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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Der Glückstisch

©  Rainer Wüst

Sie hatte es sehr eilig, blickte zu ihrer Freundin und sagte: "Komm doch mal her, ich hab hier was Schönes gefunden."
Andrea, die durch den Antiquitätenladen stöberte, stand vor einem kleinen Beistelltisch. Ihre Freundin Sandra blätterte gelangweilt durch alte Postkarten. Beide waren Mitte Vierzig und recht gut aussehende Singles. Andrea war die etwas kräftigere von Beiden. Sie hatte dunkle, kurz geschnittene Haare und war mit ihren 1,62 m nicht die Größte. Sandra hatte rotes, gelocktes, langes Haar, war sportlich, schlank und etwa einen halben Kopf größer. Sie waren seit ihrer Schulzeit Freundinnen.
Heute suchten sie nach einem antiquarischen Möbelstück, passend zu Andrea's stilvoll eingerichteter Wohnung. Jetzt standen beide vor diesem kleinen, mit Verzierungen bestückten, alten Beistelltisch. Andrea blies über die Tischplatte und wirbelte viel Staub auf, so dass beide husteten und sich mit den Händen versuchten den Staub aus den Gesichtern zu wischen. Nachdem sie wieder etwas sehen konnten, betrachteten sie den Tisch genauer und entdeckten am Rand der Tischplatte eine Inschrift. "Glückstisch", las Sandra laut vor. "Da sind noch ein paar Kratzer vor dem Wort 'Glückstisch'. Das ist wohl so was wie ein Symbol", erwiderte Andrea fast nachdenklich. "Na ja, wenn er Glück bringen sollte, dann nehm ich ihn halt", sagte Andrea beschwingt.
Mittlerweile hatte sich auch der Besitzer dazugesellt. Ein Mann wie aus dem Gruselkabinett, groß, hager, fast dürr, mit hervorquellenden Augen, grauen Haaren und einer Hakennase. "200 Euro!", krächzte er mit seiner heiseren Stimme hervor. Jetzt begann der schönste Teil des Einkaufs, fand zumindest Sandra. Sie liebte es zu feilschen und stieg auch sofort ein. Nach einigen Verhandlungsminuten befand sich der Preis, wie der Besitzer erklärte, bei unglaublich lächerlichen und viel zu niedrigen 150 Euro. Das war wohl auch sein letztes Angebot. Die Verhandlungsparteien einigten sich per Handschlag und der Tisch wechselte damit den Besitzer, nachdem Andrea bezahlt hatte.
Die Frauen trugen den Tisch zu Andrea's Auto. Er passte genau in den Kofferraum. "Welch ein Glück", sagte Sandra und grinste ganz verschmitzt dabei. Sie stiegen ins Auto und fuhren los. Es waren höchstens zehn Minuten Fahrzeit bis zu Andrea's Wohnung.
Nachdem sie gerade auf die Hauptstraße abgebogen waren, hörten sie einen lauten Knall und bemerkten, dass der Wagen nach rechts ausbrach. Zum Glück fuhren sie noch nicht so schnell und bremsten auf dem rechten Fahrstreifen ab. Sandra stieg auf der Beifahrerseite aus und sah sofort, dass der rechte, vordere Reifen geplatzt war. "Okay", rief sie ins Auto hinein, "wo sind der Wagenheber und der Kreuzschlüssel?" Andrea zeigte, als wolle sie per Anhalter fahren, mit dem Daumen in Richtung Kofferraum und stieg auch aus. Beide Frauen machten sich jetzt, mit dem schnell gefundenen Werkzeug, an die Arbeit. Sie waren handwerklich recht geschickt und wechselten den platten Reifen gegen den intakten Ersatzreifen in Windeseile. Kaum zwanzig Minuten später ging die Fahrt weiter. Es waren nur noch zwei Straßen bis sie ihr Ziel erreichen sollten.
