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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Grün

©Thomas Kösters

Grün. Grün - was ist das für eine Farbe? Wir haben einen Pfaffen hier, der würde sagen, die Farbe der Hoffnung. Doch ich gehe nicht zu ihm. Das ist nur was für die Quaker, sagt Norman. Yankees gehen auf den Abort, wenn sie was loswerden müssen. Und wir sind verdammte Yankees. Norman - klingt gar nicht nach jemandem, der solche Sprüche klopft. Norman sieht auch nicht so aus. Die üblichen sechs Millimeter, Brille, eine übergroße Unterlippe und Narben von alten Pusteln. Aber Sprücheklopfen hilft. Echte Männergespräche. Der Pfarrer wär stolz, wenn wir so gewissenhaft bei seiner Liturgie wären, wie bei unseren Männerkulten. Den Pokerrunden oder das morgendliche Schaulaufen, vor den Mädchenbaracken - so lang, bis sie zickig werden. Dann muss einer was Negatives schreien, wie "Wer die Weiber in die Armee gelassen hat ..." und irgendeinen schweinischen Zusatz mit Schwanz oder Möse. Die Mädchen haben dann einen Grund mehr in den Duschen zu verschwinden (einen echten Grund sogar) und wir brauchen nicht gedemütigt zu sein. Das Spiel spielen wir ganz gut. Da läuft sowieso nix. Haben ja Alkoholverbot. Und verzweifelt sind wir eigentlich auch nicht. Wenn doch was läuft, dann im Stillen und Geheimen - wie die Verzweiflung eben.
Grün sind die Bilder, die sie uns jeden Morgen zeigen, bei den Abschlussbesprechungen. Wir arbeiten ja nachts. Da schießen immer irgendwelche grünen Striche und Punkte durch die Gegend und sie sagen, dass man jetzt optimal erkennen kann, wie unsere Jungs ein Munitionslager hochgenommen haben. Meine Eltern zuhause vor dem Fernseher erzählen immer, dass sie einen Sohn hätten, der das alles verstünde - Ich hab selber keine Ahnung, was da passiert. Ich weiß nicht mal, welche grünen Striche von uns und welche vom Feind kommen. Ich seh nur: grün. Und mach mir meine Gedanken darüber.
Norman hatte mal grüne Haare. Lange, grüne Haare. Man erzählt sich so einiges hier. Es ist ein bisschen wie auf Ferienlager. Eigentlich ist es ein Ferienlager. Ein Haufen junger Leute, mit Zelten in einem fremden Land. Der Krieg ist Nebensache.
Ich mach meine Arbeit, hat Norman gesagt. Mir egal, ob ich Schrauben in Motoren dreh, oder Kugeln durch Menschen jag. Ich mach meine Arbeit. Wenn ich Norman so zuhör, dann denke ich manchmal, dass er nicht so recht weiß, was er sagt. Es ist vielleicht nicht ganz sinnig, doch ich muss dann immer daran denken, dass Norman doch auch schon mal ein Mädchen geküsst haben muss. Wie kann er dann so etwas noch sagen? Ich muss immer daran denken, wie ich mein Mädchen zuhause küsse. Immer wenn ich abdrücke, denke ich an einen Kuss. Ich denke an einen Kuss und es tut weh, als ob ihn mir jemand aus dem Leib reißen würde. Ich hoffe wirklich, dass mir die Küsse nicht so schnell ausgehen.
Bei Norman lief das alles automatischer ab. Ich weiß nicht, an was er gedacht hat. Er lächelt immer, wenn er schießt. Sein Lächeln sieht merkwürdig aus, wegen der übergroßen Unterlippe. Auch weil ich ihn immer grün sehe, durch das Nachtsichtgerät. Aber auch damit kann ich nicht in ihn reinsehen. Was ging da drinnen vor sich? Ich hab sehr viel mit ihm geredet. Sein Vater hatte eine Autowerkstatt. Die Arbeit war schon ganz in Ordnung. Nur das Geld war zu wenig. Kaputtmachen bringt mehr, als Reparieren, hat er gesagt- Deswegen ist er bei der Armee.
Letzte Woche war ich mit Norman unterwegs. Erst mit dem Jeep. Norman ist gefahren, in der Nacht, ohne Licht - nur mit dieser Apparatur auf dem Kopf. Er hat sich totgelacht. Die Bilder kommen alle ein bisschen langsamer mit dem Gerät - da wird das Fahren gleich viel anspruchsvoller. Wie wenn man kifft. Der Kommandant hat ihn zur Sau gemacht dafür. Ich musste schmunzeln. Norman hat mich so oft zum Lachen gebracht. Im Krieg muss man viel Spaß machen. Aus purer Langeweile. Denn mit dem Gräuel kann man sich ganz sicher nicht beschäftigen.
Ich weiß nicht, ob es deswegen war oder nicht. Aber später bei den Hausdurchsuchungen wurden Norman und ich als Wachen abgestellt. Die Idiotenaufgabe, weil man zu zweit blöd im Dunkeln rumsteht und nichts sieht. Norman hat sich gleich beschwert, dass er den Job mache, weil er gerne neue Menschen kennen lernt. Und er sei bloß nicht zu PanAm gegangen, weil er da niemanden Kartoffelsäcke über den Kopf stülpen dürfe, nur weil ihm seine Fresse nicht passt. Das hat Norman gesagt, als wir da standen, mitten im Nirgendwo, in der Nacht, wo wir nichts gesehen haben und alles so langsam vorbeilief. Alles noch ein bisschen langsamer als normal bei den Nachtsichtgeräten. Erst hörte ich nur einen Knall, warf mich auf den Boden, dann sah ich den grünen Strich durchs Bild fliegen und er schoss in Norman. Ich erstarrte und Normans Gesicht fiel neben mir in den Sand. Die übergroße Unterlippe glühte grün. Die Apparatur auf seinem Kopf ließ ihn ganz unwirklich erscheinen.
Ich sprach noch tagelang mit Norman über den Vorfall. Er nahm es auf die gewohnt lockere Art. Wir mussten seitdem nicht mehr auf Einsätze mit. Jetzt ist es hier wirklich, wie im Ferienlager. Ich kann viel mit Norman lachen. Auch wenn er eigentlich nicht mehr hier ist.
Ich schreibe dies, weil der Arzt gemeint hat es würde mir helfen. Eigentlich wüsste ich ja, dass Norman nicht mehr da ist, ich müsste es mir nur eingestehen. Ja, ich weiß, dass Norman tot ist. Scheiße. Grün ist der Tod. Was soll der Pfaffe hier?


Eingereicht am 28. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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