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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die verlorene Unschuld

© Tino Weiler

Wir stehen auf. "Im Namen des Volkes. Der Angeklagte wird von allen Punkten der Anklage wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Die Urteilsbegründung geht den Parteien schriftlich zu. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Die Verhandlung ist geschlossen."
Ich stehe vor dem Gerichtsgebäude. Ich bin ein freier, aber nicht mehr unbescholtener Mann. Mein Verteidiger klopft mir jovial und zufrieden auf die Schulter. Er war von Anfang an überzeugt, dass es zu keiner Verurteilung käme. Er meint, er kennt die heutige Jugend. Meine Verteidigung wurde ihm leicht gemacht. Und er kennt den Richter.
Ich sehe sie alle gehen. Den Herrn Strafverteidiger, meine Frau mit Freund und Tochter, die halbwüchsigen Zeugen, Vater und Mutter, und Ari. Sie geht zwischen ihren Eltern und dreht sich nicht um. Sie hat auch während der Verhandlung kaum gewagt, einen Blick zu mir herüberzuwerfen. Ich weiß nicht, ob sie jemals wieder irgendjemand unbefangen ansehen kann. Dafür hat mein Verteidiger gesorgt; und sie hat mitgespielt, denn sie wollte mich nicht im Gefängnis sehen - ganz anders als ihre Eltern. Sie hat zugelassen, dass sie am Ende der Verhandlung als jugendliche Nymphomanin, als kleine Hure, als die treibende Kraft alles Verbotenen dagestanden hat. Sie hat mich immer noch lieb. Ich darf das von mir nicht sagen. Als klar wurde, wessen ich beschuldigt werden sollte, hat sie meinem Verteidiger die Zeugen benannt, die mich entlasteten. Sie hat sich von ihm einhämmern lassen, wie ihre Aussage klingen muss, um mich als Beteiligten, aber nicht als Schuldigen darzustellen. So entstand das Bild des Opfers, das sich den permanenten Versuchungen einer routinierten Lolita nicht mehr entziehen konnte. Das Gericht setzte sich aus Männern zusammen. Wie viele heimliche Neigungen hat mein Verteidiger wohl in seinem Plädoyer verwandt? Jetzt bin ich frei. Das Gericht hat mir bestätigt, dass es keinen Beweis meiner Schuld gibt. Für Ari gibt es kein Gefängnis, aber für ein sechzehnjähriges Mädchen gibt es Schlimmeres. Im Gefängnis weiß man, wann man wieder frei wird. Ob sie jemals wieder so frei und unbeschwert sein kann wie zu der Zeit, als wir uns kennen lernten?
Fast zwei Jahre liegt das heute zurück. Damals war ich gerade mit meiner Frau und ihrer Tochter in ein altes Bauernhaus in einem kleinen Ort am Rand der Lüneburger Heide gezogen. Hier wollten wir zur Ruhe kommen und unseren alten Traum vom Leben auf dem Land verwirklichen. Ich näherte mich den magischen vierzig, ohne daraus die Verpflichtung zu den obligaten Midlife-Krisis-Abenteuern zu verspüren. Ich war sehr glücklich mit meiner Frau.
Ich war die letzten zehn Jahre beruflich sehr erfolgreich gewesen. Ich hatte viel Geld verdient und einen beträchtlichen Teil davon zurücklegen können. Bei meinem Abschied vom Unternehmen erhielt ich eine hohe Abfindung. So verfügten wir plötzlich über ausreichend Kapital, um uns aus dem täglichen Berufsleben zurückziehen zu können und endlich Beschäftigungen nachzugehen, die unseren eigentlichen Intentionen entsprachen. Also lösten wir unseren städtischen Haushalt auf, kauften dieses alte Häuschen und richteten es mit viel Liebe her. Wir bauten es innen fast vollständig um, modernisierten Bäder, Heizung und Keller, richteten ein gemütliches Kaminzimmer und einen großen Hobby- und Partykeller ein.
Wir waren stolz auf das Ergebnis, das wir nur mit eigener Arbeit erreicht hatten. Unser Haus, etwas außerhalb des Ortskerns gelegen, schuf alle Voraussetzungen für die Arbeiten, die wir vorhatten. Ich wollte uralten Neigungen nachgehen und anfangen, zu schreiben. Am Anfang sollten Berichte, Kolumnen und Essays stehen, später wollte ich mich auch an Romane, Erzählungen und vielleicht sogar Gedichte wagen. Ich liebte den Blick aus dem Arbeitszimmer über die alten Apfelbäume hinweg in die Endlosigkeit der Heide. Ich genoss die Stille, wenn ich alle Fenster offen hatte. Ich freute mich über den Hahn, der morgens um fünf auf den bevorstehenden Tag aufmerksam machte; und mir fehlte etwas, wenn nicht mindestens einmal am Tag der Schäfer mit seinem blökenden Volk hinter dem Haus vorbeizog.
Meine Frau wollte wieder mit Malen anfangen. Außerdem war sie fest entschlossen, einen Teil des riesigen Obstgartens zu einem Auslauf für ihre Hunde zu machen. Noch hatten wir erst einen, aber die Erweiterung war bereits fest geplant. So sahen wir in unseren Tagträumen uns im Gras sitzen, von einer Meute freundlicher Hunde umgeben.
