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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Nie wieder

© Omar Adam Ayaita

Sie glauben, ich hätte alles aus Langeweile getan. Geben Sie es schon zu!
Ich tue überhaupt nichts aus Langeweile, das können Sie mir glauben, ich weiß ja gar nicht, was Langeweile ist. Weil ich den ganzen Tag am Schreibtisch sitze, habe ich Langeweile? Leute wie Sie müssten Langeweile haben! Da eilen Sie hierhin, eilen dorthin und bringen letztlich nichts Weltbewegendes zustande. Ich dagegen leiste an meinem Schreibtisch Dinge, von denen Sie nur träumen können. Sie verstehen es ja gar nicht! Nein, ich habe keine Langeweile. Mein Geist lebt und blüht. Schreibe ich Ihnen all das freiwillig? Ich muss es doch tun, muss doch mein Verbrechen rechtfertigen!
Na schön, es ist schon unglaublich, was ich tat, und es ist einfach nicht in Ordnung, ist moralisch verwerflich, ist hoffentlich strafbar, sicher, sicher. Aber auch das, auch diese Tat, musste einfach sein. Ich war gezwungen. Das hatte mit freiem Willen nichts zu tun - und nein, auch nicht mit Langeweile.
Warum ich überhaupt verreiste? Ich hasse Reisen, wissen Sie, ich hasse sie und brauche sie nicht, womit ich mich in einem weiteren Punkt von Ihnen unterscheide. Sie verreisen, um dem Alltag zu entfliehen, nicht wahr? Mir käme das nicht in den Sinn. Mein Leben ist aufregend genug! Es gibt keinen Grund, es zu ändern, und deshalb hatte ich das auch niemals vor. Warum ich trotzdem verreiste? Es sind diese Mediziner für alles verantwortlich, namentlich mein Arzt. Ich arbeitete zu viel, meinte er. Müsse mal Urlaub machen. Nach Möglichkeit am Strand. Meinetwegen, dachte ich mir, dann eben Urlaub am Strand! Ist ja nichts dabei! Es war übrigens meine erste Reise (und meine letzte), was nicht etwa daran liegt, dass ich ein Langweiler wäre. Ich brauche so etwas einfach nicht! Im Grunde war der Urlaub unnötig.
Dass dann diese Sache passieren musste, und zwar ausgerechnet mir ... Ich kann doch nichts dafür! Ich war gezwungen! Es war eine Verkettung ungünstiger Umstände, ganz viel Zufall, ganz viel Pech. Es wird nie wieder vorkommen. Nie wieder.
Liebend gern hätte ich ja den Blick abgewandt, als ich sie am Strand zum ersten Mal sah. Aber es ging einfach nicht. Sie können sich die Haare der Frau nicht vorstellen! Und ihr Gesicht! Großer Gott, ihre Augen! Nein, ich glaube nicht an Gott. Aber wenn es ihn gäbe, hätte er sich in diese Frau verliebt. Sie können es sich ja nicht vorstellen! Ihre goldene Haut! Ihr ganzes Wesen eine einzigartige Komposition! Warum ich ihr antwortete?
Natürlich hatte ich mich nicht verliebt. Ich wollte ja nur höflich sein. Und sie so aufdringlich! Eine furchtbare Person, gerade einmal imstande, sich zu bräunen und mit Schminke das Aussehen zu verbessern. Eine Frau von ganz miesem Charakter. Sie sprach mich an. Sie war ja selbst schuld! Jawohl, wer mich anspricht, ist selbst schuld. Sehe ich aus, als wollte ich angesprochen werden? Ich brauche keine neuen Leute in meinem Leben, denn mein Leben ist bereits erfüllt, ist vollkommen zufrieden stellend, benötigt keine Störfaktoren. Sie war selbst schuld. Niemand hat das Recht, sie jetzt in Schutz zu nehmen. Glauben Sie, dass ich ihr freiwillig nach Hause gefolgt bin? Ich wurde genötigt. Wollte ja nur höflich sein! Dass es dann so ausgehen musste, ist natürlich bedauerlich. Ich konnte nicht damit rechnen.
