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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Perkeo! Perche No? Warum nicht?
©AnneCan
"Nun stell Dich doch nicht so an, und sag endlich ja! Seit Monaten biete ich Dir an, ein paar Tage zu mir nach Heidelberg zu kommen, aber nein, Du zerfließt ja lieber in Selbstmitleid und verkriechst Dich in Deinen vier Wänden, Dir ist nicht zu helfen, das war jetzt mein letztes Angebot!"
Peng! Der Telefonhörer wurde ziemlich unsanft aufgelegt.
Tja, das war meine resolute Freundin Manuela, Manu genannt, sie war schon als Teenager so, rack zack, fertig.
Entweder - oder!
"Wer nicht will der hat gehabt!" war einer ihrer Lieblingssätze.
Manu war Chefsekretärin in einem großen Konzern in Mannheim, sie war die Vorzimmerdame von Big Boss.
Wer beim Chef einen Termin will der muss erst den Vorzimmerdrachen besiegen, das war Manuelas Devise.
Sie wachte mit Argusaugen über ihn, sie managte inzwischen nicht nur die Firma und sein Leben, sondern auch sein Herz und seine Seele, seit Jahren hatte sie ein Verhältnis mit ihm.
Selbstverständlich behielt sie ihre Penthauswohnung in der nobelsten Wohngegend, von "ihm" finanziert, versteht sich, ihre Freiheit wollte sie nie und nimmer aufgeben.
Ich arme bedauernswerte Frau war genau das Gegenteil von meiner zielstrebigen Karrierefrau Freundin.
Langsam legte ich den Hörer auf und verfiel wieder in Grübeleien.
Gerade hatten wir ganz groß unsere Silberhochzeit gefeiert, eine rauschende Party in der Kulturhalle unseres Kleinstädtchens.
Karl-Friedrich ließ sich nicht lumpen, schenkte mir einen dicken Einkaräter, bestellte die beste Lifemusikband und die exclusivste Cateringfirma.
Es war ein rauschendes Fest, 500 geladene Gäste und alle staunten über das toll ausgestattete und arrangierte Fest.
Karl Friedrich lief den ganzen Abend mit stolzgeschwellter Brust herum und ließ sich anerkennend auf die Schulter klopfen.
Genau zwei Monate später zog er aus.
"Sie ist 20 Jahre jünger, 30 Kilo leichter und 1000 Mal blonder als Du!"
Ich heulte mir die Augen aus dem Kopf, saß neben dem Telefon und wartete und wartetet ...
Meine Familie war mein ganzer Lebensinhalt, meinen erlernten Beruf hatte ich nie ausgeübt, schon jung hatte ich Karl-Friedrich geheiratet, er wollte nicht, dass ich arbeiten gehe, das hätte seine Frau nicht nötig.
Ich hielt ihm den Rücken frei für seine beruflichen Aktivitäten, seine Karriere und seine teuren, aufwendigen Hobbys.
Seit die Kinder aus dem Haus waren, blitzte und blinkte unser Bungalow, ich wienerte und putzte den lieben langen Tag und mit allen seinen Leibspeisen verwöhnte ich diesen Mann Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr.
Unsere Tochter studiert in der Schweiz und unser Sohn bereist als Journalist die ganze Welt.
Nur Muttern, die sitzt mal wieder neben dem Telefon, ist allein, einsam und verlassen und mittlerweile auch alt, schon Mitte fünfzig.
"Geh aus, Mutter, amüsier Dich!" "Fahr in Urlaub Mutti, genieße ihn!" "Such Dir eine Beschäftigung, arbeite für einen caritativen Zweck, hol für die Platte Lebensmittel bei und verteil sie!"
Das waren die Ratschläge meiner erwachsenen Kinder und meine "Kleine" fügte noch verschmitzt hinzu: "Such Dir einen jungen Lover Mum, der wird Dir guttun!"
Karl- Friedrich war nun schon seit drei Monaten weg, von alten, so genannten guten Freunden erfuhr ich, dass er gerade mit seinem "blonden Gift" auf den Seychellen turtelt!
Langsam erhob ich mich, machte mir eine Tasse Cappucchino und holte mir meine Lieblingsschokolade aus dem Schrank.
"Für die Nerven!" sagte ich mir trotzig.
Mein Blick fiel auf den Städteführer von Heidelberg, den ich mir vor einer Woche, in der Bücherei besorgt hatte.