Nicht so begeistert von unserem neuen Lebensstil war die Tochter meiner Frau. Ihr gefiel zwar, dass wir beide immer zu Hause und damit immer für sie da waren, aber sie vermisste doch sehr die unmittelbare Nähe der Stadt mit Kino, Café, Boutiquen und der Horde Gleichaltriger, mit denen zusammen sie früher die Stadt unsicher gemacht hatte. So sprach sie von unserem Dorf nur als dem Kaff, wo nichts los sei und wo nicht mal vernünftige Jungs aufzutreiben wären.
Wir bemühten uns, uns im Dorf zu etablieren, denn wir wollten nicht die Jahre zählen, die wir hier verbringen würden. Die Inhaberin des lokalen Lebensmittelgeschäfts, das gleichzeitig Kommunikationszentrum war, kannte uns schon beim Namen, der Nachbar mit dem Bierverkauf beschaffte uns unsere Lieblingssorte; und der Bauer gegenüber hatte sich bereit erklärt, uns regelmäßig frische Eier direkt vom Hof zu liefern. Wir wollten hier bis an unser Lebensende bleiben. So bemühten wir uns um Kontakte zu den Einheimischen. Es war nicht leicht. Die Mehrheit der fünfhundert Seelen des Orts wurde von Alteingesessenen gestellt, die jedem Neuen, Fremden, Zugereisten eine angemessene Portion Misstrauen und Abweisung zukommen ließen. Nicht nur Sprachbarrieren erschwerten den Kontakt. Für viele Dorfbewohner war unvorstellbar, wie jemand leben kann, ohne Landwirtschaft zu betreiben oder einer regelmäßigen Berufstätigkeit nachzugehen. So ergab sich fast von selbst, dass die ersten Kontakte mit Bewohnern entstanden, die selbst noch als Fremde angesehen wurden.
Mit Herwegs - Aris Eltern - wurden wir auf komplizierten Umwegen bekannt. Zuerst trafen sich meine Frau und Ari beim Hundespaziergang. Die Hunde mochten sich; so beschloss man, sie zukünftig häufiger gemeinsam auszuführen. Bei einem dieser Ausgänge kam Aris Bruder Wolfgang hinzu. Ihm erzählte meine Frau, dass wir im Partykeller unseres Hauses einen originial Pool Billard stehen hätten. So dauerte es nicht mehr lange, bis Wolfgang seinen ersten Besuch in unserem Haus abstattete und dabei selbstverständlich auch Billard spielen wollte. Die Tochter meiner Frau ließ sich die Gelegenheit zu einem kleinen Flirt nicht entgehen; und so quietschte und kreischte es bald aus dem Keller, als sei eine Herde Mäuse ausgerissen.
Bei einem der nächsten Besuche brachte Wolfgang dann auch Ari mit; und da sah ich sie zum ersten Mal. Ariane - so hieß sie vollständig - war ein frisches, zierliches Mädchen von vierzehn, dessen ungeschminkte Ausdrucksweise ein gesundes Maß an Selbstbewusstsein vermuten ließ. Sie war fast gleichaltrig mit der Tochter meiner Frau, aber in ihrer Art völlig unterschiedlich. Während unsere Tochter noch ausgeprägt kindliche Verhaltensweisen mit ersten Ansätzen von Weiblichkeit mischte, präsentierte sich Ari als ausgesprochen frühreifes Mädchen, das gelegentlich von ausgelassener Fröhlichkeit zu tiefer Nachdenklichkeit wechselte und dann Themen zur Diskussion stellte, die eigentlich erst eine Generation später behandelt werden. So bildete sich zwischen Ari und der Tochter meiner Frau eine Freundschaft heraus, deren wesentlicher Bestandteil in der Bewunderung unserer Tochter für Ari und deren gnädiger Entgegennahme bestand.
Bald erfuhren wir von unserer Tochter, wie toll die Ari sei. Natürlich hatte sie das Mindestalter ihrer Freunde auf zwanzig angesetzt, um sich nicht den Unbequemlichkeiten zweirädriger Fahrzeuge aussetzen zu müssen. Auch erfuhren wir von unserer Tochter, dass Ari nach eigenen Angaben längst jenseits von Küsschen, Händchenhalten und Petting sei. Die hierbei vorgetragene Unbekümmertheit und die benannten Verfahren zur Empfängnisverhütung erweckten jedoch nicht unbeträchtliche Skepsis bei mir und meiner Frau. So versuchten wir, unserer Tochter Hintergründe, Entwicklungen und Risiken zu erläutern und nahmen uns vor, Ari bei passender Gelegenheit zu bitten, unsere Tochter noch etwas bei ihren harmloseren Vergnügungen zu belassen.
Bald kehrten Ari und Wolfgang regelmäßig bei uns ein, um Billard zu spielen. zu schwatzen, zu toben oder einfach nur dazusitzen und zuzuschauen. Gelegentlich hatten wir den Eindruck, drei Kinder zu haben. Dennoch dauerte es noch eine ganze Weile, bis wir auch die Eltern kennen lernten. Die Gelegenheit ergab sich, als wir mit Freunden und den Kindern im Garten saßen, ein paar Stücke Fleisch und viele Kartoffeln am offenen Feuer brieten und bei einem oder mehreren Gläsern alle Probleme der Welt im Handstreich lösten. So fragten wir Ari, ob sie nicht ihre Eltern hinzuholen wollte.
