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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Der Traum
© Laura Dreßen
Sie schlug die Augen auf, sie spürte dass sie zitterte. Schweiß bedeckte ihren Körper, doch sie erinnerte sich nicht mehr an den Traum. Es musste ein schrecklicher Traum gewesen sein, auch ob sie geschrien hatte, daran erinnerte sie sich nicht mehr. Ihre Lippen waren trocken, sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, doch es half nichts. Sie setzte sich auf und schlug die Decke zur Seite, es war noch dunkel im Zimmer. Die Gardinen waren zugezogen und sie erkannte nur die Umrisse der Regale, des Schrankes
und von ihrem Spielzeug. Sie kletterte aus dem Bett, mit ihren kleinen Füßen schlüpfte sie in die Pantoffeln. Ihr Schlafanzug war ihr noch etwas zu groß, doch sie fand ihn so schön mit den kleinen Mustern darauf. Sie ging zu Tür und die kleinen Finger schlossen sich um die Türklinke, sie drückte sie hinunter und die Tür schwang leise quietschend auf. Sie lauschte, kein Laut war zu hören, erst als die Tür ganz offen stand ging sie hindurch. Sie ging den Korridor entlang der sich vor ihr erstreckte, sie hatte Angst.
Immer wieder schaute sie sich um, "warum hatte sie Angst", sie kannte dieses Haus so lange sie denken konnte und doch, es machte ihr Angst. Sie ging weiter, hier und da tauchten große schwere Holztüren am Korridor auf, sie ging und ging. Sie hatte das Gefühl als würde der Korridor nie enden, sie war so klein in diesem großen Korridor. Sie sah die Umrisse der großen Gemälde, die ihr Vater so liebte, doch sie hasste sie. Es waren schreckliche Gemälde, wie sie fand, Gesichter, überall Gesichter waren drauf
zu sehen. An manchen Tagen glaubte sie, dass diese Fratzen sie beobachteten, sie mit stechenden Blick anstarrten würden. Sie blieb stehen und schaute die Tür an, die sich vor ihr erhob, eine mächtige Holztür, die über und über mit Mustern und Schnörkeln verziert war. Sie griff an die Klinke, musste sich auf Zehenspitzen stellen und umschloss mit den Fingern das kalte Eisen. Sie drückte bis es Klick machte und sie die Tür aufdrücken konnte, nur langsam schwang die Tür zur Seite. Ein schwacher Lichtschein fiel
durchs Fenster ins das Zimmer und warf unheimliche Schatten auf die Erde und Wände. Sie zögerte und schaute vorsichtig in den Raum bevor sie schließlich eintrat, die Fußbodendielen knautschten und knackten. Der große Tisch aus Eichenholz hob sich gut sichtbar von den Dämmerlicht ab, um ihn standen vier Stühle, wie lächerlich klein sie doch wirkten bei diesem mächtigen Tisch.
Sie ging auf den Tisch zu und nahm einen der Stühle, sie zog ihn mit einen scharrenden Geräusch zu den hohen Schränken, die sich an der gegenüberliegenden Wand aufreihten und wie stille Giganten vor ihr aufragten. Sie stellte sich auf den Stuhl und öffnete einen der Schranktüren, ein silberner Lichtstrahl schien ihr entgegen, als das Licht des Mondes sich in den kristallklaren Gläsern spiegelte. Sie griff danach und bekam ein kleines unscheinbares Glas zu fassen, sie wusste, dass sie nicht die großen schönen
Gläser haben durfte. Sie stellte das Glas vor sich auf die Platte und stieg vom Stuhl wieder hinunter, wieder erklang das scharrende Geräusch, als sie den Stuhl zurück an seinen Platz zog. Das Glas stand auf der Platte und wartete auf sie, sie nahm es und füllte es mit Wasser, das Mondlicht fiel in den Raum und traf auch das kleine Glas mit Wasser, das Wasser warf kleine leicht farbliche Kreise auf die Platte. Sie nahm es in die Hand und trank kleinen, in kleinen Schlücken rann ihr das kühle Nass ihre Kehle hinunter
und belebte sie. Scheppernd und klirrend fiel es hinab und zerschellte, viele Scherben säumten die Erde und sie schaute entsetzt auf die Scherben. Wie viele kleine Sterne funkelten sie sie an, als das Licht sich in den Scherben brach. Sie kniete sich hin und fing an sie einzusammeln, ein stechender Schmerz durchfuhr ihre Hand und sie spürte wie warmes, rotes Blut ihre Finger hinab ran, ein Tropfen löste sich von ihrer Haut und fiel in die Tiefe, er zerschellte in tausend kleine Tropfen und viele weitere folgten
ihm. Sie dachte wieder an den Traum und steckte gedankenverloren den blutenden Finger in den Mund und erhob sich. Auch in ihren Traum war Blut gewesen, daran erinnerte sie sich, aber es war nicht geflossen, es war verschwunden, sie verließ das Zimmer und ließ die glitzernden Scherben hinter sich zurück. Sie trat in den Korridor, die Dielen knautschten und irgendwo in der Wand war ein leises Rascheln zuhören.
