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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Die Vision
©Reinhild Paarmann
Zuerst hatte Cécilie diese schreckliche Vision am helllichten Tag in meiner Wohnung. Sie sah sich da knien vor der Äbtissin, die in diesem Leben ihre Mutter ist, Cécilie werde von ihr mit einer spitzen Waffe ermordet. Sie bedankt sich bei ihr, fühlt ihr Sterben, ist in diesem Leib, dann ganz Seele, die auf den Körper herabschaut. Ah, so ist also der Tod. Cécilie weiß jetzt, warum sie eine so große Abneigung gegen ihre Mutter hatte. Damals war sie 28 Jahre alt und hatte sich mit der Frage beschäftigt, warum ihr
Verhältnis zu der Mutter so schwierig ist. So kam die Antwort. Es war ganz fürchterlich für sie. Cécilie hatte Angst, sie war allein und weinte.
Viele Jahre später fragte sie ein Medium, wo sich diese Szene abgespielt hatte und wann.
Das Medium ließ den Zeigefinger über die Landkarte fahren, um dann bei "Nauders" zu verharren.
Roby und Cécilie fuhren hin. Das Touristenbüro hatte gerade geschlossen.
Cécilie wartete bei warmem Sonnenschein auf einer Bank mit dem Gepäck, während ihr Mann nach einer Unterkunft suchte. Dann öffnete das Büro. Sofort fragte sie nach einem Gebäude aus "ihrer Zeit". Das Schloss dort entstand später, bzw. sind die Grundmauer schon aus dem 13. Jahrhundert, aber bis auf die Folterkeller ist alles erneuert. Sie bezogen ihr Quartier und machten sich dann auf die Suche. Die Familie, wo sie untergekommen waren, lebte hier schon sehr lange. Wie Cécilie später erfuhr, hatte sie
auch ein Gasthaus an einem Ort, wo sie damals auf ihrer Fahrt ins Kloster Halt machte. Sie gingen die Landstraße runter zum Schloss. Davor ist eine uralte Kapelle, die geschlossen war. Plötzlich trat ein Mann aus einem Nebenhaus mit einem Schlüssel. Er schloss die Kapelle auf. Cécilie fasste die Steine an. Da wusste sie, dass sie das Gebäude kannte.
Schwieriger war es "ihr" Kloster, das in der Nähe von Latsch gestanden haben soll, wie sie von dem Medium erfahren hatte, zu finden. Roby und Cécilie fuhren mit dem Bus nach Latsch. Im Touristenzentrum fragte Cécilie nach einem Kloster aus dem 13. Jahrhundert. Die Angestellte wollte sie mit dem Bus zu einem etwas entfernten Ort schicken. Gleich sollte der Bus kommen, der nur alle paar Stunden fuhr. Cécilie entschied sich, in Latsch zu bleiben. Dann suchte sie. Endlich fand sie "ihr" Kloster,
von dem nur noch ein kleiner Teil stand. Die Straße hieß auch "zum Kloster" in Italienisch. Besonders berührte sie ein vergittertes Fenster unten beim Keller. Man konnte in das Gebäude nicht rein. Roby fotografierten es. Das Fenster ist nicht mehr aus "ihrer" Zeit, aber es wurde so ähnlich immer wieder erneuert. In der Nähe lag die Nikolai-Kirche, deren Turm aus "ihrer" Zeit stammte und die früher viel größer war. Hier gab es auch einen Menhir der Kelten, der in den Bau integriert
wurde. Das wurde damals gemacht, damit sich die Heidengötter nicht rächten. Außerdem sollte gezeigt werden, dass der Christen-Gott stärker war. Auf alten heidnischen Kultstätten, die wiederum auf Energiefeldern entstanden, wurden die Kirchen gebaut.
Cécilie und Roby waren dort in dem Museum, wo die Führerin ihnen den abgeschlagenen Kopf auf dem Menhir erklärte. Es stimmt nicht, dass auf dem Menhir immer ein Kopf gewesen ist. Das war erst später so, als die Christen aus Holz oder Stein Köpfe darauf stellten, die sie dann abschlugen. Die Zeichnungen (Ritzungen) auf dem Menhir im Museum haben spirituelle Bedeutungen und stellen den Kreislauf der Erde dar, sowie die Fruchtbarkeit des Menschen und der Natur. Die Kelten meinten, dass man der Erde nicht nur etwas
nehmen, sondern ihr auch etwas geben sollte. Blut wurde Dünger, was nicht abwegig ist, denn es ist organisch. Auf Friedhöfen ist die Erde auch besonders gut. Man wollte der Erde danken. Cécilie schrieb ins Gästebuch hinein, dass sie im 13. Jahrhundert hier im Kloster gelebt hatte und dort von der Äbtissin getötet wurde.
