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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Killer "light"
© Felix Tim
Ich wachte auf, mit dem dringenden Bedürfnis, jemand umzubringen. Ich habe das nicht so oft. Wenn Sie sich im vierten Tag einer "low- Fat, carb und vor allem, wenig Spaß - Diät" befinden, stellt sich dieses Gefühl manchmal ein. Das Prinzip der Diät ist schnell zusammengefasst, kein Fett, keine Kohlenhydrate, keine Proteine, also gar nichts. Auch kein Spaß. Tolle Wissenschaftler: "Essen Sie nichts, dann werden Sie dünn." Ich will ja nix sagen, aber darauf wäre ich wirklich selber gekommen.
Das ist das Wichtigste - kein Spaß! Nur so geht es. Wer denkt, er könne einfach so aussehen wie Brad Pitt, der täuscht sich. Könnte ja jeder kommen. Nur Vitamine und Wasser.
"Trinken macht Sie gesund und schlank", stand auf dem Flyer eines Diät Anbieters. Ich dachte daran, dass Trinken vor allem auch nicht satt macht?! Es war zumindest meine Vermutung. Es stellte sich auch ein Killerinstinkt ein. Aber "light". Killerinstinkt "light" bedeutet, man tötet nicht wirklich jemand, man gibt dem Gegenüber nur das Gefühl, man würde es gerne. Mir knurrte unvorstellbar der Magen und ein leichtes Schwindelgefühl kam auf. "Könnten Sie mir sagen wie spät es
ist?", fragte eine nette Dame mit Hund auf meinem Weg zur Arbeit. Aggression stieg leicht an. Ich hielt kurz an, sammelte mich, atmete tief durch und sagte: "Wenn Sie wüssten wie scheißegal es mir ist, wie spät es ist, wenn Sie wüssten, dass jede Sekunde die vergeht für mich ein Segen ist, jede Minute eine Erlösung und wenn dieser Tag vorüber ist, werde ich nackt Samba tanzen … aber bis dahin; wenn Sie meinen, Sie müssten mir mit Ihrem kleinen verdammten Köter auf den Zeiger gehen und mich nach der
Uhrzeit fragen, dann sag ich ganz klar: es ist noch verdammt früh, der Tag ist noch verdammt lang und ich bin zu verdammt, verdammt hungrig um Ihnen irgendetwas dazu sagen zu können."
Die Dame mit dem Hund machte den Mund langsam zu und fing an zu weinen. Ich musste auch weinen, ich hatte so viel Wasser getrunken, dass ich ganz dringend auf die Toilette musste. Am meisten hasste ich diese glücklichen Gesichter auf den Plakatwänden, diese Gesichter voller Zufriedenheit wie sie genussvoll an einer Wasserflasche saugen als ob es kein Morgen gäbe und ihnen Wasser mindestens genauso gut schmeckt wie ein Hähnchen oder ein Steak. Wenn ich ein Hähnchen Cordon bleu und ein Eis mit Sahne verspeist
habe, trinke ich auch schon mal gern ein Wasser, mache dabei aber nie so ein Gesicht, als wäre das das göttliche Ambrosia.
Hungern Sie nicht sondern genießen Sie das Hungergefühl! Hungern Sie nicht sondern genießen Sie das Hungergefühl! Ich brauchte zehn Minuten, um die Intention dieses Satzes zu verstehen. Ich sollte es genießen?! Ich versuchte es. Der zweite Tag war schön. Nach dem ich das leichte Schwindelgefühl am Morgen überwunden hatte, und aus dem Bad frisch geduscht langsam taumelnd vor Schwäche raus kam, ging der Tag gut voran. Ich lehnte das Frühstück aus Prinzip ab, genoss einen Salat zum Mittag mit viel Wasser. Ich trank
und trank und trank. Ich kam gar nicht zum Essen, ich verbrachte die Hälfte des Tages auf der Toilette. Ich traute mich nicht nach Dienstschluss ins Auto zu klettern weil ich ständig auf die Toilette musste.