Sie hörte wie der Wind ums Haus wehte und sein leises Lied sang, im ganzen Haus herrschte Stille.
Sie schaute den Korridor hinab, in dem die Tür zu ihrem Zimmer lag, sie wollte nicht mehr schlafen, die Bilder ihres Traumes flammten wieder vor ihren Augen auf. Sie stand auf dem Korridor und starrte ins Leere, Bilder viele Bilder sah sie und es waren keine guten Bilder, sie konnte sie aber nicht vertreiben. Sie sah eine Frau, die schon alt war und ein kleines Mädchen an der Hand hielt, und dann war die Frau verschwunden, nur das Mädchen war noch da. Das Mädchen ging den gleichen Weg entlang, den sie eben mit
der alten Frau noch gegangen war, doch es war nun älter als eben. Sie sah dann wie das Mädchen vor einem Grab stand und Blumen pflanzte, es weinte, der Schmerz des Mädchens musste so tief sitzen, dass selbst sie ihn noch spürte. Sie zitterte, doch die Bilder gingen nicht fort, immer mehr Bilder stürzten auf sie nieder. Das Gesicht der alten Frau tauchte wieder vor ihren Augen auf, sie schrie, sie kannte das Gesicht, doch woher wollte ihr nicht einfallen. Die Augen der alten Frau waren leer, weiß und starrten
ins Unendliche, das Gesicht war weiß und blutleer, das Blut war verschwunden und hatte eine weiße eingefallene Haut hinterlassen. Sie schrie, doch das Bild des Gesichtes hatte sich eingebrannt und ließ sich nicht vertreiben. Zitternd und schluchzend sank sie auf sie Erde, die Tränen liefen über ihre Wangen und ihre Augen wurden rot. Ihre kleine Hand tastete nach der Wand, sie fühlte die harten kalten Dielenbretter, die Fasern des Holzes und schließlich die eiskalte Wand, es tat weh sie zu berühren, die Kälte
kroch von den Fingern hinauf bis zum Herzen und verharrte dort. Die Wände waren eisigkalt auch die Tapete mit den Blumenmuster half da nicht viel, ihre Mutter hatte damals diese Tapete ausgesucht, als sie hierher gezogen sind, doch sie war hässlich wie sie selber fand. Sie stand wieder auf, die Bilder verblassten, hin und wieder schluchzte sie noch, nun wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Sie lauschte in die Nacht hinein, es war noch immer alles still, hatte niemand ihren Schrei gehört, hatte sie überhaupt
geschrien oder hatte sie es sich nur ein gebildet, sie wusste es nicht. Sie sah sich um, es fiel noch immer das Mondlicht in den Raum hinter ihr und warf Schatten auf den Korridor, Schatten die nach ihr griffen. Sie versuchte das Ende des Korridors zu erspähen, aber schon nach wenigen Metern ließ das matte Dämmerlicht nach und verlor sich in der Dunkelheit. Zögerlich ging sie den Korridor zurück zu ihrem Zimmer, immer wieder schaute sie auf die großen Gemälde die an der Wand hingen. Eine Tür knarrte, sie blieb
stehen und lauschte, doch das knarren der Tür wiederholte sich nicht. Sie ging zu einer Tür die ihr am nächsten war, legte ein Ohr an die Tür und lauschte, nichts war zu hören, langsam trat sie einen Schritt zurück, den Blick aber immer noch auf die Tür geheftet. Dann drehte sie sich um und schrie auf, da stand jemand und sie schrie. Die Gestalt rührte sich, sie kniete sich nieder und griff langsam nach ihrer Schulter. Sie schluchzte nur noch, der Hals tat ihr vom Schreien weh, sie zitterte am ganzen Leib. Sie