Es wurde ein ungewöhnlich interessanter Abend. Im Gespräch ergab sich, dass Aris Eltern aus den gleichen Gründen wie wir in diesen Ort gezogen waren. Auch sie hatten einen Weg gefunden, sich aus dem täglichen Berufsleben zurückzuziehen und ihren Lebensunterhalt aus freier Tätigkeit zu bestreiten. Bis in die Nacht hinein verglichen wir unsere Ansichten und Einstellungen, sprachen über die Probleme bei der Einbürgerung in die dörfliche Gemeinschaft und diskutierten Fragen der Kindererziehung. Dabei fiel meiner Frau und mir auf, dass Aris Eltern offensichtlich keine Ahnung vom Entwicklungsstand ihrer Tochter hatten. Aris Mutter meinte, man müsse wohl doch bald mit dem Kind zum Frauenarzt gehen, damit Empfängnisverhütung sichergestellt sei, wenn es irgendwann mal erforderlich sei. Aris Vater hingegen wandte ein, seine Tochter sei noch viel zu jung dafür; und damit hätte man wohl noch ein paar Jahre Zeit.
Wir trennten uns, als der Osten bereits hell wurde. Die Tochter meiner Frau hatte sich bereits gegen Mitternacht verzogen, aber Ari und Wolfgang hatten sich bis jetzt noch nicht vom Billardtisch trennen können. Wir versprachen ihnen, dass sie kommen dürften, wann immer sie Lust hätten. Von diesem Tag an verkehrten wir untereinander fast wie eine Familie. Zwischen den beiden Häusern erfolgte reger Austausch, sodass fast ständig irgendeiner bei der anderen Familie zu Gast war. Die Kinder waren viel zusammen, wobei sie sich häufig über Stunden um den Billardtisch versammelten, um sich gegenseitig zu immer besseren Leistungen anzuspornen. Natürlich brachten sie auch Freunde und Freundinnen mit, so dass an manchen Tagen eine lärmende Horde von Haus zu Haus zog. Interessant wurden die Spiele immer, wenn wir Erwachsenen uns daran beteiligten. Dann entwickelten die Kinder ganz besonderen Ehrgeiz, gut zu zielen, ruhig zu stoßen und präzise zu treffen. Speziell Ari tat sich hierbei hervor und kämpfte bis zur Erschöpfung, wenn sie im Wettstreit stand. War ich dann am Stoß, dann sparte sie nicht mit scherzhaft boshaften Kommentaren über die alten, zittrigen Hände oder die schlechten Augen, jubelte, wenn mir ein Stoß misslang und demonstrierte Entsetzen, wenn die Kugeln reihenweise in die Löcher rollten. Kaum dass ein Spiel vorbei war, schob sie schon wieder den Schieber, um die Kugeln wiederzuholen und raute sorgfältig die Spitze ihrer Queue an.
Der Sommer verging und der Billard verlor langsam seinen Reiz für die Kinder. Nur Ari kam immer wieder und forderte mich zum Zweikampf heraus. Gewann sie dann, quittierte sie ihren Sieg mit Freudensprüngen und fiel mir um den Hals. Verlor sie jedoch, zeigte sie tiefste Unglücklichkeit und stürzte sich auf mich, um sich trösten zu lassen. Gelang mir ein guter Stoß, versuchte sie, mich vom Tisch wegzudrängen, trommelte mit ihren Fäusten auf meiner Brust oder hielt meine Arme und Hände fest. War dann ein Spiel vorbei und sie hatte wieder verloren, spielte sie die völlig Verzweifelte, lehnte sich an meine Schulter, vergrub ihr Gesicht an meinem Hals und schluchzte herzzerreißend, um mir im nächsten Augenblick in die Rippen zu boxen und mich zur Revanche aufzufordern.
Mir hätte eigentlich auffallen müssen, dass Ari deutlich zurückhaltender war, wenn wir nicht allein waren. Spielte meine Frau mit - was sehr selten geschah - hatte ich den Eindruck, Ari hätte keine Lust mehr. Spielte ihr Freund mit, ließen seine Ergebnisse sie völlig kalt. So hatte auch er bald keine Lust mehr und zog sich in andere Bereiche des Hauses zurück, um zu lesen, mit meiner Frau zu schwatzen oder Gitarre zu spielen. Spielte Ari jedoch mit mir, so fand sie kein Ende, wollte immer noch eine neue Runde, bettelte, nicht aufzuhören. Ging ich dann und ließ sie allein weiterspielen, dann dauerte es nur wenige Minuten, bis sie nachkam, auch wenn sie gerade eine neue Runde begonnen hatte.
Es bürgerte sich ein, dass unsere Familien vieles gemeinsam unternahmen. Wir gingen zusammen essen, wir besuchten Kinos, wir gingen Eislaufen. Manchmal bildeten sich auch Grüppchen, die gemeinsam etwas unternahmen. Ari war immer dabei; und immer bei der Gruppe, die mit mir unterwegs war. Es war unübersehbar, dass sie meine Nähe suchte und unglücklich war, wenn es sich nicht so einrichten ließ. Waren wir dann zusammen, bemühte Ari sich, als vollwertiger Gesprächspartner akzeptiert zu werden. Sie spielte mit mir Schach, sie diskutierte mit mir über Malerei, sie zeigte mir neue Kartenspiele und beteiligte sich intensiv und engagiert an gemeinschaftlichen Diskussionen. Dabei ließ sie keine Gelegenheit aus, mir in den Arm zu fallen, mir auf die Schulter zu klopfen oder mir einen freundschaftlichen Klaps auf den Po zu geben. Ich bemerkte es wohl, ich ignorierte es, aber ich unterband es auch nicht.
