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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Dad's Schlüsselanhänger

©Evelyn Safian

Vorsichtig öffnete ich meine verquollenen Augen. Ich war im Suff vom Bett gefallen. Als ich mich aufsetzen wollte, drehte sich das Zimmer. Meine Zunge war aus Leder, mein Kopf eine Wassermelone, über deren Fruchtfleisch sich eine Schar gieriger Termiten hermachte. Übelkeit stieg in meiner Kehle auf.
Mein Magen krampfte sich zusammen, ich wollte kotzen, konnte leider nicht.
Die Stiche im Kopf versuchte ich mit dem Rest Bacardi zu betäuben, den ich neben meinem Bett fand. Doch mir wurde noch schlechter. Und die Flasche war rasch leer. Ich ließ sie auf den Boden gleiten, sie rollte zu den anderen Flaschen, die auf dem Boden zerstreut lagen, kraftlos wie ich.
Ich hangelte mich zum Fenster. Der Hinterhof war öd und leer. Kein Windhauch regte das Laub der unter der Sommerhitze ächzenden Buche. Keine Stimmen waren zu hören. Es war der Morgen meines 21. Geburtstages. Ein Tag, wie die Tage, Wochen und Monate zuvor. Ein fahler Sonnenstrahl des Morgenlichts streifte das Rückteil von Mikes Ducati, die unter dem Wellblechdach am Rande des Hinterhofs geparkt war. Es war dasselbe Morgenlicht gegen das mein Daddy gerast war, bevor er starb.
Er war gerade mal 45 Jahre alt geworden. Der um 15 Jahre jüngere Mike, sein bester Freund, Motorradkumpel und Bassist in seiner Jazzband, hatte ihn tot am Unfallort gefunden. Nur er wusste, wie mein Dad gestorben war.
Ich habe ihn gemocht, früher, doch nun hasse ich ihn. Er hat Dad zum Rasen angestiftet, dieser Scheißkerl und jetzt hat er sich auch noch Mama geschnappt. Er nennt sich ihr Lebensgefährte. Pah. Er will, dass ich ihn Papa nenne. Dass ich nicht lache. All dies ging mir durch den Kopf, als ich aus dem Fenster starrte.
Schweißgebadet ließ ich mich in mein Bett sinken. Ich wollte mit Mikes Motorrad auf der Strecke entlangbrettern, auf der mein Dad umgekommen war.
Ich wollte den Tod in Kauf nehmen. Würde ich sterben, war es gut, würde ich überleben, sollte es nicht sein.
Meine Mutter rief nach mir. Durch die Wände hörte ich ihre schrille Stimme:
"Simona, komm endlich."
Meine zerrissene Jeans lag Lichtjahre entfernt am Bettende. Ich robbte dorthin, griff nach der Hose, raffte sie an mich, zog ich sie an. Über die Pyjamahose, in die ich heute Nacht noch geschlüpft war.
Ich kuschelte mich in die abgetragene Motorradjacke meines Dad's. Ihre Wärme und ihr Geruch würden mir durch den Tag helfen. Schuhe brauchte ich nicht.
Sobald die ersten Sonnenstrahlen nach Ende des Winters die Erde berührten, lief ich barfuss. Das härtet ab. Weichlinge kann die Welt nicht brauchen.
Auf dem Weg in die Küche schlurfte ich, einer verhutzelten Alten gleichend, mit nach vorne gekrümmtem Rücken, am Badezimmer vorbei. Dessen Tür stand offen. Mike rasierte sich. Er zog sich das Oberteil über, das er vom Badewannenrand geholt hatte. Zentimeter um Zentimeter bedeckte es seinen kräftigen Oberkörper, und unter dem straffen Hemd zeichnete sich die trainierte Brust- und Buchmuskulatur ab.
