger über meine nackte Haut, zauberten immer neue, wunderbare Schwingungen hervor. Jede Faser meines erregten Körpers vibrierte ihrer Berührung entgegen. Zärtlich und fordernd zugleich liebkosten mich volle, weiche Lippen. Liebkosten mich an der Stelle, an der ich sie am meisten ersehnte. Ich fühlte mich auf wunderbare Weise ausgeliefert. Ausgeliefert der rhythmischen Bewegung einer kreisenden Zunge in gleißendem Mondlicht. Ergeben schloss ich die Augen, genoss unendliche, unkontrollierbare Lust, hart an der Schmerzgrenze. Plötzlich explodierte der Mond. Ich wurde eins mit ihm, alle Sterne mit mir. Die Wucht der Gefühle übermannte mich wie eine Woge, kraftvoll mitreißend und sanft tragend zugleich. Zu gerne hätte ich den glückseligen Taumel erhalten, diesen Moment grenzenloser Nähe. Aber ich wusste nur zu gut um seine Vergänglichkeit. Auch wenn uns jetzt noch ein unsichtbares Band umschlang. Der Augenblick würde sich unweigerlich verflüchtigen, noch ehe wir uns voneinander gelöst hatten. Aufgewühlt presste ich mich an Martins Brust, um den letzten Hauch wohliger Wärme zu genießen. Als er seufzte, fiel die Wärme von mir ab, als hätte ich einen unsichtbaren Mantel abgestreift. Gleich wird er aufstehen, dachte ich, mir einen entschuldigenden Blick zuwerfen. Ich merkte es an der Art, wie er aufstöhnte. Kaum einen Atemzug später rollte er sich auf die Seite und gab den Blick auf das Fenster frei. Dunkle Wolken verhüllten nun den Mond. So nah wie möglich rückte ich an Martin heran, doch ich spürte keine Verbundenheit mehr, nicht einmal eine Ahnung davon.
"Du denkst schon an morgen", flüsterte ich, als das Schweigen unerträglich wurde.
"Ich muss noch arbeiten", erwiderte er eine Spur zu hastig, "unser Treffen war nicht eingeplant."
"Dafür aber schön", hauchte ich, wie um Entschuldigung bittend.
Nervös fuhr er durch seine schwarze Haarpracht und fixierte einen imaginären Punkt an der Decke. Ich hätte ihm gerne in die Augen geblickt, wollte meine Lage aber nicht verändern. Jede Bewegung konnte mich nur weiter von ihm entfernen. Plötzlich richtete er sich auf und fischte eine Zigarette vom Nachttisch. Die Geste berührte mich beinahe schmerzlich. Wie der Abzug eines Revolvers klickte das Feuerzeug, das ich ihm zum Jahrestag geschenkt hatte. Kleine, gelbe Flammen flackerten auf, erloschen noch schneller als Hoffnung.
"Du hast doch nichts dagegen?", fragte er mit rauer, fremder Stimme.
"Nein, mich stören ganz andere Dinge."
"Bitte nicht wieder eine dieser leidigen Diskussionen", stöhnte er. "Nicht heute. Ich habe jetzt andere Dinge im Kopf."
"Verstehe", presste ich hervor. "Das ist ja wohl meine Rolle in unserem Spiel. Aber warum bist du überhaupt gekommen?"
"Ich wollte dich nicht enttäuschen."
"Dabei enttäuschst du mich pausenlos."
"Soo!"
"Hast ja Recht", flüsterte ich traurig. "Ich wusste, worauf ich mich einließ, zumindest glaubte ich das."
"Am Anfang fandest du unser Geheimnis ganz reizvoll."
"Der Reiz ist schnell verflogen. Jetzt fühle ich mich nur noch wie ein Schiff ohne Hafen."
"Selbst dieses Bild ist unfair", entgegnete er erregt.
Dabei konnte ich doch nichts dafür. Hinterrücks hatte sich die Hoffnung eingeschlichen, ungewollt, unerbittlich, dennoch berauschend.
"Ich habe dir nie Hoffnung auf Gemeinsamkeit gemacht", fuhr er fort, als hätte er meine Gedanken erraten.
"Nein, leider nein."
