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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Flying without wings
©Kati Dippmann
"Everybody's looking for that something, one thing that makes it all complete.
You find it in the strangest places, places you never knew it could be…"
Sanft wirbelte das bunte Herbstlaub um die Hufe meiner Stute. Ich schloss die Augen und genoss den sanften Dreitakt des Galopps. Der kühle Wind, der hier in Schleswig-Holstein wehte, fuhr durch meine Haare und die tiefschwarze, strubbelige Mähne des Ponys.
Als sich der Wald lichtete, parierte ich durch zum Schritt und klopfte den dunkelbraunen Hals meiner Marvina. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich schon viel zu spät dran war. Wie zu erwarten war, erntete ich einen schiefen Blick vom Chef, als ich mein Reitpony in Windeseile versorgte und zur morgendlichen Besprechung düste. Die anderen Betreuer waren alle schon anwesend und als ich mich jetzt setzte, begann die Besprechung.
Ich war derzeit auf einem Hannoveranergestüt in Schleswig-Holstein. Hier kamen in den Ferien viele Jugendliche und Kinder aus ganz Deutschland her, die sich auf ihre ersten Vielseitigkeitsturniere vorbereiten lassen wollten. Einige Gäste hatten bereits Turniererfahrung aber eine Vielseitigkeit war dann doch noch etwas anderes. Etwa die Hälfte der Reiter brachten ihre eigenen Pferde oder Ponys mit, für die zukünftigen Vielseitigkeitsreiter ohne eigenes Pferd stellte das Gestüt eine begrenzte Anzahl an Ausbildungspferden
bereit. Die Betreuer besaßen alle eigene Pferde und das Gestüt bot auch genug Platz, alle in den großen, hellen Ställen unterzubringen. Die Gäste waren in 3 leistungsgleiche Gruppen eingeteilt und jede dieser Gruppen bekam täglich zwei Einheiten der Ausbildung. Jeder Betreuer hatte einen zugewiesenen Ausbildungsbereich bzw. waren immer zwei Leute für einen Bereich eingeteilt. Mir als amtierende Landesjugendmeisterin in der Dressur war der Bereich "Dressur" zugeteilt, den ich zusammen mit der 18jährigen
Laura leitete. Ihr ein Jahr älterer Bruder Moritz und dessen Kumpel Björn waren auch mit von der Partie. Die beiden ritten erfolgreich Springturniere bis zur mittelschweren Klasse und bildeten demnach im Springen aus. Die Betreuer für die Ausbildung im Gelände war eine Azubi des Gestütes, Tina und außerdem noch Sophie. Sophie war genauso alt wie ich, also 17 Jahre und somit neben mir die jüngste im Team der Betreuer.
"Wir bekommen heute wahrscheinlich die Chaoten" flüsterte mir Laura zu, während ich noch meine Handschuhe auszog. Ich verdrehte die Augen. Die "Chaoten" waren 7 Jungs und 3 Mädels, alle schon mit Turniererfahrung, die aber am liebsten schnell ritten und über Häuser sprangen. Einfach nur ein Albtraum!
Die erste Einheit betrug 60 Minuten am Vormittag. Die zweite Einheit würde 15 Uhr beginnen und dann ganze zwei Stunden umfassen. Ich war froh, bei diesem scheiß kalten Wind in der Halle zu sein, wobei mir allein der Gedanke an die nächste Stunde einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
Als ich die Halle betrat, hatte Laura die 10 Reiter schon auf der Mittelinie aufmarschieren lassen und meinte soeben mit einem Grinsen "... und dann macht jeder die Bügel zwei Loch länger. Wer schummelt, reitet gleich ganz ohne!" Ihre schwarzen Stiefel glänzten, die blaue Jacke stand ihr einfach super. Ich betrat die Halle und musterte nebenbei mein Spiegelbild. Mein langer dunkelbrauner Zopf schlug bei jedem Schritt leicht auf meinen Rücken. Auch auf meine katzengrünen Augen war ich ziemlich stolz.
Meine Lederreitstiefel allerdings hatten lange kein Fett gesehen, meine grüne Reitjacke könnte auch in die Wäsche aber warum musste der Chef auch drauf bestehen, dass wir zu jeder Ausbildung in Reitklamotten erschienen?! Seufzend stellte ich mich neben Laura und meinte zu der munteren Truppe vor mir: "Morgen! Also, wir verfahren folgendermaßen. Heute Morgen möchte ich, dass ihr besonders an der Biegung und Stellung eurer Pferde arbeitet. Reitet die Pferde gewissenhaft warm und dann anständig durchs Genick."
Allein das wäre schon eine Herausforderung für die Zehn!
"Ich brauche euch ja wohl nicht zu verklickern, dass eine anständige Dressurausbildung Grundlage für gutes Springen ist. Also los, Schritt am langen Zügel."
"Wie langweilig" kam es von einer Reiterin, deren blonde Haare unter der schwarzen Reitkappe hervorblitzten und auf deren maßgeschneiderter Reitjacke der Name ‚Jenny von Eichenberg' aufgestickt war.
"Falls jemand ein Problem mit diesem Training hat - da vorne ist die Tür!" Ich funkelte die 17jährige an - für so was hatte ich heute keinen Nerv. Jenny hielt zum Glück die Klappe und gab ihrem Pferd Schenkeldruck. Als sich die Reiter und Reiterinnen in der Halle verteilt hatten, wandte sich Laura mir zu. "Was ist denn heute mit dir los, Lo? Du wirkst so... angespannt."
"Na ja, so sinnlose Kommentare gehen mir einfach nur auf den Geist der Chef hat mich sowieso bestimmt für den Rest des Tages aufm Kieker, weil ich heute morgen zu spät gekommen bin!"