Als ich unsere Wohnküche betrat, saß meine Mutter im Hosenanzug an der Bar, die sie und Mike nach Dad's Tod samt Hocker einbauen hatten lassen - moderner Lifestyle in einer Schwabinger Altbauwohnung aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Typischerweise stand ihre Aktentasche schon in Reichweite, am Fuß ihres Barhockers. Vor ihr stand ein Panetonne vom Feinkostitaliener. Ich kletterte auf den Hocker, stütze die Knie an der Barkante ab. Ich sah den Augen meiner Mutter an, dass ihr mein Aufzug und Benehmen missfiel, doch sie hatte aufgegeben, mich deswegen zu tadeln. Sie hatte aufgehört mit mir zu streiten, und wollte an meinem Geburtstag offenbar heile Welt vorspielen.
"Herzlichen Glückwunsch." Sie lächelte. Ein wenig gequält.
"Wozu? Dass Papa genau vor einem Jahr gestorben ist?"
Meine Mutter schob mir ein Stück Kuchen auf den Teller Ihre Lippen wurden schmal. "Zu deinem Geburtstag."
Ich rührte ihn nicht an.
"Es tut mir Leid, Simona, ich muss gleich los, meine Redakteure warten auf mich", sagte meine Mutter und nahm ihre Aktentasche.
"Ja, geh du nur", sagte ich. Den Sarkasmus in meiner Stimme konnte ich kaum verbergen.
Mike kam in die Küche, ebenfalls barfuss. "Ein wunderschönes Motorradwetter ist das heute." Er küsste meine Mutter auf die Wange, flüchtig. "Du willst gehen?" Dann wandte er sich mir zu: "Hey, das Haar in Pink und ein neues Piercing - diesmal in der Augenbraue - nicht übel. Alles Gute." Er legte den Arm um meine Schulter und drückte mir einen Schmatz auf die Wange.
Ich stieß ihn zurück. Heuchler.
"Warum so stachelig?" Beleidigt schob er seine Unterlippe nach vorne.
"Simona, es ist ein Jahr her." Meine Mutter stand schon mit der Aktentasche in der Hand neben der Bar. "Ein Jahr ist genug, um zu trauern. Das Leben geht weiter." Beiläufig strich sie über mein Haar. "Kinder, ich muss weg."
"Leih mir dein Motorrad", sagte ich zu Mike.
"Den Teufel werde ich tun. Wer Bungeejumping macht, dem kann ich meine Ducati nicht überlassen. " Er tippte mit dem Zeigefinger gegen die Stirn und zog eine Augenbraue hoch.
"Bungeejumping?" Meine Mutter sah mich an, als hätte ich ihr von meinem wirklichen Vorhaben erzählt.
"Ich habe sie zufällig beim Bungeejumping gesehen", sagte Mike. "Wir müssen auf sie aufpassen, Sarah. Einmal kam ich dazu, als sie auf Gleisen lief. Auch rein durch Zufall. Ich musste sie herunterzerren. Siiieeschscht ... kam der Zug dahergerast."
Die Augen meiner Mutter verdunkelten sich. Zu mir sagte sie: "Warum machst du so etwas?" Und zu Mike: "Das sind aber viele Zufälle, bei denen du Simona begegnest." Sie sah auf die Uhr. "Es ist spät, ich muss..."
"Ja, verpiss dich, mach, dass du weg kommst", sagte ich.
"Noch einmal so ein Wort." Meine Mutter warf mir einen Blick zu, einen Blick voll Ekel und Abscheu. Dann küsste sie Mike genauso flüchtig wie er sie zuvor und ging.
Mike machte sich über den Kuchen her.
"Isst du nichts?", fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. Stattdessen zog ich eine Zigarette aus Dad's Jacke und qualmte. Ich sah Mike beim Essen zu. Er kämpfte mit einem großen Stück Panettone. Er stülpte die Oberlippe über den Kuchen, ungeschickt ließ er den Bissen in die Kaffeetasse fallen, es spritzte braun auf. Wie anders hatte mein Dad gegessen. Niemals nahm er einen Kuchen in die Hand und stets hielt er seine freie Handfläche unter die Gabel, damit kein Krümel herunterfiel.
Mein Dad war ein Gentleman mit hervorragender Kinderstube gewesen. Viele konnten ihn sich überhaupt nicht auf dem Motorrad vorstellen.
