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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Seelenlandschaft

©Swetlana Hofmann

Regen prasselt gegen die Scheibe. Ein trüber Himmel hängt über einer kahlen Landschaft. Überall dunkle Mäntel und trübe Gesichter. Typische Dezemberstimmung. Gestern war noch alles so normal - so leicht. Schon heute wird es anders sein. Tief durchatmen und dann Schritt für Schritt dem Feuer entgegen. Die letzten Wochen ziehen an mir vorbei - wie ein Film.
Bunte Lichter und Weihnachtstrubel. Die Masse im Gehschenkerausch und wir dazwischen - ganz unbehelligt. Vater und Tochter bei einem gemütlichen Stadtbummel. Nur dass wir eben nicht Vater und Tochter; sondern eigentlich Arbeitskollegen sind, aber im Moment auf dem besten Weg uns ineinander zu verlieben.
Gegensätzlicher könnten wir wohl nicht sein. Du, der Fels in der Brandung.
Am Ende des Weges angekommen, vor dir eine Zeit der Ruhe; eine Zeit des Genießens. Du, so voller Weisheit und Sicherheit. Ich, das Blatt im Wind. Am Anfang des Weges, vor mir eine Zeit der Fragen, des Suchens und Verlierens.
Ich, so voller Zweifel und Revolution. In deinen Armen vorm Kaminfeuer einschlafen - unbezahlbar. Dir die Tür zu längst Verlorenem zu öffnen - unbezahlbar. Die wenigen Momente, in denen wir uns nah waren und auch vom Himmel nur ein kleines Stück entfernt - unbezahlbar.
Doch jeder Kaminfeuernacht folgt ein kalter Wintermorgen. Das ewige Versteckspiel - unerträglich. Die allgegenwärtige Endlichkeit des Lebens - unerträglich. Unsere beiden Welten, die bei Tageslicht nicht mal im selben Sonnensystem liegen - unerträglich. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Wir kämpften um einen Weg zu dir, zu mir, zu uns. So wild; so entschlossen, dass wir gar nicht bemerkten, dass unser Schiff einen falschen Kurs eingeschlagen hatte.
Das Spiel mit der Liebe. Der Kampf zwischen Herz und Verstand - letztendlich der Kampf gegen sich selbst - kann nur verloren werden. Gerüchte wurden zu Geschichten, Geschichten wurden zu Tatbeständen und Tatbeständen zu Konsequenzen.
Heute ist es endgültig: Ein Gespräch ist anberaumt. Ganz alleine werde ich rechtfertigen müssen, was ich gar nicht rechtfertigen kann. Einige Kollegen grüßen verstohlen und ich sehe es in ihrem Blick, die Gier. Gespräche verstummen sobald ich den Raum betrete. Eine winzige Chance bleibt mir noch:
Alles zu leugnen. Im Geschäftszimmer - sehr steril, sehr einschüchtern - erwartet mich der Big Boss. Eine ernste Angelegenheit. Es ginge um das Vertrauen der Leute, um die Aufrechterhaltung des Betriebsklimas. Plötzlich ein offener Blick; ein kurzes Räuspern - gleich werde ich Stellung nehmen müssen. Meine Entscheidung ist gefallen - ich werde "gestehen" - ach was, es gibt nichts zu gestehen! Dann das Unglaubliche: Eine Entschuldigung für die Umstände. Die Bitte in nächster Zeit den Kontakt untereinander auf das Minimum zu beschränken um die Gerüchte im Sand verlaufen zu lassen.
Eine Nachricht wartet auf mich.

"Meine Liebste,
bitte versteh. Wie hätte ich zulassen können, dass meine zarte Blume in den Mühlen der Macht; in der Mühlen des gesellschaftlichen Drucks zerstört wird?
Niemand wird dich mehr behelligen und du wirst in deiner ganzen Schönheit blühen. Ich habe einen ganzen Schilderwall vor dir aufgebaut und mich selbst an vorderste Front gestellt um dich zu schützen. Suchst du nach mir, so wirst du mich finden auf einem Berg; an der See oder dort wo die Menschen nicht zu eng aufeinander hocken. Dort wo ich über den Sinn des Lebens nachdenken kann, dort wo der Himmel nah ist; die Berge den Blick nicht versperren, die Weite des Meeres unbegrenzt erscheint. Dort wo ich dir nah sein kann, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf irgendwelche Konventionen, in den Welten aus Träumen, Hirngespinsten und letztendlich in meiner Welt, in meiner Seelenlandschaft. Dort werde ich dich einschließen und mich daran erfreuen, dir begegnet zu sein und dich kurz in meinen Armen gehalten zu haben. Pass auf dich auf, auf das du dich nicht verlierst."

Immer und immer wieder muss ich lesen ehe ich verstehen kann. Mit so viel Liebe hat er den schwersten Schritt getan und eine Entscheidung für uns und doch gegen uns getroffen. Liebe ist nicht abhängig vom Alter, von der Herkunft oder der Erziehung. Die Letzte, die das Recht hat über Liebe zu bestimmen ist wohl unsere Gesellschaft. Trotzdem oder gerade deswegen zwingt sie uns in die Knie. Wer nicht mitschwimmt wird bestraft. Doch es gibt etwas, das uns niemand nehmen kann: Die Unergründlichkeit unserer Herzen.
Draußen fallen die ersten Schneeflocken, bald wird alles unter einer Eisdecke begraben liegen. Im Sterben liegt der Neubeginn. Leise rinnt eine Träne über mein Gesicht - nicht aus Trauer, nicht aus Wut und nicht aus Verzweiflung, sondern weil ich verstanden habe, was es bedeutet in einem anderen Herzen einen Platz zu finden.


Eingereicht am 28. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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