Eines Tages fragte Ari, ob ich Lust hätte, mit ihr und ihrem Freund ins Kino zu gehen. Ich beratschlagte mit meiner Frau, dann stimmten wir zu. Nach dem Kino schickte Ari ihren Freund allein nach Hause und fuhr mit uns ins Dorf zurück. Während der Fahrt bemerkte ich, wie sie durch die Lücke zwischen den Vordersitzen so lange nach vorn rutschte, bis sie meinen Arm berührte. Ich zog ihn nicht weg.
Meine Beziehung zu Ari war zu diesem Zeitpunkt merkwürdig. Sie zeigte sich durchaus als Vierzehnjährige, ging zur Schule, maulte über Schulaufgaben und ihre Lehrer, ärgerte sich über knappes Taschengeld und spielte wie eine Wilde am Billard. Auf der anderen Seite präsentierte sie sich als kleine, aber dennoch vollwertige Frau; und das keineswegs nur äußerlich. Die Art, wie sie Konversation machte, Engagement und Hilfsbereitschaft zeigte und mit tiefer Ernsthaftigkeit diskutierte, ließ sie als wesentlich reifer als vierzehn erscheinen. So war mir ihre Anwesenheit im Haus angenehm, ohne dass ich konkrete Gründe dafür hätte nennen können oder mögen. Ich freute mich, wenn sie da war, mit mir redete, mit mir spielte und auch mit mir flirtete, denn das war unübersehbar - auch für meine Frau und ihre Eltern. Ich kannte natürlich die Versuche der Tochter meiner Frau, am ersten greifbaren Mann auszuprobieren, ob man denn als Frau schon wirkt. Ich kannte jene absichtliche Provokation, mit der unsere Tochter leicht bekleidet oder nackt an männlichen Gästen vorbeimarschierte und genau aufpasste, ob auch einer hinsieht.
Was Ari jedoch tat, war keine Provokation in diesem Sinn. Ganz offensichtlich berührte sie mich gern; und ich muss eingestehen, dass mir die Berührung nicht unangenehm war. Auf der anderen Seite vermied ich alles, was sie in ihrem Verhalten hätte bestärken können oder in ihr den Eindruck hätte erwecken können, ich betrachtete sie nicht als die vierzehnjährige Tochter unserer Freunde. Ich kann heute nicht abstreiten, dass sich meiner eine gewisse Erregung bemächtigte, wenn Ari sich in meine Arme warf und ihren Jungmädchenkörper an mich presste. Ich würde lügen, wenn ich gelegentliche Phantasien ableugnete. Mich erschreckten meine Gedanken, wenn sie sich damit beschäftigten, was wäre, wenn Ari ein paar Jahre älter wäre. Ich fühlte mich ertappt, wenn ich ihren Körper betrachtete und dabei daran dachte, dass er nicht mehr unberührt war. Aber es war nicht Aris Äußeres, das mich anzog. Jede Unterhaltung mit ihr war ein rhetorischer und dialektischer Wettstreit, bei dem sich Routine und Wissen mit Spontaneität und Schlagfertigkeit messen konnten. So fiel es mir nicht schwer, mich den körperlichen Eindrücken zu entziehen.
Das alles änderte sich in gewissem Umfang, als meine Frau mehr und mehr zu erkennen gab, dass sie Wolfgangs Anwesenheit schätzt. Sie verbrachte Stunden mit ihm beim Tee, sie spielte mit ihm gegen ihre Gewohnheit endlos Billard, sie nahm ihn auf Fahrten und Reisen mit. Sie vernachlässigte sogar ihren Hund, um mit Wolfgang zusammen Tee zu trinken - etwas, was ich von ihr überhaupt nicht kannte. Zunächst war ich ungehalten, dann war ich eifersüchtig, dann machte ich ihr Vorwürfe und zog mich in mich zurück. Sie verstand mich nicht oder wollte mich nicht verstehen. Für sie war Wolfgang ein netter junger Mann, mit dem sie interessante Gespräche führen konnte, mit dem sie über Dummheiten lachen konnte und der sie unaufdringlich bewunderte. Ich weiß heute, dass es der unbeschwerte Charme des Jugendlichen war, der sie faszinierte, ohne dass sie darüber unsere Ehe in Frage gestellt hätte. Ich weiß auch, dass ich - mehr aus Trotz - nicht nur auf Aris Flirten einging, sondern es auch noch erwiderte.
Wir planten eine große Feier in unserem Haus, zu der wir zahlreiche Gäste geladen hatten. Die Vorbereitungen zogen sich über Wochen; und Ari, die gerade Ferien hatte, war fast täglich bei uns im Haus, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Dabei gab sie sich nicht wie die Tochter von Freunden, die mithilft, sondern als sei sie meine Frau, die ihr Haus auf den ersten großen Empfang vorbereitet. Meine Frau und ich betrachteten Aris Geschäftigkeit mit verstecktem Schmunzeln. Mir allein schmeichelte die Rolle, die Ari zu übernehmen sich entschlossen hatte.
Am Tag vor dem Fest hatten wir alle noch mal bis zum Abend rotiert, um mit allen Vorbereitungen fertig zu werden. Danach tranken wir zusammen im Kaminzimmer Tee, Aris Bruder zog los, um seine Freundin abzuholen, unsere Tochter wurde von ihrem Freund abgeholt, und meine Frau zog sich frühzeitig zurück, um für den nächsten Abend fit zu sein. Ari und ich blieben allein im Kaminzimmer zurück.
