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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Ende gut, alles gut
© Wera Köhler
Im Kostümverleih fing alles an.
Frau Grete M., die dort bereits seit dreißig Jahren arbeitete, im Angestelltenverhältnis, die kurz vor ihrer Pensionierung stand, hatte so etwas zuvor noch nie erlebt. In all den Jahren, in denen sie die Kostüme aus Oper und Theater der Stadt übernahm, sie ordnete und schlichtete, verwaltete und an interessierte Personen weiter verlieh, war dieser Tag wohl der merkwürdigste. Sie hatte viele Menschen kennen gelernt im Laufe der Zeit, Kostüme wurden gerne entliehen, besonders im Fasching und mit vielen Kunden schöne
Kontakte geschlossen, aber an diesem Tag passierten ihr wohl die eigenartigsten Dinge.
So gegen elf Uhr dreißig, Grete M. hatte kurz zuvor auf ihre Uhr gesehen und sich auf die Mittagspause gefreut, da wurde plötzlich die Türe aufgestoßen. Gleichzeitig sauste ein kalter Windstoß in den Raum, obwohl kein Fenster geöffnet war und es sich also nicht erklären ließ, was diesen starken Luftzug verursachen konnte. Die Papiere und Formulare, die bei jeder Kostümentleihung ausgefüllt werden mussten, lagen noch vom Vortag unerledigt auf dem Schreibtisch. Sie wurden mit einem Mal hoch in die Luft gehoben
und flatterten wie aufgescheuchte weiße Hühner durch den Raum, die sich nur langsam wieder beruhigten und dann über den Boden verteilten.
Grete M. schenkte diesem Vorgang aber keine Beachtung, sondern sah gebannt auf die Erscheinung, die sich in der geöffneten Tür zeigte. Eine große, stattliche Frau kam langsam näher. Sie hatte auffallend grüne Augen, welche, ein wenig beschattet von dunklen Wimpern, geheimnisvoll umschleiert waren. Der eigentümliche Wind, der mit dieser Frau in den Raum wehte, spielte über ihren Ohren mit einigen Haarstränen, die sich aus dem lockeren Knoten im Nacken gelöst hatten. Der Farbton der Haare schimmerte im Mittagslicht
wie dunkles Kupfer. Etwas Unheimliches umgab sie. Grete M. starrte die Frau an und konnte nur schwer die Augen wieder von ihr lösen. Die herumliegenden Zettel jedoch mahnten zur Ordnung. Sie schaute sich um, bückte sich und sammelte alle wieder zusammen.
Als sie sich aufrichtete, stand die Frau knapp vor ihr und lächelte. Es war ein freundliches, warmes Lächeln, das aber keinen Widerspruch duldete.
"Darf ich mich ein wenig umsehen?"
Grete M. war von der Weichheit in der Stimme wohltuend überrascht und nickte zuvorkommend und freudig zurück.
"Ja, ja, aber selbstverständlich."
Gerne hätte sie gewusst, was die Dame eigentlich suche und ob sie helfen könne, doch irgendetwas in ihr verbot ihr diese Fragen. Ein verbindliches Lächeln blieb ihr auf den Lippen liegen und sie sah der Dame nach, die zwischen den aufgehängten Kostümen im rückwärtigen, dunklen Teil des Raumes verschwand.
Die Papiere noch immer in der Hand haltend, wie aus einem Traum erwacht, blickte sich Grete M. ein wenig verwirrt um. Sie war allein. Kein Geräusch, nicht der kleinste Laut, kam aus der Richtung, in der Grete M. die Dame aus den Augen verloren hatte. Für Grete M. wäre es unhöflich gewesen, ihr nun zu folgen, ihr nachzugehen, um zu erfahren, wonach sie suche. Das hätte neugierig oder kontrollierend ausgesehen und das wollte sie nicht. Um sich abzulenken, begann sie die Formulare und Zettel zu schlichten und in
einen Ordner einzuheften. Das Rascheln des Papiers, das diese Tätigkeit begleitete, kam ihr mit einem Mal, in dieser Stille, viel zu laut und aufdringlich vor.
Ganz in die Arbeit vertieft, schreckte sie auf, als die fremde Frau lautlos, wie aus dem Boden gewachsen, plötzlich vor ihr stand. Grete M. machte einen kleinen Schritt zurück. Sie war sprachlos. Aber schnell holte sie ihr Lächeln wieder hervor, um dahinter ihre Angst zu verbergen.
Beinahe hätte Grete M. die Dame nicht wieder erkannt, wären da nicht die auffallend grünen Augen gewesen. Mitten im Gesicht saß jetzt eine riesige Knollennase mit zwei abstoßend behaarten Warzen, der Mund war hässlich, herabhängend, die Haut fahl und tief gefurcht, die Backenknochen traten markant hervor. Um den Kopf war ein schwarzes Tuch gebunden, welches über der Stirne einige graue, struppige Haare sichtbar ließ. Die Kleidung bestand eher aus Lumpen, zerschlissen, fetzig und von einem eigenartigen, düsteren
Farbton. Ihre Körperhaltung gebückt. Mit der Hand stützte sie sich auf einen knorrigen Stock und auf dem runden Rücken konnte Grete M. deutlich einen Höcker erkennen. Auf der Schulter saß eine schwarze Plüschkatze mit gelben Augen.
Grete M. stockte der Atem, sie konnte nicht mehr schlucken, erstarrte. Der Anblick war Furcht erregend, aber gleichzeitig lag auch etwas Magisches, beinahe Komisches darin.
Langsam glitt ihr Blick an dieser schaurigen Figur nach unten und blieb an den unverändert schönen, gepflegten Händen der Dame hängen und Grete M. atmete erleichtert auf. Da hörte sie die Dame fragen: "Wie lange darf ich dieses Kostüm entleihen?"
Grete M. überlegte, wo in all den Jahren diese Verkleidung wohl aufbewahrt gewesen war. Sie hatte sie noch nie gesehen.
Stockend murmelte sie:
"... das ... das ... gibt's doch nicht" und fragte dann verwundert: "Wo haben sie dieses Kostüm gefunden?"
"Ach, ganz hinten, im letzten Winkel, in einem Korb mit Deckel", sagte die Dame mit samtiger Stimme und machte dabei eine gleichgültige Handbewegung.
In Gedanken verloren, mit mechanischen Bewegungen, holte Grete M. das Verleihformular mit Durchschlag aus ihrer Schublade und begann es auszufüllen. Zuerst Datum, Ort. Während sie noch überlegte, was sie nun schreiben solle, Knollennase, Lumpenkleid, Plüschkatze und so weiter, entstand auf dem Papier, vor ihren Augen, zuerst schwach sichtbar, wie im Nebel verschwommen, dann immer deutlicher, wie von Zauberhand geschrieben, ein Wort: Hexe.
Groß und deutlich und gut leserlich stand es da und Grete M. sagte halblaut vor sich hin: "Hexe", und im Ton ihrer Stimme war keine Verwunderung mehr zu finden. Sie sprach es wie selbstverständlich aus.
Grete M. hob den Kopf, da konnte sie noch sehen, wie die Dame, ihr bereits den Rücken zugewandt, den Raum verließ. Die Tür fiel dumpf ins Schloss.
Mit erstem September trat Grete M. in den wohlverdienten Ruhestand. Bald danach aber starb sie, plötzlich und unerklärlich.
Das Hexenkostüm allerdings wurde nie zurückgebracht, es blieb verschollen und das Verleihformular unerledigt.
Eingereicht am 17. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.