Kurzgeschichtenwettbewerb Kurzgeschichten Wettbewerb Kurzgeschichte Schlüsselerlebnis   www.online-roman.de

Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

www.online-roman.de
www.ronald-henss-verlag.de

Schmuckstücke

© Marek Sonnstein

"Ich war heute beim Arzt. "
"Und? "
"Er sagt mir ein langes und prosperes Leben voraus. Bei bester Gesundheit."
"Das freut mich", sagt Onkel Walter, ohne den Kopf von der Zeitung zu heben.
"Ich freue mich, dass du dich mit mir freust", säuselt Tante Fiona.
Wir sitzen auf dem Gartensitzplatz, umgeben von Büschen. Mücken schwirren um die Lampen an der Decke. Es ist ein schöner Spätsommerabend, die milde Stimmung lädt zum Verweilen ein.
Tante Fiona ist eine gut erhaltene Anfangsvierzigerin mit klugem Blick und braunem, mittellangem Haar, welches sie im Nacken meist zu einem kurzen Zopf zusammengebunden und mit dunkelrotem Band umwickelt hat. Mit der sommerlichen Bräune im Gesicht erweckt sie den Eindruck einer Freibeuterin, welche unter düsterer Flagge die Weltmeere unsicher macht. Mit sportlicher Aktivität hält sie sich fit, ohne dabei an Weiblichkeit einzubüßen.
Trotz der gemeinsamen Kinder, inzwischen längst erwachsen und berufstätig, gefräßige Biester, denen sie im Säuglingsalter die mütterliche Brust reichte, verfügt sie noch immer über eine äußerst ansehnliche Figur. Von Onkel Walter sind nur die ergrauten Haare und die gebräunte Stirn hinter seiner Wirtschaftszeitung auszumachen. Genau wie er freue ich mich über den Bescheid ihres Arztes.
"Genauso gut hätte der Doktor eine weniger erfreuliche Diagnose stellen können", meint sie mit besorgtem Ton. "Mit zunehmendem Alter ist Gesundheit nicht mehr als selbstverständlich zu betrachten."
"Da hast du Recht, meine Liebe."
"Womöglich hätte er eine schwere Krankheit feststellen können, mit dem Ergebnis, dass ich in absehbarer von dir gehen werde."
"Um Himmels willen", erwidert Onkel Walter entgeistert und senkt die Zeitung. Ein lauer Wind raschelt in den Blättern der Hecke, die das Anwesen vom Nachbarsgrundstück trennt.
"Was würdest du tun, wenn ich nun tatsächlich in Kürze sterben sollte", fragt meine Tante ohne Umschweife?
"Ich würde um dich trauern", sagt mein Onkel nach kurzem Überlegen.
"Lange?"
"Ja. Sehr lange."
"Warum?"
"Weil du mir sehr viel bedeutest und der Verlust dem entsprechend schmerzlich für mich wäre", sagt er mit ernstem Gesicht, nach längerer Bedenkzeit.
"Das ist nett von dir", lächelt sie. "Aber du würdest sicher wieder heiraten?"
"Kaum."
"Bist du nicht gerne verheiratet", fragt sie leicht gekränkt?
"Doch, eigentlich schon."
"Warum solltest du dann nicht wieder heiraten?"
"Also gut", räuspert sich Onkel Walter, "ich glaube, wenn ich lange genug getrauert habe und mein Leben wieder eine Sinn ergibt, würde ich nochmals heiraten."
Tante Fiona erkundigt sich nach meinem Wohlbefinden. Alles in Ordnung, erwidere ich höflich und betone, dass mir der angebrühte Tee ausgezeichnet schmeckt. Sie trinkt einen Schluck, stellt die Tasse wieder neben die Illustrierte und betrachtet gedankenverloren ihre lackierten Fußnägel.
"Würdest du mit ihr unser gemeinsames Bett teilen?"
"Schon möglich. Darüber hab ich mir wirklich noch keine Gedanken gemacht."
"Dann würdest du wahrscheinlich auch mein Bild auf dem Nachttisch durch eine Aufnahme von ihr ersetzen?"
"Nein, ich würde beide Bilder auf meinen Nachttisch stellen. Nach all den glücklichen Jahren, die wir gemeinsam erleben durften, wäre das wohl mehr als angebracht", lautet Onkel Walters Antwort. "Es wäre jedoch möglich, dass ich dein Bild ein wenig nach hinten schieben würde, ganz bestimmt aber nicht außer Sichtweite."
Insekten zirpen in die frühabendliche Dämmerung. Die Schatten um das Haus werden zusehends länger. Je nach Richtung trägt der Wind würzigen Duft von frisch geschnittenem Rasen oder von gegrilltem Fleisch auf glühender Holzkohle mit sich. In unregelmäßigen Abständen heulen Motoren von der nahe gelegenen Zubringerstrasse die zum Seebad führt auf und übertönen das Stimmengewirr der vorbeiziehenden Passanten. Der beständige Sommer hat seine Schuldigkeit getan und beschert noch immer gute Laune.
"Das heißt dann wohl, dass du auch Sex mit ihr in unserem Bett haben würdest."
"Ja, das wäre ziemlich sicher der Fall", stellt er ungerührt fest.
"Genauso innig und leidenschaftlich?"
"Vielleicht, ja."
"Womöglich würdest du ihren Körperteilen auch Kosenamen geben?"
"Gut möglich."
"Auch dem Intimbereich?"
"Wenn sie daran gefallen finden sollte, warum nicht", entgegnet Onkel Walter verunsichert und blättert sichtlich genervt zur nächsten Seite? "Glücklicherweise aber hat dich dein Arzt ja heute als Kerngesund befunden."
"Ja, glücklicherweise", sagt Tante Fiona schlichtend. Daraufhin sagen sie eine Weile nichts mehr. Nur das rascheln der Zeitung und das zirpen der Grillen ist noch hörbar.
"Und mein Schmuck?"
"Was ist damit?"
"Schmuck ist ein Ausdruck von Zuneigung und Anerkennung. Die kostbaren Colliers die du mir zur Geburt der Kinder und den damit verbundenen Strapazen geschenkt hast sind etwas sehr persönliches. Genauso verhält es sich mit der Perlenkette zu unserem zehnten Hochzeitstag. Mein Schmuck ist mehr als nur kostbarer Gegenstand. Er ist symptomatisch für unser gemeinsames Leben. Ein Zugeständnis an all meine Eigenschaften, die guten sowie die weniger guten."
"Das hast du schön gesagt."
"Mein Schmuck tröstet mich über Entbehrungen hinweg, erinnert mich an schöne Theaterbesuche oder interessante Gespräche bei Kerzenlicht zu gutem Wein. Nicht zuletzt stellt der Schmuck auch eine Wertschätzung an mich dar, da du dir die Zeit dafür genommen hast, etwas sehr kostbares für mich auszusuchen, einen Vergleich zu finden. Was glaubst du, würdest du ihr auch erlauben, meinen Schmuck zu tragen?"
"Nein. Weißgold steht ihr nicht."


Eingereicht am 07. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

»»» Weitere Schlüsselerlebnis-Geschichten «««



»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichtenund Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««

Blogs mit lustigen Gedichten
»»» Kurzgeschichten «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Gedichte «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» HOME PAGE «««