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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Überraschung

©Viktoria Korb

Edward führte, wie jeden Morgen, die Hündin Rika in der rue Foretaille, aus.
Rika machte wie immer ganz brav Pipi und ihr Häuflein direkt unter die Bürgersteigkante, damit die Stadtreinigung es zusammen mit Häufleins anderer Hunde mit einem Hydrant direkt in den Abwasserkanal wegspülen könnte. Ja, liebe Herrschaften so ist es - alle Brüsseler Hunde sind in dieser arbeitssparenden Kunst trainiert! Auf dem Rückweg holte Edward seine Post aus dem Briefkasten - auch das war Teil seiner täglichen Routine.
Zu Hause wühlte er sich mühsam durch den üblichen Müll - durch Werbung, Kontoauszüge, Rechnungen von Versicherungen und Informationen über die angeblichen Lottogewinne, für die er nur noch volle Ausgabe der Werke von Heinrich von Kleist bestellen müsste. Dann schaute er infantile Bettelbriefe diverser Wohltätigkeitsorganisationen und ökologischer Vereine, die ihn paternalistisch mit " lieber Herr Fujarski" ansprachen. Im Austausch für diese Zutraulichkeit wollten sie ihn melken - entweder für arme Kinder in Ruanda oder für den Schutz einer besonderen Gattung von Krokodilen. Soll sich das Krokodil selbst wehren - dachte Edward - dafür hat es doch so prominente Zähne!
Wie groß war dagegen seine Freude, als er einen Brief von seinen Freunden aus Polen erblickte. Das supernette Ehepaar, Ewa und Teodor, flehten ihn mit rührenden Worten an, ihnen ein Medikament zu schicken. Eigentlich brauchten sie es ständig, und falls es irgendwie nur ging, möchten sie es jeden Monat zugeschickt bekommen. Sie bedankten sich im Voraus und erinnerten ihn daran, dass die Versorgungslage in Polen niemals allzu gut war. Und erst recht jetzt, im Ausnahmezustand mit seinen Polizeistunden und Ausgangssperren ...
Edward konnte kaum Tränen zurückhalten, als es sich an die dramatischen Beschreibungen des Kriegszustands in der belgischen Presse und an die Erzählungen seiner polnischen Bekannten erinnerte: Internierungslager, Schlagen, Herzinfarkte, Schockzustände, Kinder der Inhaftierten ohne elterliche Fürsorge, Leute ohne Geld zum Leben, Mangel an Arzneimitteln sogar in Krankenhäusern, geschweige denn Einwegspritzen. Lebensmittelgeschäfte, in denen man nur Essig fand, heilige Messen für das Wohl der in Gefängnissen Leidenden ...
Wie tief war sein Vaterland gefallen, wie grausames Schicksal mussten seine Landsleute erdulden.
Und er selbst sitzt bequem hier in Brüssel mit diesem maßlos verwöhnten Luxusköter seiner Geliebten, der mit speziellen, vitaminisierten Hundekuchen und einer besonderen Art von Eiweiß gefüttert wird!
Na ja, so ganz schuldig fühlte er sich nicht, er hat seine Heimat nicht in Not verlassen, sondern wurde durchs Einführen des Kriegszustands während eines Lehrauftrags an der Filmhochschule in Brüssel überrascht. Und was hätte irgendjemand davon, wenn er wie in Idiot zurückgekehrt wäre? Er hätte nur die Masse der Internierten oder Arbeitslosen vergrößert. Er wäre doch todsicher verfolgt wegen seiner Filme aus der Zeit von "Solidarnosc". Und so kann er wenigsten etwas für seine armen Schwester und Brüder tun, eben so was, wie jetzt - nämlich den Leidenden dringend benötigte Medikamente schicken.
Er zögerte natürlich keine Minute, obwohl er selbst fast am Hungertuch nagte. Er war noch lange nicht im Westen etabliert, und wusste nicht, ob er es jemals schafft. So weit lebte er von Zeitverträgen. Aber trotzdem wird er seine freundschaftliche und patriotische Pflichten erfüllen. Das ist etwas ganz anderes, als Gaben für irgendwelches unbekannte Krokodil, der selbst Menschen frisst, auch wenn sie ihm von einem perversen Diktator wie Idi Amin zugeworfen werden. Übrigens, warum sparen diese Ökologen kein Papier und schränken ihre Schriftwut auf Glanzpapier nicht ein? So könnten sie doch das Leben vieler tropischen Bäume retten, und somit vielleicht auch die natürliche Umgebung der Krokos.
Ah, sollen sie doch machen, was sie wollen! Er hat jetzt eine viel dringendere Aufgabe - er muss so schnell wie möglich seine Landleute in Not mit Arzneien versorgen. Wer weiß, vielleicht liegt einer von ihnen schon im agonalen Zustand, während er über den Umweltschutz philosophiert. Er bekam Gewissensbisse - der Brief wurde nämlich als Eilzustellung verschickt.
Er sprang energisch auf und rannte zur Apotheke. Der Preis war nicht gerade bescheiden, aber was tut man nicht alles, um ein Menschenleben zu retten, oder jemandes Leiden zu mildern.
Er schnappte die Packung, lief zur Post, kaufte ein Päckchen und beschloss, es auch mit der Eilpost zu schicken, obwohl es zusätzlich 25 Franken kostete - für ihn kein unbedeutender Betrag. Endlich kam er nach Hause mit dem Gefühl, seine Pflicht gut erfüllt zu haben.
Seitdem vergaß er nie, regelmäßig am Monatsanfang sein Päckchen zu senden.
Nach einem halben Jahr, als er gerade eine neue Packung geholt hatte, bekam er schlechtes Gewissen. Er wusste doch nicht mal, woran seine Freunde litten, er hat sich nie dafür interessiert. Er war ihm nicht mal klar, ob die Ewa oder Teodor krank waren, oder vielleicht beide. Er hatte auch keine Ahnung, ob ihnen das Medikament hilft. Wie kann man nur so ein Egoist sein, raste ihm durch den Kopf. Er hatte zwar keine Ahnung von der Medizin, aber vielleicht könnte er aus dem Beipackzettel erraten, um welche Krankheit es sich handelte.
Ungeduldig riss er die Verpackung auf und sah eine Tube, auf der es Stand:" `K-Y-Befeuchtungsgel`. Wasserlöslicher, persönlicher Befeuchter auf Wasserbasis. Ärzte empfehlen K-Y -Gel persönlichen Befeuchter, weil er viel sicherer und effektiver ist als andere Befeuchter. Der durchsichtige, nicht fettende K-Y-Gel ist die perfekteste Ergänzung eurer eigenen Befeuchtung, daher wird ihr Geschlechtsverkehr sofort viel angenehmer. Und K-Y kann zusammen mit Präservativen benutzt werden, im Gegensatz zum Petroleumgel oder Babyöl."


Eingereicht am 28. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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