Sie denken vielleicht, ich hätte alles geplant, geplant bis ins letzte Detail, hätte längst vorgehabt, mein Leben auf diese Weise spannender zu gestalten. Doch es war doch hervorragend, dieses mein Leben! Die Frau war schuld. Und auch sie nur zum Teil. Es war diese ganze Situation, wissen Sie?
In ihrer Küche war es einfach ganz seltsam. Ruhig, einsam, nur wir zwei - ich und diese Chaotin. Ihr herrlich strahlendes Gesicht! Alles so seltsam.
Und dann noch die offenen Schubladen. Eine Chaotin, ich sage es ja! Schloss nicht einmal ihre Schubladen! Die Gabeln und Messer glänzten im Licht. Es war ja nicht auszuhalten. Diese Frau redete mich einfach voll, redete und redete, quatschte und quatschte. Ich war vollends verwirrt. War ja nicht ich selbst! Es war ein einzigartiger Moment, und die Tat, die war eine Handlung im Affekt, könnte man sagen. Alles so ungewohnt! Allein mit einer Frau, die einfach unerträglich war. Und die Schubladen offen, und die Messer so nah.
Ganz früh hätte ich schon eine kurze Bewegung machen können, um eines herauszuholen und sie damit niederzustechen. Dieser Gedanke kam mir in der Tat von Anfang an. Alles so skurril! Ich nahm mich noch einmal zusammen, hörte dieser Frau zu, mehr oder weniger zumindest. Ihr Mund, ihr Mund!
Manchmal wünschte ich mir, ihre Zunge zu sein. Ach, sie passte ja nicht zu mir! So eine Chaotin! Dauernd wechselte sie das Thema. Es war furchtbar für mich, und es raubte mir das letzte bisschen Verstand. Jemand musste einfach ihren Monolog beenden! Jemand musste ihr das Maul stopfen, musste sie endlich zum Schweigen bringen! Wer sollte dieser Jemand sein, wenn nicht ich? Es war ja sonst niemand da! Ich weiß, dass meine Tat im Grunde fürchterlich ist, vielleicht gar nicht zu rechtfertigen. Aber verstehen Sie doch meine Lage! Ich ertrug es nicht mehr! Alles so seltsam, ich am Ende meiner Kräfte, gänzlich ohne Verstand ... Es war Pech. Und so etwas wird nie wieder vorkommen, glauben Sie mir! Nie wieder.
Im Nachhinein könnte man sagen: Ich hätte ihr unordentliches Haus einfach ganz schnell verlassen müssen. Aber später ist man ja immer schlauer. Warum machte ich mich nicht einfach aus dem Staub? Ich hatte ja genug zu tun! Ich hatte sogar so viel zu tun, dass ich selbst im Urlaub rund um die Uhr hätte arbeiten können und müssen. Ich gehöre nicht zu den Langweilern. Mein Leben ist erfüllt genug. So einen dummen Aufenthalt bei einer fremden Frau habe ich nicht nötig! Schon gar nicht das Verbrechen, das ich dann am Ende beging. Mein Alltag ist bereits spannender als alles andere. Warum ich dennoch eine Weile dort blieb? Na schön, die Frau war hübsch, sie hatte etwas (so jemanden hatte ich noch nie gesehen!), aber glauben Sie mir: Ich liebte sie nicht. Liebe war es nicht. Es war einfach, wie bereits erwähnt, eine Verkettung sehr ungünstiger Umstände. Das Geschwafel der Frau, die Einsamkeit, die offenen Schubladen mit den Messern, diesen wirklich großen, scharfen Messern, mit denen ein jeder Mord zum Kinderspiel wurde ... Nein, mit Liebe hatte das alles nichts zu tun! Für Liebe habe ich gar keine Zeit, und ich muss mich bereits auf genug Dinge konzentrieren. Das war auch im Urlaub so. Ihr Gesicht zog mich förmlich an, ihre stolze Nase schien mit meinem Hirn Billard zu spielen, gut, so war es, mag ja sein, aber Liebe, das war es nicht. Wer wirklich verliebt ist, der tut doch nicht das, was ich tat! Mein Verbrechen war verrückt. Aber ich sage Ihnen ja, dass es eine einmalige Situation war, die so nicht wiederkehren wird. Sie glauben mir immer noch nicht? Sehen Sie: Nach verrichteter Tat verschwand ich ganz schnell aus dem Haus. Ich rannte förmlich. Wäre ich so rasch davongerannt, wenn ich sie geliebt hätte?