Laura widersprach mir. "Er hält viel zu viel von dir, als dass er dich aufm Kieker haben könnte." Ich antwortete nicht, denn genau in dem Moment fing der einzige Hengst in der Gruppe an, rumzuspacken. Er legte sich vorne aufs Gebiss, lief genau gegen den inneren Schenkel seines Reiters und keilte aus. "Lass den äußeren Zügel besser stehen und gib innen Paraden! Der kracht sich nur noch mehr vorne drauf!" rief Laura. Als sich der Hengst beruhigt hatte, wandte ich mich an den Reiter. "Sag
mal, wie lange hast du den schon?"
"4 Wochen. Ist ein erstklassiges Pferd."
Er rasselte mir seinen Stammbaum herunter, der Vater Poseidon war hier ein gestütseigener Hengst. Außerdem erfuhr ich, dass der Braune erst 6 Jahre alt war und "Priamos" hieß.
Angeber, dachte ich bei mir.
"Jedenfalls weist du ja, dass du da nen Hengst unterm Sattel hast und dem musst du nun mal konsequenter klar machen, wer das Sagen hat! Also arbeite ihn, beschäftige ihn, sodass er keine Zeit hat, sich Mist auszudenken." Sein Reiter, der 17jährige Andreas nickte und gab Schenkeldruck. Laura korrigierte gerade den Sitz einen etwas kräftigeren Mädchens, sodass ich durch das offene Hallentor nach draußen sah. Toll, jetzt regnete es auch noch. Die Geländereiter taten mir leid, der Springplatz war wenigstens
überdacht und wir waren eh in der Halle... Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Priamos erneut Schwierigkeiten machte. Der Hengst baute sich vor einer der Stuten auf und wieherte hengstig. "Nimm ihn da weg!" brüllte Laura. Andreas schaffte es mit aller Kraft und jetzt tobte Laura. "Wenn du ihn nicht unter Kontrolle bringst, dann musst du zum Training ein Pferd vom Gestüt nehmen aber so geht das nicht!"
"Gibt's Probleme?" Toll, der Chef stand an der Bande. Laura ergriff das Wort. "Der Hengst hier..."
"Ein schönes Tier - kein Wunder, bei dem Vater..." er nickte Andreas zu "... und er hat hervorragende Dressuranlagen - oder was meinst du, Lo?"
Er hatte sich an mich gewandt.
"Und Springen kann er, das müssten Sie mal sehen!" warf Andreas ein.
Ich holte tief Luft. "Vielleicht, aber wenn sein Reiter ihm nicht mächtig ist, kann ich das schlecht beurteilen!"
"Dann reite ihn doch!" Der Chef winkte Andreas heran und der stieg bereitwillig ab. Toll, ich hatte keinen Bock, Priamos zu reiten und Andreas' Grinsen machte es nicht besser. Danke, Chef! Ich nahm Andreas die Gerte ab und schwang mich auf den Hengst. Unwillig tänzelte er herum aber eine deutliche Parade lies ihn schließlich stehen. Ich sehnte mich nach meiner kleinen Marvina, die Sieben-Meilen-Schritte von Priamos waren so ungewohnt. Dennoch hob ich den Kopf und nahm die Zügel auf. Ich merkte, wie
er das Genick herausdrückte und gab innen nach. Nach einer anständigen Runde Schritt lies ich ihn traben. Dafür, dass er noch so jung war, ging er mächtig auf die Hand - die Kerle mussten ja auch immer auf Kraft reiten!
Meine Unaufmerksamkeit nutzte Priamos natürlich sofort aus und warf den Kopf. Ich wusste genau, dass alle Blicke auf mich gerichtet waren und saß jetzt tiefer ein. Ich stellte den Hengst wieder ein und trieb ihn jetzt energischer vorwärts. Hm, gar nicht übel. Ich war richtig überrascht, wie viel Schub er aus der Hinterhand entwickeln konnte. Ich forderte ihn mit ständigen Richtungswechseln, Biegungen und Tempiwechseln. So langsam trug er sich selber und weiße Schaumflocken fielen auf den Boden. Sein Galopp war
wunderbar raumgreifend und flüssig aber als jemand ans Hallentor herantrat, musste er wieder mit einem Satz zur Seite springen. Er begann, nach meinem inneren Schenkel zu treten aber ein Klaps mit der Gerte und zwei deutliche Paraden ließen ihn wieder geradeaus laufen. Meine Güte war das Pferd anstrengend! Nachdem er sich wieder gefangen hatte und auch im Galopp schön an den Hilfen stand, ritt ich zur Mitte und übergab den Hengst wieder an seinen Besitzer.
"Arbeite ihn weiter und lass deine Gedanken jede Sekunde bei ihm, ja?!" gab ich Andreas noch mit. Mein Chef nickte bedächtig. "Hab ich doch gesagt, dass der Kerl Anlagen hat. Von Poseidons Sohn hätte ich auch nichts anderes erwartet." Er wandte sich zum Gehen und jetzt sah ich auch, wer vorhin die Halle betreten hatte: Moritz unterhielt sich noch kurz mit dem Chef und trat dann zu uns. Der Wind hatte ihm die kurzen braunen und leicht lockigen Haare zerzaust aber mit dem hohen Jackenkragen
und den hohen schwarzen Stiefeln sah er verdammt gut aus. "Priamos hält wohl nichts von Dressur?" fragte er frech und seine tiefbraunen Augen blitzten mich an.
Argh, gaaaanz ruhig, mahnte ich mich selbst.
"Wir wissen, dass die Chaoten deine Lieblinge sind aber verschone uns mit deiner abfälligen Meinung über die Dressur! Ohne dressurmäßige Grundlagen hättest du..." stauchte Laura ihn zusammen aber Moritz fiel ihr ins Wort: "... es mit deinem Mireno nie so weit gebracht. Ich weis, Schwesterherz."
Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, dieser elende Macho links von mir trieb mich zur Weißglut! "Musst du nicht zu deiner Gruppe?" fragte ich ihn kurz angebunden. Er grinste und meinte "Bin ja schon weg aber diese einmalige Vorstellung durfte ich mir doch nicht entgehen lassen." Er machte kehrt und spazierte gut gelaunt Richtung Springplatz.
