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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Blumenparadies

© Brigitte Aehnelt

Ein alter Lattenzaun an einem zerfahrenen Sandweg versucht, die Blumenpracht des Sommers zu bändigen. Einige Latten fehlen bereits.
Blumen nutzen diese Lücken und schauen hinaus. Weit leuchten die weißen Blüten der Margeriten, und die gelbrote Kapuzinerkresse schlängelt sich empor. Blauer Rittersporn schaut majestätisch über die Begrenzung.
In der Mittagssonne schleicht eine schwarze Katze den Weg entlang. Ich sehe den gesunden Glanz des Fells und bewundere die muskulöse Eleganz des Tieres. Bei dieser Katze ist der ursprüngliche Jagdtrieb noch zu spüren. Abergläubisch bin ich nicht, jedoch fallen mir alle Lebensweisheiten mit schwarzen Katzen ein, so nach der Art "von links nach rechts bedeutet Schlecht's". Ich bleibe stehen und weiche einer Begegnung aus. Es ist leicht gesagt: "Ich bin nicht abergläubisch."
Mein Blick schweift über den verfallenen Zaun. Betäubende Düfte umwehen mich, überwältigende Blumenpracht betört mich. Ich denke, durch umfangreiche Studien von Gartenlektüre über ein gutes Wissen zu verfügen, zumindest was den Blumenteil betrifft. Jedoch bin ich hier in einer Welt, die mit modernsten Gartenbüchern nicht zu erschließen ist.
Eigentlich wollte ich mir nur die Beine etwas vertreten und wählte deshalb den Weg durch die Felder. Jetzt fühle ich mich hier als Eindringling in einer fremden Welt.
Die schwarze Katze taucht im hohen Gras ein. Meine neugierigen Blicke können sich nicht von diesem Gehöft lösen. Kleine Fenster mit zahlreichen Sprossen reflektieren die Sonnenstrahlen. Geblendet schließe ich die Augen. Grüne Fensterläden säumen die Scheiben, verziert mit Blütenmotiven, liebevoll vor langer Zeit herausgesägt, damit der Mond ins Zimmer blinzeln kann. Vielleicht wollten frühere Bewohner den Sonnenaufgang nicht verpassen. An der niedrigen Haustür blättert die grüne Farbe ab. Geschnitzte Rosetten und eine schwungvoll geschmiedete Klinke begrüßen jeden Gast und laden herzlich zum Eintreten ein. Sinn für schöne Details prägt das sonst eher schlichte Haus. Nicht Wohlstand und Reichtum wird gepriesen, jedoch Freundlichkeit ausgestrahlt. Auf dem hohen Dachgebälk reihen sich lückenlos alte Biberschwanzziegel aneinander. Noch immer trotzen sie jedem Wetter, wehren Regen ab und lassen sich Schneehauben aufsetzen. Harmonisch gleiten sie in die Farben der Landschaft hinein. Hühner träumen in ihren Sandkuhlen unter der Mittagssonne, genießen die Wärme. Das Gehöft strahlt ruhige Gelassenheit aus.
'Wer wohnt hier?' grübele ich, eine paradiesische Insel im hektischen Alltag.
Später beim Essen in der ländlichen Gastwirtschaft erkundige ich mich nach diesem Fleckchen Erde. Sofort höre ich abfällige Bemerkungen: "Die verrückte Gerda haust dort. Alles Neue lehnt die ab, denkt wohl die Zeit bleibt stehen. Ein Schandfleck für die ganze Gegend."
Bald höre ich dem Gezeter nicht mehr zu. Zweifel kommen in mir auf. Wer verschandelt mehr die Landschaft? Ich dachte ebenfalls zuerst an überfällige Reparaturen bei diesem alten Haus. Warum muss jedoch alles so perfekt geordnet sein? Der Mensch ist es nicht immer. Ein offenes Gesicht mit Falten erzählt mehr als jede perfekt gestylte Maske. Sind es nicht die grellroten Dächer, eintönigen Klinker und weißen Fenster, Türen und Zäune aus Plaste, die in der Natur stören, Harmonie zerreißen?
Gestutzte Rosen auf geschorenem Rasen sollen an den Sommer erinnern.
Gleichmäßig verteilte Koniferen sind Ersatz für urwüchsige, verknubbelte Bäume, die Arbeit bedeuten. Gepflasterte Wege halten jeglichen Staub von den Schuhen fern. Ist das wirklich Natur, erholsames Wohnen im Grünen?
Noch einmal zieht es mich zu diesem alten Haus, bevor ich weiterfahre.
Bewusst vergleiche ich neu und alt. Ich weiß, es ist leicht zu werten, wenn man nicht so leben muss.
Während meine Blicke über die Blumenpracht am alten Lattenzaun wandern, denke ich an die eigene Kindheit. In der warmen Sonne schabte ich den bröselnden Zement zwischen alten Ziegelsteinen heraus. Barfuß stromerte ich durch die Wiesen und schnitt mir oft am scharfen Gras die Beine auf, die im Sommer trotz Seife und Wasser kaum sauber wurden. Im Herzhäuschen verfolgte ich interessiert den Sturzflug der schillernden Brummer.
Kinderfreiheit, die Natur ein riesiger Spielplatz.
Und die andere Seite?
Unzählige Wassereimer mussten an der Pumpe gefüllt werden, und schnell war dieser wieder leer. Ruß an den Händen vom Kachelofen, der immer wieder qualmte. Dicke Federbetten mit vorgewärmten Ziegelsteinen schützten vor der Kälte des Zimmers, Reif an den Wänden. Ständige Feuchtigkeit im Mauerwerk löste jede Tapete. Es war nicht immer Sommer.
Wollte ich nicht unbedingt das hinter mir lassen, endlich bequemer leben?
Ich schaue an mir abwärts. Staubränder an der hellen Flanellhose, die spitzen Absätze meiner italienischen Schuhe bohren hässliche Löcher in den Sand des Feldweges. Ich bin hier ein Eindringling, habe mich schon lange für eine andere Welt entschieden. Zu den Fehlern der Zeit muss ich stehen, auch ich trage einen Teil Schuld.
Dieses kleine Blumenparadies nehme ich in meinen Träumen mit, aber es wird für mich immer ein Traum bleiben.
Ich kehre in meine Welt zurück. Endlich klappern wieder Pflastersteine unter meinen Absätzen, die Hose ist reif für die Waschmaschine. Mit dem Papiertaschentuch wische ich Staub von den Schuhen. Beim Begutachten der Schaufensterauslagen, vertieft in die Preise, bemerke ich kaum den regen Autoverkehr und die vorbei eilenden Menschen. Das ist die alltägliche Kulisse meines Lebens, ein lautes Leben voller Tempo.
Ich schließe die Autotür auf und lasse mich stöhnend auf den Fahrersitz fallen. Endlich können sich die Beine erholen, die Waden schmerzen, das Kreuz meutert. Der Spaziergang ging an die Substanz. Ich sollte häufiger in das Fitness-Studio gehen, meine Kondition lässt zu wünschen übrig.


Eingereicht am 22. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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