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Höhenangst - und du willst nirgendwo mehr rauf!

© Annette Weimer

Wer einmal richtige Angst verspürte, der weiß wovon ich hier berichte. Angst um das eigene Leben ... Todesangst. Schweiß, der vom Haaransatz herunter rinnt und Tränen, die aus den weit aufgerissenen Augen heraus rinnen. Schwitzende Hände, zitternde Knie, das Gefühl ... das man nie wieder vergisst und das bei Bedarf sofort abrufbar ist, ohne dass man es verhindern kann.
Ich erlebte das, als ich 13 Jahre alt war. Wir befanden uns in einem netten Familienurlaub. Mein Vater, meine Stiefmutter, meine Schwester, meine Cousine und ich. Hingegen meinem Wunsch ans Meer zu fahren, verbrachten wir in den Tiroler Bergen zwei Wochen, in denen wir täglich Wandertouren unternahmen. Ich hasste es. Für mich galt und gilt: die einen gehen gerne wandern, ich bin von den andern!
Es geschah am ersten Wochenende unseres Urlaubs. Mein Vater hatte sich eine Wanderkarte gekauft auf der die Wanderwege je nach Schwierigkeitsgraden aufgezeichnet waren. Versierte Wanderer mögen mir das jetzt verzeihen aber ich glaube es war in etwa so: eine rot gestrichelte Linie zeigten an, dass der Weg für unerfahrene Wanderer geeignet wäre. Eine rot durchgezogene Linie konnte von richtigen Wanderern benutzt werden. Eine schwarz gestrichelte Linie war für Wanderer und Kletterer und eine schwarz durchgezogene Linie war für erfahrene Kletterer. War es Stress, war es Unerfahrenheit meines Vaters oder einfach nur Ignoranz, ich weiß es nicht. Auf alle Fälle kam es wie es kommen musste und schon bald war er mit einer ängstlichen Frau und drei Kindern mit Turnschuhen auf der Fährte der Kletterer, ohne Absicherungen, ohne zu wissen was kommen würde ... und es kam schlimm.
Wir waren etwa eineinhalb Stunden unterwegs, da begann der Weg stark anzusteigen und wir mussten die ersten kleinen Kletterpartien machen. Das machte Spaß. Es wurde noch steiler und höher und da war dann plötzlich eine Eisfläche und ein schmaler Trampelpfad, der genau vor einen Berg mit einer Spalte darin führte. Direkt neben uns ging es tief, sehr tief bergab. In dem Spalt im Berg war ein Stahlseil das nach oben führte und auf den Seiten links und rechts standen große Nägel aus der Wand.
Mein Vater meinte: so Mädels, da müssen wir noch rauf, dann sind wir an einer Hütte. Ich hatte Angst davor. Es war super anstrengend und bis wir alle fünf oben waren, dauerte es etwa knappe 45 Minuten. Es ging etwa 15 Meter hoch. Als wir oben waren, packte uns das Entsetzen. Wir standen auf einem Plateau und vor uns war eine glatte Felswand, an der ein Seil entlang führte. Von uns bis auf die andere Seite waren es ca. 30 Meter. Auch aus dieser Felswand standen Nägel in einem Abstand von jeweils 0,75m. Hinter uns kamen Kletterer. Nun wurde es eng auf dem Plateau. Als sie uns sahen, glauben sie fast ihren Augen nicht. Sie machten meinem Vater schlimme Vorwürfe, doch helfen konnten sie uns dabei nicht. Sie zeigten uns was wir zu tun hatten. Gut am Seil festhalten und von einem Nagel zum anderen gehen. Wie aber sollte ich, wenn ein Fuß bereits auf einem Nagel war, den anderen Fuß auch noch darauf bekommen. Die Nägel waren so weit auseinander und ich war mit 1,65m nicht gerade die Größte. Wir konnten jedoch auch nicht mehr die Felsspalte hinunter, da darunter die Eisplatte war und wären wir da hinuntergefallen ... es war aussichtslos! Wir mussten an der Wand entlang. Ich stand da und weigerte mich. Ich weinte und hatte furchtbare Angst und da hatte ich das Gefühl zum ersten Mal. Die Hände, die mich halten sollten, wurden nass. Die Beine, die mich tragen sollten, zitterten und drohten wegzuknicken. In meinem Kopf pochte es wie verrückt und ich schüttete wie wild Adrenalin aus. Dann ging es los.