Lustlos blätterte ich die Seiten um, da ein Blick auf den Neckar, hier eine Impression vom Philosophenweg, ein Foto vom Zoo, von den Universitätskliniken, vom Schloss.
Ich hörte auf zu blättern, und las mir die Beschreibung des Heidelberger Schlosses langsam und aufmerksam durch.
Perkeo, der Zwerg und Hofnarr aus Südtirol, der angeblich das große Fass austrinken konnte, amüsierte mich.
"Perche no" "warum nicht" soll er gesagt haben und seitdem hieß er Perkeo!
Neugierig las ich weiter, die "Engelsköpfe" zogen meinen Blick auf sich.
Es waren die Zwillingsknaben des Baumeisters, die täglich mit zur Baustelle kamen und dann beide vom Baugerüst fielen, der eine riss den anderen mit in die Tiefe.
Diese beiden Engel hielten einen Kranz aus Rosen in den Händen und ein Zirkel war in der Mitte angebracht.
Der Vater musste sehr unter dem Verlust seiner Söhne gelitten haben, denn nachdem er den Bau beendet hatte wurde er Mönch im Kloster vom Heiligenberg.
Nachdenklich wollte ich das Buch beiseite legen, dann fiel mein Blick auf den "Hexenbiss".
Schnell musste ich auch diesen Bericht noch lesen.
Nun stand mein Entschluss fest.
Ich werde Manu anrufen und ihr sagen, dass sie mich morgen am Bahnhof in Heidelberg abholen kann, ich werde ein paar Tage bei ihr bleiben, denn das Heidelberger Schloss hatte es mir angetan.
"Na endlich, Du Trantüte" trompetete sie in den Hörer.
Nun saß ich im Zug vom Rheinland nach Heidelberg. Die Landschaft wechselte, die Weinberge im Hunsrück waren mit den herrlichsten Herbstfarben geschmückt, gerade so, als wollten sie mir zurufen, "sieh her, Indian Summer liegt vor Deiner Haustür, Du musst nur die Augen aufmachen!"
Wie lange war das her, dass ich bewusst eine Landschaft so genießen konnte?
Karl-Friedrich hatte natürlich die S-Klasse in silber und damit konnte man doch nicht gemütlich genüsslich wie eine Schnecke durch die Gegend schleichen.
Ich genoss die Fahrt, gerade stoppten wir im neu gebauten Bahnhof von Mannheim und der nächste Halt wird dann Heidelberg sein.
Ich holte meinen kleinen Koffer aus der Gepäckablage und nahm meine Handtasche, schon ganz aufgeregt, ja nicht den Ausstieg zu verpassen.
Bei der Einfahrt in den Bahnhof sah ich sie schon stehen, Manu meine Freundin, wie immer, wie aus dem Ei gepellt, gestylt nach den Ausgaben der Haute Couture.
Jeder Millimeter eine Grand Dame, selbstbewusst, sexy und sich ihrer Wirkung des Auftritts vollkommen bewusst.
Auf High Heels kam sie auf mich zugestakst, theatralisch breitete sie die Arme aus um eine unglückliche einsam und verlassene Ehefrau fest an sich zu drücken.
"Zuerst brauchst Du eine pfiffigere Frisur, dann müssen wir unbedingt zur Kosmetikerin und diese Alt-Oma Klamotten die kannst Du dem Rot-Kreuz spenden!"
Kritisch musterte sie mich und schüttelte mitleidig den Kopf.
"Die Konkurrenz schläft nicht, liebe Elisabeth, Du musst viel mehr aus Dir machen!" "Ich nehm Dich jetzt mal unter meine Fittiche, dann werden wir aus dem hässlichen Entlein schon was zaubern."
Mir wurde ganz übel.
Ich wollte kein Schwan werden so wie Manu, nein, das wollte ich auf gar keinen Fall, ich fühlte mich so wohl wie ich war und mehr "Schein als Sein und "Darstellen" das entsprach auf gar keinen Fall meiner Persönlichkeit.
"Das kommt überhaupt nicht in Frage!" platzte ich etwas unwirsch heraus, und meine Barbieverschnittfreundin spitzte ihre aufgespritzten Lippen, kräuselte das süße kleine Näschen und eine Unmutsfalte verunstaltete das schöne geliftete Gesicht, sie grub sich minutiös an der Nasenwurzel zwischen den Augenbrauen ein.
