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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Familienkonstellation

© Björn Cassens

Sören saß zu Hause auf seinem Sofa. Müde blickte er aus dem großen Fenster seines Wohnzimmers. Die Birke vor dem Fenster bewegte sich in dem vom Wind vorgegebenen Takt. Seine Augenlider fanden den Weg nach unten. Sofort riss er sie wieder nach oben. Sören stand auf und schritt hastig auf das Fenster zu. Die Arme drückte er auf die Fensterbank und schaute auf die Straße. Ein buntes Treiben herrschte dort unten. Der Zeitmesser über dem U-Bahn-Eingang, vor der Haustür des alten Backsteingemäuers, tief im Arbeiterviertel der Stadt, zeigte drei Uhr an. Das physische Erscheinungsbild Sörens ließ drei Uhr auch realistisch erscheinen, doch das Tageslicht sowie der Verkehr lieferten den nicht zu widerlegenden Beweis, dass es schon zwölf Stunden später war.
Kopfschüttelnd drehte er sich wieder um und ging langsam durch das Zimmer, am Sofa vorbei, durch die Tür auf seinen schmalen Flur, griff sich, ohne hinzusehen, seine Jacke und verließ seine Wohnung in diesem alten Backsteinhaus, mitten im Arbeiterviertel der Stadt.
Er wollte in die Kneipe Zum goldenen Reiter, die schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, direkt neben dem U-Bahn-Eingang, ansässig war.
"An der Umgehungsstraße unserer Stadt, liegt eine Nervenklinik, wie sie noch keiner gesehen hat", brummte Sören den alten Hit in sich hinein. Der goldene Reiter war seine Nervenklinik. Kurz darauf war er an seinem Ziel angelangt.
"Hey Lena, einen Kaffee und ein Bier bitte", sagte er, als er sich am Tresen niedergelassen hatte.
"Klar, kommt sofort."
Sören beobachtete Lena, während sie routiniert das Bier zapfte. "Sie ist wirklich zuckersüß", dachte Sören bei sich, als er Lena mit seinen Blicken verfolgte. Geschmeidig, mit abgerundeten Bewegungen, gelang es ihr, selbst beim Kaffe einschenken, unwiderstehlich sexy zu wirken.
"Ist ja ´ne komische Mischung, Sören. Besonders gut siehst du heute auch nicht aus. Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte Lena, als sie die georderten Getränke brachte.
"Hm ... weiß nicht so recht. Danke fürs Angebot, aber ich muss noch überlegen. Ich sage dir dann Bescheid."
"Gut, du weißt ja wo ich bin."
Lena entfernte sich, da eine Kundin sich an das andere Ende des Tresens setzte und nonverbal zu verstehen gab, dass sie bestellen wolle. Lena ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und ging professionell ihrem Job nach.
Sören und Lena kannten sich schon sehr lange. Als pubertierende Halbwüchsige, so mit fünfzehn oder sechzehn Lebensjahren, sind die beiden ein Paar gewesen. Lena hatte Sören damals den Laufpass gegeben, da sie der Meinung war, er würde zu viel kiffen. Wahrscheinlich hatte sie auch Recht damit, doch Sören hatte nun bestimmt seit zwei Jahren nicht eine Rolle, geschweige denn einen Kopf geraucht. Außer Alkohol und Kokain besaß er auch keine weiteren Drogenerfahrungen. Die letzte Line hatte er auch weit in der Vergangenheit gezogen.
Alkohol trank er noch. Alkohol ist gesellschaftsfähig, aber den Alkoholkonsum hatte er fest im Griff. Mal ein Bier oder auch mal ein paar mehr Bierchen, jedoch nichts Weltbewegendes. Normalerweise wäre fünfzehn Uhr ihm zu früh gewesen, um den Gerstensaft zu trinken - aber heute? Heute war es ihm egal. Der Kaffee dazu war nur zum Puschen. Eine Line wäre natürlich effektiver, aber Sören wollte seiner Abstinenz illegaler Substanzen treu bleiben. Oder doch nicht? Kurz überlegte er. Lena hatte die besten Verbindungen. Er bräuchte sie bloß fragen. Doch der Gedanke war schnell wieder verflogen.
Im Hintergrund registrierte Sören plötzlich den Fischmob Song "Tut mir Leid, schon wieder breit". Jetzt musste er doch grinsen.
Seine Hand wanderte zum Bierglas. Die Lippen berührten sanft den Rand und Sören nippte kurz an dem Gebräu. Es war, als würde der friesisch herbe Geschmack ihm wieder etwas Leben einhauchen.
Ein paar Sekunden später legte er sich die Hand an die Stirn, stützte sich ab und starrte gedankenverloren auf ein Bild M. C. Eschers, das über den alkoholischen Vorräten in den Borten hinter dem Tresen an der Wand hing.
"Fließt das Wasser nun nach oben oder bleibt es auf einer Ebene?", nuschelte er vor sich hin.
Sein Blick wanderte auf den Kaffeebecher.
"Du musst mit Lena reden. Es muss raus!", hörte er eine Stimme aus seinem Innern rufen.
"Lena!", rief er "Lena!"
Sörens Herz raste. Er spürte seinen Puls deutlich in den Schläfen hämmern.
"Na, hast du es dir überlegt? Kann ich dir helfen?", fragte Lena, nachdem sie sein rufen gehört hatte.
"Ja, wann hast du Feierabend?"
"In einer halben Stunde. Willst du mir dann erzählen was los ist?"
"Ja"
"Okay"
"Danke. Bringst du mir noch ein Bier?"
"Sicher"
Diese halbe Stunde war wohl die kürzeste in seinem Leben, dabei wünschte er sich, dass sie nie zu Ende gehen würde. Doch sie endete.
Nach Lenas Feierabend schlenderten sie durch den nahe gelegenen Park.
"Sören, weißt du ... schade, dass das mit uns damals nicht hingehauen hat. Ich denke gerne an die Zeit zurück. Wir waren so jung." Dabei schaute sie ihm tief in die Augen, doch er wich ihrem Blick aus.
"Lena, tu mir bitte einen Gefallen. Raste nicht gleich aus." Sören legte eine Pause ein. Sein Herz begann wieder zu rasen, in der Schläfe wieder dieses Hämmern.
"Lena, du bekommst eine kleine Schwester von mir."


Eingereicht am 18. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

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