Wir spielten zunächst noch eine Runde Billard, dann setzten wir uns vor den Kamin, um dem Feuer zuzuschauen. Im Haus war Totenstille. Wir sprachen über Gott, die Welt und die Menschen, über Empfindungen und Artikulationen, auch über Restriktionen, denen man sich unterwerfen muss. Irgendwann waren wir beim Thema Berühren und Anfassen. Ari drückte aus, dass sie jede sanfte Berührung als Kitzel empfände - ganz speziell an den Füßen. Ich entgegnete, das sei nur, weil man sich nicht eingestehen wolle, dass die Berührung angenehm sei, weil man befürchte, sich dem Berührenden auszuliefern. Ari meinte jedoch, bei ihr sei das ganz anders - sie sei einfach fürchterlich kitzlig und könne eine leichte Berührung nicht ertragen. Besonders schlimm sei das an den Rippen unter den Armen. Sie schob ihr T-Shirt etwas hoch. Ich strich ihr sanft über die Haut; und meine Hände zitterten etwas. Ari krümmte sich. Sie hielte es nicht aus - es kitzele einfach zu sehr. Ich sagte ihr, es sei nur eine Frage der Konzentration. Sie solle ihre Gedanken einfach dahin bringen, die Berührung als angenehm zu empfinden. Ari legte sich auf den Rücken und schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. Ich legte meine Hand an ihre Seite und ließ sie dort einige Augenblicke ruhen. Ari bewegte sich nicht. Sanft glitten meine Hände über ihre Rippen aufwärts bis unter ihre Achseln, dann zurück, über ihre Taille, über ihren Bauch an den unteren Rippen entlang und wieder aufwärts. Ich streichelte sie zart und vorsichtig und lieb, wie man seine Schwester oder sein Kind streichelt. Ari stöhnte leise. Ihr Atem wurde schneller. Ich fragte sie, ob das denn nun kitzelt oder nicht, und sie schüttelte den Kopf. Meine Hände wanderten über ihre Haut.
Von diesem Augenblick an muss bei mir etwas aufgebrochen sein, was zuvor nur im Untergrund schwelte und von der Vernunft im Zaum gehalten wurde. Plötzlich war Ari nicht mehr das kleine kitzlige Mädchen, sondern eine kleine, überaus erregte und erregende Frau, die unter meinen Händen vibrierte, obwohl ich noch keine 'unzüchtige' Stelle berührt hatte. Ich weiß heute nicht mehr, ob sie ihr T-Shirt hochschob oder ob ich es war. Ich weiß nicht mehr, ob sie ihre Jeans öffnete oder ob ich das tat. Ich weiß, dass ich sie dann überall streichelte, während sie sich an mich schmiegte und schneller und schneller atmete. Ich weiß, dass sie mich anfasste, dass sie aufstöhnte, als sie meine Erregung fühlte, dass sie sich an mich klammerte, dass wir uns aneinander pressten und unsere Küsse immer intensiver wurden. Irgendwann lagen wir dann mit heruntergestreiften Kleidern nebeneinander, wir berührten uns, wir fühlten die Erregung des anderen und wir waren bereit, miteinander zu schlafen, als seien wir ein Liebespaar. Nur wenige Millimeter trennten unsere Körper; und wir brauchten uns nur fest zu umarmen, um die Vereinigung zu vollenden.
Dann wachte ich plötzlich auf. Schlagartig begriff ich, dass ich gerade Aris und meine Zukunft zerstören wollte. Ich erkannte, dass hier etwas geschehen war, das einfach nicht geschehen durfte; und das ich es war, der weiteres verhindern musste. So streichelte ich Ari ganz sanft - so, wie ich eine Schwester oder ein Kind streichele - und sagte ihr, es sei unmöglich, weil wir nicht allein wären. Sie weinte. Ich nahm sie in meinen Arm und bat sie, am nächsten Morgen wiederzukommen. Wir zogen uns an. Ari ging zur Tür, aber bevor sie mich verließ, umarmte sie mich und küsste mich so leidenschaftlich, dass meine Erregung schlagartig wiederkehrte. Ich bemühte mich, sie zu verbergen, als ich zu meiner Frau ins Schlafzimmer ging.
In der folgenden Nacht schlief ich nicht. Ich hatte noch nicht begriffen, dass ich mich in ein Mädchen verliebt hatte, das meine Tochter hätte sein können. Ich zerbrach mir den Kopf über Lösungen, die das Geschehene ungeschehen machen konnten, ohne Ari zu verletzen. Ich überlegte die Konsequenzen einer möglichen Fortsetzung der Beziehung und die Auswirkungen auf unser beider Zukunft. Ich versuchte, herauszufinden, wie sich meine Liebe zu meiner Frau mit dieser Verliebtheit auf einen Nenner bringen lässt, aber ich fand keine Erklärung. Ich entschloss mich, mit meiner Frau darüber zu sprechen.