wollte weg, doch wohin, kein Weg versprach zu entkommen, also blieb sie wie angewachsen stehen. Nun sah sie, dass es ein Mann war, der vor ihr hockte, seine Hand ruhte auf ihrer Schulter, er lächelte sie an. Seine langen Haare wellten sich und fielen in einen langen Fluss über seine Schultern, sein Lächeln war so klar und doch verschlossen, seine tief braunen Augen, die sie musterten, irritierten sie. Sie waren kalt, kein sichtbares Leben spiegelte sich in ihnen und seine Haut war blass, sonderbar blass. Sie
zitterte noch immer, aber die größte Angst hatte sich gelegt, nun machte sie der Neugierde Platz. Sie betrachtete ihn erneut, er sah alt aus, sehr alt, aber er hatte doch die Züge eines Knaben. Er schaue sie an und hielt ihr dann eine Hand hin, sie schaute auf die Hand, sie schien so stark und doch so zerbrechlich. Er hielt sie ihr noch immer hin, "Phebe komm, komm mit mir, ich muss dir etwas erzählen." Er lächelte und hielt ihr noch immer, nun auffordernd die Hand hin. Sie zögerte, nahm sie dann
aber, die Hand war kalt und doch voller Wärme. Er ging mit ihr den Korridor zurück, unter ihren Füßen knarrten die Dielenbretter, aber seine Füße gaben kein Geräusch von sich auch die Dielenbretter knarrten nicht. Sie schaute ihn verwirrt an, aber folgte ihm schweigend. Sie ging an den Zimmer vorbei wo noch immer die Scherben auf der Erde lagen, sie warf einen letzten flüchtigen Blick in das Zimmer, es war alles so wie sie es verlassen hatte, bevor er mit ihr den nächsten Korridor entlang ging und die große Treppe
am Ende das Korridors hinab stieg.
Er hielt ihre Hand und führte sie durch das dunkle Haus, viele Gänge und Korridore entlang, bis sie den Westflügel erreichten. Dieser Teil des Hauses war nicht bewohnt und noch dunkler und unheimlicher als der Rest des Hauses, sie fröstelte, er blieb stehen, nahm seinen Mantel von den Schultern. Er hängte ihn ihr über die zierlichen Schultern und wickelte sie hinein, er hob sie dann hoch, sie kuschelte sich in den Mantel und in seinen Arm. Mit weit ausladenden Schritten eilte er den Korridor hinab, die leicht
schaukelnde Bewegung machte sie schläfrig wie er sie so fest im Arm hielt. Sie wusste nicht wie lange er mit ihr noch durch die Korridore geeilt war, sie musste eingeschlafen sein, denn er weckte sie mit einer sehr wohltuenden Stimme. Als sie die Augen aufschlug, fand sie sich auf einem großen Himmelbett wieder, eingebettet in Kissen und weichen Decken. Schläfrig rieb sie sich die Augen und stützte sich auf den Ellenbogen ab, er saß auf der Bettkante und lächelte sie an. "Phebe, ich muss dir etwas erzählen",
seine Stimme war sanft und doch hatte sie etwas Kaltes und Hartes in sich. "Deine Großmama ist gegangen, sie hat die Welt des Lichtes verlassen". Er legte eine Hand auf ihre Schultern und schaute sie mit traurigen Augen an, doch sie spürte nichts. Mit trüber Stimme fragte sie: "In meinen Traum war sie auch, sie hielt mich an der Hand und dann war sie fort und ich stand alleine da. Ich habe gesehen wie ich alt wurde und die Trauer mich zerfraß wie ein Wurm das Holz." Er nickte " Ja Phebe,