Beim abendlichen Training der Betreuer durch den 22jährigen Pferdewirtschaftsmeister Rico des Gestütes war ich nicht wirklich bei der Sache. Marvina ging einsame Spitze, das war keine Frage aber mein Blick huschte immer wieder zu Moritz, der seinen Mireno am anderen Ende der Halle arbeitete. Durch den großen Spiegel an einer langen Seite der Halle, konnte ich das recht unauffällig tun. Er saß so weich und der Rappwallach und er schienen wirklich prima aufeinander abgestimmt.
Ich trieb Marvina wieder in den Trab und versuchte mich an den Schenkelweichen. Ich merkte, wie sich meine kleine Ponydame beinahe alleine umstellte und sah im Spiegel, wie sie ihre vier weißen Stiefel weit übersetzte. Ihre Flocke mitten auf der Stirn blitzte unter dem schwarzen Schopf hervor.
"Reite, Lo! Sie macht alles allein! Auch wenn ihr so gut aufeinander eingespielt seit, dir muss ich ja nicht sagen, dass die Richter alles sehen." Rico bemerkte aber auch alles!
Ich parierte wieder durch und lobte Marvina als Moritz neben mich ritt und auch sein Pferd in den Schritt zurückholte. "Na, wie ist die Luft da unten?" fragte er spöttisch. Das fragte er jeden Abend und so langsam war es mir egal. "Jedenfalls nicht so dünn wie bei dir da oben" konterte ich und sah ihn herausfordernd an. "Wie hoch oben sitzt du da eigentlich?" fragte er unbeirrt weiter. "Genau auf 142 cm geballter, 10jähriger Pony-Power" gab ich, nicht ohne Stolz, zu. "Marvinas
Vater ist Traumtänzer, das dürfte sogar dir ein Begriff sein." Ich trabte wieder an, das musste ich mir doch echt nicht geben! Ich konnte es einfach nicht lassen und so galoppierte ich in der nächsten Ecke an und lies Marvina an der nächsten langen Seite dreimal umspringen. "Ja, Lo! So sieht das doch schon mal viel besser aus!" Das Lob aus Ricos Mund ging runter wie Öl. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus und ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit durchströmte mich, als ich Marvina die
Zügel aus der Hand kauen ließ. Moritz machte mich noch wahnsinnig! Dieses verdammte Gehabe jedes Mal. Wenn er nur nicht so gut reiten würde und auch Ahnung von dem hätte, was er tat!!!
Ich beugte mich vor und vergrub mein Gesicht in Marvinas strubbeliger Mähne.
"Das war ja ne Vorstellung" meinte jemand neben mir. Ich schaute hoch und blickte in Lauras lachendes Gesicht. "Damit hast du hier bei einigen mal wieder mächtig Eindruck geschunden" zwinkerte sie zu mir herunter. "Ja, aber..."
"Brauchst dich nicht zu rechtfertigen, hier wissen alle, was du kannst, und dass dich mein Bruder provoziert hat, hab ich auch mitbekommen. Also mach dir keinen Kopf! Moritz kann halt nen ganz schönes Arschloch sein."
Wir wurden von Rico unterbrochen der meinte, dass es für heute genug sei und wir uns schon mal seelisch und moralisch darauf einstellen sollten, dass es morgen ans Springen ginge. Moritz jubelte und schlug mit Björn ein, Laura und ich verdrehten die Augen.
Wenig später stand Marvina in ihrer Box und ich nahm ihr gedankenverloren Zaumzeug und Sattel ab. In der Sattelkammer traf ich erneut auf Laura, die mich anlächelte. Ich lächelte zurück und hob Marvinas Sattel auf den Halter und wusch ihr Gebiss gewissenhaft aus. Schweigend griff ich nach der Stalldecke. "Lo?"
"Hm?"
"Mit dir ist doch was!?"
"Nein" antwortete ich wahrheitsgemäß. "Aber ich muss jetzt mein Pony versorgen."
Ich drückte die Decke an mich und lief die Stallgasse hinunter. Mein Gott, was ging denn hier vor? Ich war hier, um zu Arbeiten und nicht, um mir Probleme zu schaffen.
Laura war mir gefolgt und stand jetzt in der Boxentür, während ich meiner Süßen die Decke überwarf. "Ich will nur nicht, dass du dir zu viele Gedanken über meinen werten Bruder machst, ja?" meinte sie jetzt. Ich lies meinen Blick ein letztes Mal prüfend über Marvina gleiten, schob dann die Boxentür zu und wandte mich an Laura.
"Er ist halt einfach nen Kerl und sein Machogehabe, das stört mich nicht." Ich grinste sie an und wir gingen gemeinsam in das Zimmer der Betreuer.
"Scheiß Stiefel" maulte ich und legte die Füße hoch. Wir vier Mädels saßen um unseren kleinen Tisch in der Mitte des riesigen Zimmers und spannten ein bisschen ab.
Ich griff in die bereits halb leere Gummibärchen-Tüte und streckte mich auf der Bank aus. "Sag mal, stimmt es eigentlich, dass dein Bruder so einer von der ganz schlimmen Sorte ist - wenn du verstehst, was ich meine..." kam auf einmal die direkt Frage von Sophie. Prompt verschluckte ich mich an einem Gummibär und hustete heftig. Blieb man denn hier nirgends vor Moritz verschont? Mein Hustenanfall wollte einfach nicht aufhören und vor lauter Husten krachte ich natürlich noch geradewegs von der Bank herunter.
Auf dem Rücken liegend und immer noch hustend vernahm ich das Lachen der anderen drei Mädels. Tina reichte mir schließlich grinsend ihre Hand und half mir hoch. Lauras Blick streifte mich, bevor sie sich wieder an Sophie wendete, um ihr ihre Frage zu beantworten.