"Wie Du willst" zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Die Wiedersehensfreude hielt sich danach in Grenzen, es wollte und wollte keine lockere Stimmung mehr aufkommen.
Am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder nach Hause gefahren.
Manu hielt mir die Beifahrertür ihres knallroten Sportflitzers auf, ich zwängt mich rein, plumpste auf den Sitz und dachte im nächsten Moment ich würde auf dem Straßenasphalt landen, so tief und unbequem waren die Sitze.
"Ein Spielzeug für Barbie" dachte ich sarkastisch.
Manu warf den ersten Gang rein und schoss los mit ihrer Rakete.
Es war mir unangenehm, dass an jeder roten Ampel sich die Männer die Hälse nach dem Wagen und meiner Freundin verdrehten und sie sich in der Aufmerksamkeit aalte.
Ich rutschte immer tiefer in meinen Sitz und wünschte, ich wäre nie, nie in diese fremde Stadt gekommen.
Ich vermisste mein Zuhause, meine vertraute Umgebung, mein Gewohntes, meine tägliche Routine.
Was für ein Teufel hat mich denn geritten, dass ich auf so eine blöde Idee kommen konnte um hier bei dem Luxusweibchen Ferien zu machen.
Abrupt trat Madame auf die Bremse.
"Wir sind da!" flötete sie.
Langsam schälte ich mich wieder aus dem Gefährt und mit dem Fahrstuhl ging es hoch in die exclusivste Penthauswohnung, die ich je gesehen habe.
Stolz bekam ich eine Wohnungsführung, Designer sämtlicher Nationen hatten sich hier ausgetobt.
Die Küche war die Krönung. Hier blitzten und blinkten Edelstahl und Chrom miteinander um die Wette. Kein Fingerabdruck, kein Krümelchen, nichts, rein gar nichts. Alles neu und unbenutzt, rein und steril, wie frisch desinfiziert.
"Wo ist denn die OP Lampe und das Skalpell?" rutschte es mir spontan heraus.
Ein strafender Blick traf mich.
Manuela zeigte mir das Gästezimmer.
Ich schob vor, müde von der Reise zu sein, ich wollte mich etwas ausruhen.
"Gut, dann mach ein Schönheitsschläfchen, heut Abend gibt's Halli Galli, ich habe extra für Dich eine Fete angeleiert, da musst Du fit sein!" säuselte sie mir noch ins Ohr.
Ich kramte den Städteführer aus meiner Handtasche und ließ mich auf der eleganten Otomane nieder.
Schnell noch mal über den Hexenbiss nachlesen, nahm ich mir vor.
Morgen wollte ich wieder zurückfahren, das war sicher, ich fühlte mich hier überhaupt nicht wohl, ich kam mir vor, als wär ich im falschen Film.
Dieser zur Schau gestellte Luxus war nicht meine Welt, nein, hier wollte ich keine Ferien machen.
Das Buch musste mir beim Lesen aus der Hand gefallen sein, denn als ich aufwachte, lag es auf dem Boden.
Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte mir, dass ich tatsächlich zwei Stunden geschlafen hatte.
Meinen kleinen Koffer packte ich nicht aus, denn die paar Utensilien für die Nacht konnte ich herauskramen.
Ich stellte ihn beiseite, nahm den Städteführer und meine Handtasche und verließ das Zimmer.
"Manu, wo bist Du" rief ich aus, meine Laune hatte sich etwas gebessert, Manuela war schon immer ein verwöhntes Luxusweibchen gewesen, wir waren in der Schule schon wie Tag und Nacht, damals hatten uns unsere konträren Charaktere Spaß gemacht, heute war das halt von meiner Seite aus nicht mehr der Fall.
Manu konnte da eigentlich nichts dafür, es lag an mir, ich hatte mich verändert.
Auf dem Tisch lag ein Zettel, der an mich gerichtet war.
In ihrer schön verschnörkelten Schrift stand da für mich die Nachricht, dass Manuela noch mal ins Büro musste, sie um 18.ooUhr wieder zurück sein werde, und ich mich bis dahin im Kino oder im Museum amüsieren sollte.
Ich trat auf die Dachterrasse und da sah ich es vor mir.
Das Heidelberger Schloss, oder besser gesagt, die Ruine, das was vom Heidelberger Schloss noch übrig war.