Nun galt es noch die richtige Kirche zu finden, es gab ja dort mehrere.
Endlich fand Cécilie diese, sie wusste ja nicht vorher wie die Kirche hieß, an der Seilbahn. Mit der Seilbahn konnten sie nicht fahren, weil es zu stürmisch war. Das war gut so, denn sonst hätte ihnen viel Zeit gefehlt. Da floss auch die Etsch. Dann gab es noch dort eine andere Kirche aus "ihrer" Zeit, die Cécilie auch anzog. Dies hatte damit zu tun, dass sie dorthin einmal einen Ausflug gemacht hatte, denn ihre Aufseherinnen konnten Cécilie nicht immer einsperren. Dort unter dem Altar lag auch ein
Menhir. Cécilie hatte die Kraft gespürt, die davon ausging. Leider konnte man heute in die Kirche nicht rein.
Auf der Rückfahrt warteten sie auf den Bus. Da stand ein Mann, der plötzlich umfiel - weil - wie er hinterher zu Cécilie sagte, er vor ihr erschrocken wäre. War er hellsichtig und hat ihr damals schreckliches Leben "gesehen?" Cécilie half ihm mit Roby zusammen auf. Er wollte ihnen zum Dank einige Münzen geben, was sie ablehnten.
Ein Medium sagte Cécilie hinterher, dass er zur gleichen Zeit wie sie früher gelebt hatte, denn er war Ratgeber ihres damaligen Vaters. Für Cécilie hat er sich eingesetzt als hoher Beamter, der die Geschäfte führte. Dadurch hat er sich in Lebensgefahr begeben. Er schlug vor, Cécilie zu heiraten, obwohl er altersgemäß ihr Vater hätte sein können. Cécilie wolltest nicht, denn ihre Hoffnung war, ihren Geliebten aus dem Kerker zu befreien und mit ihm auf die Flucht zu gehen. Durch das Einsetzen für Cécilie hat dieser
Mann sein Ansehen bei ihrem Vater verloren. Ihr Schicksal hat ihn, den Witwer, sehr ergriffen, so dass er Mitleid mit Cécilie hatte. Als er sie nun sah, ist ihm das nicht bewusst gewesen, aber seine Seele hat durch das Wiedersehen einen Schrecken bekommen, was er nicht einordnen konnte. Dieser Mann war für Cécilie ein Vaterersatz gewesen, denn ihr Vater war ein sehr beschäftigter Fürst. Der Ratgeber war freundlich zu mir. Zweimal wurde im Jahr auf dem Dorfplatz von Nauders Gericht gehalten, was mit einem Markttag
verbunden war. Die Leute kamen weit aus der Umgebung auch dazu. Bis Gericht gehalten wurde, war Cécilies Geliebter da im Kerker, den sie im Schloss besichtigt haben. Aber auf dem Gerichtsplatz stand er nicht am Pranger. Ihr Geliebter war ein hübscher Bengel, blond, sah ähnlich aus wie Robert Redford, der Schauspieler, der z. B. in "Die Unbestechlichen" mitspielt.
Roby und Cécilie besichtigen auch die Blut'gen Wiesen in Nauders, wobei sie sich fragte, ob hier ihr Geliebter verbrannt wurde. Das Medium sagte ihr später, dass dies auf dem Dorfplatz stattgefunden habe. Auf den Blutwiesen fand ein Gemetzel in den Napoleonischen Kriegen statt. Auch Druiden wurden hier vorher von Christenpriestern umgebracht. Wenn ein Ort erst einmal eine negative Ausstrahlung hat, zieht er weiter negatives an. So wurden hier Wilderer z.B. durch Enthauptung bestraft. Cécilie träumte auf der Reise,
dass sie Ursel von Nauders geheißen habe und wollte nun von dem Medium wissen, ob dies stimme. Das Medium bestätigte ihr den Namen, bzw. stellte richtig, dass sie nur so gerufen, aber natürlich Ursula geheißen habe.
