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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Ausbrecher
© Martina Hagemann
Um meine nun folgende Notsituation zu verstehen, muss man sich zunächst einmal die Lage meiner Wohnung vorstellen. Ich lebe in einem Hinterhaus, zu dem man gelangt, wenn man durch das Haupthaus in den Hinterhof geht. Durch eine erste Eingangstür kommt man in das Hinterhaus und steht im Flur vor der eigentlichen Wohnungstür, eine Treppe führt zur zweiten Wohnung. Wenn man die Wohnung verlassen möchte, geht das alles natürlich umgekehrt. Zumindest meistens, letzten Montag nämlich nicht. Ich war am Abend mit Freunden
verabredet und wollte gegen 20.00 Uhr das Haus verlassen. Somit ging ich durch die Wohnungstür hinaus und stand vor der Eingangstür des Hinterhauses. Die ließ sich aber nicht wie gewohnt schwungvoll öffnen, sondern blieb geschlossen. Na gut, klemmte sie halt etwas. Daher probierte ich es mit etwas mehr Kraft, sie zu öffnen. Immer noch nichts. Hhm, da hatte sie wohl jemand abgeschlossen, was ich noch nie erlebt habe. Egal, wozu gibt es Schlüssel? Ich kramte den Schlüssel vom Haupthaus aus meiner Tasche, der auch
passte, sich aber nicht drehen ließ. Gut, dann musste der Wohnungsschlüssel richtig sein. Der passte aber gar nicht. Also doch der Hauptschlüssel, er hatte wohl etwas geklemmt. Der war aber auch nicht durch Rütteln dazu zu bewegen, sich zu drehen. So langsam wurde mir bewusst, dass ich im Hinterhaus eingesperrt war. Ich klingelte bei den Mietern in der oberen Wohnung, die mussten schließlich abgeschlossen und deshalb einen Schlüssel für die Tür haben. Allerdings schließt man eine Wohnung, wenn man nicht gerade
eine Einbrecherneurose hat, bevorzugt dann ab, wenn man selbige verlässt. Es war folglich niemand da. Daraufhin blieb mir im wahrsten Sinne des Wortes nur ein Ausweg, nämlich der durchs Fenster. So kletterte ich notgedrungen ins Freie - zum Glück sind die Fenster fast auf Höhe des Erdbodens, alles andere hätten meine sportlichen Fähigkeiten auch nicht zugelassen, eine Einbrecherkarriere ist nichts für mich. Dann klingelte ich im Haupthaus beim Hausverwalter, der meine Lage zwar sehr bedauer lüssel für die Tür
besaß. Er konnte mir nur mitteilen, dass oben eine neue Person eingezogen war, die hatte vermutlich im Übereifer die Tür abgeschlossen. Blieb die Frage, warum sie einen Schlüssel bekommen hatte und ich nicht. Der Hausverwalter wollte auch gleich die Vermieterin informieren, konnte sie aber nicht erreichen. Also musste ich mir bei dem gerade herrschenden Sturm- und Regenwetter eine Lösung einfallen lassen, wie ich meine Wohnung verlassen konnte, ohne dass mein Fenster sperrangelweit offen stand. Mit einer umständlichen
Bandkonstruktion konnte ich es letztendlich einigermaßen sicher verschnüren, bevor ich meine Verabredung mit Verspätung erreichte. Für richtige Einbrecher wäre das Paketband allerdings kein wirkliches Hindernis gewesen. Nachts krabbelte ich auf dem nun schon gut erprobten Weg wieder in die Wohnung in der Hoffnung, nicht von jemandem aus den umliegenden Wohnungen als vermeintlicher Einbrecher entdeckt zu werden. Die Nachbarschaft hat mich zumindest nicht der Polizei gemeldet, was zwar für den Abend ganz praktisch
war, allerdings in Hinblick auf echte Einbrecher nicht gerade optimistisch stimmt. Vor meinem Fenster bildete sich durch das mehrmalige Rein und Raus schon ein kleiner Schmutzpfad, aber wer hat da schon eine Fußmatte liegen? Am nächsten Morgen gab es eine laue Entschuldigung von der Vermieterin (wo blieben die Pralinen zur Entschädigung?) und den Schlüssel ...
Eingereicht am 20. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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