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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Das Tor

© Thomas Keitel

Die Sonne sendete ihre Strahlen durch das volle Grün der Kronen. Licht brach herein, fiel nieder und sanft sah man die Schwaden des Staubes der einst ein ständiger Begleiter meiner Wanderungen durch diese Wälder war. Trocken hob und senkte er sich, von den Lüften bewegt, die wie der Atem eines Geistes aus dem Nichts zu entstehen schienen. Die Blätter in den Wipfeln sandten ein Raunen hinab zur Erde, das voller Kraft und Anmut war und seit Ewigkeiten durch dieses Reich zu dringen schien. Der Weg vor mir, golden und hier und da von dürren Ästen am Rande gesäumt, zog sich hinter der nächsten Biegung hin zur Sonne, die bereits tiefer stand. Keines Menschen Hand hatte hier je etwas verändert, alles lag dort, unberührt, wie zum ersten Male gesehen ... wie geträumt. Ein unsagbar ruhiges, ja ängstliches Zwitschern drang zu mir, ängstlich, dass es diese Ruhe zerstören könnte, und doch, es schien wie ein warmer Regen aus goldenen Tropfen hernieder zu sinken, hell und glänzend, leicht auf mich fallend, sanft streichelnd. Ein altbekanntes, lang vermisstes Gefühl ergriff mich, eins werden zu wollen mit diesen Wäldern ...
Weiter ging ich, voller Vorfreude auf die Biegung des Weges zu, ließ die Augen nicht vom satten Grün und den sich davor herziehenden funkelnden Schwaden des Staubes und endlich fiel mein Blick auf das Tor. Ein Tor, das in vielen Jahren gewachsen war, aus dieser Erde, von dieser Erde gegeben. Zwei mächtige, unberührbar scheinende Bäume. Ihre Zweige und Äste waren im Laufe der Jahre einander zugewachsen, hatten sich erst schüchtern berührt um dann stärker und stärker in des anderen Wipfel vorzudringen. Es schien ein heiliger Bund zu sein, der diese Bäume, diese zwei uralten, doch immer noch grünen Titanen zusammenschloss. Wie zwei Hände deren Finger ineinander greifen standen sie dort. Ich trat näher auf sie zu, bemerkte wie damals die kräftigen Wurzeln, die sie im Erdreich verankerten, während ich mit meinen Erinnerungen und Gedanken jeden Halt im Heute verlor. Ich flog fort, verließ die Zeit und stand als Kind vor diesen Wurzeln, die den großen, mächtigen und magischen Stämmen, den Ästen und Blättern Leben und Stärke gaben. Mein Blick strich über die Rinde, die von tiefen Furchen durchzogen war und versuchte dieses kurze Zurückfallen in meine Vergangenheit zu bewahren, das notwendige Ende hinauszuzögern. Wie vertrocknete Flussbetten zogen sie sich durch die Häute, meine Finger glitten in ihnen entlang und wieder schien mir, als sei dies mehr als nur ein Ort an dem zufällig zwei uralte Bäume ineinander wuchsen. Eine Kraft ging von ihnen aus, als bildeten sie eine Pforte.
So stand ich dort und genoss die Stärke die in mir wuchs, das Gefühl des Glücks, diesem Zeugnis überirdischer Treue nach so langen Jahren von Neuem beiwohnen zu dürfen. Ich streichelte die Rinde und sah hinauf zu den Blättern, die in einem unglaublichen Spiel der Farben vom kräftigsten Grün, das ich je sah zu einem Schatten wurden, der sich hinter anderen Blättern versteckte, die eben in diesem Moment die Sonne in sich aufnahmen. Die Vögel zwitscherten von ferne ... meine Augen streiften über die Büsche und Gräser am Rande, tranken sich satt an dieser Welt und mein Herz war frei, frei von allem was es an Nichtigkeiten in sich trug ... einzig Glück ... hier an dieser Stelle hatte ich einst gestanden und hier stand ich nun wieder, als Kind ... die Bäume bestaunend ... wie viele Stunden hatte ich hier im Grase gesessen, mir ausgemalt, welche abenteuerlichen Gestalten jenseits dieser, von der Natur zu kunstvollen Säulen geformten Stämme warteten ... der Zauber war derselbe, das Gefühl, diese beiden Bäume, dieses Tor nicht durchschreiten zu können um die heiligen Bande die weit außerhalb dieser Welt geschlossen wurden, zu bewahren, zwang meine Beine zu verharren ... abermals gedankenschwer und weltentrückt ins Gras zu fallen.
Mein kindliches Sein meinte Ängste und Hoffnungen zu fühlen, die einem Schrei gleich durch meinen Kopf hallten. Was würde geschehen, wenn ich sie durchschreite. Würde ich eintreten in ein mir unbekanntes Reich, würde ich Kräfte erfahren, die ich nie begreifen könnte, würde ich Dinge sehen, die bis dahin noch keinem menschlichen Auge zu erblicken beschieden waren, wie ist die Welt dort - hinter dieser Pforte. Wartete sie darauf, dass ich es endlich wagte in ihren Bann zu treten, endlich alle Ängste und Bedenken hinter mir zu lassen und zu erfahren, was ihr Geheimnis ist?
Ein Schritt nur ...
... ich schloss die Augen, ballte die Fäuste und atmete die frische, klare Luft tief ein. Die Vögel sandten mir immer noch ihr beruhigendes, ermutigendes Lied und dann sammelte ich meinen Mut, vergaß alles, was sich ein Kind in solchen Momenten erdenken konnte, alle Gedanken versanken im Nichts, wie von einem schwarzen Tuch verhüllt. Ohne Furcht setzte ich einen Fuß nach vorn und stand nun voller Anspannung zwischen den Bäumen. Jubel stieg in mir auf, eine Freude durchflutete mich, die ich nie erahnt hätte, gleich würde es so weit sein, gleich würde mich die Magie erfassen. Ein weiterer Schritt, fast feierlich genommen und ich war hindurchgegangen. Ich hielt an, stand still und öffnete langsam und erwartungsvoll die Augen.
Vor mir lag der Weg, ich hatte ihn noch nie bis hierher beschritten, doch spürte ich ihn immer noch unter den Füßen, der Staub war da, das Grün der Blätter war da, das Zwitschern ...
hinter mir das Tor..
... hinter mir Trümmer ...
Nichts war geschehen, einfach nichts. Die uralten Stämme standen dort noch immer, dufteten morsch, wie ein alter Dachboden, kleine Käfer rannen an dieser Seite des rechten Stammes herunter, die Wurzeln gruben sich auch hier in die Erde ... Büsche am Wegesrand ... und das Tor war zerfallen, lag vor meinem inneren Auge danieder ... ich alterte in Sekunden ... wurde mit einem Augenschlag zum Greis, das Kind starb und diesmal für immer. Ich strich über die Furchen des Stammes, hart und rau, ich ging hinüber zum anderen Stamm, strich über ihn und lies entkräftet meine Hand sinken.
Ich setzte mich an den Wegesrand und lauschte den Vögeln, die nun still und leis einen Grabgesang anstimmten ... der warme, goldene Regen färbte sich schwarz, ein kurzes Flattern, dann blieb es still. Sonnenwärts zog sich der Weg weiter in eine noch unbekannte, unwirtliche, kalte Welt, die meine Welt war ... dieses andere Reich, das ich eben betreten wollte, war verloren ... fort ...
... nur bang als Wusch schien sie zu schweben
ein ferner Traum, der nun verblich
der mir verstarb auf meinen Wegen
und mit dem Traume starb auch ich


Eingereicht am 21. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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