Bei der Schoßbesichtigung war Cécilie ein Wappen mit Cuno von Nauders aufgefallen mit der Zahl 1299. Nun wollte sie wissen, ob dies ihr Bruder gewesen wäre. Das Medium sagte ihr, dass es nicht ihr leiblicher Bruder, sondern der Sohn von der Geliebten des Vaters war. Cécilies Vater hatte sich eine Geliebte genommen, denn die Ehe mit ihrer Mutter war aus Vernunftgründen geschlossen worden und bescherte ihm zwei Töchter. Er wollte aber auch einen Sohn haben. Damit dieser erbberechtigt wurde, gab man ihn als einen
Verwandten aus. Cécilie hatte eine ältere Schwester, die früh in Richtung Italien verheiratet wurde. Als sie damals aus Latsch floh, hatte Cécilie die vage Vorstellung, zu ihrer Schwester zu reiten und dort Unterschlupf zu finden. Aber ob sie diese aufgenommen hätte, ist fraglich. Céciles Vater hieß übrigens Adelbert. Zu ihrer älteren Schwester hatte Cécilie keine Beziehung, denn der Altersunterschied war zu groß. Man hatte Cécilie aus den Papieren getilgt, aber in Kirchenchroniken steht vielleicht noch etwas.
In der Bücherei von Nauders fand Cécilie keine Hinweise. Sie sprach zwei alte Männer auf der Straße an. Diese wollten ihr nichts erzählen und verwiesen sie an den Schulmeister, mit dem Cécilie Kontakt aufnahm. Aber er war auf eine andere Zeit spezialisiert. Die Schlossbesitzer hatten ein Hotel am Ort.
Cécilie sprach mit der Eigentümerin, die ihr sagte, dass es alte Chroniken in ihrem Besitz gebe, die aber erst übersetzt werden müssten, da sie in Rätisch-Romanisch geschrieben seien. Immerhin ließ sie Cécilie eine Münze aus "ihrer" Zeit prägen.
In dem nahe gelegenen Ort Landeck, wo sie auf der Rückreise Aufenthalt hatten, ging Cécilie in eine Bücherei und studierte die Quellen. Auch in einer Buchhandlung war sie, wo Cécilie ein österreichisches Geschichtsbuch erstand. Hinterher in Berlin recherchierte sie noch viel. Cécilie war ja überrascht zu lesen, dass König Alfons von Kastilien deutscher König gewesen ist, wodurch sie sich ihre Beziehung zum spanischen Hof erklärte. Der deutsche König hatte keine Nachkommen. Der Papst besaß damals viel Macht, er
konnte Könige absetzen, wenn sie ihm nicht passten. Aber Cécilies Mutter hatte zusätzlich verwandtschaftliche Beziehungen zum spanischen Hof, denn da lebten Cousinen des 2. und 3. Grades, so berichtete das Medium. König Alfons war nur für kurze Zeit deutscher König. Bald nach der Geburt wurde Cécilie an den Bruder des Königs versprochen.
Mein Sohn R. meinte, dass man den Mord doch nicht als Selbstmord deklarieren könnte. Man sähe das doch. Das Medium erklärte es so: Man hat die Wunde verbunden und dir ein anderes Kleid angezogen. Nonnen wurden nicht öffentlich entkleidet, um die Todesursache zu klären, die ja auch nicht angezweifelt wurde. Wahrscheinlich wurde ich verscharrt, vermutete Cécilie, denn sie war auf dem alten Friedhof gewesen und hatte keine Spuren gefunden. Nein, es gab ein Begräbnis, das eine Nonne, die Cécilie zugetan war, durchsetzte
und zwar an der Friedhofsmauer, aber noch in geweihter Erde. Es wurde auch ein Gebet an Cécilies Grab gesprochen.
Dafür hat sie mit ihrem Leben bezahlt. In Klosternunterlagen könnte man evt. noch etwas finden, denn auch wenn viel durchgestrichen und unleserlich gemacht wurde, scheute man sich davor, mehrere Seiten heraus zu reißen.
Cécilie und Roby waren in einem Gasthaus, das aus dem 16. Jahrhundert stammte, obwohl es die Familie Seifert auch schon davor gab. Der Familie war es zu teuer, dies weiter nachzuforschen. Cécilie wollte wissen, ob das Gasthaus schon zu "ihrer" Zeit existierte. Es sollen dort immer Gasthäuser gewesen sein, denn die Römer kamen auch über den "Reschenpass."
