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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Erste Liebe und ihre Hindernisse

©Lieselore Warmeling

Da lag ich in einem mir völlig fremden Bett und kotzte mir über den Bettrand hinweg die Seele aus dem Leib - völlig unfähig zu begreifen, wie ich hierher gekommen war, und nur noch einen Gedanken im Kopf:
Um Himmels willen, wann endlich würden die Wände dieses Zimmers aufhören, unablässig nach hinten wegzukippen? Es reichte doch nun wirklich, dass dieses bescheuerte Bett, wie eine Schiffschaukel schwankend, meinen Magen zu wilden Sprüngen veranlasste. Und was, zur Hölle, wollte dieser Kerl hier, der dauernd versuchte, mir den Kopf zu halten und Samariter zu spielen?
Energisch stieß ich ihn weg und übergab mich erneut, absolut sicher, das könne nun nur noch ein Reflex sein, denn da war nichts mehr, das sich noch hätte in die Schüssel neben dem Bett entsorgen lassen.
Nicht, dass ich mich zu dem Zeitpunkt gewundert hätte, das kam erst später, jetzt litt ich, und wie. Stöhnen, würgen und meinen Helfer verwünschen war alles, wozu ich noch fähig war, und die Geduld, mit der er dies hinnahm, festigte die Überzeugung in mir, dass er an meinem Zustand nicht so ganz unschuldig war.
Klar, ich hatte den ersten Rausch meines jungen Lebens.
Dass es auch der letzte sein würde, war ebenso klar.
Ich pflegte ab sechzehn zumeist schon aus gravierenden Fehlern zu lernen, und dies hier war einer von der Sorte, den ich gern ungeschehen gemacht hätte.
Dabei hatte alles so toll angefangen! Ich, aus der Stadt kommend, auf einer Dorfkirmes. Umschwärmt von der gesamten männlichen Jugend dieses Eifeldörfchens, für die ich so was wie ein Paradiesvogel war mit meinen langen blonden Haaren und dem weit schwingenden, feuerroten Glockenrock über braun gebrannten langen Beinen.
Die Dorfgockel umlagerten mich regelrecht.
Ich erntete zunehmend düstere Blicke von einigen Dorfschönheiten, die so aussahen, als kriegten sie gleich ein Problem damit, mich in ihrem Revier wildern zu sehen.
Meine Freundin, die mich überredet hatte, sie in diesem Nest zu besuchen, stieß mich aufgeregt in die Seite: "Das ist Erich, denen gehört der größte Hof im Ort, toller Mann was?"
Mann? Na ja, ich schätzte ihn auf ungefähr zwanzig, womit er dann wirklich auch aus meiner Sicht zu den Erwachsenen gehörte.
Er war groß und breitschultrig, sein Jägeranzug saß wie eine zweite Haut; ein Dorfbeau, aber schon imponierend. Es interessierte mich zwar absolut nicht, wer hier im Ort zur Prominenz gezählt wurde, aber der hier war schon einen zweiten Blick wert.
Ich kam mir vor wie in dem Musical "West Side Story".
Da kreiste der Obermacker auch um die Erwählte und zeigte dem Rest der Bande, dass er Anspruch auf sie erhob.
Genau so ging der blonde Erich vor. Langsam, aber zielsicher, schob er sich in meine Richtung vor. Machte hier ein Späßchen, nahm dort einen Schluck aus einem hingehaltenen Bierglas, er hielt regelrecht Hof. Der Kronprinz des weitum größten Anwesens versicherte sich der Gefolgschaft seiner Untertanen.
Genauso gut hätte er der Bandenführer einer Großstadtgang sein können.
Er wurde auf eine Weise respektiert und hofiert, die schon etwas Lächerliches an sich hatte, zumindest für mich.
Ich begann mein eigenes Spielchen. Wohl wissend, dass er mich insgeheim nicht aus dem Auge ließ, bewegte ich mich von ihm fort. Was er auch tat, um die Entfernung zwischen uns zu verringern, ich wandte mich jedes Mal wie zufällig ab und spann mein eigenes Garn.
Ich wusste damals noch nicht, ob so was weiblicher Instinkt ist.
Aber irgendwie hat mir nie jemand sagen müssen, dass knisternde Erotik durchaus im Sich -Verweigern, im Zögern und sogar in einer gewissen Ablehnung liegen kann.
Ich spielte das ganze Repertoire durch, ohne mir dessen bewusst zu sein.
Toll, dieses Gefühl, Macht zu besitzen. Ich liebte es.
"Er will mit dir tanzen." Meine Freundin raunte es mir hinter vorgehaltener Hand rasch zu.