Eine rote Ampel ließ sie direkt vor einem Supermarkt halten. Wieder gab es einen Knall und beide wollten schon nachsehen ob sich ein weiterer Reifen verabschiedet hatte. Aber in diesem Moment stürmte ein Mann mit einer Strumpfmaske über dem Kopf aus dem Supermarkt. Er hatte eine Schusswaffe in seiner rechten Hand und rannte scheinbar zielstrebig auf die beiden Frauen zu. Starr vor Angst registrierten die beiden wie er die hintere Autotür aufriss und hineinsprang. "Gas geben!", schrie er Andrea an. Sie zuckte zusammen und trat aufs Gaspedal. Dabei streifte sie ein anderes parkendes Fahrzeug. "Wenn ihr artig seid, dann passiert euch nichts!", brüllte er weiter. Er gab immer neue Kommandos und bedrohte die Frauen mit der Schusswaffe. Sie fuhren kreuz und quer durch die gesamte Stadt. Mittlerweile hatten sich zwei Streifenwagen hinter ihnen eingereiht und verfolgten sie. Aber irgendwie gelang es Andrea die Verfolger abzuschütteln. Ihr Kidnapper machte jetzt hektische Anstalten und schrie sie an: "Fahr rechts ran und dann raus mit euch!" Andrea hielt mit quietschenden Reifen an und beide Frauen stiegen total verängstigt aus. Ihr Entführer, der ebenfalls ausgestiegen war, setzte sich jetzt selbst ans Steuer und raste ohne auf die beiden zu achten weiter. Er lachte dabei laut. Sie sahen ihn noch die lang gezogene Hauptstraße hinunterbrausen. Dann verschwand er aus ihren Augen.
"Mist, der schöne Tisch ist futsch", faselte Sandra total benebelt und halblaut vor sich hin. Andrea schaute sie nur völlig verwirrt an, dann fielen sich die beiden Frauen schluchzend in die Arme und freuten sich, dass es vorbei war.
Sie riefen die Polizei, die kurze Zeit später bei ihnen eintraf. Die Polizisten nahmen beide mit zum Revier um ihre Aussagen aufzunehmen. Noch während sie ihre Aussage machten kam die Nachricht, dass der Täter einen Unfall hatte, bei dem er tödlich verunglückt war. Der Schrecken fuhr ihnen in die Glieder. Auch wenn er ein echter Fiesling war, den Tod hatten sie ihm trotzdem nicht gewünscht.
Einer der Polizisten teilte ihnen mit, dass sie sich ihre Wertsachen aus ihrem Fahrzeug am nächsten Tag hier abholen könnten. Mit diesen Informationen und dem tief sitzenden Schrecken, fuhren die zwei Frauen gemeinsam mit einem Taxi nach Hause und zwar in Andrea's Wohnung. Sandra blieb, wie schon des Öfteren, über Nacht bei ihr.
Am nächsten Morgen fuhren sie dann zusammen zur gleichen Polizeistation um die übrig gebliebenen Wertsachen in Empfang zu nehmen. In einem Verhörraum waren schon alle Gegenstände aus dem Auto auf einem Tisch ausgebreitet. Einiges war zerstört, aber der neu erworbene Beistelltisch schien völlig intakt zu sein.
"Sehr merkwürdig", sagte Sandra zu Andrea. Auch Andrea schaute wie gebannt auf den Tisch. Doch was beide jetzt sahen, ließ ihnen den Atem stocken.
Die eingeritzte Inschrift 'Glückstisch' hatte eine neue Vorsilbe. Es waren nur zwei Buchstaben. Das U und das N. Damit ergab sich ein neues Wort, nämlich das Wort 'Unglückstisch'. Kaum vorstellbar, aber hatte das etwas mit der Pechsträhne von gestern zu tun? Ein Polizist, der mit im Raum stand, bemerkte ihre Bestürzung und fragte: "Stimmt etwas nicht mit dem Tisch?" Beide antworteten wie aus einem Mund: "Doch, es ist alles in Ordnung, aber der gehört uns nicht!" Dabei zeigten sie auf den Tisch und packten sofort alles andere ein, ließen den Beistelltisch stehen und rannten völlig irritiert aus der Polizeistation. Draußen angekommen, setzten sie sich auf die nächstmögliche Parkbank. Sie atmeten erst einmal tief durch. Auf der Rückseite der Bank hing ein Schild mit der Aufschrift 'Frisch gestrichen'.


Eingereicht am 03. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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