Gegen 21 Uhr fand mich der Sicherheitsdienst unserer Firma, nachdem eine Putzfrau Alarm geschlagen hatte, jemand würde sich seit Stunden auf der Toilette aufhalten. Der dritte Tag begann ohne Schwindelgefühle dafür aber mit einem nicht zu überhörenden Knurren meines Magens, Kopfschmerzen, Durst und einem leichten Hassgefühl auf diese Diät Tussis, die mich von jeder Wand anlächelten. Ist ja auch nicht schwer mit siebzehn Jahren gut auszusehen. Da war ich auch noch ein junger Gott. Diesen Zustand versuchte ich
jetzt wieder herzustellen. Ich griff zur Flasche und bereute es gleich. Es macht süchtig, ich trank wieder sechs Liter Wasser, dann drehte ich den Wasserhahn zu und fuhr auf Arbeit. Auf der Toilette lernte ich viele neue Kollegen von der Etage kennen, duzte mich mit den Putzfrauen, denn man kannte sich schließlich. Mein Chef fragte gelegentlich wo ich sei, aber die Kollegen hielten ihre schützende Hand über mich. Ich hatte keine Zeit mehr Mittag essen zu gehen, keine Zeit zu arbeiten. So eine Diät ist ein Full
time job. Außerdem wäre ich sowieso zu schwach gewesen, einen Kuli in der Hand zu halten. Aber das störte mich nicht. Ich hatte ein Ziel. Ich wollte in einen guten Anzug zu meiner Hochzeit passen und schlank aussehen. Auf allen Fotos, bis in alle Ewigkeit. Amen. Der Kühlschrank jedoch zog mich magisch an. Die Frau auf dem Diät Flyer suggerierte mir, ich müsse mich immer noch wohl fühlen und jetzt ganz besonders. Hat sich wahrscheinlich ihr Fett absaugen lassen, blöde Kuh, und lächelt jetzt von dem verdammten
Flyer. Aggression stieg an. Hungern Sie nicht. Genießen Sie es! Ich hatte zwölf Salatblätter zum Mittag, kein Frühstück und vor allem, keine Aussicht auf ein Abendessen. Genießen Sie es! Ich pinnte den Flyer an die Wand im Wohnzimmer und bewarf ihn mit Dart-Pfeilen, dabei versuchte ich die Frau am Kopf zu treffen. Es half nichts. Ich hatte Hunger. Das Dumme war, ich trank so viel, dass meine Waage den Gewichtsverlust scheinbar nicht bemerkte und unverdrossen eine mir persönlich als viel zu hoch eingeschätzte
Zahl zeigte. Am Abend des dritten Tages kaufte ich mir ein Luftgewehr und besorgte mir noch zehn Flyer, die ich überall in der Wohnung verteilte. Ich lud das Gewehr und gab vom Sofa aus präzise Schüsse ab. Ich traf mehrmals den Fernseher und einmal die Lieblingsvase meiner besseren Hälfte. Nach dem ich siebenhundert Schuss abgegeben hatte, war die Munition alle und ich musste neu tapezieren. Überall lagen Fetzen des Flyers herum, zerfetzte Tapete, eine zerschossene Fernbedienung und Munitionsreste. Ich beschloss
neu zu tapezieren. Ich zog mich aus, machte mir einen Hut aus Zeitungspapier und machte mich bereit für den Tapetenwechsel. Den sollte ich bekommen.
Ich hatte keine Tapete. Auch keinen Leim, also beschloss ich die Einschusslöcher mit Farbe zu übermalen. Ich machte mir laute Musik an, um mein ohrenbetäubendes Knurren im Magen zu überstimmen. Ich malte die Wohnung neu an. Wir hatten noch Reste vom Färben des Schuppens. Grün war nicht nur die Farbe des Schuppens, sondern auch die Farbe der Hoffnung. Die hatte ich noch nicht aufgegeben. Als ich mit zwei Wänden fertig und außer Atem war hörte ich ein Geräusch im Flur. Es hörte sich an, als würde jemand versuchen,
die Tür zu unserer Wohnung aufzumachen. Ich nahm mit zitternden Händen das Luftgewehr in Anschlag und ging in den Flur. Als meine bessere Hälfte die Tür öffnete und in den Lauf eines Gewehres blickte, hatte ich den Eindruck, sie erschrak für einen kurzen Moment, vielleicht waren die weit aufgerissenen Augen und der offene Mund Ausdruck von Entzücken wegen der neuen Farbe der Wände?! Eigentlich dachte ich, die Fetzen des Flyers, die in der ganzen Wohnung verteilt waren und die kaputte Vase neben der Fernbedienung
würden alles erklären … Dann noch der schicke Zeitungshut … Ich weis nicht, ob es der Anblick meines fast nackten Körpers mit grünen Punkten drauf war, oder das Gewehr … etwas veranlasste sie laut zu kreischen und zu rennen. Wäre ich nicht so schwach gewesen, wäre ich ihr bestimmt hinterher gerannt. Ich konnte nicht. Außerdem war mir nicht klar, ob der Anblick eines halbnackten Mannes, der hinter seiner Frau herjagt mit einem Luftgewehr in der Hand meine Situation erheblich verbessern würde.