Ich lachte nur. "Meine Tanzkarte ist voll, soll sich hinten anstellen."
"Welche Tanzkarte?" Meine Freundin hatte nicht viel übrig für Wortwitz.
Er würde sich schon etwas mehr anstrengen müssen, ich war voll und ganz Weibchen, und ich genoss es. Ich saß keinen Moment, wirbelte mit einem Tänzer nach dem anderen über die blank gewienerten Dielen und sorgte dafür, dass ich am Ende eines Tanzes möglichst weit von ihm, aber noch in Sichtweite, anhielt.
Herrliches Spiel der Kräfte.
Jung-Siegfried hing an der Angel, und der ganze Saal merkte es.
Leider, denn irgendwie schien ich plötzlich meine Anziehungskraft als tolle Tänzerin aus der Stadt zu verlieren.
Die männliche Dorfjugend machte Platz für den Leitwolf.
Wo gerade noch geflirtet wurde, dass sich die Balken bogen, breitete sich etwas ähnliches wie eine epedemieartige Sprachlosigkeit aus. Ich wurde respektiert, offensichtlich aber nicht als die Person die ich war, sondern als wortlos erklärtes Eigentum dieses Mannes, der nun wie selbstverständlich auf mich zukam, den Arm um mich legte und mit aufreizender Selbstsicherheit sagte: "Heute Abend tanzt du mit keinem anderen mehr."
WOW ...
Ich war viel zu jung, um das Gefühl, das mich sekundenlang fast hätte kapitulieren lassen, richtig einzuordnen. Erst viel später wusste ich, dass es genau in diesem Augenblick um ein Jahrtausende altes Ritual ging.
"Mann" erklärt seine Inbesitznahme, und "Frau" unterwirft sich willig.
So hätte es also an diesem Abend laufen sollen.
Ich spürte es, dieses Gefühl süßer Lähmung, aber nur sekundenlang.
Hier ging es um viel mehr als eine erste Liebe, der ich mich in genau diesem Augenblick für mein Leben gern ausgeliefert hätte. Nie habe ich mich so schwach gefühlt, meine Knie zitterten, und der Arm, der fest um meine Taille lag, dirigierte mich wie selbstverständlich auf die Tanzfläche.
Verflucht, konnte der Kerl tanzen! Ich war verloren. Sämtliche Alarmklingeln in meinem Kopf läuteten gleichzeitig. Der Traummann, war er das?
Befehlsgewohnt und ebenso sicher, dass seinen Wünschen entsprochen wurde. An diesem Abend wollte er die Blonde aus der Stadt, und er pflegte zu kriegen, was er wollte.
Ich hätte wegrennen können ... wirklich, hätte ich? Völlig ausgeschlossen, und ich wusste es. Ein paar Jahre mehr Lebenserfahrung, und ich hätte die Situation mit weitaus größerer Souveränität überstanden, aber ich war fasziniert.
Meine Versuche, mich aus diesen Armen zu winden, hoffnungslos; mein Spiel war zu Ende, ich würde dieses Gefühl, paralysiert zu sein, nicht rechtzeitig genug überwinden können, um mich in Sicherheit zu bringen.
Zudem, in welche Sicherheit? In diesem festen, Besitz ergreifenden Griff schien alle Sicherheit, zu liegen, die ein Mädchen sich wünschen konnte.
Ich musste mich nur fallen lassen. Ich hätte in dem Moment wahrscheinlich nichts dringender gebraucht als einen Kübel Eiswasser, vehement über meinem Kopf entleert.
Und dann nahte die Rettung aus einer Richtung, aus der ich sie zuallerletzt erwartet hätte. Ein total betrunkener Tänzer warf seine Partnerin mit einem wilden Rock`n Roll-Schwung über die halbe Tanzfläche.
Mein Traummann stolperte, riss mich mit sich, und schon lagen mindestens vier Tanzwütige, zu einem wilden Knäuel verschlungen, auf dem Boden.
Ich zuunterst.
Etwas hatte sich äußerst schmerzhaft in mein rechtes Fußgelenk gebohrt und ich schrie laut.
Herbeistürzende Helfer richteten mich vorsichtig auf und trugen mich zu einem der Tische. Im Fußgelenk baumelte ein riesiger Holzsplitter und wippte bestialisch schmerzend auf und ab.
Erich umschwirrte mich aufgeregt.
Nichts mehr von überlegener Souveränität.
Er war nur noch ein besorgter junger Mann, der von Erster Hilfe keine Ahnung hatte. "Sanitäter!", schrie er, "hierher!"
