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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Cranas Zauber

© Betty Schmidt

In bin in einem kleinen Haus in den Dünen. Hierhin habe ich mich zurückgezogen, als in Kiel meine Karriere als Informationstechniker kaputt geht. Dort liegt auch meine Freundin begraben, die mich durch einen Selbstmord im Frühjahr zurück ließ. Dieser Schmerz hält mich jetzt noch gefangen, ich konnte ihr nicht helfen damals, und erkannte ihre Rufe nach Hilfe zu spät.
Dieses kleine reet gedeckte Haus hier an der Nordsee ist meine Zuflucht, meine Zukunft.
In meinem abgedunkelten Arbeitszimmer ist die hellste Lichtquelle der Monitor an meinem Computer. Das Meer rauscht, als ich in Gedanken versunken vor meiner Arbeit sitze. Die Wellen brechen sich langsam an den Stegen, die am Strand enden. Ich rieche förmlich den ockernen Sand draußen.
Montag ist Abgabetermin für die Projektarbeit, an der ich mehrere Wochen gearbeitet habe. In Hamburg soll die Präsentation stattfinden, in dem Institut, an dem ich nach der Kieler Zeit bis an meine körperlichen Grenzen, aber mit viel Enthusiasmus gearbeitet habe.
Noch ahne ich nicht, was mir an diesem Wochenende im Juli am Meer passieren würde. Hätte ich es gewusst, wären meine Tage gewiss anders verlaufen.

Meine Geschichte beginnt am Donnertag Nachmittag.
Es wird früher dunkel heute, schwere Wolken haben sich über dem Meer zusammengebraut. Die Luft riecht nach Schwefel, verheißt nichts Gutes. Schon zuckt der erste Blitz durch die schwarze Wolkenkulisse, das Dorf mit den schnuckeligen Friesenhäusern wird in gespenstisches Licht gehüllt.
Ein Grummeln ertönt von weiter her, in einigen hundert Metern entfernt erkenne ich einen imposanten Blitz, der aus das Wasser aufzuschlagen scheint. Unwillkürlich zucke ich zusammen.
Denn ich bin auf einem Einkaufsbummel durchs Dorf, ich brauche für die langen Abende am Schreibtisch noch ein halbes Pfund schwarzen Tee.
Unterwegs komme ich an einem liebevoll dekorierten Teeladen vorbei, der mir bisher nicht aufgefallen war. Just in diesem Moment setzt ein starker Platzregen ein, der auf das Gewitter folgte.
Ohne zu überlegen, schlüpfe ich in diesen Laden, denn regendurchweicht will ich nicht nach Hause kommen.
Innen ist es wohlig warm, eine angenehme Atmosphäre umgibt diesen Raum, es fehlt nur noch ein prasselndes Kaminfeuer, um ihn perfekt erscheinen zu lassen.
Hinter der Ladentheke steht die reizvollste Frau, die ich je gesehen habe. Anmutig ihre Glieder, der schlanke biegsame Körper steckt in einem adretten schwarzen Kleid mit roter Schürze.
Ich bin doch nass geworden, kleine Regentropfen laufen mir ins Gesicht, verstohlen wische ich sie weg. Sie aber sieht mich mit einem lieben Blick an und fragt mich mit einer zarten Stimme, die nicht aus dieser Gegend zu kommen scheint. "Was kann ich für Sie tun?"
Ich antworte: "Äh, ehrlich gesagt, bin ich vor dem Regen geflüchtet, aber trotzdem bin ich hier richtig, denn ich muss neuen Tee kaufen…"
Meine Augen scheinen sie fixieren zu wollen, ich höre kaum ihre nächsten Worte.
"Welche Sorte hätten Sie den gerne?" Ihre Stimme klingt ganz unverbindlich, aber mir wird ganz wohlig warm, als ich auf ihren Mund schaue.
Ich antworte etwa zu schnell: "Haben Sie Covent Garden?"
