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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Herzklopfen

©Katrin Ackermann

"Wenn im zweiten Fenster ein roter Punkt sichtbar wird, egal ob schwach rosa oder intensiv rot, können Sie davon ausgehen, schwanger zu sein." Der Zettel zittert in meiner Hand. Der Wecker klingelt schrill. Die drei Minuten sind vorbei. Ich schaue auf den Teststab. Das erste Fenster ist rot, also habe ich den Test richtig durchgeführt. Das zweite Fenster ist ... rosa. Ganz schwach rosa. Oder bilde ich mir das nur ein, ist es jetzt weiß oder rosa?
Nein, eindeutig, ich bin schwanger.
Herzklopfen, ich höre mein Herz bis in meine Ohren. Es ist erst 5.30 Uhr morgens. Wen könnte ich um diese Zeit denn anrufen? Oder soll ich mir erst Gewissheit bei einer Frauenärztin holen, bevor ich diese frohe Botschaft in die Welt entlasse? Ich lege mich noch mal hin und die Gedanken fahren Karussell, ans Schlafen ist nicht mehr zu denken.
1. Termin (4. Woche)
Um 8 Uhr sitze ich bereits im Sprechzimmer einer Gynäkologin, die ich noch nicht kenne. Herzklopfen. Sie betritt den Raum. Ich schätze sie um die 40, mittelgroß, schlank. Ihre langen Haare trägt sie locker zu einem Zopf gebunden. Ihr Gesicht ist herb und kantig, ungeschminkt. Ich möchte mich vorstellen und reiche ihr meine Hand, doch die Ärztin erwidert nicht und so wandert mein ausgestreckter Arm, der jetzt völlig deplaziert wirkt, mühsam zurück. Ich merke, dass sich meine Erwartungshaltung nicht erfüllt, sehne ich mich doch nach einem Lächeln, einem herzlichen Glückwunsch. Stattdessen eine sterile Untersuchung und das Ergebnis des Urintests. Ja, Sie sind schwanger. Ich unterdrücke meine unbändige Freude über das erste Ultraschallbild, dieses kleine, schwarze Etwas ist mein Kind! Endlich!!!
Ich verzeihe großzügig dieser Ärztin ihre schroffe Art, tröste mich damit, dass sie einen schlechten Tag hat, sie mit meiner Euphorie nicht umgehen kann, müde ist oder gerade Beziehungsstress hat. Auf dem Weg zur Uni komme ich an der Hauptpost vorbei und ich schicke dem werdenden Vater ein Telegramm. Herzklopfen. Wie wird er reagieren? Wird er sich freuen? Wird er Angst haben? Unser Leben wird sich verändern, aus ihm und mir wird eine Familie werden. Unfassbar, unglaublich.
Die ersten Wochen vergehen. Es gibt so viel zu überlegen, zu organisieren, denn wir leben nicht zusammen, wollen dies in Zukunft aber tun. Wer zieht zu wem? Oder ganz woanders hin? Ich habe mir immer mindestens ein Kind gewünscht und kann mein Glück kaum fassen. Wenn ich abends im Bett liege, denke ich mir Namen aus, Konstantin oder Lili sind meine Favoriten ... aber Anna klingt auch so schön, und Pauline und Johannes ...
2. Termin (8. Woche)
Die Ärztin macht das zweite Ultraschallbild, ohne viel dabei zu erklären.
3. Termin (12. Woche)
Ich versuche die Ärztin mit meinem Charme und meiner Fröhlichkeit anzustecken. Vergebens. Meine Augen verfolgen die Bilder auf dem Monitor des Ultraschallgerätes. In ihrer monotonen Art erklärt sie mir, wie groß der Fötus nun bereits ist und ... stockt.
- Ist etwas nicht in Ordnung?
- Das Herz schlägt nicht mehr.
- Aber das kann nicht sein.
- Regen Sie sich doch nicht so auf. Das kommt häufiger vor, als Sie denken.
Mir ist, als bliebe die Welt stehen. Ich kann es nicht glauben. Die Tränen laufen mir über die Wangen. Ich kann nicht sprechen. Die Ärztin widmet sich mit Hingabe ihren Pflanzen, die auf der Fensterbank stehen. Hier noch ein welkes Blatt abzupfen, dort mit der grazilen Gießkanne noch etwas Wasser nachschütten und erzählt im Plauderton, dass der Eingriff, der mir im Krankenhaus nun bevorstünde, durchaus Routine sei. Wie eine Ausschabung bei einer Abtreibung. Wortlos nehme ich die Überweisung entgegen und gehe. Die Luft ist so kalt. Sie schneidet in mein Gesicht. Meine Beine sind so schwer, können kaum vorwärts gehen. Das Herz schlägt nicht mehr - dieser Satz hat sich in mein Hirn gebrannt.
Aber mein Herz klopft, wie verrückt schlägt es, als wenn es für zwei reichen müsste.
4.Termin (13.Woche)
Im Krankenhaus will ich nur, dass es schnell geht. Gemeinsam mit meinem Freund warte ich im Flur darauf, dass ich abgeholt werde. Unwürdig sitze ich mit dem OP-Hemd drei Stunden lang auf dem Gang. Wir reden nicht. Wir halten uns nur an der Hand.
Ich wache erst wieder auf in einem Zwei-Bettzimmer, meine Nachbarin stillt voller Hingabe ihr neugeborenes Baby. Ich mache die Augen wieder zu und auf einmal habe ich ein ganz klares Bild von meinem Kind im Kopf. Noch halb in der Narkose, jedoch schon wach genug, wickel' ich mein Baby in eine Decke aus Liebe, Licht und Wärme und lasse es los, schicke es auf eine Reise verbunden mit der Hoffnung auf baldige Wiederkehr. Wie ein warmer Lichtstrahl kommt es mir vor. Wach ich oder träum ich? Auch wenn es theatralisch klingt: Dieses Bild hat mir so über meinen Schmerz hinweg geholfen, mir Trost gespendet, wie ich es kaum zu beschreiben vermag.
Gemeinsam mit meinem Freund habe ich mir viel Zeit gelassen, um zu trauern und dieses Erlebte auf meine Art zu verarbeiten.
Wir haben geheiratet, unsere beiden Töchter sind nun 9 und 12 Jahre alt. Das Bild von Liebe, Licht und Wärme ist noch so präsent, als wäre es gestern gewesen ...


Eingereicht am 14. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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