Für meine Mutter waren Männer im Grunde nur Zierde, Zierde für ein ausgefülltes Leben als Chefredakteurin des Frauenmagazins "Clara". Meinen Dad hatte sie geliebt, jedoch nicht auf romantische Art, nicht wie im Kino. Vielmehr hatte sie ihn als Berater und Freund betrachtet. Ihr Beruf war ihre wahre Leidenschaft. Mike war keine Ausnahme.
Ohne ein Wort zu sagen, stand ich auf und ging. Ich hatte genug. Mike sah mir verwundert nach. Den Rest des Tages verbrachte ich auf dem Friedhof im Gespräch mit meinem Dad und später in meiner Stammkneipe, wo ich mich mit Guinness betrank.
Als ich um neun Uhr Abends in den Hinterhof unseres Wohngebäudes hineinschwankte, erkannte ich Mikes Silhouette. Er stülpte sich den Motorradhelm über. "Hey, Mike." Mike hielt nicht inne, im Gegenteil - er schwang sich auf sein geheiligtes Motorrad. Mit Nachdruck drehte Mike den Zündschlüssel und löste den Stopper. Ich sprang vor die anrollende Maschine, ihr Motor heulte auf, ich hielt sie an ihren Lenkern fest, stemmte mich gegen ihr Davonfahren. "Lass mich fahren!", verlangte ich.
"Du kannst dich nicht einmal auf den Beinen halten, Simona." Er lachte. Das Laub der alten Buche am Rande des Hofes raschelte blechern. Als wolle es Mikes spöttisches Lachen nachmachen. Er preschte davon.
Nachts wachte ich auf. Durst schnürte mir die Kehle zu. Verdammter Alkohol.
Schweiß rann meine Stirn und meinen Hals herab. In der Küche trank ich einen Schluck Leitungswasser. Mikes Schlafmurmeln drang vom Wohnzimmer herüber.
Das Mondlicht leitete mich dorthin. Überdeutlich hörte ich das Ticken der Uhr über der Tür, das Klacken in der Heizung. Mike lag in Jeans und T-Shirt auf dem Sofa, sein rechter Arm hing schlaff herab. Er begann zu schnarchen.
Sein Schnarchen durchsägte die Nacht, er stank nach Alkohol, so sehr, dass sogar ich es riechen konnte. Kaltes Mondlicht beleuchte sein Gesicht. Ich trat an ihn heran. Er war bleich und die wenigen Falten die er hatte, waren zu Furchen geworden - zu Kratern in einer Mondlandschaft. Er hielt einen Gegenstand in seiner geballten Hand. Ich beugte mich tiefer und sah, dass es der Schlüsselbund mit dem Motorradschlüssel war. Den Schlüsselanhänger kannte ich, doch mir fiel zunächst nicht ein, woher. Ich beugte mich noch tiefer, griff danach. Mike knurrte wie ein Hund, ich schrak zurück. Eines Tages würde ich Mike den Schlüsselbund entreißen, und sei es, um den Schlüsselanhänger zu bekommen, der mir so merkwürdig vertraut erschien. Auf einmal war ich sicher, dass er Daddy gehört hatte.
Mike träumte unruhig. Haltlos riss er seinen Kopf hin und her. "Sven", schrie er gellend den Namen meines Dad's. "Fahr nicht!"
Ich brauchte mehrere Tage, bis ich einsah, dass ich mich in Mike geirrt hatte. Wie hatte ich ihn falsch einschätzen können? Wie hatte ich denken können, dass er nicht trauerte? Wie hatte ich ihn hassen können?
Ich begann Mike nachzustellen. Ich beobachtete ihn im Bad, beim Anziehen, beim Frühstücken, beim Verlassen des Hauses. Ich suchte jeden Winkel seines Gesichts nach Trauer ab, nach Schmerz. Suchte Halt, suchte Trost. Zum ersten Mal in meinem Leben suchte ich Nähe zu einem anderen Menschen, der nicht mein Dad war. Doch Mike trug seine fröhliche Maske. Nur im Schlaf zeigte er die offene Wunde seiner Seele.
Ich schrie innerlich. Ich würde es nicht mehr lange aushalten.