Sie dreht sich schon um und spricht dabei leise "Ja sicher, hier ist er schon, reichen Ihnen 200 Gramm?"
Meine Stimme kommt mir vor, als wäre ich in Watte gepackt, ich höre mich antworten:
"Ja sicher…" und lege ihr einen 10-Mark-Schein auf die Theke. Das Wechselgeld lasse ich liegen, ohne weitere Worte mit ihr zu wechseln, flüchte ich fast aus dem Laden.
Draußen bemerke ich, dass der Regen aufgehört hat. Ich drehe mich noch einmal zum Laden um, durch das Fenster erkenne ich ihr Gesicht und ich denke: "Du hast dich irgendwie wie ein Idiot benommen".
Ich gehe nachdenklich nach Hause und weiß genau, welche Arbeit dort auf mich wartet. In meiner Küche angekommen, beginne ich gleich, mir eine Tasse von dem neuen Tee aufzubrühen. Den ziehenden Becher in der Hand, gehe ich zu meinem Schreibtisch, der vor dem Fenster steht.
Es ist Donnerstagnacht.
Als ich das letzte Mal auf die Uhr sehe, ist es drei Uhr fünfzehn in der Nacht. Dann muss ich wohl am Tisch eingeschlafen sein. Der Bildschirm flackert, das Buch liegt noch aufgeschlagen auf meinem Bauch. Über der Düne braust der Wind, heult sein gewaltiges Lied um das Dach meines Reethauses. Die Fensterläden sind nicht verschlossen, sie klappern bei jeder Bö an die Wand.
Ich wache auf, mein Nacken ist steif, alle Glieder tun mir weh. Im Ofen ist das Feuer verloschen, kalt ist es geworden, ich fröstele.
Eine Stimme ertönt. Ganz leise höre ich von draußen eine Melodie. Ich reiße die Augen auf, ich meine, zu träumen mit offenen Augen. Wie einer Eingebung folgend, gehen meine Schritte zur Haustür und ich trete hinaus. Der Sturm hat die Gräser flachgelegt, kleine Steinchen fliegen über den Weg vorm Eingang zum Haus.
Meine Beine tragen mich zum Strand, nach Osten laufend gehe ich über den nassen Sand.
Als ich den Übergang vom Sand zum Wasser erreiche, höre ich das Meer im Dunkeln rauschen, die Wellen kommen ganz nah heran.
Wie ein Glöckchen ertönt eine Stimme: "Hörst du sie, Höre, die Melodie des Windes, sie spielt nur für dich!"
Ein helles Lachen folgt den Worten, dann ist es wieder still. Das Meer scheint stillzustehen, kein Wellenschlag zu hörten. Ich bin stehen geblieben und blicke hinaus, wie gefangen von diesem Spiel, unwirklich, doch ganz real.
In der Ferne erkenne ich undeutlich eine Flosse, scheinbar eine Schwanzflosse, die tiefschwarz aus dem Meer aufsteigt. Sie winkt mir zu, meine ich, das Geräusch, als sie die Wellen durchbricht, kommt mir seltsam bekannt vor.
Dann ist alles wieder wie vorher, der Morgen dämmert langsam am Horizont, die Sonne macht sich langsam bereit, über die Grenzen des Wassers aufzugehen. Erschöpft gehe ich nach Hause, lege mich ins Bett und falle in einen unruhigen Schlaf.
Jetzt ist es Freitagmittag.
Die Sonne scheint in mein Zimmer, die Strahlen blenden mich, als ich mich im Bett herumdrehe. Mit einem Strecken versuche ich wach zu werden. Ein Blick auf meinen Wecker sagt mir, das es viertel vor zwölf ist, ich sehe noch mal auf das Zifferblatt, bevor ich aus dem Bett springe.
"Du liebe Zeit, schon so spät, heute wollte ich doch so viel erledigen", denke ich, als ich zur Küche herüber gehe. Ich setzte Teewasser auf und hole meine Brötchen rein, die wie immer an der Hintertür in einem Beutel an der Klinke hängen.