Wunderschön direkt am Wald über dem Neckar gelegen, ich kam ins Schwärmen.
Da wollte ich jetzt hin, es zog mich magisch an.
Mit der Bergbahn fuhr ich hoch, es waren viele Touristen in der Anlage, ich fand kein einziges ruhiges Fleckchen.
Unten im Keller beim großen Fass da fand ich den hölzernen Perkeo, "Perche No " rief ich ihm kichernd zu.
Er gefiel mir, er schien ein lustiger Geselle gewesen zu sein, und "Perche No" "Warum nicht" hihihi kicherte ich wieder vor mich hin, das gefiel mir als neues Lebensmotto.
Danach stand ich tief berührt vor den "Engelsköpfen" und bestaunte den Kranz aus Rosen mit dem Zirkel, den sie in ihrer Mitte hielten.
Langsam schlenderte ich wieder dem Ausgang zu und siehe da, endlich entdeckte ich auch den Eisenring am Schlosstor.
"Wer den Ring druchbeißt, dem gehört das Schloss" so soll Kaiser Ruprecht damals gesagt haben.
Nicht mal die Hexe hat es geschafft, zwar hat sie ihren Abdruck im Ring hinterlassen, aber druchgebissen hat sie ihn nicht.
Ich musste schmunzeln, fotografierte die alte Holztür, alte Türen als Fotomotiv waren meine Leidenschaft.
Suchend sah ich durch die Linse und beim dritten oder vierten Durchblick fiel mein Blick auf die Backsteinwand im Hintergrund.
Ich stutzte, nahm die Kamera herunter und ging näher.
Diese großen rustikalen Backsteine, was wollten sie mir erzählen?
Was wohl hatten sie seit dem 14. Jahrhundert schon an Freud und Leid erlebt?
Ich legte meine rechte Handfläche auf das Gemäuer und fühlte die pulsierende Energie.
Was war das? Ein kleines Fitzelchen Papier lugte da unter einem Backsteineck hervor.
"Was kann das sein?" Hatte hier jemand das historische Gemäuer mit Abfall, vielleicht mit einem Kaugummipapier verunstaltet?
Ich griff nach dem Zipfelchen und der ganze Backstein gab nach, er rutschte einige Millimeter zurück.
Ich erschrak. Was war denn das? Hatte der Zahn der Zeit hier genagt und den Mörtel brüchig werden lassen?
Ganz vorsichtig fasste ich noch mal an den Stein, und zu meiner Überraschung war der Stein ganz lose an seinem Platz.
Es waren nun keine Touristen mehr zu sehen, alles lag verlassen und ruhig da.
Ich wurde mutiger und fasste beherzt nach dem Stein.
Mit Zuhilfenahme meiner zweiten Hand schaffte ich es, den Stein anzuheben, blitzschnell griff ich mit der einen Hand nach dem Papier und ließ mit der anderen den Stein wieder fallen.
Mit zwei Schritten trat ich ins Freie, denn hier unter dem Turmtor war es inzwischen schon etwas düster geworden.
Die Sonne ging gerade unter und ein stürmischer Herbstwind war im Anflug.
Ich faltete den Zettel auseinander, er war ziemlich vergilbt, schien schon sehr alt zu sein, die Ränder waren ausgefranst, und fingen an zu zerbröseln.
Ich hatte Mühe bei dem aufkommenden Sturm ihn nicht aus den Händen zu verlieren.
Ich benötigte einige Minuten um zu begreifen, dass auf dem Blatt ein Bilderrätsel war.
Hmm hmm überlegte ich, es war eine Sonne aufgemalt, die so halb hinter etwas verborgen war.
Oh ja, genau so, wie es mir gerade im Moment die Natur bot, es musste ein Sonnenuntergang sein.
Dann standen da aber noch Buchstaben.
PLATANUS X HISPANICA
Damit konnte ich nichts anfangen. Nein, null Ahnung, noch nicht mal eine Idee, was um alles in der Welt könnte das bedeuten?
Nun fing es an zu regnen, durch meinen Fund hatte ich nicht mehr auf das Wetter geachtet und nun ging es schlagartig los.
Ich rannte zum Taxiplatz riss die Tür auf und ließ mich ziemlich durchnässt auf den Rücksitz fallen.
"Da haben sie aber Glück gehabt, gerade wollte ich Feierabend machen" meinte der Chauffeur und wartete auf meine Anweisung.