Der Anfang fiel mir leichter als erwartet. Sowie sie wach war, erzählte ich in groben Zügen, was in der vergangenen Nacht vorgefallen war. Ich verheimlichte nicht, wie sehr mich die Leidenschaft gepackt hatte. Ich verschwieg nicht, dass ich zwischen zwei Feuern schwebte: Die Angst, mit Ari verbotenes Land zu betreten, die Furcht, ohne sie weiter zu leben, als sei nichts geschehen, und die Angst, meine Frau zu verlieren. Dass etwas geschehen war, wusste ich genau. Und obwohl ich gerade dabei war, einen Fehler zu gestehen und nach Wiedergutmachung zu suchen, fühlte ich in mir die Sehnsucht, sie wiederzusehen, ihre Stimme zu hören, ihren Händedruck zu fühlen, ihren Körper in meiner Nähe zu wissen. Mein schlechtes Gewissen gegenüber meiner Frau machte es mir leicht, auch über meine Empfindungen zu sprechen. Aber ich sagte ihr auch, dass sie meine Lebensgefährtin sei und ich Angst davor hätte, sie zu verlieren.
Wir kamen überein, dass ich gleich früh am Morgen wegfahren sollte, um notwendige Besorgungen vorzunehmen. Meine Frau wollte auf Ari warten und versuchen, mit ihr zu sprechen. Sie meinte, es sei gut, wenn Ari mich nicht wegfahren sähe, weil sie sonst vielleicht gar nicht käme. Ich weiß nicht, weshalb ich trotzdem noch lange Minuten vor dem Haus stehen blieb, ehe ich losfuhr.
Als ich wieder zurückkam, wirkte meine Frau ernst, aber ruhig und gefasst. Sie hatte Ari empfangen und sie sofort darüber informiert, dass ich mit ihr gesprochen hätte. Sie hatte versucht, ihr zu erklären, warum eine intime Verbindung zwischen ihr und mir unmöglich war. Sie hatte nicht von sich gesprochen, sondern nur Verständnis gezeigt. Ari hatte sich wohl verzweifelt, aber einsichtig gezeigt und war in den Keller verschwunden, um dort zu putzen. Ich ging zu ihr hinunter, weil meine Frau meinte, ich solle doch ein paar Worte mit ihr sprechen. Ari kniete auf dem Boden und saugte Staub. Als ich bei ihr stand, schlang sie plötzlich ihre Arme um meinen Hals, drückte sich an mich und weinte. Sie weinte nicht nur, sie schluchzte, dass ihr ganzer Körper in Stößen geschüttelt wurde. Ich drückte sie an mich und streichelte ihr den Kopf. Dabei hatte ich kein Verlangen nach ihr. Ich wollte sie nur trösten, lieb zu ihr sein, und glücklich darüber, sie bei mir zu fühlen. Ich versuchte gar nicht erst, zu erklären, warum ich mit meiner Frau darüber sprechen musste. Ich hoffte, sie würde einsehen, wie wichtig auch in schwierigen Situationen gegenseitiges Vertrauen ist. Sie sollte auch erkennen, dass ich keine Absicht hätte, meine Beziehung zu meiner Frau in Frage zu stellen. Ich weiß heute, dass ich ihr Alter nicht berücksichtigte und sie mit meinen Erwartungen überforderte. Ich weiß auch, dass ich damals nicht aufrichtig mit mir selbst war.
Was soll ich über die Party berichten? Meine Frau versuchte, mit Tanzen und Reden mit vielen anderen sich zu amüsieren, ich lastete mich mit Service für die Gäste aus; und Ari war ständig in meiner Nähe. Wir tanzten auch miteinander; und als ich mich hinsetzte, tanzte Ari allein - vor mir für mich. Ich glaube, ich war nicht der Einzige, der die Erotik darin erkannte. So war es nicht verwunderlich, dass Aris Freund kurz vor Mitternacht ihr Vorhaltungen machte, sie kümmere sich überhaupt nicht um ihn. Daraus entstand eine Auseinandersetzung, die damit endete, dass Ari erklärte, sie lasse sich von ihm nicht vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätte. Daraufhin verließ ihr Freund wütend die Party.
Aris Eltern waren die Vorletzten, die gingen. Zurück blieben Ari und ein paar Freunde, die im Haus schlafen sollten. Wir saßen noch eine Stunde am Kamin, dann gingen alle zu Bett - auch Ari, die sich entschlossen hatte, bei der Tochter meiner Frau zu übernachten.
Am nächsten Morgen war ich der erste, der sich an die Aufräumungsarbeiten machte, aber ich blieb nicht lange allein. Ari - die sonst bis Mittag schläft - erschien, so frisch und munter, als habe sie mindestens zehn Stunden geschlafen. Wir arbeiteten stumm, aber jedes Mal, wenn ich zu Ari hinschaute, sah auch sie mich gerade an. Ich war glücklich, sie in meiner Nähe zu wissen. Als wir die gröbsten Arbeiten erledigt hatten, erschienen nach und nach auch die anderen - auch Aris Eltern -, um mit uns zu frühstücken. Bald danach war das Haus wieder leer, nur Ari blieb da. Sie spielte Billard, sie kochte Tee, sie half beim Abräumen, sie war da. Immer wieder, wenn wir allein waren, schaute sie mich an, drückte meine Hand oder schmiegte sich an mich. Ich sagte ihr, dass das alles keinen Sinn hätte, weil für uns eine Beziehung nicht in Frage käme, aber sie meinte, sie wolle sich nur langsam von mir entwöhnen.