Die Polizei war der gleichen Ansicht. Als es klingelte und ich öffnen wollte, legte ich vorher das Gewehr aus der Hand. Sie müssen meine nackte grün gefärbte Silhouette im Fenster gesehen haben … Das Spezialeinsatzkommando trat die Tür ein, und jetzt schaute ich in den Lauf von einem ganz großen Etwas, was bestimmt weh tut, wenn es einen trifft. Als ich aufwachte, stand ein Mann in Weiß über mir und schaute mich an. Ich wollte mich aufrichten. Das gelang mir aufgrund der Zwangsjacke, die ich an hatte nicht. Jegliche
Versuche dem Psychologen zu erklären, die Frau auf dem Flyer sei Schuld an meinem Verhalten, schlugen fehl. Ich erklärte, ich wollte niemanden verletzen sondern hatte nur Hunger und schoss deshalb auf die Frau. Es sei auch keine Kriegsbemalung sondern nur ein Versuch gewesen, das von mir angerichtete Unglück wieder gut zu machen. Ich wollte meine Frau auch nicht töten, ich hatte nur das Gefühl, es sei jemand im Haus. Wer mir das gesagt hätte …? Niemand sagte mir das, ich hörte leise Stimmen, versuchte ich zu
erklären. Auch sei es kein Ritual mit satanischen Klängen gewesen sondern nur die AC DC "live in concert" CD aus den Boxen meiner Stereoanlage.
Meine Antworten überzeugten den Mann in Weiß scheinbar nicht, denn meine Jacke bin ich nicht losgeworden. Man befragte den Sicherheitsdienst unserer Firma, der mir ein zumindest merkwürdiges Verhalten bescheinigte. Als ich dachte, es kann nicht mehr schlimmer werden, kam plötzlich die Dame mit dem Hund. Es wurde schlimmer. Sie fing wieder an zu weinen. Ihr Hund auch. Ich behielt nicht nur die Zwangsjacke sondern bekam auch eine eigene Zelle, in der ich die ganze Nacht mit Träumen von einem saftigen Steak verbrachte.
Als ich am vierten Tag meiner Diät aufwachte, hatte ich wie gesagt das Bedürfnis jemand zu töten. Mein Anwalt hatte mir geraten, dies niemandem kund zu tun und legte das Mandat nieder. Ich hatte Hunger, grüne Flecken im Gesicht und eine Zwangsjacke. Zweifellos gehörte dieser Tag nicht zu den Sternstunden meines Lebens. Man bescheinigte mir passiv aggressives Verhalten mit schizoiden Zügen und starke Psychose mit zeitweiliger Desintegration der Persönlichkeit. Das hörte sich nicht gut an. Unter Aufsicht durfte
ich gehen, muss mich jetzt jeden Tag melden und starke Medikamente mit viel viel Wasser einnehmen.
Ich versöhnte mich mit meiner Frau, bestellte mir eine Pizza, aß sie auf, bestellte mir noch eine, aß sie auch auf, fuhr zu dem Restaurant mit dem goldenen "M", aß sechs Burger, eine doppelte Portion Pommes mit Majo, eine doppelte Portion Eis mit Sahne, vier Brownies, drei Espresso und legte mich schlafen. Nachdem man mir den Magen ausgepumpt hatte, brauchte ich viel Überredungskunst, den Arzt glauben zu lassen, es handelte sich nicht um einen Suizidversuch. Ich fürchtete die Zwangsjacke. Am nächsten
Morgen kaufte ich mir einen neuen Anzug, eine Nummer kleiner als ich sowieso schon hatte (es ist erstaunlich wie viel Gewicht sie aus so einem Magen rausholen können) und war zum ersten Mal seit vier Tagen wirklich glücklich und zufrieden. Jetzt genoss ich es.
Eingereicht am 05. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.