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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Vergangenheitsüberwältigung

© Hans-Georg Gottfried Dittmann

Im dunkeln Raum griff er nach dem Schalter. Er bekam einen Schlag, das Licht blitzte grell auf, um seinen Dienst im Anschluss zu verweigern. Sie schrie. Angst! Das Pochen kam näher. Immer näher. Die Tür sprang explosionsartig auf. Es war zu spät.
Am Anfang schien es das zu sein, was beide gesucht hatten. Es geschah vor drei Wochen, in einer angesagten Bar. Sie zog an ihrem dritten Wodka Lemmon und genoss das Gefühl langsam betrunken zu werden. Neben ihr wurde eine Gruppe Männer immer lauter, aber plötzlich starrten sie alle schweigend an. Ihre Augen weiteten sich unsicher und nach einigen Sekunden schaute sie an sich herunter, um einen Grund für die Blicke ausfindig zu machen. Da lachte der Pulk los und ein Geldschein wechselte den Besitzer. Der Gewinner kam auf sie zu und fragte, ob sie einen neuen Drink haben wollte. Drink! Es klang lächerlich aus seinem Mund, aber sie sagte nicht nein, leerte das halbvolle Glas und nahm das nächste. Er bezahlte mit dem gewonnenen Geldschein. Die Standardphrasen flogen hin und her, das ist aber ein schöner Name, du bist Hotelfachfrau, klingt langweiliger als es ist, du spielst bestimmt Fußball, nein ich weiß was Abseits ist, wie heißt du eigentlich, rauchst du, wie alt, ich auch. Jetzt wollte sie nicht mehr betrunken werden, aber der Prozess ließ nicht mehr aufhalten. Da saß sie nun und verliebte sich wieder. Zweifel schossen durch ihren Kopf. Nicht schon wieder. Dabei hatte sie sich seit Jahren nicht mehr so verliebt; spontan und heftig. Er packte nun die schlechten Witze aus, um sicherzugehen, dass er Chancen hatte. Sie lachte. Ihre Nummer. Tschüß. Ich ruf dich an.
Zu Hause drehte sich alles. Der Anrufbeantworter blinkte mit einer Zwei. Seine Stimme klang etwas verschlissen, doch er wollte sie wiedersehen. Morgen. Zukunft und endlich mal ein Grund sich darauf zu freuen.
Trotz eines Katers saß sie am folgenden Abend neben ihm im Kino und schaute einen Film, den er bestimmt nie und nimmer allein gesehen hätte. Dafür waren Männer einfach zu männlich. Einmal lachte er sogar bevor sie es tat, und so war ihr schon vorher klar, mit welcher Szene die Rekapitulation des Filmes beginnen würde. Sie sollte Recht behalten, und das Gefühl der Überlegenheit, was ihr gestern verwehrt blieb, füllte sie nun aus mit Sicherheit. Jetzt konnte sie das Geschehen kontrollieren, wie man es eigentlich gewohnt ist, wenn sich ein Mann und eine Frau verlieben. Aber der seltsame oder nur neue Anfang ihrer Beziehung blieb haften. Mit einer Wette war sie noch nie überrumpelt worden, und so sehr sie auch suchte, sie fand nicht genügend Gründe es als Standardmasche zu bezeichnen.
Von nun an sahen oder hörten sie sich täglich, schliefen bald miteinander. Seine beiden Saufkumpanen vom ersten Abend waren nicht seine besten Freunde, sondern wirklich nur Saufkumpanen. Ihr gefiel die Mischung der Menschen, mit denen er sich umgab und mit jedem Tag wurde sie unsicherer, ihn in ihrem Freundeskreis bekannt zu machen. Also begnügte sie sich damit, sich aus einer Kneipe abholen zu lassen, in der sie sich mit ihrer besten Freundin getroffen hatte. Zehn Minuten dauerte der Dreierdisput; ihre nervös sprudelnden Fragen am Telefon, wie er ist, was sie von ihm halte und wie er denn so ist, beantwortete ihre Freundin mit der Erlaubnis ihn weiterhin zu treffen. Die ersten drei Wochen vergingen wie im Flug und dieses Wochenende hatten sie nicht einmal ihre Wohnung verlassen, sondern glücklich in den Mauern ihrer kleinen Wohnwelt verbracht und sie lagen nebeneinander im Bett.
Als die Tür aufsprang zuckte die Angst herein. Sie sagte guten Tag und setzte sich auf die Bettkante. Sie wartete, bis auch er wieder auf dem Bett neben seiner Freundin Platz genommen hatte und stellte Fragen, nur um sie gleich zu beantworten. Warum ihr euch noch nicht sicher seid? Also zum ersten seit ihr nur ganze drei Wochen zusammen, zweitens bist Du zu oft enttäuscht worden und, und Du hast Dich zu oft zu schnell in neue Frauen verliebt. Aber wenigstens weißt Du das mittlerweile. Nur wie kontrollierst Du das, ohne fremdzugehen? Tja, junger Freund, entweder die oder keine. Ob du dafür nicht noch zu jung bist? Wenn Du so denkst, dann wirst Du sie enttäuschen, was dich, mein Schatz, wie ein Schatten seit Jahren begleitet. Diese Enttäuschung. Vielleicht solltet ihr beide Mal mit Vertrauen sprechen.
Die Angst stand auf und zu ihrer beider Entsetzen klatschten sich Angst und Vertrauen wie bei einer Einwechslung ab. Das Vertrauen setzte sich nun zu ihnen aufs Bett und sagte: Was ihr braucht, das bin ich. Ihr wirkt etwas verunsichert, dass die Angst und ich uns so nah sind, ja gar ein freundschaftliches Verhältnis pflegen. Nun ja, wir können schlecht ohne den anderen. Macht doch irgendwie Sinn, oder?
Selten teilen Mann und Frau derselben Beziehung, die sie beide als glücklich einstufen, diesen Traum.
Sie wachte vor ihm auf. Sein T-Shirt klebte nass geschwitzt auf ihrem Körper. Ein Geschenk. Er schnarchte zum ersten Mal unangenehm auf seiner Seite des Bettes. Eigentlich schlief sie doch immer an der Wand! Unter der Dusche fühlte sie, wie die Angst von ihr wich. Pfeifend verließ sie die Zelle, tippelte in die Küche, um spielend Frühstück zu machen. Sie hörte, wie er aufstand, spürte seine Umarmung. Der nackte Oberkörper brachte ein Schaudern mit sich. Pause. Die Dusche ging los, und sie erschrak. Am Tisch beäugten sie sich mehr, als sie miteinander sprachen. Er ging.
Weitere Wochen waberten sie durch das, was anfangs so perfekt schien. Die Angst hatte nicht nur vor dem Vertrauen die Tür geöffnet. Sie hatte ihnen nicht mal eine Chance gegeben. Sie war vor ihnen da.


Eingereicht am 02. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.

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