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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Das erste Mal

©Karl-Heinz Manier

Jammer ist sein Name, Reue und Selbstverdammung. Hoffnung und Zweifel. Angst und freudige Erwartung.
Kristian Debowski geht an den Kühlschrank.
Macht ihn wieder zu ohne etwas herausgenommen zu haben.
Ruhig bleiben, ganz ruhig. Es ist nun einmal passiert. Nichts lässt sich mehr rückgängig machen.
Warum sonst sind so viele Haushalte überschuldet?
Ein kurzer Moment von Schwäche, von ganz normal gelebter Menschlichkeit. Ein intuitives Versagen, einerseits. Die Bereitschaft den Versprechungen anderer zu glauben, andererseits. Er hat es einfach tun müssen.
Er wird bestreiten; so tun, als sei nichts gewesen. Es steht ihm nicht auf der Stirn geschrieben.
Vorläufig jedenfalls nicht.
Und Später?
Später werden sie ihn beschimpfen und aufs Gröbste anpöbeln, werden ihn mit ihren Rechtsverdrehern verfolgen.
Er geht ins Wohnzimmer, schaut auf die Straße. Draußen vor dem offenen Fenster hat sich in der kurzen Zeit von eben bis jetzt nichts verändert.
Der Sessel, in den er sich plumpsen lässt, hält ihn jetzt genauso wenig wie vor fünf Minuten.
Er steht wieder auf.
Sie werden jeden seiner Schritte verfolgen, darauf lauern, dass er sich eine Blöße gibt; werden alle seine Bewegungen präzise registrieren; darauf achten mit wem er wie lange spricht; werden herausbekommen wollen worüber gesprochen wurde.
In einer Stunde wird eine neue Wahrheit die alte verdrängt haben. Eine, die für sein weiteres Leben richtungweisend sein wird. Das Alte wird dem Neuen weichen. Nichts wird mehr sein wie es war.
Wie damals, als er den Verlockungen dieses Mädchens von der Prägemaschine nachgab. Da hatte er all seinen Mut zusammengenommen und sich getraut, und auch sofort einen Volltreffer gelandet.
Weil es sich damals so gehörte wenn ein Kind unterwegs war, wurde geheiratet. Und später wieder geschieden.
Würde ihm das überhaupt jemand zutrauen? Ihm, diesem kleinen schmächtigen Fabrikarbeiter, der sich am Wochenende manchmal einen Kegelabend mit seinen Kollegen gönnte? Jemandem der sich einen Gebrauchtwagen aus der Gerade-noch-so-über-den-TÜV Klasse leistete? Jemandem der sorgfältig die Reklame-Blättchen nach Schnäppchen durchsuchte?
Maßlose Wut steigt in ihm auf.
Welche Freiheiten blieben ihm denn noch, wenn Politiker und Gewerkschafter den Rahmen für Bedürfnisse absteckten, die Medien einem erzählten wozu man Lust zu haben hatte?
Er muss an die frische Luft.
Die Plätze und Straßen sind um diese Uhrzeit leer. Nur wer noch unbedingt muss, hält sich draußen auf. Die Geschäftsleute sind dabei ihre Läden zu schließen, in den Wirtschaften ist noch nichts los. In seiner Stammkneipe auf der anderen Straßenseite sieht er einen Bildschirm flackern. Sie werden es sehen; werden mitverfolgen können wie übel ihm das Schicksal mitspielen wird. Sie werden nicht ahnen, dass dort von ihm die Rede sein wird und doch Anteil nehmen. Jeder auf seine ihm eigene Art.
Er wird nicht aufhalten können was er ins Rollen gebracht hat. Wohin er auch gehen wird, er wird die Folgen zu spüren bekommen, wird sich der Verantwortung für seinen Leichtsinn stellen müssen. Er wird jemanden brauchen, der auf ihn aufpasst; wird sich in einer fremden Stadt eine neue Wohnung suchen müssen.
Sein Magen verkrampft sich. Schweißgebadet, am ganzen Körper zitternd, lässt er sich in den Sessel fallen. Seine Hand umklammert die Fernbedienung. Gleich ist es so weit. Mit den Neuigkeiten des Tages soll ihm auch seine neue Zukunft um die Ohren gehauen werden.
Er schaltet den Fernseher ein, muss feststellen seine Uhr geht falsch, überlegt ob er die Fernbedienung der Mattscheibe entgegen schleudern soll, lässt sich dann aber doch von der Nachrichtensprecherin über die heiße Phase der Vorwahlen in Amerika berichten. Schon wieder muss eine Praktikantin herhalten um den Wahlkampf dort drüben interessanter zu gestalten. Aber - warum muss er das überhaupt wissen?
Minister Stolpe steht wieder im Dialog mit "Toll Collect", dem Inbegriff deutscher Innovation.
Ach ja … !
Vogelgrippe in Kambodscha immer noch nicht mutiert. Gut für die da unten, gut für uns. Schlecht für die Wissenschaft.
Die Blase zwingt ihn aufs Örtchen. Gerade rechtzeitig zurück, hört Kristian einen Text den er mitspricht. Nicht weil er sich hellseherischen Anwandlungen hingibt - so einfach ist das nicht. Es ist anders: Er kann der Nachrichtenfrau die Worte vorwegnehmen, Zahl für Zahl. Er spricht und die Ansagerin spielt Echo wider Willen. Alles stimmt. Sogar die Zusatzzahl.
Das Telefon klingelt, am anderen Ende der Leitung meldet sich sein Kollege von der Frühschicht.
"Hey, Kris."
"Hey."
"Ich muss einfach mit jemandem reden."
"Hast du es schon in der Kneipe nebenan versucht? Da warten sie auf solche wie dich … "
"14,20 Millionen Euro! Mir zittern immer noch die Knie."
"Wovon redest du? "Vom Jackpot! Tippst du denn nicht?"
"Nein."
"Immerhin … drei Zahlen haben gepasst … Ei gut dann … will ich dich nicht weiter stören. Sehen wir uns am Montag?"
"Klar doch. Von irgendetwas muss der Mensch ja leben … "
Kristian Debowski legt den Hörer auf. Jeder Dialog hat ein Ende.
Der Zettel in seiner Hand zittert. Vierzehn Millionen zweihunderttausend Euro!
Und das beim ersten Mal.
Die Finger ballen sich zu einer Faust. Rhythmische Bewegungen formen einen Knäuel aus dem was vorher ein Zettel war. Ohne besonders zu zielen wirft er diesen Ball aus Papier in Richtung Fenster.
Und trifft beim ersten Mal.


Eingereicht am 17. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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