"Zugegebenermaßen" lachte sie, "ist mein werter Bruder wohl das, was man ‚Womanizer' nennt. Das ist natürlich nicht zuletzt seinem Aussehen und seinem Erfolg mit der Reiterei zu verdanken. Ihr merkt ja selber, dass auch hier die ganzen weiblichen Gäste unheimlich auf ihn abfahren." Sie fuhr sich durch die Haare. "Moritz weis genau, wie beliebt er hier ist und vergisst dabei auch manchmal, wie weit er gehen kann." Sie zuckte die Schultern. "Kerle eben, so was scheint denen in
die Wiege gelegt worden zu sein."
Ich hatte genug gehört, das war genau das Bild, was ich von Moritz hatte und sein Auftreten bestärkte mich nur in diesem Urteil. Ich stand auf und schaute aus dem Fenster. Draußen war es bereits dunkel, der Hof war nur noch schwach beleuchtet, im Stall schien alles ruhig. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits nach elf war, also wandte ich mich wieder zu den anderen und verschwand nach Laura im Bad. Mit langsamen Bewegungen flocht ich meinen Zopf auf und betrachtete mich nebenbei im Spiegel. Die langen
Haare fielen mir jetzt in langen welligen Strähnen über die Schulter aber ich sah es nicht wirklich - meine Augen sahen quasi ins Leere. Mit mechanischen Bewegungen zog ich mich um und putzte die Zähne.
Als ich in meinem Bett lag, betrachtete ich noch eine ganze Weile das Foto von Marvina, das auf meinem Nachttisch stand und schlief dann auch endlich ein.
"Einen wunderschönen guten Morgen!"
Ich war sofort in Alarmbereitschaft, als ich Moritz' Stimme vernahm. Er stand vor Marvinas Box und blickte auf mich herunter. Meine Ponystute lag noch im Stroh und ich saß neben ihrem Kopf. "Morgen" murmelte ich und stand auf. Auch Marvina rappelte sich hoch und schüttelte das Stroh von ihrer Decke.
"Müsstest du nicht schon längst bei der Frühbesprechung sein?" fragte ich, während ich die Boxentür zuschob. "Du aber auch" konterte er direkt. Ich zog es vor, nicht zu antworten, denn in dem Moment stürmte eine Gruppe weiblicher Teenager den Stall. Der Chef sah Konfrontationen vor Feriengästen nicht so gern also verdrehte ich nur genervt die Augen; nicht zuletzt deswegen, weil die Mädchen jetzt auch noch aufgekratzt zu kichern anfingen.
"Mooooooritz!" rief die eine, die ich jetzt als Jenny von den Chaoten erkannte, und kam mit ihrem Gefolge auf uns zu. Moritz drehte sich zu ihnen um und lächelte gewinnend. "Rico hat uns gerade gesagt, dass du uns heute trainierst!" sprudelte es aus ihr heraus und sie strahlte dabei bis über beide Ohren. Ich musterte sie unauffällig. Ihre mittellangen, blonden Haare trug sie noch offen und ihre blaue Augen strahlten Moritz an. Außerdem trug sie etwa eine Tonne Schminke im Gesicht - ätzend.
"Ja?" Moritz lächelte immer noch. "Na dann wird das ja ein guter Tag! Wir sehen uns dann beim Frühstück." Ich schob mich an den Verehrerinnen vorbei, das konnte man sich ja nicht anhören. Moritz lief dicht hinter mir und als wir aus dem Stall herauswaren, drehte ich mich um und meinte nur "Vergiss nicht, deine Schleimspur in der Stallgasse dann noch weg zu machen - obwohl, dein Fanclub kloppt sich bestimmt schon drum."
"Huch, warum denn so biestig?" grinste er mich an. Hm, gute Frage... Egal, einem Moritz würde ich sie nicht beantworten!
"Ach, seit ihr auch schon da?" empfing uns der Chef im Büro. Belustigt schaute er von mir zu Moritz und von Moritz wieder zu mir. Ich wollte gar nicht wissen, was er jetzt dachte also murmelte ich ein "Entschuldigung" und setzt mich dann neben Laura. Auch sie grinste. "Wo zum Teufel warst du?" flüsterte sie zu mir. "Bei Marvina."
"Und Moritz?"
"Wurde von seinem Fanclub aufgehalten" meinte ich trocken und zwinkerte Laura zu.
Wir waren schnell durch mit der Besprechung, sodass wir nach dem Frühstück gleich mit der ersten Einheit beginnen konnten. Die heutige Gruppe war bei Weitem nicht so anstrengend, wie die Chaoten von gestern und so hatten Laura und ich genug Zeit, uns um das Springtraining heute Abend bei Rico Gedanken zu machen.
"Ich wette, Björn und Moritz lassen sich mindestens ein Hindernis auf M-Höhe zimmern" lachte Laura gerade und ich stimmte ihr nickend bei. "Bei Marvina und mir hört's schon bei 1,20m auf aber man kann ja nicht alles bringen" grinste ich Laura an und sie lachte wieder. "Ganz recht. Ich bin wirklich gespannt, was das heute Abend wird."
Der Abend kam natürlich mit Riesenschritten näher und nach dem Abendessen war mir richtig schlecht - so geschickt wie gestern Abend würde ich mich heute nicht aus der Affäre ziehen können, wenn Moritz wieder seine provokanten fünf Minuten bekam. Ich lies mir ungewohnt viel Zeit, Marvina zu putzen und kontrollierte die Gamaschen bestimmt drei Mal, bevor ich in die Halle ging. Ich stellte mich neben Sophie auf die Mittellinie und gurtete nach. Ich setzte mich gerade im Sattel zurecht, als auch Rico erschien. "So,
Jungs und Mädels" grinste er in die Runde. "Pferde ordentlich warmreiten, Galoppieren tut ihr im leichten Sitz und dann geht's auch schon an die Hindernisse. Ach ja, die drei Trabstangen da drüben könnt ihr auch mit einbauen."