Meine Sorgen davon. Meine Ruhe zerstört. Meine Arbeit vergessen. Verstehen Sie doch endlich, dass ich nicht ich selbst war! Ich hatte das nicht geplant! Ich wollte das nicht! Ach, wenn es ginge, würde ich Ihnen ein Foto von ihr und ihrer Küche geben ... Vielleicht könnten Sie es dann einsehen.
Dieser süße Mund! Es kam nur dummes Zeug heraus. Erst sprach sie von dem Kauf ihres Ferienhauses, wobei sie alle paar Minuten beim schlechten Wetter landete, dann ging sie plötzlich auf ihren ach so stressigen, ach so spannenden Job ein, der sie angeblich zwang, den ganzen Tag über auf den Beinen zu sein, mal hierhin und mal dorthin zu eilen, viel zu sprechen, viel zu entscheiden. Sie sei eine Frau der Praxis, sagte sie. So ein Blödsinn!
Sie war eine Frau der Dummheit! Ich weiß nicht mehr genau, was sie arbeitete, auf jeden Fall aber hätte ich es auch machen können. Ich sitze doch nicht den ganzen Tag am Schreibtisch, weil ich nichts anderes kann! Im Gegenteil, ich kann viel mehr als Sie denken. Das macht mich zum zufriedensten Menschen auf der Welt. Diese Frau war im Vergleich zu mir eine Fliege, und es gab demnach keinen vernünftigen Grund, sich länger bei ihr aufzuhalten. Vielleicht war sie anders, vielleicht interessant, vielleicht einzigartig in ihrer Unfähigkeit und in ihrem Chaos, aber musste mich, ausgerechnet mich, das denn interessieren? Ich Blödmann! Ach, ich kann ja nichts dafür. Sie müssten ein Foto haben, ehrlich! Eine furchtbar enge Küche, in der die glänzenden Messer größer erschienen als das Fenster. Zudem ganz viel Dreck. Niemand außer ihr zu sehen, niemand außer ihr zu hören. Die Menschen, das heißt sie und ich, wie Störfaktoren. Und es kümmerte sie gar nicht! Sie redete ohne Ende! Können Sie es glauben? Nein, Sie haben ja keine Vorstellung! Diese Frau! Dieses Etwas! Ein Phänomen. Sie redete und redete und redete und redete! Ich musste etwas tun. Denken konnte ich schon lange nicht mehr, aber zum Fühlen, dazu war ich noch imstande. Was ich fühlte?
Raten Sie doch mal! Ich fühlte mich genötigt, meine Herren, unendlich genötigt, etwas zu unternehmen! Fremde Kräfte schienen mich zu steuern! Sie schienen mein Leben ändern zu wollen, diese Kräfte, aber doch nicht ich! Ich selbst, ich mit meinen Fähigkeiten, ich mit meinem Geist, ich mit meinem spannenden Leben, ich selbst wäre gelangweilt aus dem Haus gegangen und hätte so weitergelebt wie vorher! Es war doch alles in Ordnung! In Ordnung bis zu dieser Tat! Dumme Zufälle! Ich will mein altes Leben zurück! Ich war es nicht! Es waren Zufälle!
Verstehen Sie jetzt, warum ich Sie geküsst habe? Es war ein langer Kuss, das gebe ich zu, aber zumindest war es nur einer, ein einziger, und dann verschwand ich auch schon wieder. So etwas wird nicht wieder vorkommen. Nie wieder.


Eingereicht am 02. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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