Ich nannte ihm die Adresse meiner Freundin und meine Gedanken begannen zu arbeiten.
Irgendwie muss ich herausfinden, was dieses Wort bedeutet, wen könnte ich denn fragen?
"Wissen Sie zufällig, was Platanus x hispanica ist?" so fragte ich beherzt den Taxifahrer.
"Zufällig ja!" erwiderte er spontan.
"Zufälle gibt es nicht" erwiderte ich lapidar.
"Wieso wissen Sie denn was das bedeutet?"
"Weil dies mein Studienfach ist, ich jobbe als Taxifahrer, finanziere mir dadurch mein Studium" erwiderte er.
"Was studieren Sie denn?" jetzt wollte ich es genau wissen.
"Botanik" meinte er kurz angebunden.
Nun platzte ich schier vor Neugier.
"Und was bedeutet dieses Wort nun?"
"Das ist ein Baum, die Platane, antwortete er stolz, sie ist in Mitteleuropa ein Zierbaum. Außerdem ist sie ein Bastard aus der nordamerikanischen Platanus occidentalis und der Platanus orientalis, die ostmediterran verbreitet ist. Das X in den Namen bedeutet, dass es sich um eine Kreuzung handelt. Diese Bäume sind nicht mehr sehr verbreitet, sie sind eine Seltenheit geworden. Hier in Heidelberg gibt es noch einige wenige am Kornmarkt."
Ich dankte ihm für seine Auskunft und fiel wieder in meine Überlegungen zurück.
Sonnenuntergang, Platane.
Platane, Sonnenuntergang.
Diese beiden Synonyme mussten einen Zusammenhang ergeben.
Aber welchen?
Sonnenuntergang, Platane, Plantane, Sonnenuntergang ...
Bei Sonnenuntergang an der Platane!
Ja, genau, das wars!
Es war eine Botschaft, vielleicht für ein geheimes Rendezvous???
Ich freute mich riesig, dem Rätsel auf die Spur gekommen zu sein, vielleicht einem Geheimnis auf den Fersen zu sein.
Wer wird sich denn da wohl vor langer, langer Zeit mit wem beim Sonnenuntergang bei einer Platane getroffen haben?
Meine Phantasie schlug Purzelbäume, ich malte mir die tollsten Dinge aus.
Reicher Mann aus dem Schloss und arme Magd?
Oder war es wohl eine herrschaftliche Frau aus dem Schloss die sich mit einem mittellosen, armen Wandermusiker traf?
Oh, es kribbelte mir in den Fingern, ich wollte da unbedingt dranbleiben und sehen, was es da wohl zu lüften gab.
Das Taxi hielt, ich gab ihm einen Euroschein und sagte ihm, dass er das Wechselgeld behalten soll für seine interessante Auskunft über die Platane.
"Na, endlich kommst Du, wo hast Du denn gesteckt, Du hättest ja mal anrufen können, und Dein Handy hast Du auch nicht an!" so empfing mich Manu. "Los, nun mach, Deine Willkommensparty beginnt gleich und Du musst Dich noch umziehen und zurechtmachen!"
"Ich habe keine Lust und werde nicht mitkommen!" sagte ich bestimmt.
"Aber ich habe sie nur wegen Dir arrangiert!" giftete meine Freundin zurück.
"Dann sag einfach, dass es mir nicht gut geht, und dass ich morgen eh wieder abreise!"
Wie eine Furie raste Manu auf die Tür zu, riss sie auf und mit einem Knall schlug sie hinter ihr wieder zu.
Ich musste noch so viel nachdenken und überlegen und alles was mir heute passiert war, musste ich nochmals Revue passieren lassen.
Irgendwie spürte ich, dass es für mich persönlich ein Wink oder ein Tipp oder ein Hinweis war.
Aber worauf, worauf wollte mich dieses Bilderrätsel hinweisen???
Mit einem großen Fragezeichen schlief ich ein.
Kaffeeduft kroch unter meiner Zimmertür herein, verteilte sich im Zimmer und kitzelte meine Geruchsnerven.
Es hielt mich nichts mehr.
Manu saß am Frühstückstisch, ein Glas frisch gepressten O-Saft vor sich auf dem Tisch.
Sofort bot sie mir ein Glas an, was ich gerne annahm, und anschließend schenkte sie mir eine Tasse Kaffee ein.