Das Medium antwortete, dass diese Familie schon zu "ihrer" Zeit gegeben hat. Es fand sogar eine Begegnung statt, als Cécilie ins Kloster gebracht wurde und der Trupp eine Rast in einer ihrer Filialen machten. Das ist im Erbgedächtnis der Familie, aber nicht in der Erinnerung der Seele.
Das Erbgedächtnis ist, wenn man nachempfinden kann, wie sich z. B. die Großmutter gefühlt hat. Das ist ein großer Unterschied zu Inkarnationserinnerungen. Manche Seelen erkennen den Unterschied nicht. Es gibt dann eine Anziehungskraft. In einem Sagenbuch aus dieser Gegend suchte Cécilie nach ihrer Geschichte, fand sie aber nicht. Das Medium sagte, dass es sie dennoch gibt. Aber die Leute heute haben nicht mehr so Interesse daran. Viel Sagengut wurde auch gar nicht aufgeschrieben. Cécilie überlegte, ob sie dem
Schulmeister sein Foto, das wir geknipst hatten und die Geschichte, die sie nach ihren Träumen, der Vision und den Recherchen an Ort geschrieben hatte, schicken sollte, ohne auf ihre Inkarnation hinzuweisen.
Das Medium riet ihr dazu und Cécilie tat es. Da gab es an der einen Kirche eine Linde, die natürlich nicht mehr die ursprüngliche war, aber die nachgepflanzt wurde nach einer, die es schon zu den Zeiten der Kelten gab.
Cécilie wollte die Bedeutung von ihr wissen, falls sie eine hatte. Das Medium berichtete, dass es ein heiliger Ort gewesen ist, denn die Kelten haben auch die Linde wegen ihrer Heilkraft verehrt. Bäume wurden gepflanzt, wo Druiden erdmagnetische Felder aufspürten. Dort wurden Versammlungen abgehalten, denn so ein Baum bot Schutz. Auch Theaterstücke mit Lehren wurden da gespielt. Hier gab es immer wieder Druiden mit besonderen Fähigkeiten, die auch die Linde zum Sprechen brachten. Sie erzählte dem Druiden, was
sie alles erlebt hatte. Wenn z. B. ein Liebespaar sich dort traf, gab es positive Emotionen, die der Baum speicherte. Der Druide erzählte es dann dem Volk. Die Linde wurde auch deshalb verehrt, weil sie die Vergangenheit speicherte. Roby und Cécilie machten oberhalb von Nauders eine Wanderung im Schnee. Dabei trafen sie drei Waldarbeiter, die auf der Erde lagen und schliefen. Irgendwie berührte es Cécilie. Später einmal berichtete ihr ein Medium, dass ihr Sohn R. der Waldarbeiter gewesen wäre, der sie als erster
entdeckt hatte. Einige Jahre danach betreute Cécilie eine armenische Familie. Die Mutter war ihr besonders sympathisch. Das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Cécilie fragte ein Medium, ob es da eine karmische Verbindung gäbe. Das Medium eröffnete ihr, dass sie in Nauders ihre Zofe gewesen war. Später recherchierte Cécilie in einer alten Chronik und fand die Stelle mit der Urkunde "Die Brüder .." usw., wie sie diese in der Geschichte gleich zitieren wird.
Ursula von Nauders, die man Ursel rief, kam 1258 kam zur Welt, ein Jahr, nachdem König Alfons X. von Kastilien zum deutschen König ernannt wurde. Da durch die Mutter außerdem verwandtschaftliche Bande zum spanischen Hof bestanden, denn sie hatte dort Cousins und Cousinen des 2. und 3. Grades, wurde Ursel kurz nach der Geburt dem Bruder des Königs in Spanien versprochen. Ursel wurde einer Amme übergeben. 1261 wurde ihr Halbbruder Cuno geboren, der nach dem Vater benannt, von seiner Geliebten abstammte.