Als ich an jenem Abend, eine Woche nach meinem Geburtstag, in den Hinterhof einbog, versuchte ich ein weiteres Mal mein Glück. Die Fenster der Wohnungen blickten kalt und leer auf mich herab. Wind, der Regen ankündigte, durchwirbelte mein Haar. Zum ersten Mal seit Monaten war ich nicht betrunken. Ich hatte nicht getrunken an jenem Abend, und wie durch ein Wunder rebellierte mein Körper nicht dagegen.
Wieder war Mike dabei, seinen Helm überzustülpen. Ich versperrte ihm den Weg und forderte seinen Zündschlüssel. Zu meiner Überraschung zog er ihn aus seiner Motorradjackentasche. Er ließ ihn grinsend vor meiner Nase baumeln, wie ein Hund nach dem Knochen schnappte ich danach, doch Mike war schneller.
Wir rangen uns gegenseitig zu Boden, wälzten uns im Dreck, Besessenheit flammte auf, unsere Körper stießen zusammen, wir atmeten die Luft des anderen ein, spürten die in unseren Schläfen pochenden Presslufthammerschläge des anderen, verschmolzen für einen flüchtigen Augenblick miteinander, jeder wusste, was der andere fühlte. Aneinander geschmiegt hoben wir gemeinsam die Augen: Eine Seite der Buche glänzte silbern im Mondlicht.
Wir schnellten auseinander. Schwer schnaufend klopften wir Steinchen, feuchte Erde und den Geruch des anderen von unseren Kleidern. Es hatte zu regnen begonnnen. Wie gescholtene Kinder nach einem Streich blickten wir auf den nackten Betonboden. "Lass uns unter das Wellblechdach gehen", schlug Mike vor. Gegenüber seiner Ducati kauerte ich mich auf eine umgedrehte Obstkiste. Mike lehnte sich mir gegenüber an sein Motorrad.
Ich umklammerte meine Beine, wippte leicht hin und her, nur zögernd trat eine beruhigende Wirkung ein. "Woher hast du den Schlüsselanhänger? Er kommt mir bekannt vor." Ich merkte, wie lange ich nicht mehr gesprochen hatte.
Meine Stimme schien aus der Tiefe des Universums zu kommen.
Mikes Gesichtsausdruck veränderte sich. Sein Blick glitt in die Ferne. "Der Schlüsselanhänger ist das einzige Andenken an deinen Vater." Er wog den Anhänger in seiner Hand und zeigte ihn mir. Er hatte die Form einer Hand, auf der Fische als frühchristliches Symbol für Christus eingearbeitet waren.
In der obersten Hälfte waren zwei hebräische Buchstaben. Dad hatte viele Sprachen beherrscht: Unter den gängigen, wie Englisch, Spanisch, Französisch, Latein und Griechisch, auch Sanskrit und Hebräisch. Er hatte sich mit Religionen und vor allem dem Judentum beschäftigt.
"Was heißt das?", fragte ich Mike und deutete auf das geheimnisvolle Wort.
"Sven hat er mir einmal erzählt." Er stockte. Seine Beine gaben nach, er rutschte tiefer. Mike kauerte vor mir. "Es heißt Leben, hat er gesagt." "Leben", wiederholte ich. "Er wollte immer leben." Mike lächelte schwach, wurde rasch wieder ernst. Seine Augen erinnerten mich an die einer Schildkröte, die auf ihren Panzer gefallen ist. "Ich habe den Schlüssel aus dem Wrack des Motorrads gezogen. Die Maschine war völlig zerstört. Doch der Anhänger war unversehrt." Er hielt den Schlüsselbund auf Höhe meines Kopfes. Triumph spiegelte sich in seinen Augen. Dann steckte er ihn wieder ein. Mike griff nach einem Zweig vom Oleanderstrauch, der aus der Biomülltonne gefallen war. Mit verzweifelter Miene verbog er ihn, doch dieser war noch zu frisch, um ihn in zwei zu brechen. Wütend warf Mike den Zweig hinter sich. "Scheiße", sagte er.
Die Stummheit in meinem Körper wich allmählich einer drängenden Neugier. "Du hast ihn vom Rasen abhalten wollen, stimmt' s?"