Sofort erinnere ich mich wieder an die letzte Nacht, die unwirkliche Begegnung dort draußen hat mich irgendwie noch gefangen. Die Melodie kommt mir auch ins Gedächtnis, was hat es nur damit auf sich, denke ich.
Als ich gegessen habe, beschließe ich aber, einen Spaziergang zu machen, weil das Wetter klasse ist. Die Luft ist warm, der Himmel ist azurblau, keine Wolke stört dieses Bild von Sommer.
Die letzten Krümel wische ich von meinem dünnen Pullover. Ich stehe aus dem Lehnstuhl auf der Veranda auf. Schnell ziehe ich meine Laufschuhe an, würdige dem Schreibtisch keinen Blick.
Vor der Tür beginne ich loszulaufen, mein Ziel ist der Leuchtturm, dieses Stück Natur liebe ich am meisten, mehr als alle Orte dieser Welt. Der feine Nordseestrand trägt leicht meine Füße, ich hinterlasse Spuren, die bald wieder weggespült sein werden. Drei Kilometer sind es zum Turm, im Abstand von dreihundert Metern ziehen sich neben mir Wellenbrecher ins Meer, hier war ich oft bei einem Sonnenuntergang und habe schmerzliche Erinnerungen an meine Zeit mit Konstanze, die jetzt nicht mehr lebt. Ergriffen und traurig habe ich oft die Sonnenuntergänge von hier beobachtet.
Langsam kommt die Flut, die See ist ruhig, ich passe meine Atmung dem Tempo an, als meine Lungen mehr Luft fassen, laufe ich rhythmisch mit dem Wasser. Über mir fliegen Möwen vorbei, der Leuchtturm ist auf halber Höhe erreicht, da kommt mir ein Mann entgegen, ein Fischer mit üblicher Kleidung, eine Angelrute lugt hinter einem Rücken hervor.
"Moin, Pidder, wie läuft´s denn so?" ich habe angehalten, als ich ihn anspreche.
"Na, oben am Siel, da sind die Karpfen heute besonders heiß! Wenn's wieder regnet, hab ich gute Zeit!", spricht er und geht einfach weiter.
Typisch Pidder, ich schüttele den Kopf, der ist immer so mundfaul.
Bald habe ich den Leuchtturm in Sichtweite erreicht. Als ich dann davor stehe, will ich den Wärter besuchen, den kenne ich schon lange, seine Frau hat ihm jetzt bestimmt das Mittagessen gebracht. Ich quetsche mich durch die enge Tür und gehe leise die Wendeltreppe nach oben. Ganz oben ist die Plattform, darüber sind die Leuchtfeuer angebracht. Opa Fertsch, wie sie ihn hier alle nennen, schläft auf seiner Pritsche, in einem kleinen spartanisch eingerichteten Raum steht vor ihm ein Korb. Ich lächele, aber will ihn nicht wecken, seine Flasche Rum steht halb leer neben ihm am Boden. Leise gehe ich wieder herunter, so wie ich gekommen bin.
"Oh, er ist so schön, dieser Friese!", spricht sie laut in ihr Spiegelbild. "Ich werde ihn fangen, mit Haut und Haar, koste es was es wolle!", dann summt sie leise das Lied, was sie schon einmal gesungen hat, in dieser Nacht am Meer. Leise bewegen sich ihre Lippen, sie nimmt einen Kamm in die Hand und frisiert ihr volles langes schwarzes Haar. Der Boden unter ihr ist nass, eine mächtige Flosse liegt halb geschlungen unter ihr und bildet den unteren Teil ihres Körpers, die ebenmäßige, schlanke Taille geht in das schuppige Nass über. Sie lächelt sich im Spiegelbild an und zwinkert dreimal mit den Augen.
Der Raum um sie herum wird kurz in schwarzes Licht getaucht. Einen Moment später geht eine hübsche Frau im adretten schwarzen Kleid mit roter Schürze durch die Straße im Dorf, sie steckt im Laufen ihr Haar zu einem Knoten hoch. Kurz danach betritt sie den Teeladen, den sie vorher durch den Hintereingang aufgeschlossen hat.