Ich straffte die Schultern und gab Schenkeldruck. Marvina setzte sich willig in Bewegung und ich begann mit der Arbeit. Bereits nach einer halben Stunde sah ich alle sechs Pferde in der Bahn am Zügel gehen und fleißig vorwärts galoppieren. Rico hatte währenddessen drei Hindernisse in der Bahn aufgebaut, ein Kreuz von etwa 50 cm sollte uns zum Einspringen dienen. Mein Pony galoppierte auf meine Hilfe wieder in versammeltem Tempo an und wir kam schön passend an das Hindernis heran. Marvina sprang passend ab, landete
wieder weich und meine Anspannung löste sich langsam. Ich galoppierte gleich weiter und auch von der anderen Hand passte alles. Ich ließ mein Pony kurz im Schritt verschnaufen und schaute den anderen zu. Sophie war immer viel zu schnell und Rico lies sie bestimmt sechs Mal allein nur über das Kreuzchen springen, bis er zufrieden war. Moritz' Mireno machte das erste Mal einen riesigen Satz und sein Reiter bekam sich vor Lachen nicht mehr ein. Währenddessen wandte sich Rico an mich. "Wie hoch springt denn
deine Maus?"
"Also einen A-Parcours haben wir schon mal recht ordentlich hinter uns gebracht."
"Sehr gut. Obwohl ich glaube... also die Kraft, die sie in der Hinterhand hat und durch ihre gründliche Dressurausbildung - da wäre schon noch nen leichtes L drin."
Ich grinste. "Ja klar, Rico. Aber dann ohne mich."
"Quatsch nicht, einfach Herz vorauswerfen." Damit lies er mich stehen.
‚Prima, Rico, du hast doch echt ne Schraube locker', dachte ich bei mir und ritt wieder an. Mein Herz pochte hart gegen meine Rippen und ich schielte hinüber zu den Hindernissen. Aus dem Kreuz war nun ein 1m-Steilsprung geworden. Eigentlich auch noch kein Problem und nach Tina ritt ich drauf zu. Ich merkte, wie Marvina kurz zögerte aber ich erinnerte mich, was Rico mir vorhin gesagt hatte. Ich saß noch mal tief ein und auf den letzten Galoppsprung lies ich sie gehen. Es klapperte aber ich gab die linke Hand vor
und strich der Stute über den Hals. Rico erklärte mir genau meinen Fehler und lies mich noch mal anreiten. Diesmal passte alles und nachdem Marvina gelandet war, sollte ich rechts herum weiter reiten. Dort stand ein Oxer, auch etwa auf einem Meter Höhe und etwa 70 cm Tiefe. Mein Stütchen streckte sich und ohne Abwurf galoppierten wir nach dem Hindernis weiter.
"Wow, ein kleiner Flummi" grinste Moritz. Ich hatte heute nur noch auf einen Kommentar gewartet! Als ich zu ihm herüberschaute bemerkte ich, dass oben auf der Tribüne sein gesammelter Fanclub saß. Ah ja, das lies ihn wohl mal wieder zu Höchstform auflaufen. Ich war so abgelenkt, dass ich Rico erst gar nicht hörte, wie er uns aufforderte, alle drei Hindernisse nacheinander in der Reihenfolge Steiler, Oxer, Steiler zu springen. Erst als er den Kopf schief legte und mich komisch ansah, reagierte ich und
galoppierte Marvina an. Das erste ritten wir so verpeilt an, dass alles klapperte. "Sitze, Lo und konzentriere dich!" rief Rico. Ich ging wieder in leichten Sitz und schaute nach rechts, wo immer noch der Oxer stand. Huch, vorhin war der aber noch nicht so hoch gewesen. Ich zwang mich selber zur Konzentration und setzte Marvina noch einmal vermehrt auf die Hinterhand, bevor ich sie über den Sprung gehen lies. Moment mal... So langsam dämmerte es mir, was Rico hier vorhatte und ich schaute weiter nach
rechts, wo der letzte Steilsprung stand.
"Rico, das ist ja wohl nicht dein Ernst!!" Ich wollte mein Pony zurücknehmen aber Rico wies mich mit einem "Weiter!" zurecht. Der Steilsprung kam immer näher. Verdammte Scheiße, das konnte er doch nicht wirklich wollen, oder?
"Jetzt sitzen, sitzen, sitzen und weg!" Ich hielt mich an seine Anweisungen und wir flogen mit einem riesigen Satz über den Steilsprung. Ich lies Marvina austrudeln und lobte sie kräftig, währenddessen wandte ich mich an Rico. "Jetzt sag mir nicht, dass der letzte Sprung..."
"Doch, das war ein L, allerdings kein ausgebautes" fiel er mir ins Wort.
"Die Sprünge waren in der Reihenfolge E, A und L aufgebaut. Ich weis gar nicht, was du hast. Das Niedrigste nimmst du voll mit und die anderen beiden springt ihr in schönster Manier. Respekt!" Seine Worte besänftigten mich und so entspannte ich mich wieder und ließ Marvina die Zügel lang. Laura sprang nach mir genau die gleiche Höhe, ebenso wie Tina und Sophie.
"Show down" flüsterte mir Laura zu, als Rico das erste Hindernis auf A, das zweite auf L und das dritte auf M erhöhte. Die Mädels auf der Tribüne tuschelten aufgeregt und als Rico meinte, Moritz könne anfangen, rief jemand von der Tribüne "Los, Moritz!"
