Kurzgeschichtenwettbewerb Kurzgeschichten Wettbewerb Kurzgeschichte Schlüsselerlebnis
www.online-roman.de
Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Ich hatte ihn gewarnt ...
©Matthias Schwendemann
Das Erste was ich fühlte war eine bittersüße Genugtuung, die aus dem Innersten meines Körpers kam und meinen Körper wärmte, wie die Sonnenstrahlen der heißen Julisonne.
Ich meine, ich hatte ihn wirklich gewarnt und das nicht nur einmal. Wenn du noch einmal sagst "Es gibt noch so viel was du lernen musst!" tue ich dir etwas an, hatte ich ihm gesagt und das auch deutlich. Doch er wollte nicht hören und nun muss er die Konsequenzen tragen.
Und trotzdem verschwand dieses gute Gefühl der Genugtuung fast so schnell wie es gekommen war, als ich aus dem Fenster sah und ihn da unten 3 Stockwerke tiefer in seinen Eingeweiden liegen sah. Niemals hätte ich gedacht, dass es so weit kommen würde. Unten bildete sich schon eine kleine Menschenmasse um den gerade aus dem Fenster Gestürzten. Ich sah die entsetzten Gesichter der Menschen und ich freundete mich mit dem Gedanken an, nun auch endlich kriminell geworden zu sein, wie schon so viel große Persönlichkeiten
der Geschichte vor mir. Es erfüllte mein Herz mit einer Art grimmigen Befriedigung, dass ich nun zum Kreis der Al Capones und DonGiovannis meiner Zeit gehörte.
Als ich bemerkte, dass die Menschenmasse unter meinem Fenster unruhiger wurde, beschloss ich wegzugehen. Nicht zu flüchten, sondern nur zu einem Freund, um zu reden und ihm von meiner Tat zu erzählen. Gespannt auf seine Reaktion rannte ich quasi schon, als ich durch den Hinterausgang meines Hauses die Straße erreicht hatte. Mein Herz begann zu rasen und ich sah schon überall die Polizisten und Gefängniswächter die mich verfolgten und in Ketten legen wollten, wegen Mord an einem Unschuldigen. Aber war er denn
unschuldig???
Sicherlich bedeutete mir unsere Beziehung viel mehr als die meisten anderen Beziehungen die ich mit anderen seiner Art eingegangen war und manchmal war es sicherlich auch Liebe. Doch wie bei vielen Beziehungen die man eingeht, habe ich mich auch bei dieser geirrt und mich anfänglich, von Tausenden von Schmetterlingen in meinem Bauch täuschen lassen.
Und ich habe so viel für ihn getan, habe alles versucht um ihm alles so angenehm wie möglich zu machen. Extra für ihn habe ich einen Platz in meinem sonst so geliebten Zimmer frei geräumt und versucht mich von seinen Macken nicht immer gleich zur Weißglut bringen zu lassen. Aber er hat es übertrieben, mit der Zeit. Denn er hatte die Angewohnheit immer dann wenn ich ihn gerade einmal dringend brauchte, vom einen zum anderen Moment abzuschalten und in eine Art geistiges Koma zu verfallen. Wenn er diese Phasen hatte,
machte ich mir immer große Sorgen um ihn und es geschah nicht selten, dass ich einen guten Freund, der sich mit allen Macken meines Partners, den kleinen und den großen, sehr gut auskannte, um Hilfe bat. Oft war er meine letzte Rettung und für mich ist er in letzter Zeit, als sich die Anfälle meines Partners häuften, fast zu einer Art Heiligen geworden. Vielleicht sollte ich mich einmal mit einer Tasse Kaffee bei ihm bedanken oder ihn ins Kino ausführen.
Während ich in Gedanken versunken, die Straße entlang geschlendert war, hatte es kaum merklich zu regnen begonnen. Ich hasse Regen. Deshalb bauten meine Eltern ein Baumhaus für mich als ich acht war, damit ich auch draußen spielen konnte wenn es regnete.