Die ersten Touristen laufen schon vorbei, ihre ausgezeichnete Auswahl an Teesorten lässt heute auf ein gutes Geschäft schließen.
Den ersten Kunden im Laden bedient sie wie immer höflich und versiert, während ihre Augen nach ihm Ausschau halten
Jetzt ist Freitagabend, mein Notebook gibt eine Fehlermeldung nach der anderen, sie sind aber alle nicht rückgängig zu machen, sosehr ich auch auf die Tastatur einhämmere. Auch Streicheleinheiten nützen nichts. Ich denke "Oh, weh, dieser Montag rückt immer näher, wäre ich doch früher nach Hause gegangen, in ihren Augen muss ich mich ziemlich dämlich benommen haben, als ich bei ihr im Laden war und den Tee gekauft habe. Aber sie hat mich bedient, als wäre ich ein stinknormaler Kunde, den sie zum ersten Mal gesehen hat." Ihre Augen haben mich sehr fasziniert, sie schienen mich so merkwürdig zu durchdringen, oder habe ich mir das alles nur eingebildet?
Mit einem leisen Fluch klappe ich den Deckel des Laptops zu. Vielleicht hat Hein Odding Lust, mit mir essen zu gehen.
Ich mache Licht in der Diele, hänge den Schlüssel an den Haken neben der Eingangstür. "War ja schön feucht heute Abend!" denke ich, als ich noch kurz auf die Toilette gehe. Im Spiegelbild erkenne ich etwas Undeutliches hinter mir stehen. Ein verschwommenes Gesicht sieht zu mir in einer Frauengestalt, sie trägt ein schwarzes Kleid mit roter Schürze, im Dämmerlicht lächelt sie mich an. Als ich genauer hinsehen will, ist sie plötzlich wieder verschwunden.
"Waren wohl ein paar Pilsener zuviel!" diese Worte begleiten mich in meinen Gedanken, als ich direkt vom Bad ins Schlafzimmer gehe. Unterwegs streife ich schon alle Kleidungsstücke bis auf meine Unterwäsche ab und falle gleich in einen unruhigen Schlaf, ich wälze mich hin und her im Bett.
Um sechs Uhr morgens werde ich von einem Traum unsanft geweckt.
Was war denn das? Meine Augen sind noch geschlossen, aber ich habe die Bilder des Traums noch ganz präsent. Eine Frau mit einer Schwanzflosse sitzt vor mir und aus ihrem Mund steigen kleine Luftbläschen auf. In einer Unterwasserwelt spielt dieser Traum. Diese kleine Gestalt kommt mir merkwürdig bekannt vor, ich sitze vor ihr und meine Hand will sie erreichen, aber etwas Unsichtbares scheint uns zu trennen. Zwischen uns schwimmen kleine Schwärme Fische vorbei, die allesamt ganz niedlich und bunt sind, von hinten erscheint ein Schatten auf mich zuzukommen. Die Fischfrau schwimmt ein wenig zurück, will Platz machen für einen anderen Fisch. Aber es ist auch eine Gestalt in Form einer Meerjungfrau, die ich aus Kopenhagen als Statue an Land kenne. Halb Frau, halb in Fischform mit einer wunderschönen goldenen Schwanzflosse kommt sie in meine Nähe.
Ihr Mund spricht mich an, aber ich kann ihre Worte zunächst nicht verstehen. Ich fürchte mich vor ihr, als ahnte ich, dass sie etwas Böses im Schild führen will. Aber ich kann nicht weg von dort, sosehr ich auch versuche meine Beine zu bewegen.
Meine Schwimmversuche erstarren förmlich, sie erdrücken mich fast in diesem Wasser, in diesem Traum. Sie spricht wieder zu mir, diese golden beflosste Gestalt:
"Habe keine Angst! Ich bin Crana, Du wirst mich nicht kennen!" Ihre Hand zeigt auf die andere Frauengestalt in dem feuchten Unterkörper, der eine schwarze Flosse darstellt.