Ich musste mich ernsthaft zusammenreißen, um nicht laut loszulachen aber Rico fand das wohl nicht so witzig. "Wenn ihr das Training hier stört, dann fliegt ihr raus!" motzte er den Fanclub an. Moritz schien ganz auf seinen Mireno konzentriert, jedenfalls lies er keinen Kommentar vom Stapel und würdigte die Mädels auf der Tribüne ebenfalls keines Blickes. An den Oxer kamen die beiden ziemlich dicht aber der schwarze Wallach schraubte sich in einer Manier drüber, die mich die Luft anhalten lies. Vor dem
Steilsprung passte allerdings gar nix mehr und plötzlich rannte Mireno rechts vorbei. Moritz nahm das Tempo im Galopp mehr raus und ritt erneut an. Sein Gesicht lies keine Gefühlsregung erkennen, als Mireno auch ein zweites Mal verweigerte. Ich war mir sicher, jetzt würde Moritz die Geduld verlieren aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen strich er dem Wallach beruhigend über den Hals und ritt erneut an. Rico unterstützte ihn mit Anweisungen und diesmal schwebten sie über den Steilsprung. Jetzt beugte sich
Moritz vor und lobte sein Pferd. Ich war beeindruckt, so viel Ruhe hätte ich von ihm gar nicht erwartet. Björns Ritt verfolgte ich nicht mehr wirklich aufmerksam und versorgte dann nachdenklich Marvina.
"Lo, wach auf. Lo verdammt!" Laura stand aufgelöst vor meinem Bett.
"Was ist denn los?" grummelte ich. "Wie spät ist es überhaupt?"
"Es ist gleich um drei aber die Pferde, sie haben Koliken!"
"WAS???" Ich stand fast in meinem Bett. "Ja verdammt. Rico hat gerade angerufen, die sechs Betreuerpferde zeigen deutliche Symptome." Wir weckten in Windeseile Sophie und Tina, zogen uns schnell was über und rannten auf den Hof hinaus. Moritz und Björn standen bereits vor den Boxen der Pferde. Alle sechs standen apathisch nebeneinander in ihren Boxen, Rico hatte sie zum Glück schon eingedeckt. "Da die sechs alle auf einer Koppel stehen, muss es einen Zusammenhang zwischen den Koliken
geben" erklärte Rico, seine Stirn war in tiefe Falten gelegt. Ist euch heute irgendetwas schon komisch vorgekommen?"
"Na ja, heute beim Springen wo Mireno immer vorbei gerannt ist, das sieht ihm nicht ähnlich" begann Moritz."
"Meine war heute auch nicht so ganz mit Elan dabei" schloss sich Sophie an. "Aber es hielt sich noch in Grenzen." So nach und nach kamen Ansätze, auch Marvina hatte heute noch ziemlich lange nachgeschwitzt. Wir verschwanden in die Boxen unserer Pferde, um sie auf Ricos Anraten in der Halle im Schritt herumzuführen. Der Chef war mittlerweile auch anwesend, er hatte bereits den Tierarzt verständigt. In einer langen Karawane marschierten wir schließlich in die Halle, keiner sprach ein Wort. Bereits
nach 20 Minuten traf der Tierarzt ein und untersuchte die Pferde. "Die Ponystute hat es nicht ganz so schwer getroffen. Die robusten Kleinen eben" zwinkerte mir der Doc zu. "Die anderen haben zum Glück auch keine schweren Krämpfe. Ich spritze jetzt allen ein krampflösendes Mittel, dann dürfte die ganze Angelegenheit in ein paar Stunden vergessen sein."
Wir konnten also alle ein Stück weit aufatmen. Die Frau des Chefs brachte uns außerdem wenig später eine Thermoskanne voll Tee und Kaffee, dazu ein paar belegte Brote.
"Na, ich hoffe, so lang wird die Nacht nicht werden" lachte der Tierarzt, langte aber kräftig zu. Wir wechselten uns mit dem Führen ab, sodass einer zwei Pferde führte und die anderen sich ein bisschen ausruhen und eine Tasse Tee trinken konnten. Rico und der Tierarzt lösten uns auch ab und an ab und das war schon eine große Hilfe.
Gegen um vier saß ich mit dem Rücken an der Bande, ich war zum Umfallen müde aber die Angst um Marvina hielt mich wach. Laura hatte ihren Kopf an meine rechte Schulter gelehnt und schlief, Moritz saß links neben mir und umklammerte eine Tasse mit warmem Kaffee. Als sich unsere Blicke trafen, bemerkte ich den besorgten Ausdruck in seinen Augen. Mit einem Schlag wurde mir bewusst, dass er sich wohl genauso Sorgen um seinen Mireno machte, wie ich um Marvina. Selbst wenn wir uns sonst so unähnlich waren, die Sorge
um unsere Pferde verband uns in diesem Augenblick auf eine ganz besondere Art und Weise. Ich hätte gern etwas Passendes gesagt aber so Sprüche wie "Das wird schon wieder" oder "Die Koliken sind ja nicht so schwer" fand ich irgendwie nicht angebracht und so schwieg ich. Außerdem hatte dieser Blickkontakt nichts Aufdringliches oder Gezwungenes aber gerade als Moritz mit "Lo, ich muss dir..." ansetzte, sprang der Tierarzt auf. Mein Pony stand auf dem Hufschlag und äppelte! Ich war so
erleichtert, dass ich aufsprang und dabei Laura vergas, die noch geschlafen hatte. Ein mürrisches Grummeln in meinem Rücken lies mich dessen wieder bewusst werden aber ich hatte jetzt nur Augen für mein Stütchen.
Der Doc untersuchte sie direkt und meinte mit einem Lächeln "Das Schlimmste hat sie überstanden." In der nächsten halben Stunde hatten auch die anderen 5 Pferde ein paar Äppel fallen gelassen, sodass wir sie auf Anraten des Tierarztes wieder in die Boxen brachten und neu eindeckten. Rico kam kurz nach uns in den Stall, er sah erschöpft aber auch sehr erleichtert aus. "Ich habe eben mit dem Chef gesprochen, morgen früh schieben wir einen Erholungsvormittag ein und nachmittags schicken wir die einzelnen
Gruppen ins Gelände zum Bummel-Reiten. Ihr habt also morgen einen mehr oder weniger freien Tag, das heißt ihr kümmert euch morgen hauptsächlich um eure Pferde und am Nachmittag trainiert ihr bitte die Junghengste. Momentan sind genau drei 3jährige und drei 4jährige hier auf dem Gestüt, das geht also genau auf." Er bekam zustimmendes Nicken, ich persönlich begrüßte diese Lösung für den morgigen Tag sehr, da ich fast im Stehen einschlief. Nachdem ich Marvina ein letztes Mal gekrault hatte, schob ich ihre Boxentür
zu und folgte den anderen wieder in unser Zimmer. Ich hatte geglaubt, sofort einzuschlafen, sobald mein Kopf das Kissen berührte aber schlagartig kamen mir Moritz' Worte wieder in den Sinn. Was hatte er mir denn sagen wollen? Unruhig drehte ich mich von einer Seite auf die andere. Was, verdammt?!