Die Party schien ziemlich feucht-fröhlich gewesen zu sein, Manu sah recht zerknittert und blass aus.
"Schädelbrummen" murmelte sie, "ich leg mich wieder flach, Du wirst den Tag schon ohne mich herumbringen".
Eigentlich wollte ich ja sofort abreisen, aber irgendetwas hielt mich zurück.
"Ich werde mich noch ein wenig in der Stadt umsehen" rief ich über meine Schulter beim Verlassen der Wohnung .
"In Ordnung, Du kommst schon alleine zurecht!" war die müde Antwort.
Ins Kurpfälzische Museum wollte ich gehen, das hatte ich mir für heute vorgenommen.
"Wegen Renovierung geschlossen", so stand an der Tür.
Schade, dachte ich und schlenderte enttäuscht weiter.
Im Seppl, einem urigen Studentenlokal aß ich eine Kleinigkeit und sah mir interessiert die Photos und Relikte der alten Studentenverbindungen an.
Dann schlenderte ich weiter.
Kornmarkt stand auf dem Straßenschild.
Kornmarkt? Das hatte ich doch schon mal wo gehört?
Ach ja, da sind noch einige Platanen hatte der nette Taxifahrer gemeint.
Langsam ging ich über den Platz am Kornmarkt auf die Bäume zu.
Es waren wunderschöne Platanen mit ausladendem Geäst und strahlend bunten Herbstblättern und unter jedem Baum stand eine schöne einladende schmiedeeiserne Bank.
Ich setzte mich und sah mich um.
Mein Blick fiel auf das Schloss, das direkt über diesem Platz thronte.
Es war ein wundervolles Bild wie direkt aus einem Fotokalender entsprungen, total romantisch, ein geheimnisvolles Licht umspielte das alte Gemäuer, der Sonnenuntergang legte einen mystischen Zauber über das Bauwerk.
Ich war fasziniert und konnte meinen Blick nicht wenden.
"Darf ich mich zu Ihnen setzen?" eine Stimme riss mich aus meiner Verzauberung.
Irritiert drehte ich meinen Kopf in die Richtung, aus der die Frage gestellt wurde.
"Gern", sagte ich knapp-
"George" stellte sich der Mann kurz vor, "ist es nicht wonderful, das Castle in diesem Licht zu sehen? Ich habe in New York immer und immer wieder von diesem Castle und dem Sonnenuntergang geträumt, ich sah immer dieses Bild. Nacht für Nacht, Traum für Traum. Es rief mich etwas hierher nach Old Germany, speziell nach Heidelberg, ich bin seit zwei Wochen hier und ich komme jeden Abend unter diesen Baum und sehe mir das Naturschauspiel des Sonnenuntergangs von dieser Stelle aus, an. Es kommt mir
so vor, als hätte ich ein Deja vu Erlebnis, diese Szene ist für mich so real und diese meine Gefühle sind mir so vertraut, als hätte ich dieses Erlebnis schon tausende von Male erlebt. Es überkommt mich jeden Abend so eine Freude wenn ich hier sitze und warte ..."
"Was für ein Zufall, dass Sie mir heute Gesellschaft leisten, bei diesem wundervollen Anblick!"
"Was hat sie denn hierhergelockt?"
"Es gibt keine Zufälle! Ich heiße Elisabeth, nennen Sie mich Elly, der Hexenbiss und der lustige Perkeo hatten da ihre Hand im Spiel!" erwiderte ich lachend.
Wir sahen uns tief in die Augen und waren uns sehr sehr vertraut.
Auch mir war es nun, als ob ich hier schon viele viele Male mit diesem Mann gesessen wäre.....vor langer langer Zeit......
"Gibt es in Ihrem Hotel noch freie Zimmer?" fragte ich schüchtern.
"Aber ja doch! Es ist ja keine Hauptsaison mehr, jetzt im Herbst ist das kein Problem Elly darf ich Sie zum Essen einladen und würden Sie morgen mit mir eine Schlossbesichtigung machen?"
"Aber gerne Georg, ich werde nur schnell meinen Koffer bei der Gepäckaufbewahrung abholen!" sage ich freudig.
"Darf ich auf Dich warten, Elly" rief er hinter mir her.
"Perche No! Warum nicht?" strahlte ich ihn an.
Eingereicht am 10. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.