Aus Erbfolgegründen wurde er als Verwandter ausgegeben. Auch dieser Halbbruder sollte zu günstigen Konditionen verheiratet werden. Es gab Auseinandersetzungen zwischen dem Papst und dem deutschen Kaiser. Außerdem fanden kriegerische Begegnungen mit Frankreich statt. Einige Könige waren dabei, einen weiteren Kreuzzug auszurichten. Gleichzeitig lebten in Italien Waldenser und Katharer in Oberitalien. Die Waldenser wurden von Petrus Waldes gegründet, der zwischen 1184 und 1218 starb. Diese christliche Laiengemeinschaft
hatte das Armutsideal und lehnte die Liturgie, die Heiligenverehrung sowie das Sakrament, außer der Buße, die Todesstrafe, den Eid und den Kriegsdienst ab. Damit waren sie in ihrem Glauben ähnlich wie die Katharer, die in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts sich als Erneuerer des Manichäismus verstanden, die den dualistischen Häretikern des Orients den Paulicianer und Bogomilen der Balkanhalbinsel im Geiste verwandt waren und Priestertum, Hierarchie, Ehe, Eid, Krieg und Todesstrafe und weltliche Obrigkeit verwarfen.
Die Macht der Kirche war geschmälert und gespalten.
Päpste setzten Fürsten ab, die wiederum ihre Treue dem heiligen Stuhl kündigten. In Frankreich regierte ein Gegenpapst. Ursels Familie war weitläufig mit dem Stauffer- Kaiser verwandt. Gegen diesen wurde der Bann ausgesprochen, dann wieder aufgehoben, wodurch die Familie trotz der Entfernung betroffen war. Es war nötig, Stellung zu beziehen. Gerade als die Stauffer aus dem Bann entlassen wurden und bevor sie ein neuer traf, beschloss ihre Familie aus politischen Gründen, sich für die römisch- päpstliche Linie
zu entscheiden. Weitere Überlegungen waren die Religiosität der Tanten und der Mutter, während der Vater eher "freigeistig" war. Aber davon wusste Ursel nichts, denn sie wuchs behütet auf. Nur bei Festen aß sie mit der ganzen Familie, bei denen sie auch ihren Cousin Albero sah. Dann wurde von Politik und Religion gesprochen.
Spanische Priester kamen zur Burg Naudersberg, die reiche Ländereien ihr eigen nannte, um Ursel die geeignete Erziehung angedeihen zu lassen, denn man misstraute in Spanien den im Vergleich zu Kastilien lockeren Sitten im Land der Grafen von Görz in Tirol. Sie wurde nicht nur auf ein Leben als Königinschwägerin, sondern auch auf die Rolle der Frau des Regenten selbst vorbereitet, denn der König konnte sterben, dann müsste sein Bruder das Amt übernehmen. Ihre Erziehung war deshalb sehr streng. Aber Ursel hatte
einen unbändigen Freiheitswillen, der sie in Kellergewölbe und Pferdeställe trieb, wo es warm war und nach Mist roch. Ursel streichelte die glatten, gut gestriegelten Pferderücken, ließ sich die kalten Hände an den heißen Nüstern auftauen. Ursel blickte in treue Pferdeaugen, die sie dankbar für ein bisschen extra Hafer anschauten und ungeduldig mit den Hufen scharrten, damit ihre Herrin endlich wieder mit ihnen ausritt. In der Spinnstube hörte sie die Legende aus Landeck, wo ein Mädchen in ihrem Alter auf die
jüngeren Geschwister aufpassen sollte, weil die Eltern weg mussten. Da es schönes Wetter war, ging sie mit den Kleinen vor die Tür. Da trabten ein Bär und ein Wolf daher und schleppten die Kinder weg. Als die Eltern kamen erzählte sie ihnen, was passiert war, worauf diese in den Wald liefen und ihre Kinder unversehrt fanden, denn die Mutter Gottes hatte sie beschützt.
Aber Ursel hörte auch vom Heiligen Valentin, der hier in Nauders nicht, wie im alten Heidenschloss abgewiesen wurde, eine Herberge fand. Alte Schätze sollten hier vergraben sein. Das Venediger -Mannerl, ein Mann aus Venedig, wäre wieder zu Besuch gekommen, nachdem es Goldsand im "Plederl" gefunden hatte. Ursel hörte auch die Sagen vom Nörgl, der sein Unwesen bei der Labaum -Alm trieb, wo sie hinritt. Aber es lebte auch ein gutes Nörgl, das Vadigestein - Mannl, weil es den Menschen half. Nur durfte
man es nicht mit einer neuen Jacke beschenken oder Eierschalen auf dem Herd liegen lassen, sonst rannte es weg.