Der nächste Tag lief sehr ruhig an, die Betreuer hatten Schlaf alle sehr nötig und so trudelten wir erst kurz vor Mittag im Stall ein. Die Pferde sahen schon deutlich besser aus als in der vorherigen Nacht, sodass wir sie eine halbe Stunde in den Paddock ließen. Nach dem Mittag kamen sie wieder rein, um kein Risiko einzugehen. Rico teilte uns außerdem noch mit, dass der Tierarzt gegen Abend noch einmal reinschauen wollte.
Ich genoss die Ruhe auf dem Gestüt, denn die Gäste waren ja alle im Gelände. Ich nutzte die Zeit und schlenderte zu den kleineren Koppeln, wo die Absetzer grasten und setzte mich auf den Lattenzaun. Gedankenverloren schaute ich zu den kleinen Pferden hinüber. Einige wurden auf mich aufmerksam und kamen mit neugierig gespitzten Ohren auf mich zu. Ich schaute über ihre noch so kurzen Rücken hinweg in den grau verhangenen Herbsthimmel. Dieser Augenblick hatte so etwas beschissen Kitschiges an sich und ich wandte
mich wieder den Pferden zu. Ich kraulte eine ganze Weile Mähnen und strich über Nüstern, bis Laura mich rief. Ich seufzte tief und antwortete ihr, ich sei auf der Absetzerkoppel. Sie kam angespurtet und meinte atemlos, dass wir doch noch die Junghengste trainieren sollten. Shit, das hatte ich ganz vergessen, meine Gedanken machten sich heute auch auffällig oft selbstständig, das passierte mir sonst nie. Ich sprang vom Zaun und lief mit Laura zurück zum Stall. Rico wartete vor dem Hengststall schon auf uns. "Ich
hab euch jedem ein Pferd zugeteilt. Laura, du reitest Feuervogel. Das ist der 4jährige von Fantastic, ganz hinten im Stall, heller Fuchs mit breiter Blesse. Und Laura, für dich hab ich unsern kleinsten ausgesucht. Perino, ein Poseidon Sohn. Bei ihm musst du Acht geben, der kann genauso mistig sein wie sein Bruder Priamos - mit dem hattest du ja bereits das Vergnügen hab ich mir sagen lassen." Er zwinkerte mir zu und führte mich zu der Box des Hengstes. Der kleine Dunkelbraune legte warnend die Ohren an,
als ich die Box betrat. "Reiße dich zusammen, mein Freund!" ging ich ihn an. Mit einem Schlag drehte er die Ohren nach vorne und schnoberte mich ab. Ich strich ihm über den Nasenrücken und band ihn schließlich an. "Ui, da scheint ja einer nen Händchen für die Hengste zu haben." Moritz. Sein spöttisches Grinsen lies die Wut in mir hochkochen. Warum konnte er mich nicht einmal in Ruhe lassen? Und ich hatte ernsthaft geglaubt, er könne auch anders sein. Ja, für 5 Minuten vielleicht, alles andere
ging wahrscheinlich gegen seine Prinzipien. Mit aller Gelassenheit lehnte er zwischen den Boxen und strich die Bürste am Striegel ab. "Die Anzahl meiner Neider bestätigt meine Fähigkeiten" konterte ich und griff in die Putzkiste. Am liebsten hätte ich ihm eine der Bürsten an den Kopf geworfen aber ich hielt mich mit aller Gewalt zurück. Gewissenhaft bereitete ich den Hengst auf das Training vor und als ich schließlich auf dem Pferderücken saß, war Moritz vergessen.
Perino konnte für seine drei Jahre schon wirklich viel und es war einfach nur ein Traum zu spüren, wie er mit ein bisschen Motivation alles aus sich herausholte. Rico war mit allen sehr zufrieden und meinte am Ende der Stunde, dass wir so ein Training wieder einmal einschieben würden. "So ein Pferdewechsel tut euch auch mal gut" grinste er und brachte uns noch zum Stall zurück, es war eh bald Fütterungszeit.
Draußen war es schon dunkel, als wir die Hengste in die Boxen zurückstellten und ich beeilte mich, Perino zu versorgen. Ich war hundemüde und dabei wollte ich auch noch zu Marvina. "Moritz!!!"
Beim bloßen Klang von Jennys Stimme hätte ich am liebsten die Flucht ergriffen. Der Fanclub war im Anmarsch und ich drückte mich beschäftigt um Perino herum - die Weiber waren einfach nur nervig! Moritz sattelte direkt in der Box neben mir ab und so versperrte die Mädchenansammlung die gesamte Stallgasse. "Was ist denn mit Mireno?"
"Der Arme hatte doch eine Kolik" - "Wie geht's ihm denn jetzt?"