Spät abends, als Ari endlich doch noch gegangen war, sprach meine Frau mit mir. Sie sagte, es sei nicht gut, wenn ich durch mein Verhalten dem Mädchen weiterhin Hoffnungen machte, denn sie sei hoffnungslos in mich verliebt und würde alles versuchen um den Kontakt zu intensivieren. Ich widersprach, aber insgeheim hoffte ich, dass Ari auch weiterhin meine Nähe suchen würde. Ich liebte meine Frau, ich hatte nicht die Absicht, sie zu verlassen, ich wollte noch viele Jahre mit ihr hier leben, ich schätzte den Kontakt zu Aris Eltern, ich war froh über diese Freundschaft, aber ich war unglücklich, wenn Ari nicht da war; und ich bekam Herzklopfen, wenn sie vor mir stand oder wenn ich sie von weitem sah. Ich war verliebt, wie das sonst nur einem Pennäler passiert. Sie war auch verliebt, aber wir durften uns nicht einmal in Andeutungen so verhalten, wie beide es wünschten, weil es verboten war und weil wir beide die Konsequenzen kannten.
Wenige Tage später waren wir zufällig allein - etwas, was sonst von mir und von meiner Frau sorgfältig verhindert wurde. Wir sprachen noch einmal über die Unmöglichkeit, Wünschen und Empfindungen nachzugeben, ohne sich um die Folgen zu kümmern. Ari stimmte mir in allem zu. Aber als ich bereits glaubte, sie habe überwunden und sich gelöst, setzte sie noch einen Schuss ab, der ins Schwarze traf. Sie erinnerte mich daran, dass speziell in unserem Haus immer wieder darüber gesprochen würde, wie wichtig es sei, Gedanken und Wünsche zu artikulieren. Sie sähe durchaus ein, warum etwas nicht sein kann und nicht sein darf. Das wäre jedoch kein Grund, aus den eigenen Gefühlen ein Geheimnis zu machen und zu tun, als sei nichts. Ich musste schlucken, denn ich konnte ihr nicht widersprechen, ohne mir und uns zu widersprechen.
Über vier Wochen hielten Ari und ich es durch, uns nur zu sehen, den eigenen Herzschlag zu spüren, wenn der andere auftaucht; und das Herz des anderen zu fühlen, wenn wir uns nahe beieinander befanden. Ari ging in unserem Haus ein und aus, sie spielte mit mir Billard, sie sah mir bei Hausarbeiten zu, sie fuhr mit mir zum Einkaufen. Meine Frau sagte, sie akzeptiere alles unter dem Aspekt der langsamen Entwöhnung. Sie sagte nicht, dass das gleichzeitig ihre Entwöhnung von mir sei. Was sie nicht ahnen konnte - wussten wir selbst es doch nicht - war, dass der Wunsch nach körperlicher Bestätigung unseres Zustands immer stärker wurde. Ich war nicht mehr in der Lage, geistig zu arbeiten; und Aris Schulleistungen verschlechterten sich rapide. Waren wir zusammen, genügte anfangs eine leichte Berührung, später bereits das Bewusstsein des Zusammenseins, die Spannung zwischen uns ins Unerträgliche zu steigern. Ich glaubte erst, das sei nur bei mir, bis mir Ari gestand, dass sie sich unmittelbar nach unserem Zusammensein selbst befriedigen müsse, um nicht wahnsinnig vor Erregung zu werden.
Merkwürdig war zu dieser Zeit mein sexuelles Verhältnis zu meiner Frau. Wir hatten schon mehrere schwierige Phasen hinter uns, in denen das gegenseitige Verlangen gestört war. Jetzt aber war es so wie zu Beginn unserer Beziehung: Ich verlangte nach ihr, es erregte mich ungemein, mit ihr zu schlafen, ich empfand Befriedigung; und ich dachte dabei nicht an Ari. Ich hoffte immer noch, dass dieses starke Band innerhalb unserer Verbindung den Zusammenhalt gewährleisten könnte. Ich merkte nicht, wie sich meine Frau von mir entfernte.
Dann kam der Tag, dessen Verlauf die Anklage gegen mich, die Verhandlung, die Zerstörung Aris und die Zerstörung meiner Ehe zur Folge hatte. Meine Frau war verreist, ihre Tochter war unterwegs, und Ari war, wie fast immer, bei mir, um Handarbeiten zu machen, zu musizieren oder einfach nur dazusitzen und mir zuzuschauen. Als der Abend kam, zündete ich wie immer das Kaminfeuer an. Ari kochte Tee; und eine Weile saßen wir zusammen vor dem Kamin, starrten ins Feuer, tranken Tee und hingen unseren Gedanken nach.
Plötzlich sagte Ari: "Findest du nicht auch, dass es heute fast wie damals ist? Wir sitzen hier vorm Feuer, wir trinken Tee, wir reden miteinander, als sei nichts geschehen. Schau mal, ich bin seitdem nicht mal mehr kitzlig!" Sie legte sich auf den Bauch vor dem Kamin, streifte ihr T-Shirt hoch und bedeutete mir, doch mal zu prüfen. Es war das erste Mal seit damals, dass ich ihre Haut ohne Kleider sah. Eine samtene gebräunte Haut spannt sich über Rippen und geht über in den schmalen Teil, an dem andere Frauen ihre Taille vermuten. Wie unter Zwang, fast wie von selbst glitten meine Finger über ihren Rücken, zogen die Linie ihrer Wirbelsäule nach, streichelten ihre Schultern, fuhren an der Seite aufwärts bis unter die Achseln und fühlten auf dem Weg zurück den zarten seitlichen Ansatz ihrer Brust.