Beim italienischen Zollhaus soll der Wiesen- Lorg sich auf die Leute gesetzt haben, die ihn gar nicht tragen konnten, so schwer war er. Und ein wilder Mann hauste oben beim Stables-Hof. Die Mägde wussten meist eher, wo Ursel sich aufhielt, als ihre Lehrer. Viel wurde sie mit Einsperren bestraft.
Ursel musste Spanisch, Griechisch, Latein und Arabisch lernen, ebenso die Spanische Geschichte, die Hofetikette, Tanzen, Sticken, den Katechismus, die "Discipline clericalis" von Petrus Alfonsi, einem bekehrten Juden, "Kalila und Dimna" und "Barlarm und Josaphat". Heimlich las sie "Das aufsässige Mädchen", ein spanisches Märchen. Aber Ursel lernte auch Reiten, was sie liebte.
Oft ritt Ursel aus, besuchte eine alte Linde im Dorf, die aus keltischer Zeit stammte. Dann band sie ihr Pferd daran fest. Die Blüten dufteten und fielen sich drehend zu ihren Füßen nieder. Sie hörte die Vögel und das Mühen der Kühe und ihre Glocken. Dann ließ Ursel sich von dem alten Baum Geschichten erzählen aus Zeiten, in denen Druiden lebten, die damals auch der Stimme der Linde gelauscht hatten, um deren Sagen dem Volk zu berichten, das sich zum Frühlingsfest zu Vorführungen und Partnersuche hier traf. Die
Linde erzählte von Liebespaaren, die sich da eingefunden hatten. Ursel träumte von einem blonden, hübschen Knappen auf der Burg. Und die Linde rauschte ihr von den blutigen Wiesen vor, wo Druiden und Christenpriester umgebracht wurden. Wilderer waren hier enthauptet worden. Zum Abschied umarmte Ursel den Baum. Sie fühlte sich allein. Ihre Schwester war mit einem viel älteren Mann nach Italien verheiratet worden. Aber sie hatte aufgrund des Altersunterschiedes nicht viel übrig für Ursel, und umgekehrt war es
genau so.
Ursel musste viel in der Kirche zum Heiligen Valentin beten, während sie sich die Fischen an den Wänden ansah, die Ähnlichkeit hatten mit der Forelle, die sie aus ihrem Familienwappen her kannte mit dem goldenen Ball.
1266 wurde Cuno fünf Jahre, da musste er als Zeuge einer Beurkundung dabei sein, die seinen Cousin Albero de Nauders mit einigen anderen Leuten betraf.
Es war der 6. März. In der Urkunde stand: "Die Brüder Arnoldus de Schoneke und Fridericus de Rodach erhalten vom Bischof von Brixen 200 Mark und überlassen ihm dafür als Ersatz für die Schäden, welche sie der Brixener Kirche zugefügt haben, alle ihre Grundstücke sowie ihre Burg zu Brixen und allem Zubehör innerhalb angenommener Grenzen, ausgenommen die Eigenleute und das Grundstück des Fischers in der Runkade." Albero hatte die Brüder, die gar keine leiblichen waren, sondern so bezeichnet wurden, weil
sie einem Ritterorden angehörten, in seinem italienischen Bereich versteckt und mit Nahrung beliefert, wo er eine kleine Burg und Ländereien hatte. Albero lebte als Verwalter auf der Burg Nauders.
Arnoldus und Fridericus wurden verfolgt, weil der eine Katharer und der andere Waldenser war. Albero sympathisierte mit diesen beiden Glaubensströmungen, die sich gegenseitig unterstützten. Wie kam es heraus, dass Albero die beiden versteckte? Es hatte mit dem Kreuzzug zu tun, der vorbereitet wurde. In diesem Bistum waren die Menschen unruhig geworden, da die kirchlichen Autoritäten in Zweifel gezogen wurde. Daran waren die Waldenser und Katharer schuld. Dadurch konnten nicht genügend Soldaten, Tiere, Gelder
und Waffen ausgehoben werden, denn dies war für Adlige nicht freiwillig, die selbst oder ihre Söhne mit in den Krieg mussten. Das Bistum wandte sich ans einen Fürsten, er den Zusammenhang zwischen der Beeinflussung der Bevölkerung durch die Waldenser und Katharer und deren Überzeugung gegen den Krieg untersuchen ließ. Es gab Verrat und Denunziation. Die "Unruhestifter" und Urheber waren bald ausfindig gemacht. Sie wurden als Ketzer entlarvt und mussten ihr Land ( der eine hatte welches im italienischen,
der andere im französischen
Bereich) gegen ein geringes Entgeld abtreten. Alle Güter wurden beschlagnahmt. Der Kirchenbann wurde über die "Brüder" ausgesprochen. Drei Jahre später starb Ursels Halbbruder Cuno mit acht Jahren.