"Sie liebt dich, schon beim ersten Mal, als sie dich sah. Aber sie darf dich nicht lieben, denn du bist ein Mensch. Du lebst an Land, dort kann sie nicht zusammenkommen mit Dir. Sie hat mich, Crana, die Zauberin um etwas gebeten. Damit sie dir ihr Land zeigen kann, in das tiefe Meer hinabsteigen, wo sie zuhause ist.
Als sie mit mir spricht, entweichen ihrem Mund tausende kleine Bläschen, die sich um mich herum formieren. Sie nehmen mir die Sicht auf die beiden Frauengestalten, und ich meine blind und taub zu sein in dieser unwirklichen Traumwelt.
Nur etwas scheine ich undeutlich zu vernehmen. Ein paar Wortfetzen erreichen mein Gehör "… Willst du mich??... Ich liebe dich… Komm zu mir ... du hast meine Melodie gehört…"
Eine große Luftblase scheint meinen Mund vollständig zu verschließen, ich schnappe nach Luft, in Panik geraten. Dieses beängstigende Gefühl wie eine Lähmung hat mich erwachen lassen.
Isa sitzt wieder vorm Spiegel und nimmt ihr schönes Haar, um es zu bürsten in die Hand. Ihre Flosse geht unruhig hin und her. Neben ihrem Wasserbett tollen sich munter kleine Fische mit runden Augen.
Ihre Zofe, eine Tintenfischdame mit gelben Krakenfüßen hängt das schwarze Kleid und die rote Schürze in einen Muschelbeschlagenen Schrank, dabei wirbelt sie das Wasser auf. Unruhig gehen ihre Tentakel, sie reift in ein Regal, holt daraus eine goldene Kette hervor. Sie ist mit erlesenen Steinen besetzt, goldene Reflexe werden durch das Wasser geworfen, als sie von der Zofe gedreht wird. Behutsam legt sie die Krone auf Isas Kopf.
"Was wird nur Vater sagen, was mache ich bloß? Er wird gleich ein Donnerwetter über mich ergehen lassen! Er ist so wählerisch, was meinen Umgang betrifft, aber ich muss ihn wieder sehen, diesen Menschen, was meinst du, soll ich ihm alles sagen?", die Worte sprudeln nur so aus ihrem Mund hervor.
Die Zofe guckt ratlos nach oben und spricht mit wehleidiger Stimme:
"Hier, zieh das gelbe Kleid an, das sieht dein Vater so gerne an dir!"
Sofort bekommt Isa das schlauchartige Kleid übergezogen, das sich wie eine zweite Haut anschmiegt. Auf ihrem Dekoltee schimmert eine helle, kleine Kette, Perle um Perle reiht sich um ihren grazilen Hals.
Etwas rastlos aber sehr behände schwimmt sie durch die Öffnung ihres Schlafzimmers nach draußen, die Fische, allesamt Bedienstete ihres Vaters, schauen ihr nach. Hinter ihrem Rücken beginnen sie zu tuscheln. Sie mögen Isa, die Tochter des Königs, sie ist fast wie eine Freundin für sie.
Isa macht sich auf den Weg zum Thronzimmer ihres Vaters. Sie kommt an prächtigen Räumen vorbei, aber die sind unbewohnt seit ihre Mutter vor sieben Jahren starb. Alle Räume waren behaglich für ihre Kinder und den König eingerichtet. Bei einem Unfall kamen sie und ihr Sohn, der eigentliche Thronerbe des Reiches Dira ums Leben. Ein Schiff war in ihre Gewässer eingedrungen. Sie wurden von der Schiffsschraube so schwer verletzt, dass sie kurze Zeit an den Wunden verstarben. Auch der schnell herbeigeeilte Hofarzt konnte nichts mehr für sie tun.
