An meine Schulzeit erinnere ich mich gerne zurück, an ein Ereignis besonders gerne. Wir hatten Sozialkunde bei Herrn Wurm, meinem Lieblingslehrer. Er sprach gerade über den Menschheitstraum, genau so zu sein wie die andern, da klopfte es, und mitten im Unterricht öffnete sich die Tür. Adler - ich weiß gar nicht mehr, wie er richtig hieß - kam wieder mal zu spät. Niemand hatte ihm gesagt, dass wir in einem andern Raum waren.

Mit schamesrotem Kopf murmelte er eine Entschuldigung und wollte sich auf seinen Platz schleichen.

"Schon wieder zu spät, Sie Missgeburt," brüllte ihn Herr Wurm an. Die Klasse wieherte vor Schadenfreude.

In der Tat, Adler war eine Missgeburt. Aus seinem Rücken wuchsen Flügel, wie bei einem dreckigen Vogel. Außerdem blickten seine Augen so scharf und eisig, darum nannten wir ihn Adler. Seine Kleidung verbarg das Gefieder nur leidlich. Manchmal flogen Daunen unter seinem Pullover hervor und schwebten wie riesige Bazillen in der Luft umher. Er war eklig.

Aber die Ärzte konnten ihm leider die Flügel nicht einfach abschneiden, wie einem Verbrecher die Ohren. Er würde nämlich daran sterben ...

Seine Eltern hatte er zugrunde gerichtet: der Vater hatte sich seinetwegen tot gesoffen, die Mutter hatten sie in die Klapsmühle stecken müssen. Aber bei dem Sohn konnte man das verstehen.

"Wo Sie schon stehen, Adler, Sie sind gleich dran zur Leistungskontrolle. Nennen Sie mir alle Vogelnamen, mit denen man seine Mitmenschen beschimpfen kann!"

Adler stand schweigend da und blickte zu Boden. Er hatte offensichtlich schlecht gelernt und wusste keine. Ich meldete mich.

"Ja, Adler, da versagen Sie wieder. Das ist eine Doppelnull."

Herr Wurm wandte sich mir zu und sprach freundlich: "Na dann, Adolf, nennen Sie uns eben die Beschimpfungen."

Er nannte mich als einzigen in der Klasse beim Vornamen. Stolz sprang ich auf und zählte vergnügt auf: "Schmutzfink, Dreckspatz, man sagt zu jemandem, er habe eine Meise ..."

"Brav Adolf, aber das genügt, Ihre Kameraden wollen auch noch was sagen."

Und tatsächlich waren alle Arme in die Höhe gestreckt und im Akkord ging es: "Pleitegeier." "Rabeneltern." "Alte Krähe." "Unglücksrabe." "Aasgeier."

"Jemand hat einen Vogel." "Diebisch wie eine Elster." "Galgenvogel."

"Mistadler", ergänzte ich und erntete einen lobenden Blick von Herrn Wurm.

Vielleicht hätte er es sogar im Notenheft vermerkt, doch da passierte es: Adler drehte durch. Wie die Irren, die im Park den Frauen auflauern, riss er sich den Pullover vom Leib und begann mit den Flügeln zu schlagen.

Seine Füße hoben vom Boden ab. Die Mädchen kreischten, die Jungen bewarfen ihn mit Büchern. Doch nichts half. Wie eine Wespe schwirrte er über unseren Köpfen herum. Wir versteckten uns unter unsern Bänken, die Arme um den Kopf geschlungen. Es war ein Alptraum. Schließlich öffnete Herr Wurm heldenhaft ein Fenster und das Ungeziefer flog hinaus ins Freie. Fürs Erste atmeten wir auf.

"Todtenhaupt", befahl mir der Lehrer, "holen Sie den Hausmeister, er soll die Schrotflinte mitbringen."