Sie hatte mit den männlichen Mitgliedern ihrer Familie nicht viel zu tun und war mit ihren Gedanken auch mehr bei der Hochzeit, die immer näher rückte.
Ursel wollte den spanischen Prinzen nicht, denn sie liebte ihren Knappen, der ihre Zuneigung erwiderte. Heimlich trafen sie sich, streiften in den Bergen herum, pflückten Himbeeren, die sie im Schatten ihrer Liebesspiele verzehrten. Ursel wurde schwanger. Aus der spanischen Hochzeit konnte nichts mehr werden. Ihr Vater war sehr beschäftigt. Sein Ratgeber hatte früher manch gutes Wort für Ursel eingelegt. Auch jetzt setzte er sich für sie ein und wollte eine Ehe mit ihr eingehen, obwohl er ihr Vater hätte sein
können.
Der Knappe kam in den Burgkerker. Ursel wollte den Ratgeber nicht, denn sie hoffte, ihren Liebhaber aus seinem Verlies befreien zu können, damit eine Flucht möglich wurde. Ihr Liebster wurde gefoltert, damit er gestand, dass er ein Hexer sei, denn Ursel konnte sich ja nicht freiwillig mit ihm eingelassen haben. Zweimal wurde im Jahr auf dem Dorfplatz Gericht gehalten, wozu alles Volk aus der Umgebung strömte. Gleichzeitig war Markttag. Der Knappe wurde verurteilt und sofort verbrannt, während Ursel zusehen musste.
Der Ratgeber fiel in Ungnade, denn er wollte nun auch den Abtransport von ihr in das berühmte Kloster in Latsch verhindern. Viel Geld musste die Familie von Ursel bezahlen, damit sie ins Kloster ausgenommen wurde. Und noch mehr wurde draufgelegt, damit Ursel später eine Äbtissinnenstelle bekäme, wenn eine frei werden würde, denn sie musste standesgemäß untergebracht werden.
Ursel war auf dem Weg zum Kloster. Mit ihrer Kutsche machte sie Halt in einer Herberge unterwegs, die der Familie Seifert, welche ebenfalls ein Gasthaus in Nauders unterhielt, gehörte.
In Latsch kam Ursel in einen Keller mit offenem, kleinen Fenster, vor dem eine Metallraute befestigt war, so dass man nicht hinausklettern konnte.
Gebetet wurde in der großen Nikolas - Kirche, die zu dem riesigen Kloster gehörte. Dort gab es einen Menhir, der sie an ihre Zeit unter der Linde mit ihrem angehenden Ritter erinnerte. Ein Ausflug führte zur Bichel- Kirche, wo es ebenfalls einen keltischen Kultstein unter der Altardecke gab. Die Heidengötter sollten sich nicht rächen können, deshalb drückt die christliche Altarfläche auf den Menhir. Bevor dieser unter der Altarplatte gelegt wurde, hatte man einen Steinkopf darauf montiert, den ein Priester vor
allem Volk abschlug.
Ursel träumte von dieser Zeit. Die Linde erschien ihr und erzählte, wie der Menhir früher auf zwei Steinstützen lag und Lämmer darauf geschlachtet wurden. Anschließend wurde der Stein aufgerichtet, so dass das Blut in eine Rille in die Erde floss. Den eingeritzten Kreislauf der Natur, die Fruchtbarkeit der Erde und Menschen, waren nun in Rot gebadet zu sehen. Der Boden stöhnte vor Lust. Liebespaare vollzogen den Bund des Glücks. Ein Feuer brannte. Es roch nach gebratenem Fleisch. Ursel dachte an ihren Knappen.
Immer nur beten. Sie wollte nicht ihr ganzes Leben im Kloster verbringen.