Seit dieser Zeit war der König um Jahre gealtert, war sein Temperament auch so gefürchtet, der Tod seiner Lieben hatte sein Herz gebrochen, nur Isa war ihm geblieben, die er mit all seiner Liebe übergoss.
Kronos erwartet seine Tochter und den Hofstaat im prächtigen Hauptsaal, sein Kopf ist von wahrlich wallenden, weißen Haar umgeben. Er blickt ihr entgegen, als sie durch die Öffnung des Saales herein schwimmt. Seine Augen sind stahlblau, der Blick ernst, aber als er seine Tochter ansieht, mildern sich seine Züge sofort, er ist mächtig stolz auf sie und wünscht nur das Beste für sie.
Aber sie ist jetzt in dem Alter, wo er sich einen Partner an ihrer Seite wünscht, um ihr die Geschäfte übergeben zu können. Er ist das Regieren müde, all seine Pläne haben sich in Nichts aufgelöst, als dieses schreckliche Unglück passierte.
Er spricht seine Tochter mit fester Stimme an:" Meine Liebe, da bist du ja, hast du gut geschlafen?" Ihren vollkommenen Körper sieht er auf die Art an, die sonst einem jungen Mann gebührte. Er meint, seine Frau in der Tochter als Ebenbild zu erblicken. Mit Wehmut denkt er an seine Frau, sie hätte ihre Aufgabe als Mutter jetzt bestimmt hervorragend erfüllt.
"Danke Vater!", Isa hält den Blick gesenkt, sie begleitet leichte Angst vor diesem wichtigem Gespräch, die Fassade ihres Vaters kann täuschen, das weiß sie zu gut.
"Was bedrückt dich mein Kind?", Kronos hält das Zepter in der Hand, es sieht einer großen Gabel nicht unähnlich. Mit der Hand fährt er sich durch seinen Bart. Isa druckst herum, wie soll sie ihm diese Botschaft beibringen, denkt sie. Allen Mut nimmt sie dann zusammen und spricht frei heraus:
"Vater, ich weiß, du suchst deinen würdigen Nachfolger, der dein Reich weiterführt. Aber die Freier, die du für mich ausgesucht hast, geben mir nicht das Gefühl… Geborgenheit und die starke Seite, an die ich mich lehnen kann, um in deinem Sinne zu regieren.
Daher muss ich dir etwas Wichtiges sagen: Ich habe an Land einen Mann getroffen, einen Menschen. Er gibt mir dieses Gefühl….., ich kann es mir nicht erklären. Du hast mir davon erzählt, Mutter hat es auch beschrieben, als sie dich kennen lernte. Dieses Gefühl ist absurd, ich weiß, was du davon halten wirst. Aber ich weiß eines, auch wenn ich seinen Namen nicht kenne, er ist der Richtige für mich!!"
Sie holt tief Luft, dann hält sie den Atem an. Jetzt war es heraus, ihr fiel ein Stein von Herzen. Kurz sieht in das Gesicht ihres Vaters, versucht seinen Gesichtsausdruck zu deuten.
Kronos hat die Stirn gerunzelt, ein unsicheres Zeichen. Seine Stimme spricht leise zu ihr:
"Isa, ich kann dich ja verstehen, aber muss es gerade ein Mensch sein, an den du dein Herz verschenkst? Er kann dich nicht glücklich machen, das weißt du so gut wie ich. Es sei denn…."
Er spricht nicht aus, was Isa im gleichen Moment denkt. Ihr Hals zuckt an der Stelle, wo ihre Halsschlagader sitzt. Sie weiß, dass ihre Liebe zu dem Menschen nur eins bedeutet. Sie muss sich für immer zur Frau verwandeln, darf nicht mehr unter Wasser gehen, sie würde ihre Heimat, ihr Zuhause verlieren. Kronos ist verzweifelt, all seine Hoffnungen, die er in Isa gesetzt hat, scheinen nun auch zerstört zu sein.
Er dreht seinen Kopf weg, damit niemand im Saal seine Tränen in den Augen sieht.