Oh mein Gott... sie redeten alle durcheinander, ein einziges Wuhling. Ich merkte, wie Perino unruhig wurde und auch die Hengste in den gegenüberliegenden Boxen klopften unruhig gegen die Boxentüren. Tina warf einen verärgerten Blick herüber und öffnete den Mund aber ich war schneller. "Könnt ihr euch vielleicht mal wieder beruhigen? Hier stehen zig Hengste, darunter auch einige Jungpferde und ich hab eigentlich gedacht, dass man euch nicht sagen muss, wie man sich in solch einem Stall benimmt, überhaupt,
wie man sich in Ställen verhält." Ich war kurz vorm Explodieren, Tina legte mir beruhigend eine Hand auf den Arm und meinte streng zu Jenny & Co. : "Besser, ihr geht jetzt hier raus, so geht das hier wirklich nicht!" Maulend trollten sich die Mädchen und ich wandte mich jetzt Moritz zu.
"Musste das sein?" fragte Moritz halb verärgert, halb belustigt.
"Wenn du deinen Fanclub nicht unter Kontrolle bringst..." ging ich ihn an, als plötzlich...
"Mein Gott verdammt, könnt ihr vielleicht mal aufhören, euch gegenseitig immer so zu belöffeln!?" Laura stand vor Feuervogels Box und schaute wütend von einem zum anderen. "Moritz, deine Provokationen kannst du echt mal stecken lassen und Lo, spiel nicht immer die Zicke. Hier wissen alle, was mit euch los ist, nur ihr scheint es nicht zu begreifen!"
Ihr Wutausbruch lies uns beide schweigen. Ich begriff innerhalb von wenigen Sekunden, was sie meinte, auch wenn ich es die ganze Zeit über verdrängt hatte. Schweigend klemmte ich mir Perinos Sattel unter den Arm, griff nach der Trense und eilte zur Sattelkammer.
"- vina?!" rief ich leise mit tränenerstickter Stimme in die dunkle Stallgasse. Meine Schritte hallten auf dem Beton wieder und ich hörte ein leises Brummeln aus einer der Boxen. Mein Pony stand in ihrer Box und scharrte kurz mit einem der Vorderhufe über den Boden. Ich öffnete die Boxentür einen Spalt breit und schlüpfte zu ihr hinein. Ich lies mich mit dem Rücken an der Wand hinunterrutschen und umfasste meine Knie mit meinen Armen. Marvina senkte den Kopf und blies mir ihren warmen Atem sanft ins
Gesicht. Während ich mit einer Hand über ihren weichen Nüstern fuhr, wischte ich mir mit der anderen die Tränen aus dem Gesicht. "Warum ist das alles so schwer?" flüsterte ich. Ich schaute in die dunkelbraunen Augen meines Ponys und versuchte, darin eine Antwort zu finden. Es gelang mir nicht und so umklammerte ich verzweifelt ihren Kopf. Sie schob ihren Kopf unter meinen Arm und hielt ganz still. Meine Tränen fielen in ihr weiches Fell aber ich fühlte mich wie immer wahnsinnig geborgen in ihrer Nähe.
Ich hatte nicht gehört, dass jemand den Stall betrat und so schaute ich erst auf, als Marvinas Boxentür aufging. Die Stute hob den Kopf und auch ich schaute zu der Person, deren Statur sich undeutlich im schwachen Licht abzeichnete. Trotz der Dunkelheit erkannte ich, dass es Moritz war und mein Herz begann, schneller zu schlagen.
Hastig stand ich auf, klopfte das Stroh von meiner Reithose und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln. "Wusste ich doch, dass du hier bist" sagte er und ich versuchte, im schwachen Licht, dass von draußen hereinschien, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Schon wie gestern auf Mireno lies er keine Gefühlsregung erkennen. "Was willst du?" fragte ich und konnte ein leichtes Zittern meiner Stimme nicht unterbinden. Ich trat auf die Stallgasse hinaus und schob Marvinas Boxentür zu. "Meine
Schwester hat mich gerade noch mal ziemlich angefahren, ich solle doch einmal die Courage besitzen... na egal, ich glaube, wir müssen mal reden." In meinem Bauch staute sich schon wieder eine unglaubliche Wut an. Er war also nur hier, weil Laura ihn geschickt hatte. Toll, darauf konnte ich auch verzichten. "Ich wüsste nicht, worüber wir reden sollten" knallte ich ihm an den Kopf und wandte mich um zum gehen. "Lo, es geht hier um uns!" rief er mit einem Ernst in der Stimme, wie ich ihn
bei ihm noch nie gehört hatte. Ich drehte mich zu ihm um und wider Willen stellte ich erneut fest, wie gut er aussah. Nichts desto trotz ... "Es gibt kein uns!" schrie ich beinahe zurück und wollte weitergehen, als er mich am Arm zurückhielt. Genug war genug, ich platzte förmlich und war im Begriff ihm Eine zu knallen. Entweder er hatte damit gerechnet oder sehr viel Übung darin, denn er erwischte mein Handgelenk und hielt es fest.
Unsere Gesichter waren nur noch einen halben Meter voneinander entfernt und mein Herz pochte jetzt so laut, dass ich befürchtete, Moritz könnte es hören. "Lass mich los!" zischte ich aber er lies mein Handgelenk nicht los. "Warum sollte ich?"
"Weil ich keinen Bock habe, die Nächste auf deiner Liste zu sein! Eine unter Vielen, Irgendeine, die du mal wieder rumgekriegt hast..." Das traf genau das, was in mir vorging und warum ich mich die letzten Tage so heftig gegen meine Gefühle gewehrt hatte. "Und wenn du nicht einfach nur die Nächste oder Irgendeine bist?"
Hm... konnte ich ihm das Glauben? Mir bleib im Prinzip keine Zeit, darüber nachzudenken, denn jetzt lockerte er den Griff um mein Handgelenk und fasste mit den Händen um meine Taille und zog mich sanft zu sich heran.
"Dann könnte es durchaus eine Chance für uns geben" flüsterte ich dicht vor seinem Gesicht, bevor er mich küsste. Verdammt, er roch so gut nach Pferden, Leder und frischer Luft.
Noch wusste ich nicht, ob es richtig war, was ich da tat aber um ehrlich zu sein, wollte ich mir darüber auch keine Gedanken machen. Noch nicht.
Eingereicht am 01. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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