Es war nicht Aris schneller Atem, der meine Erinnerung weckte. Es war nicht das elektrische Gefühl zwischen ihrer Haut und meinen Fingern. Es waren nicht die fast unsichtbaren Bewegungen ihres Körpers, mit denen sie meinem Streicheln antwortete. Es war auch nicht meine Erregung, die alle Schranken fortspülte. Es war wie bei einem Marathonläufer, der nach unendlichen Kilometern endlich durch das Ziel wankt und im Triumph die Arme hochreißt, bevor er das Bewusstsein verliert. Es war, als ob eine Welle über uns zusammenschlägt, aus der wir in der Vereinigung wieder auftauchten. Aris Gesicht war mir ganz nahe. Sie sah unsäglich glücklich aus. Ich bewegte mich nicht. Wir fühlten einander, aneinander, ineinander, wie ein einziger Körper. Unsere Herzschläge übertönten jedes Geräusch. Sie übertönten auch die Haustür. Sie übertönten auch die Schritte. Sie übertönten nicht den wütenden Aufschrei.
Aris ehemaliger Freund hatte sich nach seiner Abfuhr unserer Tochter zugewandt. Die beiden unternahmen viel zusammen, aber die Beziehung erreichte nie die Intensität seiner Freundschaft zu Ari. Auch war er fast nie in unser Haus gekommen - wohl, weil die Erinnerung an die Party noch nicht verheilt war. Diesen Abend nun hatte unsere Tochter ihn aufgefordert, noch auf eine Runde Billard zu uns zu kommen; und er hatte zugestimmt. Er war es dann, der Ari und mich auf dem Boden des Kaminzimmers fand. Außer seinem Aufschrei sagte er nichts, aber wenige Sekunden später schlug die Haustür ins Schloss. Die Tochter meiner Frau schloss sich in ihr Zimmer ein.
Es dauerte keine vierundzwanzig Stunden, bis zwei Herren vor unserer Haustür standen und mich um ein Gespräch baten. Aris Freund hatte nur bis zum Morgen gewartet, um seine Anzeige zu erstatten. Für ihn war ich derjenige, der ein minderjähriges Mädchen - seine Freundin - verführt hatte. Ich war derjenige, der ihm sein Liebstes weggenommen hatte. Ich war derjenige, der dafür büßen sollte. An das, was zwischen ihm und Ari geschehen war, dachte er nicht.
Der Rest ist schnell erzählt. Aris Eltern wurden von der Kripo vorgeladen und mit den Untaten ihrer Tochter konfrontiert. Überflüssig zu sagen, dass Aris Vater anschließend bei mir war, um mir zu sagen, was er von mir hält. Überflüssig zu sagen, dass meine Frau nicht lange überlegt hat. Heute ist sie nicht mehr meine Frau. Überflüssig zu sagen, dass die Inhaberin des Dorfladens mich nicht mehr bedient; und dass der Bauer seine Eierlieferung eingestellt hat. Überflüssig zu sagen, dass ich Ari seitdem nicht mehr zu sehen bekommen habe. Ihre Eltern bringen sie zu Schule, holen sie dort ab und schließen sie anschließend in ihrem Zimmer ein.
Natürlich musste ich einen Verteidiger beauftragen. Mir wurde jemand vermittelt, der auf diesem Gebiet nicht unerfahren ist. Er konnte durchsetzen, dass er allein und ausführlich mit Ari sprechen durfte. Er konnte ihr erklären, womit ich bedroht bin, wenn sie mich nicht entlastet - zu ihren Lasten. So erfuhr er von ihr die Namen ihrer ehemaligen Freunde, mit denen sie schon geschlafen hatte. Er konnte ihr einhämmern, was sie vor Gericht auszusagen hätte, um mich vom Vorwurf der Verführung reinzuwaschen. Er überzeugte sie, dass alles nicht so schlimm sei, wenn sie sich zur Verführung bekennen würde und bewiese, wie oft sie das schon getan hätte. Er konnte ihr nicht sagen, dass ich noch immer in sie verliebt bin; und dass ich nichts bereue. Er musste mir sagen, dass ich bereuen und bedauern muss.
Die Verhandlung war eine Farce. Mein Verteidiger stellte seine Fragen, Ari beantwortete sie vereinbarungsgemäß und ich erklärte, dass ich mein Verhalten zutiefst bedauerte, mich jedoch nicht schuldig im Sinne der Anklage fühlte; und das entsprach sogar der Wahrheit. Nachdem mein Verteidiger dann nachgewiesen hatte, dass Ari bereits ein Jahr zuvor entjungfert wurde; dass sie zwischenzeitlich mehrere junge und auch ältere Männer zum Beischlaf verführt und mich in unglaublicher Weise provoziert habe, blieb dem Gericht keine andere Wahl als mein Freispruch. Sogar der Staatsanwalt war zum Schluss von meiner Unschuld überzeugt. Vielleicht bedauert er jetzt sogar, dass er nicht an meiner Stelle war.
Die Vertreter der Fürsorge waren von Anfang an anwesend. Sie werden sich nicht auf Fragen an Ari und ihre Eltern beschränken. Sie werden Fehler suchen und finden und sie werden versuchen, sie durch eigene viel größere Fehler zu ersetzen.
Ich weiß nicht, was ich jetzt tun werde. In diesem Ort werde ich nicht alt werden können, denn die moralische Entrüstung wird lauter als alle Missgunst, aller Neid, aber auch alles Verständnis sein. So werde ich weiterziehen, einen Ort suchen, wo ich Ruhe finde; und wo ich warten kann. Ich weiß, worauf ich warte, ich will darauf warten; und ich hoffe, dass mein Warten nicht vergebens sein wird.


Eingereicht am 13. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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