Aber Isa kennt ihn gut, sie weiß, was in ihm vorgehen muss.
"Vater, warte, ich habe vielleicht eine glückliche Lösung für all unsere Probleme gefunden. Ich war bei Crana, habe sie um Rat gefragt. Sie hat mir versprochen zu helfen, denn sie liebt mich genauso wie dich. Schon Mutter hat sie immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden.
Crana wird dich morgen am Abend aufsuchen, um dir ihren Plan zu vermitteln."
Der Meerkönig muss sich hinsetzen, alle Glieder tun ihm weh. Er fühlt sich sehr alt und matt. Eine Dienerin bringt gleich erschrocken ein Stärkungsmittel herbei, dieses muss er jetzt regelmäßig einnehmen. Er stellt es beiseite, schwimmt aus dem Saal in sein Privatgemach und lässt dort seinen Tränen freien Lauf. Er vermisst seine Frau sehr, sie hätte jetzt die richtigen Worte gefunden, die ihm Trost geben könnten.
Samstag Abend
Ich sitze wieder am Schreibtisch. Auf der letzten Seite habe ich noch etwas, entdecke, was noch korrigiert werden musste. Heute gibt es nichts, was mich von der Arbeit abhalten wird. Denn die Zeit ist so schnell vergangen. So hatte ich mir das Ende der Vorbereitungen nicht vorgestellt.
Am Sonntagabend werde ich ins Auto steigen, nach drei Stunden Fahrt werde ich in Hamburg von meinem Freund Ralf erwartet werden, bei dem ich übernachten will. Montagmorgen, um neun Uhr wird sich alles entscheiden. Wenn die Präsentation so läuft, wie ich es in meinem Kopf schon tausendmal durchgegangen bin, wäre für die neuen Aufgaben danach alles im Lot.
Aber bis dahin vergehen noch zwei Tage.
In der Küche brutschelt mein Abendessen in der Pfanne, von Pidder habe ich mir noch einen frischen Fisch geholt, der jetzt in Mehl gewälzt in der Pfanne liegt. Die Beilagen sind auch fast gar, Pellkartoffeln und dazu ein grüner Salat.
Ich bin jetzt richtig hungrig, vor einer Stunde habe ich die Akten beiseite gelegt, am Montagmorgen werden sie erst wieder geöffnet werden, wenn ich am Podium stehe in Hamburg.
Mein Rücken schmerzt, ich will nach dem Essen später noch mal zum Leuchtturm joggen. Um zehn Uhr, bevor es dunkel wird, bin ich wieder zuhause, mit völlig leerem Kopf setzte ich mich dann vor den Fernseher.
In der Samstagnacht
Schlägt die Glocke des Kirchturms im Dorf ein Uhr.
Ich wache auf, weiß nicht, wo ich bin, irgendwas ist anders in dieser Nacht.
Mein Fenster des Schlafzimmers steht offen, aber die Luft ist trotzdem stickig. Ich höre das Meer, er ist unruhig, kommt wieder ein Gewitter auf?
Ich gehe an das Fenster, sehe in die Dunkelheit hinaus, da höre ich wieder die Melodie, ganz leise, die Melodie, die ich zu vergessen geglaubt hatte.
Ich vernehme ein Murmeln, so als liefen tausende Ameisen durchs Zimmer, die Wände scheinen leicht zu beben, mir ist kalt und ich bekomme schreckliche Angst.
Diesen platz am Fenster will ich nicht verlassen, aber eine Stimme lockt mich, wahrscheinlich höre nur ich sie.
"Geh zum Stand, mach dich sofort auf den Weg, ich warte dort auf dich!"
Ich schiebe diese Erscheinung auf den Prüfungsstress, aber meine Beine wollen mir nicht mehr gehorchen, wie von selbst gehen sie zur Tür, die offen ist und mein Weg führt mich ans Wasser.