Ich kam mir vor wie ein von Granatsplittern verwundeter Frontkämpfer.
Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Und dann ging alles ganz schnell.
Jemand stürzte mit einem Rot-Kreuz-Köfferchen herbei und begann mit äußerster Vorsicht, den Fremdkörper aus meinem Fuß zu entfernen.
Von hinten wurde mir ein gefülltes Bierglas mit der Aufforderung gereicht, ich sollte doch besser trinken, denn jetzt werde es etwas wehtun. Wenn es denn half.
Ich stürzte den Inhalt des Glases hinunter und merkte sofort: Kornschnaps der brutalen Sorte, und das auf fast leeren Magen. Er wirkte wie ein Vorschlaghammer, ich merkte nicht mehr, was um mich herum ablief.
Die Schmerzen ließen nach, die Wunde wurde versorgt und ein Verband angelegt.
Ich saß, etwas töricht kichernd, noch immer auf dem Tisch der Dorfkneipe, inzwischen bereit, die ganze Welt nur noch komisch zu finden, einschließlich Erich, dessen blonder Schopf seltsam verschwommen vor mir auftauchte und wieder zu verschwinden schien.
Ich war blau wie eine Strandhaubitze, und der Zustand gefiel mir.
Meine Freundin Ina stützte mich von einer Seite und Erich von der anderen, wogegen ich mich mit rudernden Armen wehrte.
"Jesses, die ist hinüber", sagte Ina, "wie kriegen wir sie denn jetzt zu mir nach Hause? Wer hat einen Wagen mit?"
Niemand, wie es aussah.
Wer geht schon zur Dorfkirmes mit fahrbarem Untersatz?
Wenigstens einmal im Jahr wollte man die Sau rauslassen, da wäre ein Gefährt nur hinderlich gewesen.
Jetzt sah es allerdings so aus, als würde außer mir keiner die Sau rauslassen.
Ich sang inzwischen wilde Lieder, jedenfalls erzählte Ina mir das einen Tag später, denn selbst hatte ich längst aufgehört, mich zu beobachten.
Die Kontrolle war mir entglitten.
"Wir tragen sie", sagte Erich, sah aber so aus, als begeistere ihn dieses Vorhaben nicht sonderlich.
Ich war wohl auf dem besten Wege, seinen Siegeszug auf dem dörflichen Eroberungsfeldzug rüde zu unterlaufen.
Ich wurde getragen, und zwar von zwei kräftigen Burschen, auf deren verschränkten Armen ich saß wie Kleopatra in ihrer Sänfte beim Einzug in Rom.
Hinter mir Erich, der meinen Kopf hielt, der seinerseits das Bedürfnis zu verspüren schien, etwas haltlos hin und her zu pendeln.
Immerhin, mein Traummann plagte sich noch mit mir ab.
Er ließ mich nicht schnöde im Stich, obwohl er das leicht hätte tun können, denn ich war gerade ins zweite Stadium der Besäufnis eingetreten, was hieß, ich wurde spitzzüngig.
Die "Hau-den-Lukas-Phase" habe ich das später immer genannt.
Das ist der Zeitabschnitt, wo der Alkohol die Zunge geschmeidig macht, die dann ihrerseits Sprüche ablässt, die ausreichen würden, sich eine Serie von Beleidigungsklagen zuzuziehen.
Ich saß also auf den starken Burschenarmen und gab dem Affen Zucker.
Irgendwie muss ich dann aber doch in Inas Bett gelandet sein, denn das Nächste, woran ich mich erinnere, war, dass ich mein Innenleben von mir gab, Erich meinen Kopf hielt und ich am liebsten in der Erde versunken wäre.
Leider tat sie sich nicht auf. Irgendwann muss ich wohl erschöpft eingeschlafen sein.
Ina weckte mich in der Frühe um fünf mit den Worten:
"Hi du, willst du wirklich den ersten Bus in die Stadt nehmen, oder doch auf Erich warten, der fährt dich gegen zehn hinunter?"
Nie im Leben würde ich dem je wieder unter die Augen treten.
Ich war so rasch auf den Füßen, wie es meine Verletzung erlaubte.
Die erste, höchst ernsthafte Attacke auf meine Jungfräulichkeit war damit erfolgreich abgewehrt.
Doch meinen eigenen, höchst kargen Anteil daran, den wollte ich noch Jahre später nicht so genau untersucht wissen.
Nur die Narbe an meinem Fuß erinnert daran, wie bereit ich damals war, mich dem Jahrtausendritual "Ich Tarzan, du Jane" völlig gedankenlos zu unterwerfen.


Eingereicht am 15. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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