sie ist fort, aber nur aus dem Licht, sie lebt nun in der Dunkelheit. Sie ist nun ein Engel Phebe, ein Engel." Er senkte den Blick, sie schaute ihn an und stumme Tränen rannen über ihre Wangen. "Warum ist sie ein Engel? Leben Engel nicht im Licht?" Er wischte ihr sanft die Tränen von den Wangen. "Phebe, sie ist ein Engel der Nacht ich habe sie dazu gemacht." Er lächelte schwach, sie zitterte leicht, aber mit klarer fester Stimme und einer Ernsthaftigkeit die für kleine Mädchen er ungewöhnlich
ist, sagte sie: "Ich will auch ein Engel werden, so wie Großmama, ich will zu ihr. Ich habe gesehen was passiert in meinen Traum, die Trauer wird mich zerfressen, ich habe gespürt wie tief sie sitzt." Er zuckte zusammen und schüttelte den Kopf. " Nein, Phebe, sag so etwas nicht, du weißt nicht was du da sagst, was ist mit deinen Eltern, sie lieben dich und würden dich sehr vermissen." Er schaute sie an, sie schaute auf das schneeweiße Bettlacken. "Meine Eltern ist es egal", sie
schluchzte, er nahm sie langsam und zögerlich in den Arm. "Bitte mach mich auch zu einen Engel der Nacht, du kannst es mir nicht antun, die Trauer, den Schmerz und das Leid ich habe es gesehen es war schrecklich." Sie schluchzte und schaute ihn aus ihren blauen Augen an, die noch voller Leben waren. "Es würde sehr weh tun, Phebe, und du würdest das Licht und alles was dir Lieb ist nie wieder sehen." Nun schaute auch er sie wieder an, "Das ist mir egal, ich will bei dir und Großmama sein,
ich will nicht die Trauer fühlen, das Leid und den Schmerz." Er seufzte, nickte dann aber ganz langsam, er wiegte sie im Arm und summte leise. Sie kuschelte sich in seinen Arm, er beugte sich über sie. Ein Kribbeln durchfuhr sie, das Blut pochte in ihren Hals und sie wurde müde, sehr müde und alles verschwamm vor ihren Augen. Sein Gesang hatte aufgehört und nun sang er wieder und etwas benetzte ihre Lippen, sie trank gierig. Ein Schmerz durch fuhr sie und sie weinte, er wiegte sie, strich ihr durchs Haar
und sang leise. Sie wand sich in seinem Arm vor Schmerz, aber er hielt sie mühelos fest und dann war alles vorbei. Sie hatte Durst, sie wollte etwas sagen und biss sich auf die Zunge, sie schmeckte Blut in ihren Mund, es schmeckte süßlich und sie wollte mehr. Sie spürte ihre spitzen Eckzähne die so scharf waren wie Messer. "Ich habe mich auf die Zunge gebissen." Er Lachte leise, als sie es sagte und etwas Blut lief ihr aus den Mundwinkeln, er küsste es weg. "Du wirst noch lernen mit ihnen umzugehen,
meine kleine Phebe, süßer Engel der Nacht. Aber nun schlaf, der Morgen ist nicht mehr weit." Sie schaute ihn an, aus ihnen blauen Augen war alles Leben verschwunden. Sie nahm Farben wahr, die sie in solcher stärke nie gekannt hatte, die Nacht war nicht mehr schwarz sondern in einen wunderschönen Grau wie sie fand. Sie spürte wie das Blut pulsierte und sie lockte, doch er hielt sie fest, sang und wiegte sie in den Schlaf. Sie schloss die Augen und verfiel in die Starre, in die sie nun die nächsten Jahrhunderte
jedes Mal im Morgengrauen verfallen wird.
Eingereicht am 21. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.