"Sei vernünftig", bat er zwischen zwei gierigen Zügen an seiner Zigarette.
Stoßweise quoll der Rauch aus seinem leicht geöffneten Mund. Einem Mund, der sonst so verführerisch auf mich wirkte. Doch nun wäre ich am liebsten aufgesprungen, nackt in die Nacht hinausgelaufen, um Enttäuschung und Schmerz gegen die Häuserzeilen zu schreien.
"Morgen sehen wir uns doch wieder", versuchte er mich zu trösten wie ein trauriges Kind.
"Aber dann sind wir nicht alleine", erwiderte ich trotzig.
Ich sehnte mich nach einer Nacht, auf der ein Morgen folgte, nach Zeit, die nicht gestohlen wirkte, nach Zärtlichkeit, die wir zeigen durften. Sein Seufzen holte mich in die Wirklichkeit zurück. Verzweifelt schlang ich meine Arme um ihn, doch er löste sich hastig. Während er sich anzog, drehte er mir den Rücken zu, so als hätte ich ihn zuvor nicht an intimster Stelle berührt. Sein dunkler Anzug erschien mir wie ein Schutzpanzer. Beim Abschied lächelte er verkrampft. Seine Augen lächelten nicht mit.
"Bis morgen", sagte er und berührte flüchtig mein Haar.
Der Tonfall klang eine Spur zu distanziert. Eilig schlich er hinaus. Ich sah ihm nach. Sein aufrechter Gang, der erhobene Kopf, vielleicht auch seine korrekte Kleidung, alles an ihm forderte nun Respekt. Doch den konnte ich ihm nicht entgegenbringen. Nicht in diesem Moment, in dem Verzweiflung mich übermannte, verdrängte Wut in mir hochstieg, sich mit dumpfer Trauer vereinigte. Als ich mich traurig an mein Kissen schmiegte, atmete ich einen letzten Hauch seines After Shaves ein. Wie eine unsichtbare Wolke schwebte der Duft über weißem Damast. Ein Abschiedsgeschenk, herb und leicht flüchtig.
Prüfend drehte ich mich vor dem Spiegel, begutachtete das perfekte Make-up, das wellige Haar, das Kostüm, das meine schlanke Figur betonte. Ein letzter kritischer Blick, dann lief ich die wenigen Schritte zur Kirche. Eine beachtliche Anzahl von Menschen saß schon auf den alten Holzbänken. Nachdem ich mich bekreuzigt hatte, nahm ich in einer der hinteren Reihen Platz. Mechanisch murmelte ich die richtigen Worte an den richtigen Stellen, ansonsten rauschte der Gottesdienst an mir vorbei wie ein Schnellzug an einen kleinen Provinzbahnhof. Plötzlich wurde es still. Ich wachte aus meiner Lethargie auf, nahm nebelhaft wahr, dass der Priester die Kanzel bestieg. Respektvoll erhoben sich alle Köpfe.
"Liebe Gemeinde", begann er mit der Predigt "selbst die Versuchung kommt von Gott, verkörpert Gottes Großmut und der Menschen Freiheit. Wir müssen, nein ... wir dürfen entscheiden, täglich neu und immer wieder. Auch jetzt und hier."
Die Gemeinde hing an seinen Lippen, weniger wegen seiner Worte als wegen seiner Ausstrahlung, wissend und dennoch verständnisvoll. Er drang durch ihr Äußeres hindurch, bahnte sich den Weg in ihre Köpfe, mehr noch in ihre Herzen. Rührte sie an, wie es noch kein Pfarrer vorher vermocht hatte. Auch ich sah nun zu ihm auf. Für einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke, dann schaute er weg, ließ mich in aufkommender Verzweiflung allein. Der Augenblick genügte. Ruckartig zerriss der vernebelnde Schleier um unsere Beziehung, gab frei, was ich wieder und wieder zu verdrängen versucht hatte. Unsere Beziehung bestand aus gestohlenen Nächten. Martin würde sich niemals zu mir bekennen. Doch in einem Punkt hatte er zweifellos Recht: Wir müssen uns entscheiden. Täglich neu. Auch hier und jetzt. Entschlossen schlich ich hinaus, noch ehe er seine Predigt beendet hatte.


Eingereicht am 20. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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