Dort bleibe ich stehen, wie in Trance. Meine Augen sehen jetzt diese Flosse, die mir schon mal begegnet ist am Donnerstag. Sie ist schwarz mit goldenem Rand, schwingt ganz sacht durch die Wellen. Sie scheint mir zuzuwinken. Die Sterne über mir am dunklen Himmel funkeln milchig, es wird auf einen Schlag hell im Meerwasser.
Meine Füße werden umspült, wie von selbst gehe ich durch die kleinen Wellen, die meine Zehen umspülen.
Immer weiter führt mein Gang ins Wasser, dabei atme ich ganz ruhig, doch das alles ist nicht normal, kurz überkommt mich der Gedanke: Wenn mich jemand sieht, würde er die Polizei rufen, ein Mensch in suizidaler Absicht da draußen?
Aber niemand ist am Stand, jetzt bin ich bis zum Bauchnabel im Wasser, aber meine Beine tragen mich noch weiter hinein. Der Kopf ist oben, ich habe keine Angst zu ertrinken. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein, oft saß sie mir im Nacken, jetzt gibt es kein Heute oder Gestern.
Das Meer hat sich über meinem Kopf geschlossen, die Augen gewöhnen sich an die nasse Dunkelheit, meine Füße paddeln, als wäre ich ein Fisch. Immer tiefer zieht es mich hinab, unbeirrbar führen meine Bewegungen nach unten.
Dann erkenne ich sie plötzlich, eine Flosse umgibt meine Beine, halb zieht sie mich, halb sinke ich hin, ihre Arme umschließen mich. Ihr Mund, den ich schon kenne, legt sich auf meinen.
Meine Augen werden von ihrer Hand verschlossen, ich atme Luft in meine Lungen, kleine Luftbläschen steigen neben mir empor.
Immer schneller geht es in die Tiefe hinab. Ich bemerke eine Veränderung an meinem Körper, die Beine scheinen sich zu verwandeln. Meine Augen folgen ihrem Blick, ihr Mund ist vor meinem. Dann küsse ich sie mit einer nie enden wollender Hingabe. Dann sind wir auf dem Meeresboden angekommen. An meinem Unterkörper, wo eigentlich die Beine sind, zuckt nun eine Flosse, in einem hellen Zwielicht kann ich sie erkennen.
Ihre Hand umschließt meine, und gemeinsam schwimmen wir los. Die blauen Augen strahlen mich an, das schwarze Haar gleitet neben ihr schwerelos durchs Wasser. Ihre Hüfte umgibt eine rote Schürze, um den Hals schimmert eine echte Perlenkette.
Wir sagen nichts, als hätten wir diese Situation längst einstudiert.
Ein großes Tor erscheint, durch das wir durchschwimmen. Ein großer Bogen, der mit perlmuttartigen Korallen geschmückt ist, heißt und willkommen.
Dann machen wir vor einem großen Stuhl halt, der wie ein Thron aussieht. Dort steht ein prächtiger alter Mann mit grauen, wallenden Haar. Er reicht mir die Hand zum Gruß. Sein Kopf verneigt sich leicht vor mir.
Vor dem Thron sitzt eine Frau, die ebenfalls eine Schwanzflosse an ihrem Laib trägt.
Isa sieht zu ihr hin und nickt. Dann lacht sie mich an und sagt mit freudiger Stimme: "er hat mich gehört, unser Kuss hat ihn verzaubert! Ich glaube, wir werden hier unten sehr glücklich werden!"
Crana sieht sehr zufrieden aus und streichelt meine Hüfte, an der nun eine Flosse hängt.
Ich verstehe ihre Worte, die sie mir sagt, aber ihr Mund bleibt dabei bewegungslos.
Ich nicke, damit ist mein Schicksal besiegelt.
Aus allen Ecken des Saales kommen unzählige Fische, werfen kleine Korallenstückchen und bedecken uns mit goldenen Algengirlanden und stecken uns Perlen ins Haar.
In dieser Unterwasserwelt beginnt mein neues Leben, Ralf wartet in Hamburg vergeblich auf mich.


Eingereicht am 02. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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