Ursel revoltierte und wurde darauf unter Drogen gesetzt. In ihrem Rausch konnte sie so mit dem Liebsten zusammen sein. Aber zwischendurch, wenn sie mal keine Drogen bekam, erwachte ihr Rebellengeist. Nur eine der Nonnen fand auch einmal ein gutes Wort für sie. An einem hohen, kirchlichen Feiertag musste sie als Ursula von Nauders in der Nikolaus-Kirche repräsentieren.
Vorsichtshalber hatte man sie wieder unter Drogen gesetzt. Ursel trug ein prächtiges Nonnengewand. Ihre Amme hatte zu ihr Kontakt gehalten. Nun hatte sie die Flucht vorbereitet. Unter einem Vorwand entfernte Ursel sich während der Feier, sprang blitzschnell auf eines der wartenden Pferde und ritt davon. Den Abhang runter, über die Brücke, unter der die Etsch brauste, in den Wald hinein. Sie war eine gute Reiterin, aber durch die Drogen kam Ursel ins Straucheln und stürzte.
Zu dieser Zeit schliefen an einem Feuer drei Waldarbeiter, die Hüte tief in das Gesicht gezogen. Dem einen träumte, dass ganz in der Nähe jemand auf ihre Hilfe wartete. Er erwachte, erzählte es den anderen, worauf sie sich auf die Suche machten und Ursel bald fanden. Die Waldarbeiter brachten sie zu sich nach Hause und kümmerten sich um ihre Gesundheit. Ursel hatte ihr Kind verloren. Trotz ihres Schmerzes hieß es nun den Verstand zusammen zu halten und die Waldarbeiter zu bitten, nicht zu verraten, wo sie sei.
Ursel träumte von einem einfachen Leben. Der Amme wurde unterdessen zur Strafe die Zunge herausgeschnitten und eine Hand abgehackt.
Der nächste hohe kirchliche Festtag nahte. Häscher zogen noch immer durch das Land, um Ursel zu suchen. An diesem Tag entdeckten sie Ursel und wollten die Waldarbeiter, denen sie ihr Leben verdankte, umbringen. Ursel schrie alles Volk zusammen, so dass sie ihren Rettern nichts tun konnten. Aber Ursel musste mit. Wieder auf ihrem Pferd ritt sie mit hängenden Zügeln zu ihrer endgültigen Gefangenennahme zurück. Sie hatte gehofft, sich zu ihrer Schwester durchschlagen zu können, obwohl sie nicht wusste, ob diese
Ursel aufgenommen hätte. Dumpfe Verzweiflung bemächtigte sich ihrer. Selbstmordgedanken keimten auf. Ursels Familie in Nauders gab der Äbtissin sehr viel Geld, damit sie die Tochter diskret aus dem Weg räumte, denn sie befürchteten, dass diese weitere Fluchtversuche unternehmen könnte. Die Äbtissin war eher ängstlich, aber Ursel war eine Schande für das Kloster. So nahm sie ihr Schwert und schlich sich nachts an Ursels Bett, in dem diese schwer ächzend und schweißgebadet in ihren grauenhaften Drogenträumen lag.
Aber in dem Augenblick, als die Äbtissin zuschlagen wollte, wurde Ursel wach, richtete sich auf und kämpfte um ihr Leben. Sie stolperte, fiel auf die Knie, da durchbohrte sie die Äbtissin. Ursel rief noch: "Danke, dass du mich tötest," und sank zur Seite, denn ihr Lebenswille war gebrochen.
Die Äbtissin verwischte die Spuren, verband die Wunde, zog ihr ein neues Gewand an, befestigte eine Schlinge an einem Haken von der Decke und legte Ursels Hals hinein. So wurde Ursel am nächsten Morgen gefunden. Man wollte sie wie einen Hund verscharren, aber die Nonne, die ihr zugetan gewesen war, widersprach dem heftig, beerdigte ihre Freundin am Rand der Friedhofsmauer in geheiligter Erde und betete an ihrem Grab. Das kostete sie das Leben.
Was blieb zu tun? Die Familie in Nauders tilgte Ursel aus ihrer Geschichte.
In der Klosterchronik wurden Passagen geschwärzt und unleserlich gemacht.
Ursel war 17 Jahre alt geworden.
Eingereicht am 01. Januar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.