Ich war die Zweitletzte und mein Vater war der Letzte. Er wollte sicher sein, dass wir alle gut hinüber kamen. Schon da machte er sich große Vorwürfe. Er drückte mich noch einmal, streichelte mir über die Haare und sah mir in die Augen. Er sagte: "Annette, ich bin bei Dir und Du brauchst keine Angst zu haben." Ich dachte damals: "Leck mich ej, Du hast mir das eingebrockt und nun stehe ich da ...!" Es gehen einem tausend Dinge durch den Kopf. Ich hielt mich fest und spürte wie rutschig meine Hände auf den Stahlseilen wirkten. Ich setzte den ersten Fuß nach vorne und hatte das größte Problem, den nächsten Fuß auf den nächsten Nagel zu bekommen. Nun hing ich da, bzw. ich stand da an einer glatten Felswand. Unter mir nichts. Wir waren ein halben Tag lang nach oben geklettert. Es war elend hoch und unter mir nichts als Tiefe. Ich spürte wie meine Hände abrutschten und ich hatte solche Angst loszulassen um die Hände an meiner Hose abzuwischen. "Nächster Schritt und nur nicht nach unten sehen", meinte mein Vater wieder und immer wieder. In der Mitte der Strecke hatte ich das Gefühl, dass es nicht mehr ginge und ich stand da, die Beine weit auseinander auf den Nägel stehend. Ich hielt mich fest und legte den Kopf an die Wand. Ich atmete tief durch und mir war hundeelend zu mute.
Auf der anderen Seite der Wand war diese verdammte Wandererhütte zu der mein Vater wollte und da saßen sie die Schaulustigen und schüttelten die Köpfe. Mittlerweile waren meine Stiefmutter, meine ältere Schwester und meine Cousine bereits dort angekommen und sahen uns zu. Es ging weiter und ich setzte wieder einen Fuß auf den nächsten Nagel und zog mich hinüber. Es war grässlich und ich fürchtete mich so sehr.
Ich habe keine Ahnung, wie lange es gedauert hatte, aber irgendwann hatte ich es geschafft. Von der Hütte aus führte ein Steingeröllberg nach unten und den nahmen wir. Der Abstieg war ebenfalls sehr beschwerlich und gefährlich, weil ständig hinter uns Steine ins Rollen kamen und lawinenartig hinter uns herkamen.
Am Abend saßen wir dann zum Grillen vor unserem Hotel und mein Vater unterhielt sich mit dem Hotelbesitzer. Er war entsetzt, als er die Geschichte von meinem Vater hörte. Er machte ihm große Vorwürfe, weil zwei Wochen zuvor genau an dieser Stelle zwei richtige Kletterer dort abgestürzt waren und weil das Wetter in den Bergen sehr schnell hätte umschlagen können. Diese Strecke wollte mein Vater mit zwei Freunden vor ein paar Jahren noch einmal gehen, aber aus Sicherheitsgründen wurde sie gesperrt und darf nicht mehr benutzt werden.
Mit den Jahren manifestierte sich in mir diese Angst. Ich habe Angst vor Treppen, bei denen man durch die Stufen sehen kann und bei denen an beiden Seiten kein oder nur ein dünnes Geländer ist. Ich habe Angst vor Fahrgeschäften auf der Kirmes. So saß ich einmal in einem großen Schiff, das sich überschlägt. Ich dachte, das ist nicht schlimm!! Ich saß darin und das Schiff blieb oben auf dem höchsten Punkt auf dem Kopf stehen. Die Haare hingen nach unten und da war es wieder. Die Hände wurden nass, die Knie gaben nach und ich rutschte ganz langsam aus dem Sitz. Ich hatte Angst zu fallen. Da liefen mir die Tränen die Stirn hoch in den Haaransatz. Ich hatte panische Angst, ich schrie! Andere schrien aus Spaß, ich aus Todesangst und ich schwor mir, mich nie wieder in eine solche Situation zu bringen.
Natürlich kommt man immer wieder in Situationen, in denen man irgendwo hinauf muss, und sicher macht es mir kein Problem auf einen Stuhl oder eine kleine Leiter zu steigen, doch höher werde ich freiwillig nicht mehr gehen.


Eingereicht am 23. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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