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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Auf gute Nachbarschaft
© Annika Robaczek-Tiedje
Jetzt hat sie schon wieder einen neuen! Einen Juristen mit nem dicken Mercedes. Wie macht sie das immer nur. Sie kann doch gar nicht so viel jünger sein als ich. War sie nicht schon 29, als sie hier eingezogen ist? Ich erinnere mich noch haargenau an den Tag, als es klingelte und Analena vor der Tür stand. Ich war gerade dabei Jans Lieblingsessen zu kochen, trug die Blümchenschürze von meiner Oma und hatte fettige Haare. Sie war eingehüllt in eine seidige Bluse, die ziemlich teuer aussah, nicht so wie die langweiligen,
alten Dinger von Karstadt, die in meinem Schrank hängen, ziemlich tief ausgeschnitten (aber es stand ihr, alles steht ihr, sie hätte wahrscheinlich auch in meiner Schürze umwerfend ausgesehen). Mit einem strahlenden Lächeln und einer Schachtel Pralinen umarmte sie mich überschwänglich und stellte sich als die neue Nachbarin vor. "Hallo!" begann ich. Ich hasste sie von Anfang an! Ich wollte mich noch entschuldigen, dass es natürlich nur heute so unordentlich sei, weil ich vormittags einen Arzttermin
hatte und nun mit dem Mittagessen spät dran sei. Ich gab mir besonders Mühe, weil ich wollte, dass alles perfekt ist, wenn ich Jan endlich sagen konnte, dass es diesmal geklappt hatte. Wir wünschten uns schon so lange ein Kind. Wahrscheinlich war ich mal wieder ins Träumen geraten, denn als ich weitersprechen wollte, stand mein Mann schon im Flur und starrte sie an, wie er sonst nur den Fernseher betrachtete, wenn Fußball lief. Ich konnte es in seinen Augen lesen, er war sofort vollkommen verzaubert von dieser
blonden Schönheit, die nahezu über die Schwelle schwebte, um ihn mit ihrer zuckersüßen Stimme komplett in ihren Bann zu ziehen. Mir warf sie nur die Schokolade zu und verschwand an Jans Hand im Wohnzimmer. Wie in Trance schlich ich zurück in die Küche und schloss die Tür hinter mir. Erst dann begann ich zu realisieren, wie wütend ich war und feuerte die Scheißschokolade in die Ecke und heulte erst mal, wie ich es eigentlich immer tat, wenn ich übermüdet war und mich schon die kleinste Kleinigkeit auf die Palme
brachte. Ich kam erst wieder zu mir, als mir der Geruch von Angebranntem in die Nase stach. Ich hasse Kohlrouladen! Keine Ahnung wie lang ich da in der Küche saß und flennte, als ich ins Wohnzimmer ging, waren die beiden nicht mehr da, ich sah Jan nie wieder.
Jetzt ist mein kleiner Freddy schon sieben Jahre alt und geht in die zweite Klasse, es ist Freitag Nachmittag und wir haben eben Mittag gegessen. Und wenn er nicht augenblicklich aufhört von Tante Analena zu schwärmen, bekomme ich gleich einen Anfall! "Das Auto von dem neuen Mann ist so groß", und er fuchtelte mit den Armen, so dass die Blumenvase vom Tisch fiel, mit den Fresien, die ich mir ab und zu selber kaufe, wenn mir die Wohnung zu grau wird. Als ich die Sauerei beseitigte, hörte ich noch, dass
sich sogar die Fenster hinten mit einem Knopf öffnen und schließen lassen, was mein geliebter Sohn von der Schule bis hier her ungefähr 2000 Mal ausprobiert hatte. Ich hasse es, dass Analena ihn ständig mit dem Auto von der Schule abholt. Selbst wenn er langsam laufen würde, wären es maximal zehn Minuten Fußweg. "Mama, kann ich Fernseher gucken?" "Nein, du musst erst deine Hausaufgaben machen, Schatz!" "Bei Analena darf ich immer! Bitte Mama!" Ich bring sie um und verscharr sie in
der Wüste! "Was habt ihr denn heute schönes gelernt in der Schule?" "Mann Mama in der Schule ist es voll zum Kotzen!" "Du weißt ich möchte nicht, dass du so redest, Frederick!" Er weiß, wenn ich Frederick sage, steh ich schon kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Schmollend verzog er sich in sein Zimmer. Mir war ganz egal, ob er jetzt seine blöden Hausaufgaben machte oder nicht. Ich rief meine beste Freundin Hanna an und fragte, ob sie Lust hätte, heute Abend mit mir tanzen zu gehen.
Wir verabredeten uns und ich beeilte mich den Babysitter zu erreichen. Denn ich hatte noch jede Menge zu tun. Erst wollte ich mir etwas Neues zum Anziehen kaufen, einen schicken Rock oder vielleicht den feschen Jeans-Anzug, den ich im Schaufenster gesehen habe, egal was der kostet. Dieser beschissene Tag hat dieses erotische Teil gerade dazu prädestiniert in meinen Kleiderschrank zu wandern. Außerdem wollte ich schon lange mal wieder zum Frisör gehen. Wieso also nicht heute? Und vielleicht, mit ein bisschen Glück,
treffe ich heute meine große Liebe. Er muss ja nicht viel verdienen und ein dickes Auto fahren. Am liebsten wäre mir, er wäre blind und taub, dass er Analena nicht sehen könnte. Nein, so ein Schwachsinn, es gibt bestimmt einen netten Mann da draußen, der mich attraktiv findet und nicht Analena. "Und den finde ich heute!"
Eingereicht am 21. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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