"Woher weißt du das?"
"Ich habe dich nachts schreien gehört. Was ist damals passiert, Mike?" Ich bemühte mich, ruhig und behutsam zu sprechen, nun war er es, der Trost brauchte.
Mikes Antlitz wurde zu einer süßlich-schmerzhaften Grimasse. Er begann zu erzählen, hastig, als wolle er das Gesagte so schnell wie möglich loswerden. "Wir waren in Berlin auf Motorradtour. Dein Vater machte diesen dummen Vorschlag mit dem Wettrennen. Er wollte auf der Avus fahren, du weißt, auf dieser ehemaligen Rennstrecke. Da ist eigentlich nur hundert erlaubt, doch wenn man sich nicht erwischen lässt -" Mike hob die Schulter, drehte die Handinnenfläche nach oben und fuhr fort: "Es war nachts und wenig los. Sven sagte: ‚Lass uns kleine Jungs sein.' Es passte überhaupt nicht zu ihm. Ich wollte ihn davon abhalten, doch Sven wurde immer schärfer darauf." Er machte eine Pause, seine Augen hasteten, suchten meinen Blick. "Bei 200 stieg ich aus. - Scheiße Simona, ich kann nicht mehr weiter sprechen. Es geht nicht. Bitte zwinge mich nicht, es zu erzählen."
"Was ist geschehen, Mike?", fragte ich mit Nachdruck.
Er senkte seine Augen. Er flüsterte. Ich verstand ihn kaum. "Er knallte gegen die Leitplanke, sein Körper wurde auf die andere Seite geschleudert. Als ich zu ihm kam, atmete er noch." Wieder suchte Mike meinen Blick. "Er sah mich an, eigentlich blickten seine Augen durch mich. Dann schloss er sie für immer."
Ich zog Mikes Kopf an meinen Busen.
Er sprach weiter: "Ich sehe ihn noch vor mir liegen, er sah so unversehrt aus. Er wurde zwar weit geschleudert, doch er hatte nur wenige Schrammen, aber sein Genick war gebrochen. Es ist unbegreiflich: Keine Verletzungen zu sehen, doch er war tot. Tot. Tot - verstehst du?" Die letzten Worte schrie Mike. Dann murmelte er: "Weißt du, was das bedeutet, Simona, dieses Bild in mir zu tragen? Ich kann mit niemandem darüber sprechen. Denn alle halten mich für einen Spaßvogel, der so etwas leicht überwindet."
"Warum machte er das?", fragte ich.
Mike sagte: "Vielleicht wollte er einfach wieder klein sein. Er sehnte sich nach Liebe wie ein Kind. Er wollte nach Hause kommen und zu deiner Mutter sagen: ‚Ich habe das Rennen gewonnnen. Liebe mich.' Er hoffte, sie würde ihn lieben, wie er sie liebte."
Ich vergrub mein Gesicht in Mikes Haar. Nie hatte ich an so etwas gedacht. Mein Dad, von dem ich stets all meine Kraft und Hoffnung geschöpft hatte, sehnte sich nach nichts anderem, als wieder Kind sein zu dürfen.
Schließlich hob Mike seinen Kopf. "Warum willst du unbedingt mit dem Motorrad fahren?"
"Eigentlich wollte ich es Dad nachmachen."
Er sah mich an, als hätte ich das Todesurteil über ihn, nicht über mich ausgesprochen. In seinen Wimpern hingen Tränen.
Stunden verbrachen wir so, ineinander versunken, den Schmerz teilend, endlich hatte ich Worte für meine Qualen gefunden. Allmählich vertrieb das Morgenlicht die Nacht. Mike reichte mir den Schlüsselbund. Warm und vertraut fühlte er sich an. "Bitte fahr vorsichtig, ich möchte nicht noch einen lieben Menschen verlieren."
Ich stieg auf den Fahrersitz, gab Mike mit einer Handbewegung zu verstehen, sich auf den Sozius zu setzen. Langsam, ganz langsam rollten wir aus dem Hinterhof, an Häusern, Autos und Menschen vorbei, dem Morgenlicht entgegen.


Eingereicht am 19. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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