Und in diesem Baumhaus kam ich schon einmal in eine Situation, ähnlich der in der ich mich im Moment befand. Sie war meine erste richtige Freundin und wir waren beide 13, das ist jetzt etwa drei Jahre her. Es regnete damals auch, wir saßen im Garten und ich machte den Vorschlag ins Baumhaus zu klettern, welches ich extra für eine solche Situation mit Kissen und Decken bestückt hatte. Ins Baumhaus geklettert kuschelten wir uns also in die Decken. Natürlich hätten wir auch ins Haus gehen können um uns vor dem Regen
zu schützen, aber ich hatte eine Überraschung vorbereitet, für sie, denn für mich gab es nur noch uns beide auf der Welt. Sie war meine Pyrrha und ich ihr Deukalion. Im Fernsehen hatte ich einen Mann gesehen, der einer Frau ein Gedicht vortrug und die Frau ihn daraufhin liebevoll küsste. Gedichte schreiben kann ich auch, dachte ich mir und saß einen ganzen Nachmittag an meinem Schreibtisch um ein Gedicht zu verfassen welches meiner Freundin gefallen würde und sie zu einem liebevollen Kuss bewegen musste. Und
der Augenblick kam als ich sagte: "Ich hab ne Überraschung!!" Und dann ging's los. Ich las und ich packte so viel Schmalz und so viel Gefühl in meine selbst geschriebenen Zeilen wie ich nur irgendwie konnte. Hätte mich während dieses Vortrages jemand vom Theater gesehen, ich hätte jeden Job bekommen. Jeden!!! Doch es war niemand vom Theater da und mich sah auch sonst niemanden, niemanden außer meiner Freundin. Als ich zu Ende gelesen hatte, hob ich langsam meine Augen von dem Gedichtblatt und wagt einen
ersten, hoffenden und gespannten Blick. Ich sah in eine Teufelsfratze, die mich auslachte, aber es war nicht einfach nur auslachen, es war viel mehr. Es war, als ob man mich kopfüber an einem Seil aufgehängt hätte und mir ein Dutzend Leute kleine, aber unglaublich spitze Messer in den ganzen Körper rammen würden. Mir wurde schwindlig und ich glaubte in ein unendliches Loch zu stürzen und alles was ich hörte als ich fiel war dieses Lachen und alles was ich sah dieses unglaublich böse Gesicht. Erst Minuten später
hatte ich mich gefangen, doch die Teufelsfratze und ihr markdurchdringendes Lachen waren verschwunden. Der erste Gedanke der mir kam, war: "Du hättest sie rauswerfen sollen. Einfach raus." Ja, ich glaube das hätte ich machen sollen. Überhaupt entstand durch diesen Vorfall tief in mir drinnen das Bedürfnis alles aus dem Fenster zu werfen, was mir nicht gefiel. Das wäre mal eine Lösung gewesen. Ich meine, Fenster gibt es ja genug und Probleme sicher auch und wenn dann jeder Mensch sich mal überwinden
würde und alle seine Probleme aus dem Fenster werfen würde, dann wäre die Welt doch perfekt. Stellt euch das doch mal vor!! Es wäre so einfach alle Probleme zu lösen wenn wir es nur endlich anpacken würden. Aber dafür lieben die Menschen ihre Probleme zu sehr, als dass sie sich trauen würden, sie zu lösen.
Auch ich fand nie den Mut etwas aus dem Fenster zu werfen, bis - ja bis, heute. Und heute musste dafür gleich ein guter Freund dran glauben. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Er war doch perfekt, genau richtig für mich. Das merkte ich schon als wir uns zum ersten Mal sahen und ich in sein großes freundliches Gesicht blickte und er mich anlächelte. Er war alles was ich gesucht hatte. Seine Aussehen, seine Figur, seine Hobbys und Interessen, es war mir als ob es jemand sehr wichtiges unglaublich, ja fast
schon zu gut mit mir meinte. Ich hatte diese Gefühle für ihn. Aber ich fühle mich betrogen, von der Welt, die sich gegen mich verschworen hatte, der Gesellschaft, die mich zu dieser grauenhaften Tat gedrängt hatte und von diesem geheimnisvollen Gefühl, das allmächtig zu sein scheint. Ich glaube im Volksmund nennt man es - die Liebe. Ich hasse die Liebe und am liebsten würde ich ihr das sagen, ich würde sie anschreien um ihr endlich mal meine Meinung zu sagen. Aber leider gibt es kein Büro der Liebe, an das man
Beschwerdebriefe schreiben könnte und auch sonst personifiziert sich die Liebe nicht. Sie mischt sich aber in alles ein und wechselt ihre Wirkung wie ein Chamäleon die Farbe. Mal ist sie dein bester Freund und du hast unglaublich viel Spaß mit ihr, und manchmal ist sie der Typ der dich auf der Straße anmacht und dir, mit gezücktem Butterfly, dein Geld abziehen will und wenn du es ihm dann aber gibst gibt er dir noch einen Faustschlag ins Gesicht. Wahrscheinlich ist das keine gute Beschreibung, aber für mich stellte
sich die Liebe so dar. Vielleicht sollte ich auch die Liebe aus dem Fenster werfen, aber dazu hänge ich zu sehr an ihr.
Der Regen war in Zeit meiner meines Nachdenkens stärker geworden, eigentlich sollte ich sagen es war ein wahrer Wolkenbruch und es dauerte nicht lange bis meine dünnen Sommerkleider, meine kurze Hose und mein Hawaiihemd, völlig durchnässt waren. Ich lief über einen Zebrastreifen. Schwarz, weiß, schwarz und weiß. Wie ein Schachbrett oder eben ein Zebra oder wie der Streifenanzug eines Häftlings. Würde ich auch bald so einen schicken Streifenanzug tragen, wie die Panzerknacker in so vielen Donald Duck Comics?
