Kurzgeschichtenwettbewerb Kurzgeschichten Wettbewerb Kurzgeschichte Schlüsselerlebnis   www.online-roman.de

Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

www.online-roman.de
www.ronald-henss-verlag.de

Das Kleid des Grauens

© Vanessa Becker

Ich stand in der Umkleidekabine einer dieser kleinen Boutiquen und probierte ein Kleid an. Vielmehr, ich versuchte es! Verzweifelt zog ich an dem Stoff, der sich über meinem Busen zu einem Wulst gesammelt hatte, doch dieser ließ sich einfach nicht überstreifen. Ärgerlich verfluchte ich die Mega-Eistüte mit vier Kugeln, Sahne und Schokosoße, die ich mir kurz vorher noch bei meinem Lieblingsitaliener gegönnt hatte und lugte auf das Schildchen, das hinten an dem Stoffwulst hinunterbaumelte. Nun, es war schon eine relativ große Größe (zur Wahrung der Intimsphäre wird sie an dieser Stelle nicht genannt!), und da ich mir die Blamage, diese spindeldürre, mich ohnehin schon beim Hereinkommen misstrauisch musternde, topgestylte und nun gelangweilt an ihrem Verkaufstischchen lehnende Verkäuferin um ein größeres Exemplar des Kleides zu bitten, ersparen wollte, riss und zerrte ich, vom Ehrgeiz gepackt am Stoff (den kleinen "Ratsch" überhörte ich) - und, tamtatata - es war vollbracht. Das Kleid saß wie angegossen, leider im wortwörtlichen Sinne! Dabei saß es bei der Frau auf dem Plakat an der Wand ganz locker, sie konnte sogar noch ihren Fuß lässig auf einen Stuhl stellen.
Ich versuchte, die aufkommenden depressiven Gedanken zu ignorieren und sah mich in der Umkleidekabine nach dem Spiegel um. Schließlich hatte ich schwer zu kämpfen gehabt, jetzt wollte ich das Ergebnis auch sehen. Doch, oh Schreck, in dieser doofen Kabine gab es keinen Spiegel. Nun wurde mir wirklich unwohl. Sollte ich etwa aus meiner, durch einen Vorhang geschützten, und somit blickdichten Festung unter lauter gutaussehende, fröhliche, locker-sitzende-Kleider-tragende Menschen treten? Zu allem Überfluss vernahm ich nun auch noch die piepsige Stimme der Verkäuferin hinter dem Vorhang: "Naaa, wie sieht`s denn so aus? Sind Sie fertig?" Und bevor ich ein hysterisches "NEIN!" brüllen konnte, wurde der Vorhang auch schon zur Seite geschoben und der Blick auf mich somit freigegeben.
Nun gut, dann konnte ich jetzt auch zu dem großen Spiegel in der Ladenmitte gehen. Ich tippelte also, starr auf den Boden schauend, los, denn an große Schritte war aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfreiheit gar nicht zu denken.
Der Anblick war niederschmetternd. Ich erinnerte an eine Wurst in der Pelle, und mein, durch die anstrengende Anzieherei knallrot gewordener Kopf tat sein übriges, um mich aussehen zu lassen, als stünde ich kurz vorm Platzen.
Auch die Bemerkung einer etwas älteren Dame "Wann ist es denn soweit?" in Anbetracht meiner Wampe, die sich überdeutlich unter dem engen Kleid abzeichnete, hob meine Stimmung nicht sonderlich. Ich wollte gerade unauffällig den Rückzug antreten, da trat die Verkäuferin mit diesem Lächeln, das sonst nur die Puppenverkäufer auf dem Home-Shopping-Kanal draufhaben, auf mich zu. "Das ist ja wie für Sie gemacht!" Ich schaute mich suchend um. Mit wem sprach sie? Ich guckte wohl etwas verwirrt aus der Wäsche, denn sie zeigte nun ebenfalls, wohl um alle Missverständnisse auszuschließen, mit ihrem Zeigefinger, den gleich zwei Goldringe schmückten, auf mich. Ich stotterte: "Ich weiß nicht, bisschen eng vielleicht?!" Doch sie warf meinen halbherzigen Einwand mit einer lässigen Handbewegung beiseite. "Ach was! Das trägt man heutzutage so! Figurbetont! Daher ist hier auch mit Stretch gearbeitet worden!" Ich schluckte mir die Bemerkung, dass dieses Kleid aus 100% Viskose bestand, herunter und blickte unsicher, fieberhaft nach einer passenden Ausrede suchend, durch den Laden. Da fiel mir eine Frau mit Topfigur auf, die sich selbstverliebt in dem Spiegel anschaute, und sich dabei immer mal wieder um ihre eigene Achse drehte. Sie trug ein bezauberndes Kleid, dessen weitschwingender Rock um sie herumwirbelte, und dessen enger anliegendes Oberteil ihre dünne Taille und ihren Busen betonte. Es sah einfach hinreißend aus - und es war mein Kleid!
Das war zuviel für mich! "Euch zeige ich es!", dachte ich, stürzte in die Umkleidekabine, riss mir das verdammte Kleid vom Leibe, zog meine eigenen Sachen an und drückte der verdutzten Verkäuferin das Kleid in die Hand. "Wie viel", lechzte ich, "ich nehme es!" Das Kleid hängt nun schon seit einem Jahr in meinem Schrank - unberührt.
Falls jemand Interesse hat …?!


Eingereicht am 14. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

»»» Weitere Schlüsselerlebnis-Geschichten «««



»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichtenund Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««

Blogs mit lustigen Gedichten
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» HOME PAGE «««