Mit einer Nummer auf dem Rücken und die Hände in Ketten? Wenigstens wäre ich dann meine Probleme los. Die Probleme mit der Liebe und alle anderen ganz nebenbei auch. Und das Einzige auf das ich noch achten müsste, wäre es, die Seife in der Dusche gut festzuhalten und wenn sie mir doch einmal runterfiele schnell wegzurennen. Das hätte schon was. Und sonst ist es ja auch nicht so schlimm im Gefängnis. Ich meine, einen Fernseher im Zimmer und dreimal am Tag was zu essen. Viel besser geht's mir hier zuhause auch
nicht. Und sicher kann man auch im Gefängnis wieder Freunde finden. Aber eigentlich hätte ich doch noch gerne mein Abitur gemacht und ein wenig studiert bevor ich zum Häftling würde.
Durchgefroren und völlig durchnässt erreichte ich kurz darauf das Haus meines Freundes. Er wohnt im dritten Stock und so musste ich noch Treppensteigen, was mit nassen Kleidern eher zu den Dingen gehört, die man als unangenehm bezeichnen kann. Mein Freund wartete schon an der Türe auf mich und mit einem bemitleidenden Blick sah er mich an und fragte: "Na, was ist dieses Mal passiert?? Hast du jemanden umgebracht??" Er lachte über seinen Witz und hätte er nicht den Nagel auf den Kopf getroffen, hätte
ich wohl mitlachen können. Als er meinen Blick bemerkte, der starr geblieben war und sich nicht einmal der kleinste Muskel meines Gesichtes zu einem Lächeln verzogen hatte wurde er unsicher und fragte noch einmal mit zitternder Stimme: " Du hast doch nicht wirklich jemanden umgebracht, oder?? Oder etwa doch?" Ich erzählte ihm daraufhin von meinem Unglück und während ich erzählte nickte er manchmal zustimmend oder schüttelte nachdenklich den Kopf. Er unterbrach nie jemanden, wenn ihm etwas erzählt
wurde. Alles was er tat war aufmerksam zuzuhören und für sich selbst seine Schlüsse zu ziehen. Nachdem ich zu Ende erzählt hatte sah er mich erst an, dann goss er mir noch einmal von dem heißen Tee nach, den er nach einem uralten Familienrezept zubereitet hatte. Er stammte aus einer uralten Nomadenfamilie und oft glaube ich, dass all die Erfahrungen die seine Vorfahren Jahrhunderte lang, vielleicht noch länger gesammelt hatten nun alle vereint waren im Geist meines Freundes. Wenn er sprach hatte man immer das
Gefühl er erzählte dir das Wichtigste, das du jemals gehört hast und du hängst an jeder Silbe, als würde es um alles gehen was dir wichtig ist. Ich glaube wenn du ihn fragen würdest "Wie bitte?", würde er gar nicht verstehen was du meinst. Und erst nachdem ich noch einen großen Schluck des Tees getrunken hatte, fing er an zu sprechen: "Ich glaube du hast das Richtige getan! Das Richtige für einen kurzen Augenblick, denn du hättest dir über die Konsequenzen im Klaren sein müssen. Ich gebe dir einen
Rat. Geh wieder nach Hause und stell dich deinem Problem, denn nur so wirst du es auf Dauer zufriedenstellend lösen können. Ich wünsche dir viel Glück, aber du solltest jetzt gehen."
Ich machte mich also auf den Heimweg und da es aufgehört hatte zu regnen, blieben die neuen Kleider, die ich von meinem Freund bekommen hatte, sogar trocken. Sich seinem Problem stellen!! Hört sich gar nicht so schlecht an. Vielleicht hätte ich das schon viel früher machen sollen. Und auf jeden Fall sollte ich es jetzt endlich tun, denn es kann noch nicht zu spät sein. Ich lief nun schnell nach Hause, so schnell, dass ich fast den Polizisten umrannte, der aus unserer Wohnungstür trat als ich diese erreicht hatte.
Er sah mich kurz an, dann nickte er, grinste breit und grüßte mich kurz. Wusste er denn nicht wer ich war??? Ich bin es doch, der Mörder, der Böse, der Jugendliche der schon mit 16 ein Krimineller ist und nie mehr ein normales Leben führen wird.
In der Küche saßen mein Vater und meine Mutter an unserem kleinen, runden Küchentisch. Sie saßen dort fast reglos und mein Vater hielt die Hand meiner Mutter. Als ich im Türrahmen stand, blickte zuerst mein Vater kurz auf, sein Gesicht war so kalt und entsetzt, wie ein langer, spitzer, tödlicher Eiszapfen. Dann sah auch meine Mutter auf, zuerst ebenfalls kalt und entsetzt, ja sogar fast schon abfällig. Doch dann verschwand dieses Böse von ihrem Gesicht und sie erhob sich, kam auf mich zu und schloss mich mit
ihrem traurigen Blick in ihren Arm, drückte mich und flüsterte mir leise ins Ohr, dass alles wieder gut werde und sie mir beistehen werden. Ich begann leise zu schluchzen, denn jetzt in den Armen meiner Mutter, brach alles über mich herein und ich konnte nichts mehr zurückhalten.
Man sagt die Zeit heilt alle Wunden! Doch lässt sie auch alles vergessen?? Wir werden sehen …
Eingereicht am 13. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.